Theologie (CamLex): Unterschied zwischen den Versionen

Aus Joachim Camerarius (1500-1574)
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Die Rolle des Camerarius in der Theologie ist bisher nur in Einzelaspekten erforscht. Wenn er in kirchengeschichtlichen Abhandlungen erscheint, dann meist als Autor der [[Erwähntes Werk::Camerarius, Vita Philippi Melanchthonis, 1566|Melanchthon-Biographie]], zunehmend auch als Adressat von Melanchthon-Briefen.<ref>Diese Tatsache verdankt sich vor allem der Arbeit der Melanchthonforschungsstelle Heidelberg und ihres Gründers Heinz Scheible, auf dessen Werke hier nur summarisch verwiesen werden kann. Der Briefwechsel mit Melanchthon (mit über 600 Briefen) ist mit Abstand der umfangreichste des Camerarius: Vgl. [[Mundhenk 2020]], S. 686.</ref> Da wesentlich mehr Briefe von Melanchthon an Camerarius erhalten sind als umgekehrt (ca. 600 gegen 69), wird Melanchthons Position zu behandelten Themen deutlicher als die des Camerarius. Zudem ist der Charakter der Humanistenbriefe nur sehr bedingt geeignet, theologische Positionen zu erkennen, da heikle Stellen für die Druckversionen oft überarbeitet wurden.<ref>Zu Redaktionen im Humanistenbrief vgl. [[Schlegelmilch 2017]], S. 279-281.</ref> Die ungedruckten handschriftlichen Briefe, die er mit seinen Briefpartnern gewechselt hat, sind zwar in der Regel aussagekräftiger als die edierten, aber auch dort wird viel mit Anspielungen und Gräzisierungen gearbeitet, was das Verständnis erschwert. Ihre Analyse war im Rahmen dieses Projekts nicht zu leisten und harrt noch der Bearbeitung.
Die Rolle des Camerarius in der Theologie ist bisher nur in Einzelaspekten erforscht. Wenn er in kirchengeschichtlichen Abhandlungen erscheint, dann meist als Autor der [[Erwähntes Werk::Camerarius, Vita Philippi Melanchthonis, 1566|Melanchthon-Biographie]], zunehmend auch als Adressat von Melanchthon-Briefen.<ref>Diese Tatsache verdankt sich vor allem der Arbeit der Melanchthonforschungsstelle Heidelberg und ihres Gründers Heinz Scheible, auf dessen Werke hier nur summarisch verwiesen werden kann. Der Briefwechsel mit Melanchthon (mit über 600 Briefen) ist mit Abstand der umfangreichste des Camerarius: Vgl. [[Mundhenk 2020]], S. 686.</ref> Da wesentlich mehr Briefe von Melanchthon an Camerarius erhalten sind als umgekehrt (ca. 600 gegen 69), wird Melanchthons Position zu behandelten Themen deutlicher als die des Camerarius. Zudem ist der Charakter der Humanistenbriefe nur sehr bedingt geeignet, theologische Positionen zu erkennen, da heikle Stellen für die Druckversionen oft überarbeitet wurden.<ref>Zu Redaktionen im Humanistenbrief vgl. [[Schlegelmilch 2017]], S. 279-281.</ref> Die ungedruckten handschriftlichen Briefe, die er mit seinen Briefpartnern gewechselt hat, sind zwar in der Regel aussagekräftiger als die edierten, aber auch dort wird viel mit Anspielungen und Gräzisierungen gearbeitet, was das Verständnis erschwert. Ihre Analyse war im Rahmen dieses Projekts nicht zu leisten und harrt noch der Bearbeitung.


Genauso ist eine Gesamtdarstellung zu Camerarius' theologischen Werken ein Desiderat. Viele waren lange Zeit nicht bekannt, denn eine annähernd vollständige Aufstellung seiner Schriften haben erst [[Baron/Shaw 1978]] unternommen.<ref>Im Katalog [[Summerus 1646]] fehlt eine nicht unbeträchtliche Zahl an Werken.</ref> Sogar eine der gründlichsten Untersuchungen zu Camerarius (mit Konzentration auf seine biographischen Schriften), [[Stählin 1936]],<ref>Stählin beschränkt sich darauf, „den Gehalt der biographischen Schriften an religiösen Anschauungen und Empfindungen herauszuarbeiten“ (a.a.O. S. 52). Dies erfolgt auf S. 52-61.</ref> sah sich nicht in der Lage, eine "Gesamtdarstellung der Religiosität Camerars"<ref>A.a.O. S. 52.</ref> zu leisten. Auch [[Seckt 1888]] hat nur "einige theologische Schriften des Joachim Camerarius"<ref>So besagt es auch der Titel von [[Seckt 1888]].</ref> untersucht. Dazu kommt, dass C.‘ Wirken in der Kirchengeschichte lange Zeit nur durch die Folie Melanchthon betrachtet wurde.<ref>Vgl. [[Dall'Asta 2024]], S. 154.</ref> Erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts ist man wieder darauf aufmerksam geworden, dass er insbesondere in der sächsischen Kirchenpolitik ein eigenständiger Akteur war.<ref>Deutlich wird dies zunächst bei [[Stählin 1936]], dann bei [[Wendorf 1957]], [[Wartenberg 1988]], [[Hasse 2000]]. Ein gutes Literaturverzeichnis zum Thema bietet [[Woitkowitz 2003]], S. 19-27.</ref> Durch das systematische Beiziehen handschriftlicher Quellen<ref>Hier sind zunächst die Akten des [[Erwähnte Körperschaft::Dresden, HStA|Hauptstaatsarchivs Dresden]] zu nennen. Sehr gründlichen Gebrauch davon hat Günther Wartenberg gemacht, der die daraus gewonnenen Erkenntnisse in zahlreichen Artikeln niedergeschrieben hat. Eine explizite Camerarius-Abhandlung konnte Wartenberg abgesehen von der 2003 verfassten Studie [[Wartenberg 2003]] vor seinem Tod nicht mehr verfassen. Auch [[Wendorf 1957]] hat viele dieser Quellen genutzt, jedoch auf exakte Quellenangaben verzichtet.</ref> und der erst kürzlich im Rahmen dieses WIKIs vollständig erfassten Werke des Camerarius wird man allmählich ein differenzierteres Bild gewinnen können: Sicher ist es seinem irenischen Stil und dem Zurückstellen seiner eigenen Personen geschuldet, dass auch in seinen eigenen Werken die eigenen Leistungen weniger stark hervortreten als die von manchen Zeitgenossen.<ref>In der "Vita Melanchthonis" verschweigt er gelegentlich seine eigene Teilhabe an wichtigen von ihm erwähnten Ereignissen, z.B. die Mitschrift der "Confutatio" zur Augsburgischen Konfession: Vgl. [[Werner 2010]], §41, S. 117 (mit Anm. 121).</ref> Auch hielt er sich zurück mit der Teilnahme an theologischen Konferenzen.<ref>So beschwert er sich z.B. am 13.4.1545 gegenüber Straßburger in [[Erwähntes Werk::OCEp 0313]], dass er sich bei den Berufungsverhandlungen für die [[Erwähnte Körperschaft::Universität (Leipzig)]] ausgebeten hatte, keine Verpflichtungen außerhalb der Lehre auferlegt zu bekommen: Vgl. auch [[Gindhart/Hamm 2024]], S. 16-18.</ref> Der einzige Reichstag, an dem er in offizieller Funktion teilnimmt, ist 1530 zu Augsburg. Er taucht daher nur dort (als Gesandter der Stadt Nürnberg) in den Akten auf.<ref>Vgl. [[Aulinger/Schweinzer 2011]], S. 83. Zu C.‘ Mitschrift der "Confutatio" zur "Confessio Augustana" vgl. [[Peters 2014a]], S. 226-236. Bei mehreren Reichstagen war Camerarius aber als Besucher anwesend und nutzte diese Treffen zur Pflege seiner Netzwerke. Es steht zu vermuten, dass er dabei auch seinen Freund Melanchthon beraten hat; diese Aufenthalte sind aber nicht immer nachweisbar. Zu Camerarius' Reichstagsbesuchen vgl. [[Gindhart/Hamm 2024]], S. 18-30.</ref>  
Genauso ist eine Gesamtdarstellung zu Camerarius' theologischen Werken ein Desiderat. Viele waren lange Zeit nicht bekannt, denn eine annähernd vollständige Aufstellung seiner Schriften haben erst [[Baron/Shaw 1978]] unternommen.<ref>Im Katalog [[Summerus 1646]] fehlt eine nicht unbeträchtliche Zahl an Werken.</ref> Sogar eine der gründlichsten Untersuchungen zu Camerarius (mit Konzentration auf seine biographischen Schriften), [[Stählin 1936]],<ref>Stählin beschränkt sich darauf, „den Gehalt der biographischen Schriften an religiösen Anschauungen und Empfindungen herauszuarbeiten“ (a.a.O. S. 52). Dies erfolgt auf S. 52-61.</ref> sah sich nicht in der Lage, eine "Gesamtdarstellung der Religiosität Camerars"<ref>A.a.O. S. 52.</ref> zu leisten. Auch [[Seckt 1888]] hat nur "einige theologische Schriften des Joachim Camerarius"<ref>So besagt es auch der Titel von [[Seckt 1888]].</ref> untersucht. Dazu kommt, dass C.‘ Wirken in der Kirchengeschichte lange Zeit nur durch die Folie Melanchthon betrachtet wurde.<ref>Vgl. [[Dall'Asta 2024]], S. 154.</ref> Erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts ist man wieder darauf aufmerksam geworden, dass er insbesondere in der sächsischen Kirchenpolitik ein eigenständiger Akteur war.<ref>Deutlich wird dies zunächst bei [[Stählin 1936]], dann bei [[Wendorf 1957]], [[Wartenberg 1988]], [[Hasse 2000]]. Ein gutes Literaturverzeichnis zum Thema bietet [[Woitkowitz 2003]], S. 19-27.</ref> Durch das systematische Beiziehen handschriftlicher Quellen<ref>Hier sind zunächst die Akten des [[Erwähnte Körperschaft::Dresden, HStA|Hauptstaatsarchivs Dresden]] zu nennen. Sehr gründlichen Gebrauch davon hat Günther Wartenberg gemacht, der die daraus gewonnenen Erkenntnisse in zahlreichen Artikeln niedergeschrieben hat. Eine explizite Camerarius-Abhandlung konnte Wartenberg abgesehen von der 2003 verfassten Studie [[Wartenberg 2003]] vor seinem Tod nicht mehr verfassen. Auch [[Wendorf 1957]] hat viele dieser Quellen genutzt, jedoch auf exakte Quellenangaben verzichtet.</ref> und der erst kürzlich im Rahmen dieses WIKIs vollständig erfassten Werke des Camerarius wird man allmählich ein differenzierteres Bild gewinnen können: Sicher ist es seinem irenischen Stil und der Zurücknahme seiner eigenen Person geschuldet, dass auch in seinen eigenen Werken die eigenen Leistungen weniger stark hervortreten als die von manchen Zeitgenossen.<ref>In der "Vita Melanchthonis" verschweigt er gelegentlich seine eigene Teilhabe an wichtigen von ihm erwähnten Ereignissen, z.B. die Mitschrift der "Confutatio" zur Augsburgischen Konfession: Vgl. [[Werner 2010]], §41, S. 117 (mit Anm. 121).</ref> Auch hielt er sich zurück mit der Teilnahme an theologischen Konferenzen.<ref>So beschwert er sich z.B. am 13.4.1545 gegenüber Stramburger in [[Erwähntes Werk::OCEp 0313]], dass er sich bei den Berufungsverhandlungen für die [[Erwähnte Körperschaft::Universität (Leipzig)]] ausgebeten hatte, keine Verpflichtungen außerhalb der Lehre auferlegt zu bekommen: Vgl. auch [[Gindhart/Hamm 2024]], S. 16-18.</ref> Der einzige Reichstag, an dem er in offizieller Funktion teilnimmt, ist 1530 zu Augsburg. Er taucht daher nur dort (als Gesandter der Stadt Nürnberg) in den Akten auf.<ref>Vgl. [[Aulinger/Schweinzer 2011]], S. 83. Zu C.‘ Mitschrift der "Confutatio" zur "Confessio Augustana" vgl. [[Peters 2014a]], S. 226-236. Bei mehreren Reichstagen war Camerarius aber als Besucher anwesend und nutzte diese Treffen zur Pflege seiner Netzwerke. Es steht zu vermuten, dass er dabei auch seinen Freund Melanchthon beraten hat; diese Aufenthalte sind aber nicht immer nachweisbar. Zu Camerarius' Reichstagsbesuchen vgl. [[Gindhart/Hamm 2024]], S. 18-30.</ref>  


Im Bereich der Kontroverstheologie und Polemik hielt sich Camerarius eher bedeckt; die Werke "[[Erwähntes Werk::OC 0596|Querela Luteri]]" und "[[Erwähntes Werk::OC 0616|Onar Hypar]]" treten hier hervor, wenngleich anonym publiziert.<ref>Vgl. [[Schäfer 2003]] und [[Mundt 2001]] sowie [[Kunkler 1998]], S. 269-278. Die Datenbank [https://www.controversia-et-confessio.de/ "Controversia et Confessio"] ergibt heute (7.12.2023) zur Suchanfrage „Camerarius“ nur 8 Treffer, darunter befindet sich als einziges seiner Werke die "Querela Luteri".</ref> Die bisherige Forschung hat sich auf die innerprotestantischen Konflikte konzentriert; die vergleichsweise heftigen Invektiven gegen die Papstkirche sollen im Rahmen dieser Darstellung mehr Aufmerksamkeit erhalten.
Im Bereich der Kontroverstheologie und Polemik hielt sich Camerarius eher bedeckt; die Werke "[[Erwähntes Werk::OC 0596|Querela Luteri]]" und "[[Erwähntes Werk::OC 0616|Onar Hypar]]" treten hier hervor, wenngleich anonym publiziert.<ref>Vgl. [[Schäfer 2003]] und [[Mundt 2001]] sowie [[Kunkler 1998]], S. 269-278. Die Datenbank [https://www.controversia-et-confessio.de/ "Controversia et Confessio"] ergibt heute (7.12.2023) zur Suchanfrage „Camerarius“ nur 8 Treffer, darunter befindet sich als einziges seiner Werke die "Querela Luteri".</ref> Die bisherige Forschung hat sich auf die innerprotestantischen Konflikte konzentriert; die vergleichsweise heftigen Invektiven gegen die Papstkirche sollen im Rahmen dieser Darstellung mehr Aufmerksamkeit erhalten.
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===Schulleiter in Nürnberg (1526-1535)===
===Schulleiter in Nürnberg (1526-1535)===
In den Jahren 1526 bis 1535 wirkte Camerarius als Schulleiter und Lehrer für Griechisch und Geschichte an der neu gegründeten [[Erwähnte Körperschaft::Egidiengymnasium (Nürnberg)|Oberen Schule]] in [[Nürnberg]].<ref>Vgl. [[Gindhart/Hamm 2024]], S. 12-14; ausführlich [[Heerwagen 1867]] und [[Heerwagen 1868]].</ref> Die klar reformatorische Prägung dieser Schule vergrößerte seine Einflussmöglichkeiten auch im religiösen Bereich: Das Glaubensleben seiner Schüler prägte er durch erste theologisch-pädagogische Schriften, die er mutmaßlich auch im Unterricht einsetzte.<ref>Siehe die etwas später verfassten [[Erwähntes Werk::OC 0188|"Praecepta"]]. Aus seiner Nürnberger Zeit sind erstaunlicherweise nur wenige theologische oder pädagogische Schriften erhalten. Lediglich die [[Erwähntes Werk::OC 0007|"Capita sacrosanctae fidei"]] sind bekannt.</ref> Unbekannt ist aber, warum C. sich nur ein halbes Jahr nach Amtsantritt schon wieder auf Reisen begeben wollte. So war geplant, dass er als (Latein-)Dolmetscher des Grafen [[Erwähnte Person::Albrecht VII. von Mansfeld]] einer Gesandtschaft von Reichsfürsten nach Spanien zu Kaiser [[Karl V. (HRR)]] angehören sollte. Eine längere Abwesenheit war also abzusehen, bei der [[Erwähnte Person::Helius Eobanus Hessus]] vertretungsweise die Schulleitung übernahm.<ref>Siehe den Brief Hessus an Groningen, 20.12.1526, in [[Camerarius, De Helio Eobano Hesso, 1553]], Q3v-Q4r.</ref> Auf dem [[Erwähnter Ort::Esslingen|Esslinger]] Fürstentag wurde jedoch beschlossen, die Reise abzubrechen und die Angelegenheit auf die nächste Versammlung in [[Regensburg]] zu verschieben.<ref>Vgl. [[Aulinger 2011]], S. 100–101 und 955–956. Anscheinend mussten die Gesandten wegen der Türkengefahr (Schlacht von Mohács am 29.8.1526) am Fürstentag (1.-21.12.1526) teilnehmen. Damit reichte die Zeit für die Sendung nicht mehr, da Frankreich nur für vier Monate freies Geleit gewährt hatte. Für den Reichstag zu Regensburg, einberufen für den 1.4.1527, ist keine Mansfelder Delegation belegt (vgl. [[Aulinger/Schweinzer 2011]]).</ref> Vielleicht um C.' Reiselust zu bremsen, wurde ihm sehr bald nach seiner Rückkehr seine zukünftige Braut [[Erwähnte Person::Anna Truchseß von Grünsberg]] zugespielt.<ref>Zur Hochzeit vgl. [[Walter 2024]]. Arrangiert wurde die Hochzeit möglicherweise von [[Erwähnte Person::Unbekannt (Führer)|Christoph Führer I.]] (vgl. [[Woitkowitz 2003]], S. 39, Anm 107).</ref> Die genauen Hintergründe sind noch immer unbekannt, selbst das Hochzeitsdatum ist umstritten.<ref>Dazu [[Taegert 2023]], S. 200 m. Anm. 25.</ref>
In den Jahren 1526 bis 1535 wirkte Camerarius als Schulleiter und Lehrer für Griechisch und Geschichte an der neu gegründeten [[Erwähnte Körperschaft::Egidiengymnasium (Nürnberg)|Oberen Schule]] in [[Nürnberg]].<ref>Vgl. [[Gindhart/Hamm 2024]], S. 12-14; ausführlich [[Heerwagen 1867]] und [[Heerwagen 1868]].</ref> Die klar reformatorische Prägung dieser Schule vergrößerte seine Einflussmöglichkeiten auch im religiösen Bereich: Das Glaubensleben seiner Schüler prägte er durch erste theologisch-pädagogische Schriften, die er mutmaßlich auch im Unterricht einsetzte.<ref>Siehe die etwas später verfassten [[Erwähntes Werk::OC 0188|"Praecepta"]]. Aus seiner Nürnberger Zeit sind erstaunlicherweise nur wenige theologische oder pädagogische Schriften erhalten. Lediglich die [[Erwähntes Werk::OC 0007|"Capita sacrosanctae fidei"]] sind bekannt.</ref> Unbekannt ist aber, warum C. sich nur ein halbes Jahr nach Amtsantritt schon wieder auf Reisen begeben wollte. So war geplant, dass er als (Latein-)Dolmetscher des Grafen [[Erwähnte Person::Albrecht VII. von Mansfeld]] einer Gesandtschaft von Reichsfürsten nach Spanien zu Kaiser [[Karl V. (HRR)]] angehören sollte. Eine längere Abwesenheit war also abzusehen, bei der [[Erwähnte Person::Helius Eobanus Hessus]] vertretungsweise die Schulleitung übernahm.<ref>Siehe den Brief Hessus an Groningen, 20.12.1526, in [[Camerarius, De Helio Eobano Hesso, 1553]], Q3v-Q4r.</ref> Auf dem [[Erwähnter Ort::Esslingen|Esslinger]] Fürstentag wurde jedoch beschlossen, die Reise abzubrechen und die Angelegenheit auf die nächste Versammlung in [[Regensburg]] zu verschieben.<ref>Vgl. [[Aulinger 2011]], S. 100–101 und 955–956. Anscheinend mussten die Gesandten wegen der Türkengefahr (Schlacht von Mohács am 29.8.1526) am Fürstentag (1.-21.12.1526) teilnehmen. Damit reichte die Zeit für die Sendung nicht mehr, da Frankreich nur für vier Monate freies Geleit gewährt hatte. Für den Reichstag zu Regensburg, einberufen für den 1.4.1527, ist keine Mansfelder Delegation belegt (vgl. [[Aulinger/Schweinzer 2011]]).</ref> Vielleicht um C.' Reiselust zu bremsen, wurde ihm sehr bald nach seiner Rückkehr seine zukünftige Braut [[Erwähnte Person::Anna Truchseß von Grünsberg]] zugespielt.<ref>Zur Hochzeit vgl. [[Walter 2024]]. Arrangiert wurde die Hochzeit möglicherweise von [[Erwähnte Person::Unbekannt (Führer)|Christoph Führer I.]] (vgl. [[Woitkowitz 2003]], S. 39, Anm. 107).</ref> Die genauen Hintergründe sind noch immer unbekannt, selbst das Hochzeitsdatum ist umstritten.<ref>Dazu [[Taegert 2023]], S. 200 m. Anm. 25.</ref>


Ein Höhepunkt der Nürnberger Zeit war für C. sicher der Reichstag zu [[Augsburg]] 1530. Dort war er offizieller Delegierter der Reichsstadt [[Nürnberg]]. Seine Zusammenarbeit mit Melanchthon sollte sich hier wieder einmal bewähren. Dieser hatte in Abwesenheit des geächteten Luther die "Confessio Augustana" (CA) erstellt. Als Gegenschrift verfassten altgläubige Theologen die "Confutatio". Deren Text wurde nicht in Abschrift ausgehändigt, sondern nur verlesen. Da Melanchthon an diesem Vorgang nicht teilnehmen konnte, griff er für seine Entgegnung auf Mitschriften des Camerarius und anderer Gelehrter zurück.<ref>Die Nürnberger Gesandtschaft schreibt dazu in ihrem Bericht über die Verlesung an den [[Erwähnte Körperschaft::Stadtrat (Nürnberg)|Nürnberger Rat]] (CR II, S. 249–252, hier S. 250): ''Darauf ist dieselbe Schrift, die über 50 Blaetter lang, verlesen. Also haben wir, so viel wir dieß Mal deß behalten moegen, den Effect davon Joachim Cammermeister, so wir auch zu uns hinein genommen, verzeichnen lassen, der es also mit Fleiß auf alle Artikel mit kurz in sein Taefelein aufgezeichnet so viel ihm moeglich, und mehr denn wir alle verstehen und behalten können, wie E. W. aus beiliegender Copey vernehmen.'' Eine Edition der für den Nürnberger Rat überarbeiteten Notizen des Camerarius nach der Abschrift Hall, StA, 4/55, 152r–158r u.a. bei [[Peters 2014a]], S. 230–236. Vgl. auch [[Gindhart/Hamm 2024]], S. 20 m. Anm. 59.</ref> Zu den übrigen Vertretern der Stadt Nürnberg scheint Melanchthon ein schwierigeres Verhältnis gehabt zu haben: In zwei Briefen ([https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1071 MBW Nr. 1071] und [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1079 1079]) wirft er ihnen vor, "schweizerische Politik" zu treiben. Nur aus Rücksicht auf C. halte er sich zurück.<ref>Die Freundschaft zwischen Melanchthon und Hieronymus Baumgartner wurde dadurch aber nur für kurze Zeit beinträchtigt: Bereits Anfang 1531 geht Melanchthon einen Schritt zur Versöhnung: [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1110 MBW Nr. 1110.4].</ref>
Ein Höhepunkt der Nürnberger Zeit war für C. sicher der Reichstag zu [[Augsburg]] 1530. Dort war er offizieller Delegierter der Reichsstadt [[Nürnberg]]. Seine Zusammenarbeit mit Melanchthon sollte sich hier wieder einmal bewähren. Dieser hatte in Abwesenheit des geächteten Luther die "Confessio Augustana" (CA) erstellt. Als Gegenschrift verfassten altgläubige Theologen die "Confutatio". Deren Text wurde nicht in Abschrift ausgehändigt, sondern nur verlesen. Da Melanchthon an diesem Vorgang nicht teilnehmen konnte, griff er für seine Entgegnung auf Mitschriften des Camerarius und anderer Gelehrter zurück.<ref>Die Nürnberger Gesandtschaft schreibt dazu in ihrem Bericht über die Verlesung an den [[Erwähnte Körperschaft::Stadtrat (Nürnberg)|Nürnberger Rat]] (CR II, S. 249–252, hier S. 250): ''Darauf ist dieselbe Schrift, die über 50 Blaetter lang, verlesen. Also haben wir, so viel wir dieß Mal deß behalten moegen, den Effect davon Joachim Cammermeister, so wir auch zu uns hinein genommen, verzeichnen lassen, der es also mit Fleiß auf alle Artikel mit kurz in sein Taefelein aufgezeichnet so viel ihm moeglich, und mehr denn wir alle verstehen und behalten können, wie E. W. aus beiliegender Copey vernehmen.'' Eine Edition der für den Nürnberger Rat überarbeiteten Notizen des Camerarius nach der Abschrift Hall, StA, 4/55, 152r–158r u.a. bei [[Peters 2014a]], S. 230–236. Vgl. auch [[Gindhart/Hamm 2024]], S. 20 m. Anm. 59.</ref> Zu den übrigen Vertretern der Stadt Nürnberg scheint Melanchthon ein schwierigeres Verhältnis gehabt zu haben: In zwei Briefen ([https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1071 MBW Nr. 1071] und [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1079 1079]) wirft er ihnen vor, "schweizerische Politik" zu treiben. Nur aus Rücksicht auf C. halte er sich zurück.<ref>Die Freundschaft zwischen Melanchthon und Hieronymus Baumgartner wurde dadurch aber nur für kurze Zeit beinträchtigt: Bereits Anfang 1531 geht Melanchthon einen Schritt zur Versöhnung: [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1110 MBW Nr. 1110.4].</ref>
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===Tätigkeit in Tübingen (1535-1541)===
===Tätigkeit in Tübingen (1535-1541)===
C. erwog in Nürnberg auch einen Wechsel in die Politik durch Annahme der dortigen Ratsschreiberstelle, die mit dem Tod [[Georg Hoppel]]s vakant war.<ref>Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1406 MBW Nr. 1406], [[Erwähntes Werk::OCEp 1002]] und [[Heerwagen 1868]], S. 16. In [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1330 MBW Nr. 1330.2] wird auch C.' Bruder [[Erwähnte Person::Hieronymus Camerarius]] trotz seiner Haft mit dieser Stelle in Verbindung gebracht.</ref> Das mag ein Indiz für seine Unzufriedenheit mit der Situation an der Oberen Schule gewesen sein. Eine Chance zur Veränderung gaben ihm die Ereignisse in Württemberg: Der 1519 vertriebene [[Erwähnte Person::Ulrich (Württemberg)]] eroberte sein Herzogtum 1534 mit Hilfe des Landgrafen [[Erwähnte Person::Philipp I. (Hessen)]] von den Habsburgern zurück und führte anschließend die Reformation ein.<ref>Dazu Holtz, Sabine: "[...] für eine conciliare katholische Reform der Kirche". Die Tübinger Theologische Fakultät und die Einführung der Reformation. In: Sönke Lorenz, Dieter R. Bauer und Oliver Auge (Hgg.): Tübingen in Lehre und Forschung um 1500. Zur Geschichte der Eberhard Karls Universität Tübingen. Festgabe für Ulrich Köpf. Tübingen 2008, S. 61-74. Dort wird auch ein Grundproblem der Tübinger Universitätsreform angerissen, nämlich die Erzwingung der Reformation durch landesherrliche Autorität statt durch Überzeugung der Universitätsmitglieder (ebd., S. 74).</ref> Um den Widerstand der [[Erwähnte Körperschaft::Universität (Tübingen)|Universität Tübingen]], insbesondere der Theologischen Fakultät, zu brechen, benötigte er Hilfe von außen. Der Berufungsversuch [[Philipp Melanchthon]]s<ref>Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regesten.html MBW Nr. 1487-1489, 1492, 1505.4].</ref> erfolgte in der Hoffnung, dass dieser den Sakramentenstreit zwischen oberdeutschen und lutheranischen Protestanten beilegen könnte.<ref>[https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1501 MBW Nr. 1501], [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1503 1503].</ref> Dieses Thema sollte die württembergische Politik noch längere Zeit beschäftigen. Als Visitator in universitären Angelegenheiten wurde [[Erwähnte Person::Ambrosius Blarer]] bestallt, der zudem als Superintendent die Einführung der Reformation in Württemberg ob der Steig visitieren sollte, und zudem der Basler Gräzist [[Erwähnte Person::Simon Grynäus]] "ausgeliehen" (von Oktober 1534 bis Juli 1535).<ref>Zu deren Reformationsversuchen an der Universität vgl. [[Pill-Rademacher 1993]], S. 110-130. Zur ersten Ordnung, die Ulrich der Universität am 20.1.1535 oktroyierte, siehe [[Köpf 2020]], S. 58f. sowie [[Roth 1877]], S. 176-185 (Edition der Ordnung). Dazu gehörte u.a. die Einrichtung von zwei (statt bisher vier) theologischen Professuren: Altes Testament und Neues Testament. Das trug auch der Schwierigkeit der Gewinnung von gut ausgebildeten evangelischen Theologen Rechnung.</ref> Grynäus musste im Juli 1535 nach [[Erwähnter Ort::Basel]] zurückkehren, von wo er aber die Berufung des Camerarius in die Wege leitete. Zu dessen Aufgabenbeschreibung gehörten von Anfang an organisatorische Tätigkeiten; politische Belange wurden zunächst nicht erwähnt.<ref>Zu C.' Berufung vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1584 MBW Nr. 1584.1] sowie der Brief des Grynäus [[Erwähntes Werk::OCEp 0276]].</ref> Gleichwohl hatte Grynäus aber im Sinn, ihn für die Universitätsreform und als Gesandten verwenden zu lassen.<ref>Vgl. Brief von Grynäus an (Ambrosius) Blarer, ca. 10.6.1535, in: [[Rädle 1990]], S. 65. Für das Fach Theologie war Camerarius ausdrücklich nicht vorgesehen.</ref>
C. erwog in Nürnberg auch einen Wechsel in die Politik durch Annahme der dortigen Ratsschreiberstelle, die mit dem Tod [[Georg Hoppel]]s vakant war.<ref>Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1406 MBW Nr. 1406], [[Erwähntes Werk::OCEp 1002]] und [[Heerwagen 1868]], S. 16. In [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1330 MBW Nr. 1330.2] wird auch C.' Bruder [[Erwähnte Person::Hieronymus Camerarius]] trotz seiner Haft mit dieser Stelle in Verbindung gebracht.</ref> Das mag ein Indiz für seine Unzufriedenheit mit der Situation an der Oberen Schule gewesen sein. Eine Chance zur Veränderung gaben ihm die Ereignisse in Württemberg: Der 1519 vertriebene [[Erwähnte Person::Ulrich (Württemberg)]] eroberte sein Herzogtum 1534 mit Hilfe des Landgrafen [[Erwähnte Person::Philipp I. (Hessen)]] von den Habsburgern zurück und führte anschließend die Reformation ein.<ref>Dazu Holtz, Sabine: "[...] für eine conciliare katholische Reform der Kirche". Die Tübinger Theologische Fakultät und die Einführung der Reformation. In: Sönke Lorenz, Dieter R. Bauer und Oliver Auge (Hgg.): Tübingen in Lehre und Forschung um 1500. Zur Geschichte der Eberhard Karls Universität Tübingen. Festgabe für Ulrich Köpf. Tübingen 2008, S. 61-74. Dort wird auch ein Grundproblem der Tübinger Universitätsreform angerissen, nämlich die Erzwingung der Reformation durch landesherrliche Autorität statt durch Überzeugung der Universitätsmitglieder (ebd., S. 74).</ref> Um den Widerstand der [[Erwähnte Körperschaft::Universität (Tübingen)|Universität Tübingen]], insbesondere der Theologischen Fakultät, zu brechen, benötigte er Hilfe von außen. Der Versuch einer Berufung [[Philipp Melanchthon]]s<ref>Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regesten.html MBW Nr. 1487-1489, 1492, 1505.4].</ref> erfolgte in der Hoffnung, dass dieser den Sakramentenstreit zwischen oberdeutschen und lutheranischen Protestanten beilegen könnte.<ref>[https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1501 MBW Nr. 1501], [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1503 1503].</ref> Dieses Thema sollte die württembergische Politik noch längere Zeit beschäftigen. Als Visitator in universitären Angelegenheiten wurde [[Erwähnte Person::Ambrosius Blarer]] bestallt, der zudem als Superintendent die Einführung der Reformation in Württemberg ob der Steig visitieren sollte, und zudem der Basler Gräzist [[Erwähnte Person::Simon Grynäus]] "ausgeliehen" (von Oktober 1534 bis Juli 1535).<ref>Zu deren Reformationsversuchen an der Universität vgl. [[Pill-Rademacher 1993]], S. 110-130. Zur ersten Ordnung, die Ulrich der Universität am 20.1.1535 oktroyierte, siehe [[Köpf 2020]], S. 58f. sowie [[Roth 1877]], S. 176-185 (Edition der Ordnung). Dazu gehörte u.a. die Einrichtung von zwei (statt bisher vier) theologischen Professuren: Altes Testament und Neues Testament. Das trug auch der Schwierigkeit der Gewinnung von gut ausgebildeten evangelischen Theologen Rechnung.</ref> Grynäus musste im Juli 1535 nach [[Erwähnter Ort::Basel]] zurückkehren, von wo er aber die Berufung des Camerarius in die Wege leitete. Zu dessen Aufgabenbeschreibung gehörten von Anfang an organisatorische Tätigkeiten; politische Belange wurden zunächst nicht erwähnt.<ref>Zu C.' Berufung vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1584 MBW Nr. 1584.1] sowie der Brief des Grynäus [[Erwähntes Werk::OCEp 0276]].</ref> Gleichwohl hatte Grynäus aber im Sinn, ihn für die Universitätsreform und als Gesandten verwenden zu lassen.<ref>Vgl. Brief von Grynäus an (Ambrosius) Blarer, ca. 10.6.1535, in: [[Rädle 1990]], S. 65. Für das Fach Theologie war Camerarius ausdrücklich nicht vorgesehen.</ref>


Die Theologische Fakultät widersetzte sich der Reformation von Land und Universität und wurde dafür vom Landesherrn bestraft: So wurden drei der vier Professoren im Frühjahr 1535 beurlaubt bzw. entlassen, nur der (theologisch indifferente) [[Erwähnte Person::Balthasar Käuffelin]] durfte bleiben, damit die Fakultät nicht vollkommen handlungsunfähig wurde. Als Ersatz für die Entlassenen wurde [[Erwähnte Person::Paul Phrygio]] aus Basel berufen. Sein schweizerisches Verständnis von der Reformation brachte allerdings einige Schwierigkeiten mit sich.<ref>Vgl. [[Köpf 2020]], S. 44 und [[Roth 1877]], S. 184.</ref> Melanchthon gelang es, [[Erwähnte Person::Johannes Brenz]] für ein Jahr nach Tübingen zu holen, wo er die (1536 eingerichtete) dritte Professur besetzte und als herzoglicher ''Commissarius'' mit Camerarius die neuen Universitätsstatuten ausarbeitete.<ref>Vgl. [[Köpf 2020]], S. 62-65; Statuten: [[Roth 1877]], S. 205-231.</ref> Brenz folgte dem Ruf aber nur widerwillig: In einem Brief an C. beschwert er sich über die Last und fragt, ob sie ''nullum ineptiorem asinum'' als ihn hätten finden können.<ref>Vgl. Brief Brenz an Camerarius vom 10.11.1536, Brief-ID 12894, in: Theologenbriefwechsel im Südwesten des Reichs in der Frühen Neuzeit (1550-1620). Verfügbar unter: https://thbw.hadw-bw.de/brief/12894. Zugriff am 11.3.2024.</ref>
Die Theologische Fakultät widersetzte sich der Reformation von Land und Universität und wurde dafür vom Landesherrn bestraft: So wurden drei der vier Professoren im Frühjahr 1535 beurlaubt bzw. entlassen, nur der (theologisch indifferente) [[Erwähnte Person::Balthasar Käuffelin]] durfte bleiben, damit die Fakultät nicht vollkommen handlungsunfähig wurde. Als Ersatz für die Entlassenen wurde [[Erwähnte Person::Paul Phrygio]] aus Basel berufen. Sein schweizerisches Verständnis von der Reformation brachte allerdings einige Schwierigkeiten mit sich.<ref>Vgl. [[Köpf 2020]], S. 44 und [[Roth 1877]], S. 184.</ref> Melanchthon gelang es, [[Erwähnte Person::Johannes Brenz]] für ein Jahr nach Tübingen zu holen, wo er die (1536 eingerichtete) dritte Professur besetzte und als herzoglicher ''Commissarius'' mit Camerarius die neuen Universitätsstatuten ausarbeitete.<ref>Vgl. [[Köpf 2020]], S. 62-65; Statuten: [[Roth 1877]], S. 205-231.</ref> Brenz folgte dem Ruf aber nur widerwillig: In einem Brief an C. beschwert er sich über die Last und fragt, ob sie ''nullum ineptiorem asinum'' als ihn hätten finden können.<ref>Vgl. Brief Brenz an Camerarius vom 10.11.1536, Brief-ID 12894, in: Theologenbriefwechsel im Südwesten des Reichs in der Frühen Neuzeit (1550-1620). Verfügbar unter: https://thbw.hadw-bw.de/brief/12894. Zugriff am 11.3.2024.</ref>


1535 bis 1541 lehrte C. in [[Erwähnter Ort::Tübingen]] Griechisch, später Latein, und wirkte in zentraler Position an der Reform der Universität mit.<ref>Vgl. [[Schultheiß 2017]], [[Pill-Rademacher 1993]]; zusammenfassend [[Gindhart/Hamm 2024]], S. 14-15.</ref> Im Herbst 1536 kam  Melanchthon für drei Wochen nach Württemberg, wo er den Herzog auch in Universitätsfragen beriet, so über Stellenbesetzungen und Satzungsfragen, die auch in der zweiten herzoglichen Ordnung vom 3.11.1536 mündeten.<ref>Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1795 MBW Nr. 1795] und [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1796 1796]. Die Ordnung ist ediert von [[Roth 1877]], S. 185-204. Melanchthon hatte sogar auf eine Anstellung in Württemberg gehofft, da er in Kursachsen nicht zufrieden war. Aber er erhielt keine Freigabe des Kurfürsten [[Erwähnte Person::Johann Friedrich I. (Sachsen)]]: Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1616 MBW Nr. 1616.4], [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1787 1787]. Es ist nicht vollständig geklärt, ob sein Besuch neben der Universitätsreform noch andere Zwecke hatte. Dazu [[Pill-Rademacher 1993]], S. 142-145.</ref> Allerdings stand Camerarius als herzoglicher Kommissar und Superattendent trotz zeitweiliger Unterstützung durch Brenz<ref>Siehe auch [[Pill-Rademacher 1993]], S. 412, Nr. 16. Der Gebrauch des Begriffs Superattendent ist hier noch zu klären. Sicher handelt es sich um etwas anderes als die sächsische Verwendung des Begriffs. Dazu [[Goldenstein 2015]]. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass C. kirchliche Funktionen ausgeübt hätte. Der Begriff taucht u.a. in der zweiten herzoglichen Ordnung vom 3.11.1536 auf ([[Roth 1877]], S. 185-204, hier S. 193f.) bezieht sich dort auf Aufseher über die Conturbernien, Bursen und das Pädagogium. Da dort ausdrücklich Theologen, Juristen und Mediziner genannt sind, kann hier keine kirchliche Leitungsposition gemeint sein.</ref> zwischen allen Fronten und erlebte zahlreiche Konflikte mit anderen Fakultäten, vor allem der Theologischen, wo einige Altgläubige die Reformversuche blockierten: Der (päpstlich bestellte) Kanzler [[Ambrosius Widmann]] war am 12.7.1535 nach [[Erwähnter Ort::Rottenburg]] ausgewandert, was die Promotionen an der Universität fast völlig zum Erliegen brachte.<ref>Die Mitwirkung des Kanzlers an Promotionen war durch die päpstliche Gründungsbulle von 1476 vorgeschrieben (vgl. [[Köpf 2020]], S. 44f. und [[Roth 1877]], S. 18f.). Zu den Lösungsversuchen durch Melanchthon und Camerarius vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=2039 MBW Nr. 2039.2] und [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=2051 2051.4] sowie [[Volz 1977]], S. 70-82. Wirklich lösen ließ sich die Problematik erst durch Widmanns Tod 1561.</ref> Nach der Rückkehr des anderen Kommissars, [[Johannes Brenz]], nach [[Erwähnter Ort::Schwäbisch Hall]]<ref>Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=2018 MBW Nr. 2018.2].</ref> war C. allein verantwortlich für die Universitätsreform und damit auch für die Problematik um Widmanns Weggang. Brenz und Camerarius waren permanente Kommissare, die auch an der Universität unterrichteten. Dazu gab es auch temporäre Kommissare, die nur von Fall zu Fall eingesetzt wurden und größere Vollmachten hatten.<ref>Vgl. [[Pill-Rademacher 1993]], S. 167.</ref> Der Beginn von Camerarius' Tätigkeit als Professor in Tübingen schlägt sich auch nieder in den Studentenzahlen: So nahm die Zahl fränkischer Studenten ab Sommer 1535 stark zu. Darunter finden sich auch Namen aus Nürnberger Patrizierfamilien.<ref>Vgl. [[Hermelink 1906]], S. 278-283: Wir finden hier u.a. die Familien Baumgartner, Grundherr, Römer und Coler. Zu den Familien siehe [[Fleischmann 2008]].</ref> Es ist sicher nicht abwegig, hierin eine Sogwirkung des Camerarius zu sehen, der den Familien als Schulleiter vertraut war. Gleichzeitig widerlegt es auch die These von der Bildungsferne der Patrizierfamilien.<ref>Vgl. [[Mährle 2014]], S. 30 und [[Heerwagen 1868]], S. 26.</ref>
1535 bis 1541 lehrte C. in [[Erwähnter Ort::Tübingen]] Griechisch, später Latein, und wirkte in zentraler Position an der Reform der Universität mit.<ref>Vgl. [[Schultheiß 2017]], [[Pill-Rademacher 1993]]; zusammenfassend [[Gindhart/Hamm 2024]], S. 14-15.</ref> Im Herbst 1536 kam  Melanchthon für drei Wochen nach Württemberg, wo er den Herzog auch in Universitätsfragen beriet, so über Stellenbesetzungen und Satzungsfragen, die auch in der zweiten herzoglichen Ordnung vom 3.11.1536 mündeten.<ref>Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1795 MBW Nr. 1795] und [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1796 1796]. Die Ordnung ist ediert von [[Roth 1877]], S. 185-204. Melanchthon hatte sogar auf eine Anstellung in Württemberg gehofft, da er in Kursachsen nicht zufrieden war. Aber er erhielt keine Freigabe des Kurfürsten [[Erwähnte Person::Johann Friedrich I. (Sachsen)]]: Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1616 MBW Nr. 1616.4], [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1787 1787]. Es ist nicht vollständig geklärt, ob sein Besuch neben der Universitätsreform noch andere Zwecke hatte. Dazu [[Pill-Rademacher 1993]], S. 142-145.</ref> Allerdings stand Camerarius als herzoglicher Kommissar und Superattendent trotz zeitweiliger Unterstützung durch Brenz<ref>Siehe auch [[Pill-Rademacher 1993]], S. 412, Nr. 16. Der Gebrauch des Begriffs Superattendent ist hier noch zu klären. Sicher handelt es sich um etwas anderes als die sächsische Verwendung des Begriffs. Dazu [[Goldenstein 2015]]. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass C. kirchliche Funktionen ausgeübt hätte. Der Begriff taucht u.a. in der zweiten herzoglichen Ordnung vom 3.11.1536 auf ([[Roth 1877]], S. 185-204, hier S. 193f.) bezieht sich dort auf Aufseher über die Conturbernien, Bursen und das Pädagogium. Da dort ausdrücklich Theologen, Juristen und Mediziner genannt sind, kann hier keine kirchliche Leitungsposition gemeint sein.</ref> zwischen allen Fronten und erlebte zahlreiche Konflikte mit anderen Fakultäten, vor allem der theologischen, wo einige Altgläubige die Reformversuche blockierten: Der (päpstlich bestellte) Kanzler [[Ambrosius Widmann]] war am 12.7.1535 nach [[Erwähnter Ort::Rottenburg]] ausgewandert, was die Promotionen an der Universität fast völlig zum Erliegen brachte.<ref>Die Mitwirkung des Kanzlers an Promotionen war durch die päpstliche Gründungsbulle von 1476 vorgeschrieben (vgl. [[Köpf 2020]], S. 44f. und [[Roth 1877]], S. 18f.). Zu den Lösungsversuchen durch Melanchthon und Camerarius vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=2039 MBW Nr. 2039.2] und [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=2051 2051.4] sowie [[Volz 1977]], S. 70-82. Wirklich lösen ließ sich die Problematik erst durch Widmanns Tod 1561.</ref> Nach der Rückkehr des anderen Kommissars, [[Johannes Brenz]], nach [[Erwähnter Ort::Schwäbisch Hall]]<ref>Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=2018 MBW Nr. 2018.2].</ref> war C. allein verantwortlich für die Universitätsreform und damit auch für die Problematik um Widmanns Weggang. Brenz und Camerarius waren permanente Kommissare, die auch an der Universität unterrichteten. Dazu gab es auch temporäre Kommissare, die nur von Fall zu Fall eingesetzt wurden und größere Vollmachten hatten.<ref>Vgl. [[Pill-Rademacher 1993]], S. 167.</ref> Der Beginn von Camerarius' Tätigkeit als Professor in Tübingen schlägt sich auch nieder in den Studentenzahlen: So nahm die Zahl fränkischer Studenten ab Sommer 1535 stark zu. Darunter finden sich auch Namen aus Nürnberger Patrizierfamilien.<ref>Vgl. [[Hermelink 1906]], S. 278-283: Wir finden hier u.a. die Familien Baumgartner, Grundherr, Römer und Coler. Zu den Familien siehe [[Fleischmann 2008]].</ref> Es ist sicher nicht abwegig, hierin eine Sogwirkung des Camerarius zu sehen, der den Familien aus seiner Tätigkeit als Nürnberger Schulleiter vertraut war. Gleichzeitig relativiert sich so auch die These von der Bildungsferne der Patrizierfamilien.<ref>Vgl. [[Mährle 2014]], S. 30 und [[Heerwagen 1868]], S. 26.</ref>


C. und Melanchthon machten in Tübingen ausgiebigen Gebrauch ihrer Netzwerke, indem sie die Berufung von Freunden und Studenten dorthin betrieben, etwa von [[Erwähnte Person::Matthias Garbitius]].<ref>[https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1919 MBW Nr. 1919.3].</ref> Im Fall von [[Erwähnte Person::Jakob Micyllus]]<ref>Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1796 MBW Nr. 1796.2] und [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1824 1824.3].</ref> und [[Veit Dietrich]] hatten sie damit offensichtlich keinen Erfolg.<ref>Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1659 MBW Nr. 1659.2], [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1660 1660.2], [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1858 1858-1860], [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1869 1869.4].</ref> Probleme bereitete auch die Berufung des [[Erwähnte Person::Johann Forster]] als Theologie-Professor nach [[Erwähnter Ort::Tübingen]]: C. fragte im Herbst 1538 (im Auftrag des Senats) [[Martin Luther]] um seine Meinung dazu, aber nicht Melanchthon, der von Forster abgeraten hatte.<ref>Vgl. [[Köpf 2020]] S. 49; [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1919 MBW Nr. 1919.2].</ref> Forster begann tatsächlich eine Lehrtätigkeit in Tübingen, hatte dort aber als Lutheraner konfessionelle Schwierigkeiten mit den Oberdeutschen und wurde 1541 wieder entlassen, was vielleicht auch als Angriff auf C. verstanden wurde und diesen zum Weggang bewogen haben kann.<ref>Vgl. [[Pill-Rademacher 1993]], 172-173. Auch Martin Aichmann macht in seiner historischen Abhandlung über die Visitationen (1599) den Dissens zwischen Senat und Artistenfakultät über Forsters Entlassung verantwortlich dafür, dass Camerarius Tübingen verließ, freilich ohne Nennung von Belegen, vgl. [[Pill-Rademacher 1993]], S. 380-385, besonders S. 383.</ref> Jedenfalls scheint C. ohne persönliche Verabschiedung abgereist zu sein, wie sein Abschiedsbrief belegt.<ref>Ediert von [[Roth 1877]], S. 427f. Dort führt er u.a. die grassierende Pest als Grund seiner Abreise an, geht aber auch auf das sächsische Stellenangebot ein. Melanchthon befürchtete eine gewaltsame Rückholung oder gar Inhaftierung C.' durch Herzog [[Ulrich (Württemberg)]], ähnlich dem Schicksal von C.' Bruder [[Hieronymus Camerarius]] in [[Bamberg]]: Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=2789 MBW Nr. 2789], [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=2794 2794] und [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=2807 2807.1].</ref>
C. und Melanchthon machten in Tübingen ausgiebigen Gebrauch von ihren Netzwerken, indem sie die Berufung von Freunden und Studenten dorthin betrieben, etwa von [[Erwähnte Person::Matthias Garbitius]].<ref>[https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1919 MBW Nr. 1919.3].</ref> Im Fall von [[Erwähnte Person::Jakob Micyllus]]<ref>Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1796 MBW Nr. 1796.2] und [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1824 1824.3].</ref> und [[Veit Dietrich]] hatten sie damit offensichtlich keinen Erfolg.<ref>Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1659 MBW Nr. 1659.2], [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1660 1660.2], [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1858 1858-1860], [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1869 1869.4].</ref> Probleme bereitete auch die Berufung des [[Erwähnte Person::Johann Forster]] als Theologie-Professor nach [[Erwähnter Ort::Tübingen]]: C. fragte im Herbst 1538 (im Auftrag des Senats) [[Martin Luther]] um seine Meinung dazu, aber nicht Melanchthon, der von Forster abgeraten hatte.<ref>Vgl. [[Köpf 2020]] S. 49; [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=1919 MBW Nr. 1919.2].</ref> Forster begann tatsächlich eine Lehrtätigkeit in Tübingen, hatte dort aber als Lutheraner konfessionelle Schwierigkeiten mit den Oberdeutschen und wurde 1541 wieder entlassen, was vielleicht auch als Angriff auf C. verstanden wurde und diesen zum Weggang bewogen haben kann.<ref>Vgl. [[Pill-Rademacher 1993]], 172-173. Auch Martin Aichmann macht in seiner historischen Abhandlung über die Visitationen (1599) den Dissens zwischen Senat und Artistenfakultät über Forsters Entlassung verantwortlich dafür, dass Camerarius Tübingen verließ, freilich ohne Nennung von Belegen, vgl. [[Pill-Rademacher 1993]], S. 380-385, besonders S. 383.</ref> Jedenfalls scheint C. ohne persönliche Verabschiedung abgereist zu sein, wie sein Abschiedsbrief belegt.<ref>Ediert von [[Roth 1877]], S. 427f. Dort führt er u.a. die grassierende Pest als Grund seiner Abreise an, geht aber auch auf das sächsische Stellenangebot ein. Melanchthon befürchtete eine gewaltsame Rückholung oder gar Inhaftierung C.' durch Herzog [[Ulrich (Württemberg)]], ähnlich dem Schicksal von C.' Bruder [[Hieronymus Camerarius]] in [[Bamberg]]: Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=2789 MBW Nr. 2789], [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=2794 2794] und [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=2807 2807.1].</ref>


In Tübingen förderte Camerarius das Pädagogium, das der Artistenfakultät unterstellt war, indem er unter anderem [[Erwähntes Werk::Camerarius, Puerilis doctrina de christiana vita, 1538|einen Katechismus]] dafür verfasste. Er korrespondierte in dieser Zeit viel mit Theologen und Schulmännern in [[Erwähnter Ort::Straßburg]], besonders [[Erwähnte Person::Jakob Bedrott]], [[Erwähnte Person::Nikolaus Gerbel]] und [[Erwähnte Person::Johannes Sturm]].
In Tübingen förderte Camerarius das Pädagogium, das der Artistenfakultät unterstellt war, indem er unter anderem [[Erwähntes Werk::Camerarius, Puerilis doctrina de christiana vita, 1538|einen Katechismus]] dafür verfasste. Er korrespondierte in dieser Zeit viel mit Theologen und Schulmännern in [[Erwähnter Ort::Straßburg]], besonders [[Erwähnte Person::Jakob Bedrott]], [[Erwähnte Person::Nikolaus Gerbel]] und [[Erwähnte Person::Johannes Sturm]].
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===Die Leipziger Zeit (1541-1574)===
===Die Leipziger Zeit (1541-1574)===
Das Jahr 1541 bildet eine Zäsur nicht nur im Leben des [[Erwähnte Person::Joachim Camerarius I.|Camerarius]], sondern auch in der Geschichte Sachsens: Der neue albertinische Herzog [[Erwähnte Person::Moritz (Sachsen)]] sollte das Machtgefüge im Territorium, unter den protestantischen Reichsständen und im gesamten Reich erheblich durcheinanderbringen. Es gibt eine ganze Reihe von Ereignissen, die dabei eine Rolle spielen: Die Einführung der Reformation durch Hz. [[Erwähnte Person::Heinrich (Sachsen)]] im albertinischen Herzogtum 1539, der Schmalkaldische Krieg 1546/47, der „geharnischte Reichstag“ 1547/48, die Belagerung [[Erwähnter Ort::Magdeburg]]s 1550/51 oder der Fürstenaufstand 1552. Ein Ereignis wie die Berufung des Camerarius an die [[Erwähnte Körperschaft::Universität (Leipzig)]] nimmt sich dagegen eher unbedeutend aus. Für das Ergehen der Institution hatte sie aber Konsequenzen, die keineswegs gering zu achten sind.<ref>Vgl. [[Forschungsliteratur::Wartenberg 2003]], S. 17-19.</ref> Seine Rolle in der Universitätspolitik wird von der bisherigen Forschung als sehr bedeutend angesehen,<ref>Vgl. [[Forschungsliteratur::Rudersdorf 2009]], S. 357-365 und [[Forschungsliteratur::Rudersdorf 2015]].</ref> während die Reformationsgeschichtsforschung Camerarius früher nur eine kleine Nebenrolle zugebilligt hat – zumeist an der Seite [[Erwähnte Person::Philipp Melanchthon|Melanchthons]]. Doch Günther Wartenberg zählte ihn "zu den Geburtshelfern eines sächsischen Konfessionsluthertums".<ref>[[Wartenberg 2003]], S. 11; vgl. [[Dall'Asta 2024]], S. 159f.</ref> Im Folgenden soll sein vielfältiges Engagement im Bereich der Theologie und Kirchenpolitik skizziert werden.
Das Jahr 1541 bildet eine Zäsur nicht nur im Leben des Camerarius, sondern auch in der Geschichte Sachsens: Der neue albertinische Herzog [[Erwähnte Person::Moritz (Sachsen)]] sollte das Machtgefüge im Territorium, unter den protestantischen Reichsständen und im gesamten Reich erheblich durcheinanderbringen. Es gibt eine ganze Reihe von Ereignissen, die dabei eine Rolle spielen: Die Einführung der Reformation durch Hz. [[Erwähnte Person::Heinrich (Sachsen)]] im albertinischen Herzogtum 1539, der Schmalkaldische Krieg 1546/47, der „geharnischte Reichstag“ 1547/48, die Belagerung [[Erwähnter Ort::Magdeburg]]s 1550/51 oder der Fürstenaufstand 1552. Ein Ereignis wie die Berufung des Camerarius an die [[Erwähnte Körperschaft::Universität (Leipzig)]] nimmt sich dagegen eher unbedeutend aus. Für das Ergehen der Institution hatte sie aber Konsequenzen, die keineswegs gering zu achten sind.<ref>Vgl. [[Forschungsliteratur::Wartenberg 2003]], S. 17-19.</ref> Seine Rolle in der Universitätspolitik wird von der bisherigen Forschung als sehr bedeutend angesehen,<ref>Vgl. [[Forschungsliteratur::Rudersdorf 2009]], S. 357-365 und [[Forschungsliteratur::Rudersdorf 2015]].</ref> während die Reformationsgeschichtsforschung Camerarius früher nur eine kleine Nebenrolle zugebilligt hat – zumeist an der Seite [[Erwähnte Person::Philipp Melanchthon|Melanchthons]]. Doch Günther Wartenberg zählte ihn "zu den Geburtshelfern eines sächsischen Konfessionsluthertums".<ref>[[Wartenberg 2003]], S. 11; vgl. [[Dall'Asta 2024]], S. 159f.</ref> Im Folgenden soll sein vielfältiges Engagement im Bereich der Theologie und Kirchenpolitik skizziert werden.


Seine Wirkenszeit in Leipzig wird hierbei in vier Phasen eingeteilt: 1541 bis 1546, 1547 bis 1553, 1553 bis 1560 und 1560 bis 1574. Diese Einteilung ist überwiegend politikgeschichtlich motiviert:<ref>Dieses Junktim unterliegt keiner zwingenden Logik; allerdings ist die Quellenlage für die sächsische Landesgeschichte weitgehend davon abhängig. So existieren für Moritzens Regierungszeit wesentlich mehr systematische Untersuchungen und mit der "Politischen Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen" (Band 1 bis 6, entspricht [[PKMS 1]] bis [[PKMS 6]]) eine umfassende Quellenedition. Ein Äquivalent zu Augusts Regierungszeit liegt noch nicht vor. Die diesbezüglichen Originalquellen im [[Dresden, HStA]] sind jedoch wesentlich umfangreicher und warten noch auf eine gründliche Aufarbeitung.</ref> In den ersten Regierungsjahren<ref>Die Jahre 1541 bis 1546 sieht auch [[Forschungsliteratur::Wartenberg 1988]], S. 19 als Einheit.</ref> wurde Herzog Moritz von seinen Amtskollegen noch nicht ernstgenommen und strebte danach, sich aus der Abhängigkeit von Kursachsen und Hessen zu befreien, was zunächst nur durch die Parteinahme für das Haus Habsburg und damit durch ein neues Abhängigkeitsverhältnis gelang.<ref>Vgl. [[Forschungsliteratur::Nicklas 2007]], S. 26f.</ref> Camerarius bekam in dieser Zeit erste kirchenpolitische Aufgaben, die er jedoch eher unwillig übernahm. Ein Trost dürfte ihm die Nähe zu Melanchthon gewesen sein, mit dem er häufig zusammenarbeitete.
Seine Wirkenszeit in Leipzig wird hierbei in vier Phasen eingeteilt: 1541 bis 1546, 1547 bis 1553, 1553 bis 1560 und 1560 bis 1574. Diese Einteilung ist überwiegend politikgeschichtlich motiviert:<ref>Dieses Junktim unterliegt keiner zwingenden Logik; allerdings ist die Quellenlage für die sächsische Landesgeschichte weitgehend davon abhängig. So existieren für Moritzens Regierungszeit wesentlich mehr systematische Untersuchungen und mit der "Politischen Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen" (Band 1 bis 6, entspricht [[PKMS 1]] bis [[PKMS 6]]) eine umfassende Quellenedition. Ein Äquivalent zu Augusts Regierungszeit liegt noch nicht vor. Die diesbezüglichen Originalquellen im [[Dresden, HStA]] sind jedoch wesentlich umfangreicher und warten noch auf eine gründliche Aufarbeitung.</ref> In den ersten Regierungsjahren<ref>Die Jahre 1541 bis 1546 sieht auch [[Forschungsliteratur::Wartenberg 1988]], S. 19 als Einheit.</ref> wurde Herzog Moritz von seinen Amtskollegen noch nicht ernstgenommen und strebte danach, sich aus der Abhängigkeit von Kursachsen und Hessen zu befreien, was zunächst nur durch die Parteinahme für das Haus Habsburg und damit durch ein neues Abhängigkeitsverhältnis gelang.<ref>Vgl. [[Forschungsliteratur::Nicklas 2007]], S. 26f.</ref> Camerarius bekam in dieser Zeit erste kirchenpolitische Aufgaben, die er jedoch eher unwillig übernahm. Ein Trost dürfte ihm die Nähe zu Melanchthon gewesen sein, mit dem er häufig zusammenarbeitete.
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Moritzens Tod im Jahr 1553 bildet die nächste Zäsur, da sein Bruder [[Erwähnte Person::August (Sachsen)]] von den ambitionierten kriegerischen und außenpolitischen Aktivitäten seines Vorgängers Abstand nahm und sich stärker Landesausbau und Reichspolitik verschrieb.<ref>Vgl. [[Forschungsliteratur::Nicklas 2007]], S. 40.</ref> Nur wenige Monate später verstarb [[Erwähnte Person::Georg III. (Anhalt-Plötzkau)|Georg von Anhalt]], der sich zu einem der führenden Theologen des Kurfürstentums entwickelt und gerade in der Religionspolitik großen Einfluss erworben hatte. Er hatte als „Bischof“ von [[Erwähnter Ort::Merseburg]] die Ausgestaltung der albertinisch-sächsischen Kirchenordnungen in bedeutendem Maße geprägt, an der Ausarbeitung der "Leipziger Landtagsvorlage" 1548 (dem sog. "Leipziger Interim") mitgewirkt, des weiteren an der "[[Erwähntes Werk::Div., Confessio Saxonica, 1553|Confessio Saxonica]]" 1551, und an mehreren Religionsgesprächen teilgenommen.<ref>Vgl. zu Georg vor allem [[Erwähntes Werk:: OC 0614|die Biographie]], die Camerarius über ihn verfasst hat, den Briefwechsel mit Camerarius sowie [[Forschungsliteratur::Wartenberg 1988]] und [[Forschungsliteratur::Gabriel 1997]] passim.</ref> Für Camerarius stellte sich in der Zeit nach dem Tod des Kurfürsten auch die Frage, ob er überhaupt nach Leipzig zurückkehren sollte.<ref>Im Herbst 1553 hielt er sich in Franken auf, entschied sich dann aber doch für die Rückkehr nach Sachsen.</ref>
Moritzens Tod im Jahr 1553 bildet die nächste Zäsur, da sein Bruder [[Erwähnte Person::August (Sachsen)]] von den ambitionierten kriegerischen und außenpolitischen Aktivitäten seines Vorgängers Abstand nahm und sich stärker Landesausbau und Reichspolitik verschrieb.<ref>Vgl. [[Forschungsliteratur::Nicklas 2007]], S. 40.</ref> Nur wenige Monate später verstarb [[Erwähnte Person::Georg III. (Anhalt-Plötzkau)|Georg von Anhalt]], der sich zu einem der führenden Theologen des Kurfürstentums entwickelt und gerade in der Religionspolitik großen Einfluss erworben hatte. Er hatte als „Bischof“ von [[Erwähnter Ort::Merseburg]] die Ausgestaltung der albertinisch-sächsischen Kirchenordnungen in bedeutendem Maße geprägt, an der Ausarbeitung der "Leipziger Landtagsvorlage" 1548 (dem sog. "Leipziger Interim") mitgewirkt, des weiteren an der "[[Erwähntes Werk::Div., Confessio Saxonica, 1553|Confessio Saxonica]]" 1551, und an mehreren Religionsgesprächen teilgenommen.<ref>Vgl. zu Georg vor allem [[Erwähntes Werk:: OC 0614|die Biographie]], die Camerarius über ihn verfasst hat, den Briefwechsel mit Camerarius sowie [[Forschungsliteratur::Wartenberg 1988]] und [[Forschungsliteratur::Gabriel 1997]] passim.</ref> Für Camerarius stellte sich in der Zeit nach dem Tod des Kurfürsten auch die Frage, ob er überhaupt nach Leipzig zurückkehren sollte.<ref>Im Herbst 1553 hielt er sich in Franken auf, entschied sich dann aber doch für die Rückkehr nach Sachsen.</ref>


Das Jahr 1560 schließlich bringt den Tod Melanchthons. Diesem kommt in der Rückschau eine größere theologische Bedeutung zu als seinem Leipziger Freund und Kollegen. Oft lässt sich aber nicht ermessen, wieviele Ideen Camerarius zu Melanchthons Werken beigetragen hat. Mit dessen Tod war Camerarius nun einer der letzten Überlebenden der ersten Reformatorengeneration. Diese Rolle zeigt sich deutlich in seiner Ladung durch Kaiser [[Maximilian II. (HRR)]] nach [[Wien]], um bei der Erstellung einer Kirchenordnung mitzuarbeiten.<ref>Vgl. Schlagwort [[Biographisches (Wienreise)]].</ref> Ob nun Camerarius den Drang verspürte, das Erbe Melanchthons weiterzuführen, oder ob andere Gründe vorlagen: Jedenfalls verfasste er in den folgenden 14 Jahren mehr theologische Werke als zuvor. Den nächsten Einschnitt bildet im Jahr 1574 nicht nur sein Tod, sondern auch die religionspolitische Wende Augusts, der viele „[[Erwähnte Körperschaft::Philippisten]]“ wegen des Verdachts auf Kryptocalvinismus aus ihren Ämtern entfernte; [[Erwähnte Person:: Georg Cracow]] und [[Erwähnte Person::Caspar Peucer]] wurden sogar eingekerkert.<ref>Vgl. [[Bruning 2004]], S. 168f.</ref> Auch Camerarius-Schüler wie [[Erwähnte Person::Gregor Bersman]],<ref>Vgl. [[Forschungsliteratur::Zinck 1903]], S. 118.</ref> [[Erwähnte Person::Ernst Vögelin]] und [[Erwähnte Person::Andreas Freyhub]] hatten mit schweren Repressionen zu kämpfen.<ref>Vgl. [[Forschungsliteratur::Hasse 2000]], S. 140-148 und 229-232. Der Buchdrucker Vögelin musste 1576 außer Landes fliehen; im selben Jahr verlor der Theologe Freyhub seine Stellung. Bersmann wurde 1580 entlassen, nachdem er die Unterschrift unter das Konkordienbuch verweigert hatte.</ref>
Das Jahr 1560 schließlich bringt den Tod Melanchthons. Diesem kommt in der Rückschau eine größere theologische Bedeutung zu als seinem Leipziger Freund und Kollegen. Oft lässt sich aber nicht ermessen, wieviele Ideen Camerarius zu Melanchthons Werken beigetragen hat. Mit dessen Tod war Camerarius nun einer der letzten Überlebenden der ersten Reformatorengeneration. Diese Rolle zeigt sich deutlich in seiner Ladung durch Kaiser [[Maximilian II. (HRR)]] nach [[Wien]], um bei der Erstellung einer Kirchenordnung mitzuarbeiten.<ref>Vgl. Schlagwort [[Biographisches (Wienreise)]].</ref> Ob nun Camerarius den Drang verspürte, das Erbe Melanchthons weiterzuführen, oder ob andere Gründe vorlagen: Jedenfalls verfasste er in den folgenden 14 Jahren mehr theologische Werke als zuvor. Den nächsten Einschnitt bildet im Jahr 1574 nicht nur sein Tod, sondern auch die Wende in der kursächsischen Religionspolitik, im Rahmen derer viele „[[Erwähnte Körperschaft::Philippisten]]“ wegen des Verdachts auf Kryptocalvinismus aus ihren Ämtern entfernt wurden; [[Erwähnte Person:: Georg Cracow]] und [[Erwähnte Person::Caspar Peucer]] wurden sogar eingekerkert.<ref>Vgl. [[Bruning 2004]], S. 168f.</ref> Auch Camerarius-Schüler wie [[Erwähnte Person::Gregor Bersman]],<ref>Vgl. [[Forschungsliteratur::Zinck 1903]], S. 118.</ref> [[Erwähnte Person::Ernst Vögelin]] und [[Erwähnte Person::Andreas Freyhub]] hatten mit schweren Repressionen zu kämpfen.<ref>Vgl. [[Forschungsliteratur::Hasse 2000]], S. 140-148 und 229-232. Der Buchdrucker Vögelin musste 1576 außer Landes fliehen; im selben Jahr verlor der Theologe Freyhub seine Stellung. Bersmann wurde 1580 entlassen, nachdem er die Unterschrift unter das Konkordienbuch verweigert hatte.</ref>


('''Vinzenz Gottlieb''')
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Bis 1539 war die Universität Leipzig wie das gesamte albertinische Herzogtum Sachsen ein Hort des alten Glaubens, an dem Herzog [[Erwähnte Person::Georg (Sachsen)]] den Einflüssen der Reformation (trotz anfänglicher Sympathie in einigen Punkten) durch eine eigenständige Reformpolitik trotzte.<ref>Zur Einführung in die Leipziger Stadt- und Universitätsgeschichte vgl. [[Forschungsliteratur::Hofmann 1739]] und [[Forschungsliteratur::Wartenberg 1996a]]. Zur Vorgeschichte der Reformation in Leipzig vgl. [[Forschungsliteratur::Wartenberg 1988]], S. 29-38. Zu Georgs kirchlichen Reformen vgl. [[Forschungsliteratur::Wartenberg 1988]], S. 89-93 und [[Forschungsliteratur::Volkmar 2008]].</ref> Dabei zeigt die Arbeit von Christoph Volkmar eindrucksvoll, dass dieses Vorgehen keineswegs automatisch zum Scheitern verurteilt war, sondern dass erst durch den Tod von Georgs Söhnen (Johann und Friedrich) die "Fürstenreformation von oben"<ref>[[Volkmar 2008]], S. 610.</ref> durch [[Erwähnte Person::Heinrich (Sachsen)]] ermöglicht worden ist. Durchaus nicht unwidersprochen<ref>Vgl. [[Volkmar 2008]], S. 380f.: Selbst Herzog Georg opponierte gegen einige Auswüchse des Ablasswesens, wobei hier nicht der Ablass an sich das Problem war, sondern der Geldfluss ins Ausland.</ref> predigte der Ablassprediger [[Erwähnte Person::Johann Tetzel]] 1516, 1517 und 1518 in der Stadt.<ref>Vgl. [[Forschungsliteratur::Hofmann 1739]], S. 29-33.</ref> Auch Camerarius soll – wie erwähnt –  im Jahr 1517 zusammen mit seinem Lehrer [[Lehrer::Georg Helt]] eine dieser Predigten gehört und entrüstet die Kirche verlassen haben.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::Freyhub, Oratio in funere Camerarii (Werk), 1574]], Bl. A4v-B1r. Andere Quellen zu diesem Ereignis liegen bislang nicht vor.</ref> Die Leipziger Disputation im Jahr 1519<ref>Vgl. [[Beyer 2005]].</ref> zwischen [[Erwähnte Person::Martin Luther]], [[Erwähnte Person::Andreas Bodenstein]] und [[Erwähnte Person::Johannes Eck]] verfolgte er nur aus der Ferne, während er in [[Erwähnter Ort::Erfurt]] studierte. Sein Freund [[Erwähnte Person::Adam Krafft]] war in Leipzig zugegen und bewog dort [[Erwähnte Person::Philipp Melanchthon]], einige Verse für Camerarius zu verfassen, was den Beginn von deren langer Freundschaft bildete.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0775|Vita Melanchthonis]], deutsche Übersetzung: [[Werner 2010]], §10-11 und [[Forschungsliteratur::Woitkowitz 1997]], S. 31.</ref>
Bis 1539 war die Universität Leipzig wie das gesamte albertinische Herzogtum Sachsen ein Hort des alten Glaubens, an dem Herzog [[Erwähnte Person::Georg (Sachsen)]] den Einflüssen der Reformation (trotz anfänglicher Sympathie in einigen Punkten) durch eine eigenständige Reformpolitik trotzte.<ref>Zur Einführung in die Leipziger Stadt- und Universitätsgeschichte vgl. [[Forschungsliteratur::Hofmann 1739]] und [[Forschungsliteratur::Wartenberg 1996a]]. Zur Vorgeschichte der Reformation in Leipzig vgl. [[Forschungsliteratur::Wartenberg 1988]], S. 29-38. Zu Georgs kirchlichen Reformen vgl. [[Forschungsliteratur::Wartenberg 1988]], S. 89-93 und [[Forschungsliteratur::Volkmar 2008]].</ref> Dabei zeigt die Arbeit von Christoph Volkmar eindrucksvoll, dass dieses Vorgehen keineswegs automatisch zum Scheitern verurteilt war, sondern dass erst durch den Tod von Georgs Söhnen (Johann und Friedrich) die "Fürstenreformation von oben"<ref>[[Volkmar 2008]], S. 610.</ref> durch [[Erwähnte Person::Heinrich (Sachsen)]] ermöglicht worden ist. Durchaus nicht unwidersprochen<ref>Vgl. [[Volkmar 2008]], S. 380f.: Selbst Herzog Georg opponierte gegen einige Auswüchse des Ablasswesens, wobei hier nicht der Ablass an sich das Problem war, sondern der Geldfluss ins Ausland.</ref> predigte der Ablassprediger [[Erwähnte Person::Johann Tetzel]] 1516, 1517 und 1518 in der Stadt.<ref>Vgl. [[Forschungsliteratur::Hofmann 1739]], S. 29-33.</ref> Auch Camerarius soll – wie erwähnt –  im Jahr 1517 zusammen mit seinem Lehrer [[Lehrer::Georg Helt]] eine dieser Predigten gehört und entrüstet die Kirche verlassen haben.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::Freyhub, Oratio in funere Camerarii (Werk), 1574]], Bl. A4v-B1r. Andere Quellen zu diesem Ereignis liegen bislang nicht vor.</ref> Die Leipziger Disputation im Jahr 1519<ref>Vgl. [[Beyer 2005]].</ref> zwischen [[Erwähnte Person::Martin Luther]], [[Erwähnte Person::Andreas Bodenstein]] und [[Erwähnte Person::Johannes Eck]] verfolgte er nur aus der Ferne, während er in [[Erwähnter Ort::Erfurt]] studierte. Sein Freund [[Erwähnte Person::Adam Krafft]] war in Leipzig zugegen und bewog dort [[Erwähnte Person::Philipp Melanchthon]], einige Verse für Camerarius zu verfassen, was den Beginn von deren langer Freundschaft bildete.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0775|Vita Melanchthonis]], deutsche Übersetzung: [[Werner 2010]], §10-11 und [[Forschungsliteratur::Woitkowitz 1997]], S. 31.</ref>


Mit der Einführung der Reformation im albertinischen Sachsen<ref>Vgl. dazu den Aufsatz von [[Forschungsliteratur::Enge 2017]], der Herzog Heinrichs eine größere Eigenleistung zumisst, als dies die bisherige Forschung unternommen hat. Die Schwierigkeiten, die sich dabei aus Herzog Georgs Gegenmaßnahmen und Nachfolgeplänen, insbesondere in seinen Testamenten, ergeben haben, hat kürzlich [[Winter 2023]] herausgestellt. Vgl. auch [[Wartenberg 2005]], S. 69-77.</ref> ergab sich auch die Notwendigkeit, den Lehrkörper der Universität an die geänderte konfessionelle Situation anzupassen. Besonders wichtig war die Ausbildung zuverlässiger Staatsbeamter und Pfarrer.<ref>Zum folgenden vgl. [[Forschungsliteratur::Junghans 2009]], S. 47-50 sowie [[Forschungsliteratur::Wartenberg 1981]].</ref> Nachdem am 13.8.1539 die Visitatoren im Auftrag Herzogs [[Erwähnte Person::Heinrich (Sachsen)]] alle Universitätsangehörigen auf die Augsburgische Konfession und deren Apologie verpflichtet hatten,<ref>Zur Durchführung der Reformation in Stadt und Universität Leipzig vgl. [[Forschungsliteratur::Freudenberger 1988]], S. 356-373. Auch legt Heinrich den Grundstein für die Reform der Universität; so hat er wahrscheinlich unter anderem die Bestellung [[Erwähnte Person::Caspar Borner]]s zum Rektor im Wintersemester 1539/40 mit beeinflusst. Auch die ersten Schritte zur Berufung des Camerarius unternahm er noch selbst, wobei in all diesen Belangen die Rolle Melanchthons nicht zu unterschätzen ist: Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=2785 MBW Nr. 2785]. So verfasste dieser ein Gutachten mit Reformvorschlägen: Vgl. [[Rudersdorf 2009]], S. 354-363, bes. 359f., siehe [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=2542 MBW Nr. 2542]. Die Umsetzung konkreter Reformmaßnahmen blieb aber als Aufgabe für Heinrichs Sohn Moritz.</ref> bestanden aber gerade an der Theologischen Fakultät noch einige Schwierigkeiten, wie Camerarius sie schon in [[Tübingen]] angetroffen hatte. Besonders der Franke [[Erwähnte Person::Hieronymus Dungersheim]] verweigerte sich der neuen Lehre. Er war seit Anfang 1538 Dekan und der einzige promovierte Theologe vor Ort. Auf besagte Visitation des Herzogs reagierte die Fakultät, sicher auf Dungersheims Betreiben hin, mit der Zusage ''sie wolten der Augspurgischen Confeßion und derselben Apologie nicht widerstehen, in so ferne sie weder dem Evangelio noch der Wahrheit widersprächen''.<ref>[[Hofmann 1739]], S. 405; vgl. [[Freudenberger 1988]], S. 367.</ref> Dies wird allgemein als nur äußerliche Zustimmung gesehen, die im Widerspruch zum Standpunkt der übrigen Fakultäten stand und dem Herzog auch nicht genügte.  
Mit der Einführung der Reformation im albertinischen Sachsen<ref>Vgl. dazu den Aufsatz von [[Forschungsliteratur::Enge 2017]], der Herzog Heinrichs eine größere Eigenleistung zumisst, als dies die bisherige Forschung unternommen hat. Die Schwierigkeiten, die sich dabei aus Herzog Georgs Gegenmaßnahmen und Nachfolgeplänen, insbesondere in seinen Testamenten, ergeben haben, hat kürzlich [[Winter 2023]] herausgestellt. Vgl. auch [[Wartenberg 2005]], S. 69-77.</ref> ergab sich auch die Notwendigkeit, den Lehrkörper der Universität an die geänderte konfessionelle Situation anzupassen. Besonders wichtig war die Ausbildung zuverlässiger Staatsbeamten und Pfarrer.<ref>Zum folgenden vgl. [[Forschungsliteratur::Junghans 2009]], S. 47-50 sowie [[Forschungsliteratur::Wartenberg 1981]].</ref> Nachdem am 13.8.1539 die Visitatoren im Auftrag Herzog [[Erwähnte Person::Heinrich (Sachsen)|Heinrichs]] alle Universitätsangehörigen auf die Augsburgische Konfession und deren Apologie verpflichtet hatten,<ref>Zur Durchführung der Reformation in Stadt und Universität Leipzig vgl. [[Forschungsliteratur::Freudenberger 1988]], S. 356-373. Auch legt Heinrich den Grundstein für die Reform der Universität; so hat er wahrscheinlich unter anderem die Bestellung [[Erwähnte Person::Caspar Borner]]s zum Rektor im Wintersemester 1539/40 mit beeinflusst. Auch die ersten Schritte zur Berufung des Camerarius unternahm er noch selbst, wobei in all diesen Belangen die Rolle Melanchthons nicht zu unterschätzen ist: Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=2785 MBW Nr. 2785]. So verfasste dieser ein Gutachten mit Reformvorschlägen: Vgl. [[Rudersdorf 2009]], S. 354-363, bes. 359f., siehe [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=2542 MBW Nr. 2542]. Die Umsetzung konkreter Reformmaßnahmen blieb aber als Aufgabe für Heinrichs Sohn Moritz.</ref> bestanden aber gerade an der Theologischen Fakultät noch einige Schwierigkeiten, wie Camerarius sie schon in [[Tübingen]] angetroffen hatte. Besonders der Franke [[Erwähnte Person::Hieronymus Dungersheim]] verweigerte sich der neuen Lehre. Er war seit Anfang 1538 Dekan und der einzige promovierte Theologe vor Ort. Auf besagte Visitation des Herzogs reagierte die Fakultät, sicher auf Dungersheims Betreiben hin, mit der Zusage ''sie wolten der Augspurgischen Confeßion und derselben Apologie nicht widerstehen, in so ferne sie weder dem Evangelio noch der Wahrheit widersprächen''.<ref>[[Hofmann 1739]], S. 405; vgl. [[Freudenberger 1988]], S. 367.</ref> Dies wird allgemein als nur äußerliche Zustimmung gesehen, die im Widerspruch zum Standpunkt der übrigen Fakultäten stand und dem Herzog auch nicht genügte.  


Die häufige Abwesenheit von Professoren, die meist auswärtige Kanonikate bekleideten und ihren Lebensmittelpunkt nicht in Leipzig hatten,<ref>Die Leipziger Theologen hatten Stiftspfründe in Meißen, Halle (Saale) und Magdeburg.</ref> bereitete schon zu Regierungszeiten Herzog [[Erwähnte Person::Georg (Sachsen)|Georgs]] Schwierigkeiten: Bei der Promotion von Melchior Rudel und Matthäus Metz am 3. April 1538 hatten sich die anderen zuständigen Professoren aus Krankheitsgründen entschuldigen lassen. Da ein Professor allein nicht promovieren durfte, musste Dungersheim seinen Kollegen [[Erwähnte Person::Johann Sauer]] aus [[Erwähnter Ort::Halle (Saale)]] heranziehen.<ref>Vgl. [[Forschungsliteratur::Freudenberger 1988]], S. 350-352 sowie [[Forschungsliteratur::Zarncke 1859]], S. 96-98.</ref> Dungersheim starb nach Krankheit am 2.3.1540. Die Nachfolge trat Johann Sauer an, der die Reformation bestenfalls halbherzig unterstützte und Leipzig schon 1544 in Richtung Wien verließ. Nur kurz (1539-1541) währte die Professorenkarriere des ersten evangelischen Theologieprofessors [[Erwähnte Person::Nicolaus Scheubleyn]], die durch seinen unglücklichen Tod ein jähes Ende fand.<ref>Scheubleyn starb bei einem Sturz im Weinkeller: Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=2653 MBW Nr. 2653.3].</ref> Der systematische Neuaufbau der Fakultät erfolgte unter Heinrichs Sohn und Nachfolger [[Erwähnte Person::Moritz (Sachsen)]], der nach der Berufung des Camerarius den Reformkurs fortsetzte, indem er am 26.5.1542 fünf theologische Lehrstühle stiftete (je zwei für das Alte und das Neue Testament sowie einen für Hebräisch) und für deren Finanzierung durch die Erträge des vormaligen Paulinerklosters sorgte.<ref>Zur Universitätsreform 1543 vgl. [[Rudersdorf 2009]], S. 357-379.</ref> Es dauerte allerding bis zum Wintersemester 1544, bis durch die Aufnahme des Schotten [[Erwähnte Person::Alexander Alesius]] in die Fakultät alle theologischen Lehrstühle besetzt werden konnten.<ref>Vgl. [[Forschungsliteratur::Hein/Junghans 2009]], S. 305. Die dortige Übersichtstabelle ist mit Vorsicht zu gebrauchen, da nur Lehrstuhlinhaber verzeichnet sind, die der Fakultät angehören. Alesius war zwar schon im Herbst 1542 berufen worden und hatte am 24.9.1543 pro loco disputiert, wurde aber erst am 17.10.1544 in die Theologische Fakultät aufgenommen (vgl. [[Forschungsliteratur::Siegmund-Schultze 2005]], S. 164). An der Doktorpromotion 1543 wirkte er aber bereits mit. Eine wichtige Rolle bei den Stellenbesetzungen spielte auch Melanchthon: Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=2802 MBW Nr. 2802].</ref> Jakob Schenk lehrte vom Wintersemester 1541/42 bis Oktober 1542, wurde dann aber entlassen und im August 1543 des Landes verwiesen.<ref>Vgl. [[Wartenberg 1988]], S. 155f. Schenk hatte sich in Wittenberg und Leipzig viele Feinde gemacht, darunter auch Superintendent [[Johann Pfeffinger]]. Vgl. P. Vetter: Jakob Schenk und die Prediger zu Leipzig 1541 - 1543. In: [https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/11884/257 NASG 12 (1891)], S. 247-271.</ref>
Die häufige Abwesenheit von Professoren, die meist auswärtige Kanonikate bekleideten und ihren Lebensmittelpunkt nicht in Leipzig hatten,<ref>Die Leipziger Theologen hatten Stiftspfründe in Meißen, Halle (Saale) und Magdeburg.</ref> bereitete schon zu Regierungszeiten Herzog [[Erwähnte Person::Georg (Sachsen)|Georgs]] Schwierigkeiten: Bei der Promotion von Melchior Rudel und Matthäus Metz am 3. April 1538 hatten sich die anderen zuständigen Professoren aus Krankheitsgründen entschuldigen lassen. Da ein Professor allein nicht promovieren durfte, musste Dungersheim seinen Kollegen [[Erwähnte Person::Johann Sauer]] aus [[Erwähnter Ort::Halle (Saale)]] heranziehen.<ref>Vgl. [[Forschungsliteratur::Freudenberger 1988]], S. 350-352 sowie [[Forschungsliteratur::Zarncke 1859]], S. 96-98.</ref> Dungersheim starb nach Krankheit am 2.3.1540. Die Nachfolge trat Johann Sauer an, der die Reformation bestenfalls halbherzig unterstützte und Leipzig schon 1544 in Richtung Wien verließ. Nur kurz (1539-1541) währte die Professorenkarriere des ersten evangelischen Theologieprofessors [[Erwähnte Person::Nicolaus Scheubleyn]], die durch seinen unglücklichen Tod ein jähes Ende fand.<ref>Scheubleyn starb bei einem Sturz im Weinkeller: Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=2653 MBW Nr. 2653.3].</ref> Der systematische Neuaufbau der Fakultät erfolgte unter Heinrichs Sohn und Nachfolger [[Erwähnte Person::Moritz (Sachsen)]], der nach der Berufung des Camerarius den Reformkurs fortsetzte, indem er am 26.5.1542 fünf theologische Lehrstühle stiftete (je zwei für das Alte und das Neue Testament sowie einen für Hebräisch) und für deren Finanzierung durch die Erträge des vormaligen Paulinerklosters sorgte.<ref>Zur Universitätsreform 1543 vgl. [[Rudersdorf 2009]], S. 357-379.</ref> Es dauerte allerding bis zum Wintersemester 1544, bis durch die Aufnahme des Schotten [[Erwähnte Person::Alexander Alesius]] in die Fakultät alle theologischen Lehrstühle besetzt werden konnten.<ref>Vgl. [[Forschungsliteratur::Hein/Junghans 2009]], S. 305. Die dortige Übersichtstabelle ist mit Vorsicht zu gebrauchen, da nur Lehrstuhlinhaber verzeichnet sind, die der Fakultät angehören. Alesius war zwar schon im Herbst 1542 berufen worden und hatte am 24.9.1543 pro loco disputiert, wurde aber erst am 17.10.1544 in die Theologische Fakultät aufgenommen (vgl. [[Forschungsliteratur::Siegmund-Schultze 2005]], S. 164). An der Doktorpromotion 1543 wirkte er aber bereits mit. Eine wichtige Rolle bei den Stellenbesetzungen spielte auch Melanchthon: Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=2802 MBW Nr. 2802].</ref> Jakob Schenk lehrte vom Wintersemester 1541/42 bis Oktober 1542, wurde dann aber entlassen und im August 1543 des Landes verwiesen.<ref>Vgl. [[Wartenberg 1988]], S. 155f. Schenk hatte sich in Wittenberg und Leipzig viele Feinde gemacht, darunter auch Superintendent [[Johann Pfeffinger]]. Vgl. P. Vetter: Jakob Schenk und die Prediger zu Leipzig 1541 - 1543. In: [https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/11884/257 NASG 12 (1891)], S. 247-271.</ref>
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Am 10.10.1543 erfolgte in Leipzig die theologische Doktorpromotion von [[Erwähnte Person::Caspar Borner]], [[Erwähnte Person::Johann Pfeffinger]], Andreas Samuel,<ref>Samuel fand Ende 1543 oder Anfang 1544 Anstellung bei Herzog [[Albrecht (Preußen)]]: Vgl. MBW Nr. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=3352 3352] und [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=3441 3441.1].</ref> [[Erwähnte Person::Wolfgang Schirmeister]] und [[Erwähnte Person::Bernhard Ziegler]] – die erste nach dem neuen Bekenntnis. Fast alle der Promovenden waren Absolventen der [[Erwähnte Körperschaft::Universität (Wittenberg)]], die somit ihren Einfluss in Leipzig intensivierte. Zu besagter Promotion wurden auch die Wittenberger Theologen eingeladen, um das gute Verhältnis zu demonstrieren ([https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=3333 MBW Nr. 3333]). [[Erwähnte Person::Martin Luther]], [[Erwähnte Person::Johannes Bugenhagen]] und [[Erwähnte Person::Philipp Melanchthon]] mussten zwar wegen der gleichzeitigen Promotion des [[Erwähnte Person::Erasmus Alberus]] absagen, schickten aber [[Erwähnte Person::Caspar Cruciger]] und [[Erwähnte Person::Paul Eber]] als Vertreter ([https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=3338 MBW Nr. 3338]).<ref>Dass Melanchthon regen Anteil nahm, zeigt sich auch daran, dass er [[Erwähnte Person::Georg III. (Anhalt-Plötzkau)]] um Wildbret für den Doktorschmaus bat: Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=3322 MBW Nr. 3322].</ref> Die von den Kandidaten disputierten ''quaestiones'' wurden von Camerarius ediert, zusammen mit Zieglers Promotionsrede, einem lateinischen Bericht über die Vereidigung, dem Einladungsschreiben an die Wittenberger Fakultät, dem Wittenberger Antwortschreiben und einer [[Erwähntes Werk::OC 0441|Psalmenparaphrase]] in lateinischer (Melanchthon) und griechischer (Camerarius) Sprache.<ref>[[Erwähntes Werk::Div., Quaestiones quinque, 1544]]. Vgl. dazu [[Forschungsliteratur::Weng 2003]]. Zur Edition durch C. vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=3515 MBW Nr. 3515].</ref>  
Am 10.10.1543 erfolgte in Leipzig die theologische Doktorpromotion von [[Erwähnte Person::Caspar Borner]], [[Erwähnte Person::Johann Pfeffinger]], Andreas Samuel,<ref>Samuel fand Ende 1543 oder Anfang 1544 Anstellung bei Herzog [[Albrecht (Preußen)]]: Vgl. MBW Nr. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=3352 3352] und [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=3441 3441.1].</ref> [[Erwähnte Person::Wolfgang Schirmeister]] und [[Erwähnte Person::Bernhard Ziegler]] – die erste nach dem neuen Bekenntnis. Fast alle der Promovenden waren Absolventen der [[Erwähnte Körperschaft::Universität (Wittenberg)]], die somit ihren Einfluss in Leipzig intensivierte. Zu besagter Promotion wurden auch die Wittenberger Theologen eingeladen, um das gute Verhältnis zu demonstrieren ([https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=3333 MBW Nr. 3333]). [[Erwähnte Person::Martin Luther]], [[Erwähnte Person::Johannes Bugenhagen]] und [[Erwähnte Person::Philipp Melanchthon]] mussten zwar wegen der gleichzeitigen Promotion des [[Erwähnte Person::Erasmus Alberus]] absagen, schickten aber [[Erwähnte Person::Caspar Cruciger]] und [[Erwähnte Person::Paul Eber]] als Vertreter ([https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=3338 MBW Nr. 3338]).<ref>Dass Melanchthon regen Anteil nahm, zeigt sich auch daran, dass er [[Erwähnte Person::Georg III. (Anhalt-Plötzkau)]] um Wildbret für den Doktorschmaus bat: Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=3322 MBW Nr. 3322].</ref> Die von den Kandidaten disputierten ''quaestiones'' wurden von Camerarius ediert, zusammen mit Zieglers Promotionsrede, einem lateinischen Bericht über die Vereidigung, dem Einladungsschreiben an die Wittenberger Fakultät, dem Wittenberger Antwortschreiben und einer [[Erwähntes Werk::OC 0441|Psalmenparaphrase]] in lateinischer (Melanchthon) und griechischer (Camerarius) Sprache.<ref>[[Erwähntes Werk::Div., Quaestiones quinque, 1544]]. Vgl. dazu [[Forschungsliteratur::Weng 2003]]. Zur Edition durch C. vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=3515 MBW Nr. 3515].</ref>  


Schon bald nach Camerarius‘ Ankunft in Leipzig wurde er von Hz. Moritz in universitäre und kirchenpolitische Gremienarbeit einbezogen. So widmete er sich ab 1543 mit Borner zusammen der Universitätsreform;<ref>Zur Universitätsreform vgl. die ausführliche Darstellung [[Rudersdorf 2009]], S. 355-391 (davon 361-365 explizit zur Rolle des Camerarius), [[Rudersdorf 2015]] und [[Zarncke 1859]], S. 238-278 (Edition von Borners Bericht aus den Rektoratsakten).</ref> dann bat Moritz ihn und die Theologische Fakultät um ein „Gutachten für die weitere Gestaltung der Landeskirche“,<ref>Zu dieser Angelegenheit vgl. [[Wartenberg 1988]], S. 181-187 sowie die herzogliche Anordnung vom 22.9.1543: [[Dresden, HStA]], 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 10532: Leipzigische Händel 1422-1533, Bl. 303b. Aufforderung Moritzens an Camerarius zur Gutachtenerstellung: [[Dresden, HStA]], 10004 Kopiale, Nr. 0181, Bl. 152a. Diese Gremienarbeit war nicht im Sinne von Camerarius, der sich in [[Erwähntes Werk::OCEp 0313|einem Brief an Stramburger]] darüber beschwert, dass dies nicht zu seinen Dienstaufgaben gehöre.</ref> wobei Camerarius auch an der Vorbereitung des Konsistoriums mitwirken sollte. Melanchthon unterstützte ihn durch Zusendung der Wittenberger Konsistorialordnung von 1542.<ref> Vgl. [[Wartenberg 1988]], S. 186 mit Anm. 70 und [[Zarncke 1859]], S. 196f.; auch [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=3343 MBW 3343] und [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=3372 3372].</ref> Streitpunkt dabei war die Kirchenstruktur: Während eine Gruppe um [[Erwähnte Person::Georg von Karlowitz]] die alten Strukturen beibehalten wollte,<ref>Georg von Karlowitz hatte bereits zu Lebzeiten Herzog Georgs einen eigenen Kompromisskurs über Religionsgespräche und kirchliche Reformen versucht, wobei auch [[Erwähnte Person::Julius von Pflug]] einige Versuche unternahm, [[Erasmus von Rotterdam]] für eine Vermittlerrolle zu gewinnen. Dazu [[Wartenberg 1988]], S. 65-70.</ref> strebten die Superintendenten ein Konsistorium an, wie es im ernestinischen Kurfürstentum bereits bestand.<ref>Vgl. [[Wartenberg 1988]], S. 184.</ref> Zur Entscheidungsfindung wurden die Leipziger Theologen einbezogen und auch Camerarius. Dieser entwickelte dabei eine enge Freundschaft zu [[Georg III. (Anhalt-Plötzkau)]].<ref>Vgl. [[Gabriel 1997]] und Achim Detmers: 500 Jahre Georg III. Fürst und Christ in Anhalt. Köthen 2008.</ref>
Schon bald nach seiner Ankunft in Leipzig wurde Camerarius von Herzog Moritz in die universitäre und kirchenpolitische Gremienarbeit einbezogen. So widmete er sich ab 1543 mit Borner zusammen der Universitätsreform;<ref>Zur Universitätsreform vgl. die ausführliche Darstellung [[Rudersdorf 2009]], S. 355-391 (davon 361-365 explizit zur Rolle des Camerarius), [[Rudersdorf 2015]] und [[Zarncke 1859]], S. 238-278 (Edition von Borners Bericht aus den Rektoratsakten).</ref> dann bat Moritz ihn und die Theologische Fakultät um ein „Gutachten für die weitere Gestaltung der Landeskirche“,<ref>Zu dieser Angelegenheit vgl. [[Wartenberg 1988]], S. 181-187 sowie die herzogliche Anordnung vom 22.9.1543: [[Dresden, HStA]], 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 10532: Leipzigische Händel 1422-1533, Bl. 303b. Aufforderung Moritzens an Camerarius zur Gutachtenerstellung: [[Dresden, HStA]], 10004 Kopiale, Nr. 0181, Bl. 152a. Diese Gremienarbeit war nicht im Sinne von Camerarius, der sich in [[Erwähntes Werk::OCEp 0313|einem Brief an Stramburger]] darüber beschwert, dass dies nicht zu seinen Dienstaufgaben gehöre.</ref> wobei Camerarius auch an der Vorbereitung des Konsistoriums mitwirken sollte. Melanchthon unterstützte ihn durch Zusendung der Wittenberger Konsistorialordnung von 1542.<ref> Vgl. [[Wartenberg 1988]], S. 186 mit Anm. 70 und [[Zarncke 1859]], S. 196f.; auch [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=3343 MBW 3343] und [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=3372 3372].</ref> Streitpunkt dabei war die Kirchenstruktur: Während eine Gruppe um [[Erwähnte Person::Georg von Karlowitz]] die alten Strukturen beibehalten wollte,<ref>Georg von Karlowitz hatte bereits zu Lebzeiten Herzog Georgs einen eigenen Kompromisskurs über Religionsgespräche und kirchliche Reformen versucht, wobei auch [[Erwähnte Person::Julius von Pflug]] einige Versuche unternahm, [[Erasmus von Rotterdam]] für eine Vermittlerrolle zu gewinnen. Dazu [[Wartenberg 1988]], S. 65-70.</ref> strebten die Superintendenten ein Konsistorium an, wie es im ernestinischen Kurfürstentum bereits bestand.<ref>Vgl. [[Wartenberg 1988]], S. 184.</ref> Zur Entscheidungsfindung wurden die Leipziger Theologen einbezogen und auch Camerarius. Dieser entwickelte dabei eine enge Freundschaft zu [[Georg III. (Anhalt-Plötzkau)]].<ref>Vgl. [[Gabriel 1997]] und Achim Detmers: 500 Jahre Georg III. Fürst und Christ in Anhalt. Köthen 2008.</ref>


Im Zuge der Universitätsreform richtete Herzog Moritz 100 Stipendien ein, die in erster Linie Theologiestudenten zugute kommen sollten. So wollte er dem Mangel an evangelischen Theologen abhelfen. Diese Maßnahme war nötig geworden, um die wegfallenden Einkommen aus kirchlichen Pfründen zu kompensieren. Camerarius gehörte zu den Prüfern der Stipendiaten; außerdem arbeitete er 1556 an einer neuen Stipendienordnung mit.<ref>Vgl. [[Ratajszczak 2009]], S. 60-63, [[Wartenberg 2003]], S. 19.</ref> Ob die Ähnlichkeiten im Stipendienwesen der Universitäten Leipzig und Tübingen<ref>Vgl. [[Ratajszczak 2009]], S. 159-163.</ref> Camerarius zu verdanken sind, ist noch zu prüfen.
Im Zuge der Universitätsreform richtete Herzog Moritz 100 Stipendien ein, die in erster Linie Theologiestudenten zugute kommen sollten. So wollte er dem Mangel an evangelischen Theologen abhelfen. Diese Maßnahme war nötig geworden, um die wegfallenden Einkommen aus kirchlichen Pfründen zu kompensieren. Camerarius gehörte zu den Prüfern der Stipendiaten; außerdem arbeitete er 1556 an einer neuen Stipendienordnung mit.<ref>Vgl. [[Ratajszczak 2009]], S. 60-63, [[Wartenberg 2003]], S. 19.</ref> Ob die Ähnlichkeiten im Stipendienwesen der Universitäten Leipzig und Tübingen<ref>Vgl. [[Ratajszczak 2009]], S. 159-163.</ref> Camerarius zu verdanken sind, ist noch zu prüfen.


Zur Vorbereitung des Universitätsbesuchs und um den Verlust kirchlicher Bildungseinrichtungen zu kompensieren, richtete Moritz Fürstenschulen in [[Fürstenschule (Meißen)|Meißen]], [[Fürstenschule (Schulpforta)|Pforta]] (beide 1543) und Grimma (1550) ein.<ref>Vgl. [[Thomas 2005]], S. 125-127.</ref> Ihre Visitation wurde der [[Erwähnte Körperschaft::Universität (Leipzig)]] übertragen. Die Universität wählte zur Durchführung dieser Aufgabe [[Caspar Borner]], Camerarius und [[Wolfgang Meurer]].<ref>Vgl. [[Zarncke 1857]], S. 664-666.</ref>
Zur Vorbereitung des Universitätsbesuchs und um den Verlust kirchlicher Bildungseinrichtungen zu kompensieren, richtete Moritz Fürstenschulen in [[Fürstenschule (Meißen)|Meißen]], [[Fürstenschule (Schulpforta)|Pforta]] (beide 1543) und Grimma (1550) ein.<ref>Vgl. [[Thomas 2005]], S. 125-127.</ref> Ihre Visitation wurde der [[Erwähnte Körperschaft::Universität (Leipzig)]] übertragen. Die Universität wählte zur Durchführung dieser Aufgabe [[Caspar Borner]], Camerarius und [[Wolfgang Meurer]].<ref>Vgl. [[Zarncke 1857]], S. 664-666. Camerarius wirkte auch an den Schulordnungen mit und verfasste im Bunde mit [[Erwähnte Person::Wolfgang Meurer]], [[Erwähnte Person::Georg Fabricius]] und [[Erwähnte Person::Johann Rivius]] im Juli 1546 eine Disziplinarordnung, die in Meißen unter dem Namen ''Leges Rivii'', in Pforte aber als ''Leges Camerarii'' zum Einsatz kam (vgl. [[Schwabe 1914]], S. 82).</ref>


Aber auch fremde Landesfürsten bemühten sich außerordentlich um die Dienste des Camerarius. Dabei ist vor allem Herzog [[Albrecht (Preußen)]] zu nennen: Während C. im Oktober 1543 eine Stelle als Rektor der [[Königsberg]]er Universität ablehnte, konsultierte der Herzog ihn (und Melanchthon) am 30.6.1545 bezüglich der Problematik des Promotionsrechts. Dieses konnte nur vom Papst oder Kaiser erteilt werden. Von beiden war keine Zustimmung zu erwarten. Albrecht wandte sich weder an Juristen noch an prominente Theologen wie Martin Luther, sondern an die beiden Humanisten, die ihm nahe standen.<ref>Zur Beziehung zwischen C. und Albrecht vgl. [[Voigt 1841]], S. 110-139. Der Melanchthon-Briefwechsel zählt 92 Briefe Melanchthons an den Herzog und 97 in der Gegenrichtung. Auch Melanchthons Schwiegersohn [[Georg Sabinus]], ein Freund des Camerarius, wirkte als Königsberger Rektor in dieser Angelegenheit mit.</ref> Das deutet auf den Willen hin, die Angelegenheit relativ diskret und geschickt zu lösen.<ref>Zur Angelegenheit vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=3931 MBW Nr. 3931] und [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=3933 3933.2]. Eine endgültige Lösung des Problems brachte erst die Erteilung des Privilegs durch König [[Erwähnte Person::Sigismund II. August (Polen)]] am 28.3.1560: Vgl. Bues, Almut: Herzog Albrecht von Preußen (1490-1568). In: Armin Kohnle und Manfred Rudersdorf (Hgg.), unter Mitarbeit von Marie Ulrike Jaros: Die Reformation. Fürsten - Höfe - Räume. Leipzig 2017 (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte 42), S. 63, Anm. 44.</ref> Einen entsprechenden Vorschlag präsentierten sie in ihrem Gutachten vom 28.7.1545 ([https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=3970 MBW Nr. 3970]) mit Verweis auf die Kirchengeschichte, insbesondere die Zeit unter Kaiser Julian (Apostata). Die Situation ähnelte den Problemen um den Tübinger Kanzler Widmann so sehr, dass die beiden Gutachten sogar in der Forschung verwechselt worden sind.<ref>Vgl. [[Volz 1977]], S. 90-93 und [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=3970 MBW Nr. 3970 Anm.]. Eine Abschrift ist in der Collectio Camerariana erhalten: [[München, BSB]], [https://www.digitale-sammlungen.de/en/view/bsb00116379?page=232,233 clm 10355, f. 108f].</ref> Das gute Verhältnis, das Camerarius und die Wittenberger Theologen zu Albrecht hatten, zeigt sich auch in einem Brief vom 8.10.1543, worin sie ihn (letztendlich vergeblich) bitten, seinen Leibarzt [[Erwähnte Person::Andreas Aurifaber]] nicht zum Studium nach [[Italien]] zu schicken.<ref>[https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=3340 MBW Nr. 3340] und [[Vogt 1966]], Nr. 127 (S. 274f.). Autoren des Briefs waren Melanchthon, [[Erwähnte Person::Martin Luther]], [[Erwähnte Person::Johannes Bugenhagen]] und Camerarius. Der Brief zählt zu den wenigen Belegen für eine Zusammenarbeit zwischen Bugenhagen und Camerarius.</ref>
Aber auch fremde Landesfürsten bemühten sich außerordentlich um die Dienste des Camerarius. Dabei ist vor allem Herzog [[Albrecht (Preußen)]] zu nennen: Während C. im Oktober 1543 eine Stelle als Rektor der [[Königsberg]]er Universität ablehnte, konsultierte der Herzog ihn (und Melanchthon) am 30.6.1545 bezüglich der Problematik des Promotionsrechts. Dieses konnte nur vom Papst oder Kaiser erteilt werden. Von beiden war keine Zustimmung zu erwarten. Albrecht wandte sich weder an Juristen noch an prominente Theologen wie Martin Luther, sondern an die beiden Humanisten, die ihm nahe standen.<ref>Zur Beziehung zwischen C. und Albrecht vgl. [[Voigt 1841]], S. 110-139. Der Melanchthon-Briefwechsel zählt 92 Briefe Melanchthons an den Herzog und 97 in der Gegenrichtung. Auch Melanchthons Schwiegersohn [[Georg Sabinus]], ein Freund des Camerarius, wirkte als Königsberger Rektor in dieser Angelegenheit mit.</ref> Das deutet auf den Willen hin, die Angelegenheit relativ diskret und geschickt zu lösen.<ref>Zur Angelegenheit vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=3931 MBW Nr. 3931] und [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=3933 3933.2]. Eine endgültige Lösung des Problems brachte erst die Erteilung des Privilegs durch König [[Erwähnte Person::Sigismund II. August (Polen)]] am 28.3.1560: Vgl. Bues, Almut: Herzog Albrecht von Preußen (1490-1568). In: Armin Kohnle und Manfred Rudersdorf (Hgg.), unter Mitarbeit von Marie Ulrike Jaros: Die Reformation. Fürsten - Höfe - Räume. Leipzig 2017 (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte 42), S. 63, Anm. 44.</ref> Einen entsprechenden Vorschlag präsentierten sie in ihrem Gutachten vom 28.7.1545 ([https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=3970 MBW Nr. 3970]) mit Verweis auf die Kirchengeschichte, insbesondere die Zeit unter Kaiser Julian (Apostata). Die Situation ähnelte den Problemen um den Tübinger Kanzler Widmann so sehr, dass die beiden Gutachten sogar in der Forschung verwechselt worden sind.<ref>Vgl. [[Volz 1977]], S. 90-93 und [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=3970 MBW Nr. 3970 Anm.]. Eine Abschrift ist in der Collectio Camerariana erhalten: [[München, BSB]], [https://www.digitale-sammlungen.de/en/view/bsb00116379?page=232,233 clm 10355, f. 108f].</ref> Das gute Verhältnis, das Camerarius und die Wittenberger Theologen zu Albrecht hatten, zeigt sich auch in einem Brief vom 8.10.1543, worin sie ihn (letztendlich vergeblich) bitten, seinen Leibarzt [[Erwähnte Person::Andreas Aurifaber]] nicht zum Studium nach [[Italien]] zu schicken.<ref>[https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=3340 MBW Nr. 3340] und [[Vogt 1966]], Nr. 127 (S. 274f.). Autoren des Briefs waren Melanchthon, [[Erwähnte Person::Martin Luther]], [[Erwähnte Person::Johannes Bugenhagen]] und Camerarius. Der Brief zählt zu den wenigen Belegen für eine Zusammenarbeit zwischen Bugenhagen und Camerarius.</ref>
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====1547 bis 1553====
====1547 bis 1553====
Während des Schmalkaldischen Krieges fand C. zunächst in [[Erwähnter Ort::Merseburg]] bei Fürst Georg Aufnahme, dann zog er über [[Erwähnter Ort::Erfurt]] weiter nach Franken.<ref>Vgl. besonders [[Erwähntes Werk::OCEp 0330]] sowie [[Erwähntes Werk::OCEp 1038]], [[Erwähntes Werk::OCEp 0631]], [[Erwähntes Werk::OCEp 1039]] und das [[Itinerar]].</ref> Der Rat der Stadt Nürnberg bot ihm und Melanchthon Aufenthaltsmöglichkeiten an. Damit verbunden war möglicherweise die Hoffnung, dass beide Lehrtätigkeiten an der behelfsmäßigen Hochschule übernehmen würden, die dort eingerichtet worden war, vor allem für geflüchtete Wittenberger und Leipziger Studenten.<ref>Vgl. [[Klaus 1958]], S. 254, [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=4570 MBW Nr. 4570.1], [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=4585a 4585a], [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=4605 4605.3].</ref> Melanchthon verblieb aber in Mitteldeutschland, und für eine Lehrtätigkeit des Camerarius in Nürnberg gibt es keine Belege. Allenfalls die Erwähnung, er werde zahlreiche Schüler nach Leipzig mitbringen,<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 0572]].</ref> kann ein Hinweis darauf sein. Die Wiederaufnahme seines Amtes in Leipzig war keineswegs sicher; so erwog er sogar, eine Theologieprofessur in [[Erwähnter Ort::Königsberg]] anzunehmen, wo sein Sohn [[Johannes Camerarius II.]] bereits studierte.<ref>Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=4721 MBW Nr. 4721.4]. Eine Stelle als Rektor der dortigen Hochschule wurde Camerarius bereits im Herbst 1543 angeboten, die dieser aber nicht annehmen konnte: Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=3334 MBW Nr. 3334.4,2 und 3334.4,4], [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=3371 3371.1], [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=3377 3377.1].</ref> Auch Alesius interessierte sich dafür, und Melanchthon wurde sogar von [[Albrecht (Preußen)]] dorthin berufen.<ref>Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=4853 MBW Nr. 4853.1-3].</ref> Ebenso gab es Angebote des Kurfürsten [[Erwähnte Person::Joachim II. (Brandenburg)]], dass C. an der [[Erwähnte Körperschaft::Universität (Frankfurt an der Oder)]] unterkommen könne.<ref>Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=4778 MBW Nr. 4778.2].</ref>
Während des Schmalkaldischen Krieges fand C. zunächst in [[Erwähnter Ort::Merseburg]] bei Fürst Georg Aufnahme, dann zog er über [[Erwähnter Ort::Erfurt]] weiter nach Franken.<ref>Vgl. besonders [[Erwähntes Werk::OCEp 0330]] sowie [[Erwähntes Werk::OCEp 1038]], [[Erwähntes Werk::OCEp 0631]], [[Erwähntes Werk::OCEp 1039]] und das [[Itinerar]].</ref> Der Rat der Stadt Nürnberg bot ihm und Melanchthon Aufenthaltsmöglichkeiten an. Damit verbunden war möglicherweise die Hoffnung, dass beide Lehrtätigkeiten an der behelfsmäßigen Hochschule übernehmen würden, die dort eingerichtet worden war, vor allem für geflüchtete Wittenberger und Leipziger Studenten.<ref>Vgl. [[Klaus 1958]], S. 254, [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=4570 MBW Nr. 4570.1], [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=4585a 4585a], [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=4605 4605.3].</ref> Melanchthon verblieb aber in Mitteldeutschland, und für eine Lehrtätigkeit des Camerarius in Nürnberg gibt es keine Belege. Allenfalls die Erwähnung, er werde zahlreiche Schüler nach Leipzig mitbringen,<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 0572]].</ref> kann ein Hinweis darauf sein. Die Wiederaufnahme seines Amtes in Leipzig war keineswegs sicher; so erwog er sogar, eine Theologieprofessur in [[Erwähnter Ort::Königsberg]] anzunehmen, wo sein Sohn [[Erwähnte Person::Johannes Camerarius II.|Johannes]] bereits studierte.<ref>Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=4721 MBW Nr. 4721.4]. Eine Stelle als Rektor der dortigen Hochschule wurde Camerarius bereits im Herbst 1543 angeboten, die dieser aber nicht annehmen konnte: Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=3334 MBW Nr. 3334.4,2 und 3334.4,4], [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=3371 3371.1], [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=3377 3377.1].</ref> Auch Alesius interessierte sich dafür, und Melanchthon wurde sogar von [[Albrecht (Preußen)]] dorthin berufen.<ref>Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=4853 MBW Nr. 4853.1-3].</ref> Ebenso gab es Angebote des Kurfürsten [[Erwähnte Person::Joachim II. (Brandenburg)]], dass C. an der [[Erwähnte Körperschaft::Universität (Frankfurt an der Oder)]] unterkommen könne.<ref>Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=4778 MBW Nr. 4778.2].</ref>
Camerarius wurde durch (den neuen Kurfürsten) Moritz im Sommer 1547 nach Leipzig zurückberufen, wobei auch einige Theologen dies forderten.<ref>Vgl. [[PKMS 3]], Nr. 697. Weitere Briefe dazu sind zitiert bei [[Woitkowitz 2003]], S. 185. Zusätzlich existiert ein dort nicht erwähnter Brief des Camerarius an den Rektor (Paul Bussius) vom 21.6. (ohne Jahr, aber auf 1547 datierbar), worin C. sich auf ein Schreiben von Kurfürst Moritz und [[Erwähnte Person::Ulrich von Mordeisen]] bezieht. Er könne momentan noch nicht zurückkehren: [[Leipzig, UA]], Bestand des Rektors, Rep. I/VIII/I (einzelne Professoren, ab 1549), Bl. 4r.</ref>
Camerarius wurde durch (den neuen Kurfürsten) Moritz im Sommer 1547 nach Leipzig zurückberufen, wobei auch einige Theologen dies forderten.<ref>Vgl. [[PKMS 3]], Nr. 697. Weitere Briefe dazu sind zitiert bei [[Woitkowitz 2003]], S. 185. Zusätzlich existiert ein dort nicht erwähnter Brief des Camerarius an den Rektor (Paul Bussius) vom 21.6. (ohne Jahr, aber auf 1547 datierbar), worin C. sich auf ein Schreiben von Kurfürst Moritz und [[Erwähnte Person::Ulrich von Mordeisen]] bezieht. Er könne momentan noch nicht zurückkehren: [[Leipzig, UA]], Bestand des Rektors, Rep. I/VIII/I (einzelne Professoren, ab 1549), Bl. 4r.</ref>
Nachdem Camerarius und Melanchthon nach Kriegsende wieder in Sachsen weilten, wurden sie wie zuvor mit einigen Aufgaben betraut; Georg von Anhalt wirkte weiterhin mit, obwohl er in Merseburg seine Leitungsfunktionen nach dem Schmalkaldischen Krieg an den altgläubigen Bischof [[Erwähnte Person::Michael Helding]] abtreten musste.<ref>Camerarius lässt in der [[Erwähntes Werk::OC 0775|Vita Melanchthonis]] kein gutes Haar an Helding, den er nach dessen Titularbistum verächtlich als "Sidonius" bezeichnet (vgl. [[Werner 2010]], S. 169f.). Besser waren seine Beziehungen zu [[Erwähnte Person::Julius von Pflug]], einem humanistisch orientierten Reformkatholiken, der erst durch den Schmalkaldischen Krieg sein Bischofsamt in [[Erwähnter Ort::Naumburg (Saale)]] antreten konnte. Bis dahin hatte dort der Lutherfreund [[Erwähnte Person::Nikolaus von Amsdorf]] dieses Amt ausgeübt, in das ihn der ernestinische Kurfürst [[Erwähnte Person::Johann Friedrich I. (Sachsen)]] 1542 eigenmächtig eingesetzt hatte.</ref>
Nachdem Camerarius und Melanchthon nach Kriegsende wieder in Sachsen weilten, wurden sie wie zuvor mit einigen Aufgaben betraut; Georg von Anhalt wirkte weiterhin mit, obwohl er in Merseburg seine Leitungsfunktionen nach dem Schmalkaldischen Krieg an den altgläubigen Bischof [[Erwähnte Person::Michael Helding]] abtreten musste.<ref>Camerarius lässt in der [[Erwähntes Werk::OC 0775|Vita Melanchthonis]] kein gutes Haar an Helding, den er nach dessen Titularbistum verächtlich als "Sidonius" bezeichnet (vgl. [[Werner 2010]], S. 169f.). Besser waren seine Beziehungen zu [[Erwähnte Person::Julius von Pflug]], einem humanistisch orientierten Reformkatholiken, der erst durch den Schmalkaldischen Krieg sein Bischofsamt in [[Erwähnter Ort::Naumburg (Saale)]] antreten konnte. Bis dahin hatte dort der Lutherfreund [[Erwähnte Person::Nikolaus von Amsdorf]] dieses Amt ausgeübt, in das ihn der ernestinische Kurfürst [[Erwähnte Person::Johann Friedrich I. (Sachsen)]] 1542 eigenmächtig eingesetzt hatte.</ref>
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Im Juli 1564 wird C. als Ehrengast nach [[Jena]] eingeladen, um an der von [[Erwähnte Person::Paul Eber]] geleiteten theologischen Doktorpromotion [[Erwähnte Person::Johann Stössel]]s teilzunehmen.<ref>Vgl. [[Gehrt 2014]], S. 109f.</ref> Das zeigt das hohe Ansehen, das er damals in den sächsischen Landen genoss. Ob er schon an diesem Termin in Jena war, ist nicht ganz sicher (wegen der Datierung von [[Erwähntes Werk::OCEp 0748]]), doch war er am 15.7. zur feierlichen Ernennung der Magistri anwesend. Er lieferte bei dieser Gelegenheit auch die Antwort auf eine Frage Ebers zu Xenophon ([[Erwähntes Werk::OC 0748]]), wobei er ungewöhnlich deutliche Seitenhiebe gegen die Schmäher Melanchthons austeilt.
Im Juli 1564 wird C. als Ehrengast nach [[Jena]] eingeladen, um an der von [[Erwähnte Person::Paul Eber]] geleiteten theologischen Doktorpromotion [[Erwähnte Person::Johann Stössel]]s teilzunehmen.<ref>Vgl. [[Gehrt 2014]], S. 109f.</ref> Das zeigt das hohe Ansehen, das er damals in den sächsischen Landen genoss. Ob er schon an diesem Termin in Jena war, ist nicht ganz sicher (wegen der Datierung von [[Erwähntes Werk::OCEp 0748]]), doch war er am 15.7. zur feierlichen Ernennung der Magistri anwesend. Er lieferte bei dieser Gelegenheit auch die Antwort auf eine Frage Ebers zu Xenophon ([[Erwähntes Werk::OC 0748]]), wobei er ungewöhnlich deutliche Seitenhiebe gegen die Schmäher Melanchthons austeilt.


Die Bedeutung des Camerarius zu Lebzeiten, auch auf internationalem Parkett, wird verdeutlicht durch eine wenig bekannte Episode: Der päpstliche Nuntius Zaccaria Delfino plante im Jahr 1564, über Gespräche mit Camerarius und mit dem [[Erwähnte Person::Joachim II. (Brandenburg)|Kurfürsten von Brandenburg]] die Protestanten zurück zur römischen Kirche zu führen. Vorausgegangen waren Verhandlungen mit dem sächsischen Kanzler [[Erwähnte Person::Ulrich von Mordeisen]] im August 1564 in [[Erwähnter Ort::Wien]].<ref>Vgl. [[Steinherz 1914]], S. 187f.</ref> In diesem Kontext fallen über C. die Aussagen ''che è il manco rigido Luterano di Saxonia'' und ''[Camerario] in rebus religionis hoggidi può tutto col suo elettore''.<ref>[[Steinherz 1914]], S. 195.</ref> Tatsächlich hat Delfino seine Reise nach Leipzig nie angetreten, sondern seinen Auditor Dr. Antonius Cauchius damit beauftragt.<ref>Vgl. [[Steinherz 1914]], S. 194-198, 203-204, 274-275, 278; Anhang zu [[Schelhorn 1740]], S. 61 und 89.</ref> Die Verhandlungen standen aber unter keinem guten Stern: Wegen der Gefangennahme seines Sohns [[Erwähnte Person::Philipp Camerarius]] und dessen Reisegefährten durch die [[Inquisition]] in [[Erwähnter Ort::Rom]] war Camerarius empört und nicht zum Nachgeben bereit. So habe er gesagt: ''Wenn die Papisten noch weiter so grausam gegen Unschuldige und Fremde vorgehen sollten, so könne es leicht geschehen, daß ihnen gleiches mit gleichem vergolten werde.''<ref>Zit. in [[Steinherz 1914]], S. 444; vgl. ebda. S. 423 und 444-445.</ref> Der Überfall durch Handlanger [[Erwähnte Person::Wilhelm von Grumbach|Wilhelms von Grumbach]] auf Cauchius, bei dem dieser alle Briefschaften verlor, tat sein übriges, die Verhandlungen scheitern zu lassen, zumal die Hintergründe bis 1567 unklar blieben und ein religiös-politisches Motiv vermutet wurde.<ref>Der Bericht des Philipp Camerarius über die Ereignisse ist abgedruckt in der „Relatio vera et solida de captivitate Romana ... Philippi Camerarii et Petri Rieteri“ (Anhang zu [[Schelhorn 1740]]), S. 57-61. Philipp deutet diesen Vorfall als Anlass für seine Freilassung. Der wahre Zweck des Besuchs von Cauchius bei Joachim Camerarius I. wird dort aber nicht genannt, sondern ergibt sich erst aus den bei Steinherz veröffentlichten Nuntiaturberichten.</ref> Nachdem im selben Jahr 1565 sowohl Mordeisen in Sachsen als auch Delfino bei der Kurie in Ungnade fielen und ihre Posten verloren,<ref>Mordeisens Entlassung erfolgte im Mai wegen des gescheiterten dänisch-habsburgischen Heiratsprojekts: Vgl. [[Steinherz 1914]], S. 241, 388.</ref> scheinen die Unionspläne, sofern sie überhaupt ernsthaft erwogen worden waren, vollends beigelegt worden zu sein.
Die Bedeutung des Camerarius zu Lebzeiten, auch auf internationalem Parkett, wird verdeutlicht durch eine wenig bekannte Episode: Der päpstliche Nuntius Zaccaria Delfino plante im Jahr 1564, über Gespräche mit Camerarius und mit dem [[Erwähnte Person::Joachim II. (Brandenburg)|Kurfürsten von Brandenburg]] die Protestanten zurück zur römischen Kirche zu führen. Vorausgegangen waren Verhandlungen mit dem sächsischen Kanzler [[Erwähnte Person::Ulrich von Mordeisen]] im August 1564 in [[Erwähnter Ort::Wien]].<ref>Vgl. [[Steinherz 1914]], S. 187f.</ref> In diesem Kontext fallen über C. die Aussagen ''che è il manco rigido Luterano di Saxonia'' und ''[Camerario] in rebus religionis hoggidi può tutto col suo elettore''.<ref>[[Steinherz 1914]], S. 195.</ref> Tatsächlich hat Delfino seine Reise nach Leipzig nie angetreten, sondern seinen Auditor Dr. Antonius Cauchius damit beauftragt.<ref>Vgl. [[Steinherz 1914]], S. 194-198, 203-204, 274-275, 278; Anhang zu [[Schelhorn 1740]], S. 61 und 89.</ref> Die Verhandlungen standen aber unter keinem guten Stern: Wegen der Gefangennahme seines Sohns [[Erwähnte Person::Philipp Camerarius]] und seiner Reisegefährten durch die [[Inquisition]] in [[Erwähnter Ort::Rom]] war Camerarius empört und nicht zum Nachgeben bereit. So habe er gesagt: ''Wenn die Papisten noch weiter so grausam gegen Unschuldige und Fremde vorgehen sollten, so könne es leicht geschehen, daß ihnen gleiches mit gleichem vergolten werde.''<ref>Zit. in [[Steinherz 1914]], S. 444; vgl. ebda. S. 423 und 444-445.</ref> Der Überfall durch Handlanger [[Erwähnte Person::Wilhelm von Grumbach|Wilhelms von Grumbach]] auf Cauchius, bei dem dieser alle Briefschaften verlor, tat sein übriges, die Verhandlungen scheitern zu lassen, zumal die Hintergründe bis 1567 unklar blieben und ein religiös-politisches Motiv vermutet wurde.<ref>Der Bericht des Philipp Camerarius über die Ereignisse ist abgedruckt in der „Relatio vera et solida de captivitate Romana ... Philippi Camerarii et Petri Rieteri“ (Anhang zu [[Schelhorn 1740]]), S. 57-61. Philipp deutet diesen Vorfall als Anlass für seine Freilassung. Der wahre Zweck des Besuchs von Cauchius bei Joachim Camerarius I. wird dort aber nicht genannt, sondern ergibt sich erst aus den bei Steinherz veröffentlichten Nuntiaturberichten.</ref> Nachdem im selben Jahr 1565 sowohl Mordeisen in Sachsen als auch Delfino bei der Kurie in Ungnade fielen und ihre Posten verloren,<ref>Mordeisens Entlassung erfolgte im Mai wegen des gescheiterten dänisch-habsburgischen Heiratsprojekts: Vgl. [[Steinherz 1914]], S. 241, 388.</ref> scheinen die Unionspläne, sofern sie überhaupt ernsthaft erwogen worden waren, vollends beigelegt worden zu sein.


Die Inhaftierung seines Sohns aus Gründen des Glaubens, verbunden mit der Gefahr der Hinrichtung, hatte den Vater tief getroffen, wie in mehreren Briefen deutlich wird.<ref>[[Erwähntes Werk::OCEp 0528]].1, [[Erwähntes Werk::OCEp 0726]], [[Erwähntes Werk::OCEp 1179]].</ref> Gleichzeitig zeigt sich aber auch, wie belastbar dessen politisches Netzwerk war: Unmittelbar nach der Verhaftung setzte ein reger Austausch von Briefen ein, die um Freilassung der Inhaftierten baten. Neben Gelehrten und fürstlichen Räten verwendeten sich auch Kurfürst [[Erwähnte Person::August (Sachsen)]], der katholische Herzog [[Erwähnte Person::Albrecht V. (Bayern)]] und sogar Kaiser [[Erwähnte Person::Maximilian II. (HRR)]] für die Gefangenen,<ref>Vgl. [[Koller 2023]], S. 346-347.</ref> die nach zwei Monaten schließlich ihre Freiheit wiedererlangten.
Die Inhaftierung seines Sohns aus Gründen des Glaubens, verbunden mit der Gefahr der Hinrichtung, hatte den Vater tief getroffen, wie in mehreren Briefen deutlich wird.<ref>[[Erwähntes Werk::OCEp 0528]].1, [[Erwähntes Werk::OCEp 0726]], [[Erwähntes Werk::OCEp 1179]].</ref> Gleichzeitig zeigt sich aber auch, wie belastbar sein politisches Netzwerk war: Unmittelbar nach der Verhaftung setzte ein reger Austausch von Briefen ein, die um Freilassung der Inhaftierten baten. Neben Gelehrten und fürstlichen Räten verwendeten sich auch Kurfürst [[Erwähnte Person::August (Sachsen)]], der katholische Herzog [[Erwähnte Person::Albrecht V. (Bayern)]] und sogar Kaiser [[Erwähnte Person::Maximilian II. (HRR)]] für die Gefangenen,<ref>Vgl. [[Koller 2023]], S. 346-347.</ref> die nach zwei Monaten schließlich ihre Freiheit wiedererlangten.


Infolge der Grumbachschen Händel wurde 1567 der ernestinische Herzog [[Johann Friedrich II. (Sachsen)|Johann Friedrich der Mittlere]] bis ans Lebensende inhaftiert, woraufhin sein Bruder [[Johann Wilhelm (Sachsen-Weimar)]] die Regierungsgeschäfte im Herzogtum in die Hand nahm. Unter ihm wurde die Kluft zwischen beiden Sachsen auch theologisch vertieft, was durch das Scheitern des Altenburger Religionsgesprächs noch befördert wurde.<ref>Vgl. [[Gehrt 2014]], S. 117-121.</ref>
Infolge der Grumbachschen Händel wurde 1567 der ernestinische Herzog [[Johann Friedrich II. (Sachsen)|Johann Friedrich der Mittlere]] bis ans Lebensende inhaftiert, woraufhin sein Bruder [[Johann Wilhelm (Sachsen-Weimar)]] die Regierungsgeschäfte im Herzogtum in die Hand nahm. Unter ihm wurde die Kluft zwischen beiden Sachsen auch theologisch vertieft, was durch das Scheitern des Altenburger Religionsgesprächs noch befördert wurde.<ref>Vgl. [[Gehrt 2014]], S. 117-121.</ref>


Von August bis Dezember 1568 war C. in [[Erwähnter Ort::Wien]] bei Kaiser [[Erwähnte Person::Maximilian II. (HRR)]] und nahm dementsprechend nicht am gleichzeitigen Altenburger Religionsgespräch teil. Diese [[Biographisches (Wienreise)|Reise]] war überschattet von körperlichen Gebrechen, die C. große Pein bereiteten, und von einem Gefühl der Vergeblichkeit, das er schon vor Fahrtantritt hatte und das sich letztendlich bewahrheiten sollte.<ref>Vgl. dazu [[Otto 1889]], S. 30-32, [[Steinmann 2017]], [[Gindhart/Hamm 2024]], S. 29. Vgl. auch das Schlagwort [[Biographisches (Wienreise)]] sowie die Akten in [[Dresden, HStA]], 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 9936/53, mit eigenhändigem Bericht des Camerarius auf Bl. 4r-8v.</ref> Allerdings konnte der Melanchthon-Schüler [[Erwähnte Person::David Chyträus]] nach einem Gespräch mit dem nach Leipzig zurückgekehrten Camerarius im Dezember 1568 (vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 1535]]) die Verhandlungen erfolgreich zu Ende bringen.<ref>Vgl. [[Briefwechsel-David Chyträus]]</ref>
Von August bis Dezember 1568 war C. in [[Erwähnter Ort::Wien]] bei Kaiser [[Erwähnte Person::Maximilian II. (HRR)]] und nahm dementsprechend nicht am gleichzeitigen Altenburger Religionsgespräch teil. Diese [[Biographisches (Wienreise)|Reise]] war überschattet von körperlichen Gebrechen, die C. große Pein bereiteten, und von einem Gefühl der Vergeblichkeit, das er schon vor Fahrtantritt hatte und das sich letztendlich bewahrheiten sollte.<ref>Vgl. dazu [[Otto 1889]], S. 30-32, [[Steinmann 2017]], [[Gindhart/Hamm 2024]], S. 29. Vgl. auch das Schlagwort [[Biographisches (Wienreise)]] sowie die Akten in [[Dresden, HStA]], 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 9936/53, mit eigenhändigem Bericht des Camerarius auf Bl. 4r-8v.</ref> Allerdings konnte der Melanchthon-Schüler [[Erwähnte Person::David Chyträus]] nach einem Gespräch mit dem nach Leipzig zurückgekehrten Camerarius im Dezember 1568 (vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 1535]]) die Verhandlungen erfolgreich zu Ende bringen.<ref>Vgl. [[Briefwechsel-David Chyträus]].</ref>


Beim "Consensus Dresdensis" 1571,<ref>Vgl. [[Mager 1999]], [[Hasse 2000]], S. 111-119 und [[Dingel 2008]], S. 794-822.</ref> an dem alle sächsischen Theologieprofessoren, Superintendenten sowie Vertreter der Konsistorien mitgewirkt haben, finden sich keine Hinweise auf eine Mitwirkung des C. So kann man konstatieren, dass er keineswegs in alle theologischen Angelegenheiten Sachsens involviert war. Bei der Durchsicht der Akten der Theologischen Fakultät im [[Leipzig, UA|Universitätsarchiv Leipzig]] findet man seinen Namen nur sporadisch unter Gutachten und Briefen.
Beim "Consensus Dresdensis" 1571,<ref>Vgl. [[Mager 1999]], [[Hasse 2000]], S. 111-119 und [[Dingel 2008]], S. 794-822.</ref> an dem alle sächsischen Theologieprofessoren, Superintendenten sowie Vertreter der Konsistorien mitgewirkt haben, finden sich keine Hinweise auf eine Mitwirkung des C. So kann man konstatieren, dass er keineswegs in alle theologischen Angelegenheiten Sachsens involviert war. Bei der Durchsicht der Akten der Theologischen Fakultät im [[Leipzig, UA|Universitätsarchiv Leipzig]] findet man seinen Namen nur sporadisch unter Gutachten und Briefen.
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===Zu theologischen Netzwerken===
===Zu theologischen Netzwerken===
Die Netzwerke des Camerarius beinhalten unter anderem eine große Anzahl von Theologen. Mit vielen Reformatoren der ersten Stunde stand er in engem Kontakt, der sich in seiner Erfurter und Wittenberger Zeit ergeben hatte. Obwohl viele von ihnen älter waren, konnte er sich durch seine hohe Bildung schnell Respekt erwerben und bald ein Verhältnis auf Augenhöhe erwirken. Darüber hinaus sei verwiesen einige Briefwechsel: [[Georg III. (Anhalt-Plötzkau)|Georg von Anhalt]]<ref>[[Briefwechsel-Georg III. (Anhalt-Plötzkau)]] und Leppin, Volker: Anknüpfung und Neuansatz: Fürst Georg III. auf dem Weg zur Reformation. In: Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Landeskunde 17 (2008), Sonderband 500 Jahre Georg III. Fürst und Christ in Anhalt. Köthen 2008, S. 23-33.</ref>, [[Philipp Melanchthon]]<ref>Vgl. Melanchthon-Briefwechsel: [https://melanchthon.hadw-bw.de/regesten.html MBW - Regesten online] sowie in [[Rhein 2024]], S. 133-137</ref>, [[Veit Dietrich]]<ref>Vgl. [[Klaus 1958]].</ref>, [[Johannes Brenz]]<ref>Vgl. [[ThBW 1]], S. lxxii-lxxiv, lxxx, xcix, 16-18, 23-25, 70-72, 205-207. Zum Verhältnis von Brenz und C. vgl. Peters, Christian: Melanchthon und Brenz. Eine Freundschaft in Briefen. In: Johanna Loehr (Hrsg.), Dona Melanchthoniana. Festgabe für Heinz Scheible zum 70. Geburtstag. Stuttgart-Bad Cannstatt 2001, S. 277-311. Brenz und Camerarius lernten sich wohl nicht vor 1529 kennen, vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=827 MBW Nr. 827.3] vom 7.10.1529.</ref> und [[Erwähnte Person::David Chyträus]]<ref>Vgl. [[Briefwechsel-David Chyträus]].</ref>. Gesonderte Betrachtung würden [[Erwähnte Person::Alexander Alesius]]<ref>Zu Alesius vgl. [[Siegmund-Schultze 2005]], wo auch C. und Melanchthon gebührende Beachtung finden. Briefe des Alesius findet man u.a. in: [[München, BSB]], [http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb00111090-2 Clm 10358], fol. 139-141.</ref> und [[Erwähnte Person::Martin Luther]] verdienen. Letzterer muss einen ausgedehnten Briefwechsel mit Camerarius gepflegt haben; davon ist jedoch nicht viel erhalten. So ist in den Camerarius-Editionen nur der Brief an die Wittenberger Freunde ([[Erwähntes Werk::OCEp 1532]]) enthalten. Ferner schreibt [[Erwähnte Person::Ludwig Camerarius II.]] an seinen Sohn, zwischen Joachim C. und Luther seinen viele Briefe ausgetauscht worden, von denen er (Ludwig) aber keinen mehr habe erlangen können.<ref>[[Halm 1873]], S. 10.</ref> Drei Briefe finden sich in Briefeditionen zu Luther. Daraus offenbart sich ein durchaus persönliches Verhältnis zwischen beiden. So erhält C. durch Melanchthon eine Lesebrille von Luther und war davon sehr angetan; C. sendet Südfrüchte an Luther; und Luther schickt C. ein Empfehlungsschreiben für seinen Neffen.<ref>WA Luther 1883, Bd. 16; S.138: WA 1980: 1524: III,395; 1530: V,307-308 (Nr. 1562 vom 6.5.) und S. 540f. (Nr. 1679 vom 6.8.); 1541: IX,423.</ref> Luther hielt hohe Stücke auf die Bildung des Camerarius. So ist der Ausspruch überliefert: ''Hodie plures vivunt, qui sunt eruditiores Erasmo: Noster Philippus, Joachimus et reliqui.''<ref>Mathesius, [https://archive.org/details/lutherstischred00krokgoog/page/92/mode/2up Die Tischreden von 1540, S. 92, Nr. 51].</ref> In einer undatierten Tischrede äußert er sich auch: ''Were ich so beredt vnd reich von Worten/ als Erasmus/ Vnd were im Griechischen so gelert als Joachimus Camerarius/ Vnd im Ebreischen also erfahren/ wie Forschemius/ Vnd were auch noch juenger/ ey/ wie wollte ich arbeiten.''<ref>Colloquia oder Tischreden D. Mart: Luthers ... Auffs newe Corrigieret. Hrsg. v. Joannes Aurifaber: [http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB000106F600000000 VD 16 L 6749, Bl. 2r.] [[Germann 1894]], S. 44, liest ''Forstemius'' und bezieht diese Nennung auf [[Erwähnte Person::Johann Forster]]. Ebenso Martin Keßler: Viele Stimmen in der Summe. Die anonyme Flugschrift ,Warhafftig ursach das der leib Christi nitt inn der creatur des brots aber [...] im [...] hertzen der glaubigen sei‘ (Worms 1529 und Augsburg 1536). In: Gudrun Litz, Susanne Schenk, Volker Leppin (Hrsg.): Vielstimmige Reformation in den Jahren 1530 – 1548. Ulm 2018, S. 103-129, hier S. 120, der aber trotzdem die Schreibung ''Forschemius'' wählt. Bei diesem Namen kann man auch an Camerarius' Leipziger Lehrer [[Erwähnte Person::Georg Helt]] denken, der wegen seiner Herkunft aus Forchheim oft als ''Forchemius'' bezeichnet wird. Für ihn sind jedoch bisher keine Hebräisch-Kenntnisse nachgewiesen.</ref> Seine persönliche Bekanntschaft mit Luther führt Camerarius noch lange nach dessen Tod als Argument gegen innerprotestantische Widersacher ins Feld, die diesen nicht persönlich gekannt und daher nicht verstanden hätten.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 1038]], [[Luther, Ad theologos Norimbergenses epistola, 1572]], Bl. A8v.</ref>
Die Netzwerke des Camerarius umfassen unter anderem eine große Anzahl von Theologen. Mit vielen Reformatoren der ersten Stunde verband ihn ein einger Kontakt, bis auf seine Erfurter und Wittenberger Zeit zurückreichte. Obwohl viele von ihnen älter waren, konnte er sich durch seine hohe Bildung schnell Respekt erwerben und bald ein Verhältnis auf Augenhöhe erwirken. Verwiesen sei hier auf die Briefwechsel etwa mit [[Georg III. (Anhalt-Plötzkau)|Georg von Anhalt]]<ref>Vgl. [[Briefwechsel-Georg III. (Anhalt-Plötzkau)]] und Leppin, Volker: Anknüpfung und Neuansatz: Fürst Georg III. auf dem Weg zur Reformation. In: Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Landeskunde 17 (2008), Sonderband 500 Jahre Georg III. Fürst und Christ in Anhalt. Köthen 2008, S. 23-33.</ref>, [[Philipp Melanchthon]]<ref>Vgl. Melanchthon-Briefwechsel: [https://melanchthon.hadw-bw.de/regesten.html MBW - Regesten online] sowie [[Rhein 2024]], S. 133-137.</ref>, [[Veit Dietrich]]<ref>Vgl. [[Klaus 1958]].</ref>, [[Johannes Brenz]]<ref>Vgl. [[ThBW 1]], S. lxxii-lxxiv, lxxx, xcix, 16-18, 23-25, 70-72, 205-207. Zum Verhältnis von Brenz und C. vgl. Peters, Christian: Melanchthon und Brenz. Eine Freundschaft in Briefen. In: Johanna Loehr (Hrsg.), Dona Melanchthoniana. Festgabe für Heinz Scheible zum 70. Geburtstag. Stuttgart-Bad Cannstatt 2001, S. 277-311. Brenz und Camerarius lernten sich wohl nicht vor 1529 kennen, vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=827 MBW Nr. 827.3] vom 7.10.1529.</ref> und [[Erwähnte Person::David Chyträus]]<ref>Vgl. [[Briefwechsel-David Chyträus]].</ref>. Gesonderte Betrachtung würden [[Erwähnte Person::Alexander Alesius]]<ref>Zu Alesius vgl. [[Siegmund-Schultze 2005]], wo auch C. und Melanchthon gebührende Beachtung finden. Briefe des Alesius findet man u.a. in: [[München, BSB]], [http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb00111090-2 Clm 10358], fol. 139-141.</ref> und [[Erwähnte Person::Martin Luther]] verdienen. Letzterer muss einen ausgedehnten Briefwechsel mit Camerarius gepflegt haben, von dem jedoch nur noch wenige Zeugnisse existieren. So ist in den gedruckten Camerarius-Korrespondenzen nur der Brief an die Wittenberger Freunde ([[Erwähntes Werk::OCEp 1532]]) enthalten. Ferner schreibt [[Erwähnte Person::Ludwig Camerarius II.]] an seinen Sohn, dass zwischen Joachim und Luther viele Briefe ausgetauscht worden seien, von denen er (Ludwig) aber keinen mehr habe erlangen können.<ref>[[Halm 1873]], S. 10.</ref> Drei Briefe finden sich in Briefeditionen zu Luther. Sie offenbaren ein durchaus persönliches Verhältnis zwischen beiden. So erhält C. durch Melanchthon eine Brille von Luther und war davon sehr angetan; C. sendet Südfrüchte an Luther; und Luther schickt C. ein Empfehlungsschreiben für seinen Neffen.<ref>WA Luther 1883, Bd. 16; S.138: WA 1980: 1524: III,395; 1530: V,307-308 (Nr. 1562 vom 6.5.) und S. 540f. (Nr. 1679 vom 6.8.); 1541: IX,423. Zur Brille vgl. → [[Medizin_(CamLex)#Fieber,_Haut-_und_Augenleiden]].</ref> Luther hielt hohe Stücke auf die Bildung des Camerarius. So ist der Ausspruch überliefert: ''Hodie plures vivunt, qui sunt eruditiores Erasmo: Noster Philippus, Joachimus et reliqui.''<ref>Mathesius, [https://archive.org/details/lutherstischred00krokgoog/page/92/mode/2up Die Tischreden von 1540, S. 92, Nr. 51].</ref> In einer undatierten Tischrede äußert er sich auch: ''Were ich so beredt vnd reich von Worten/ als Erasmus/ Vnd were im Griechischen so gelert als Joachimus Camerarius/ Vnd im Ebreischen also erfahren/ wie Forschemius/ Vnd were auch noch juenger/ ey/ wie wollte ich arbeiten.''<ref>Colloquia oder Tischreden D. Mart: Luthers ... Auffs newe Corrigieret. Hrsg. v. Joannes Aurifaber: [http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB000106F600000000 VD 16 L 6749, Bl. 2r.]. [[Germann 1894]], S. 44, liest ''Forstemius'' und bezieht diese Nennung auf [[Erwähnte Person::Johann Forster]]. Ebenso Martin Keßler: Viele Stimmen in der Summe. Die anonyme Flugschrift ,Warhafftig ursach das der leib Christi nitt inn der creatur des brots aber [...] im [...] hertzen der glaubigen sei‘ (Worms 1529 und Augsburg 1536). In: Gudrun Litz, Susanne Schenk, Volker Leppin (Hgg.): Vielstimmige Reformation in den Jahren 1530 – 1548. Ulm 2018, S. 103-129, hier S. 120, der aber trotzdem die Schreibung ''Forschemius'' wählt. Bei diesem Namen kann man auch an Camerarius' Leipziger Lehrer [[Erwähnte Person::Georg Helt]] denken, der wegen seiner Herkunft aus Forchheim oft als ''Forchemius'' bezeichnet wird. Für ihn sind jedoch bisher keine Hebräisch-Kenntnisse nachgewiesen.</ref> Seine persönliche Bekanntschaft mit Luther führt Camerarius noch lange nach dessen Tod als Argument gegen innerprotestantische Widersacher ins Feld, die diesen nicht persönlich gekannt und daher nicht verstanden hätten.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 1038]], [[Luther, Ad theologos Norimbergenses epistola, 1572]], Bl. A8v.</ref>


Gar nicht untersucht wurden hier bisher die Beziehungen zu Matthäus Alber<ref>[[ThBW 1]], S. 176-179: Alber bezeichnet C. als "mein allt bekhandter freindt"; vgl. auch [https://melanchthon.hadw-bw.de/regesten.html MBW - Regesten online], Nr. 6175.</ref> und [[Erwähnte Person::Jakob Andreae]]<ref>[[ThBW 1]], S. 614</ref>, zu [[Erwähnte Person::Justus Menius]] sowie zu den Leipziger Theologen. Auf katholischer Seite sind [[Erwähnte Person::Erasmus von Rotterdam]]<ref>[[Briefwechsel-Erasmus von Rotterdam]]</ref>, [[Erwähnte Person::Julius von Pflug]]<ref>Vgl. [[Rhein 2024]], S. 135.</ref>, [[Erwähnte Person::Moritz von Hutten]] und [[Erwähnte Person::Daniel Stiebar von Rabeneck]]<ref>[[Briefwechsel-Daniel Stiebar von Rabeneck]]. Vgl. [[Mayer 1952]] und [[Wendehorst 1989]], S. 316f.</ref> zu nennen. Reformierte Theologen wie [[Erwähnte Person::Théodore de Bèze|Theodor Beza]] erfordern eine gründliche Untersuchung auch der handschriftlichen Briefe: Nach dem energischen Vorgehen des sächsischen Kurfürsten August gegen die "Kryptocalvinisten" im Jahr 1574 war es für Camerarius' Söhne wahrscheinlich nicht opportun, Briefwechsel mit Calvinisten oder auch nur mit Philippisten in der Öffentlichkeit zu betreiben.<ref>Obwohl sie sich nicht mehr im Kurfürstentum aufhielten, war [[Erwähnte Person::Joachim Camerarius II.]] als kurfürstlicher Leibarzt (von Haus aus) noch gelegentlich in Sachsen (http://www.aerztebriefe.de/id/00063632). Zu Beza bestand reger Briefkontakt, vgl. die Beza-Korrespondenz und Schlegelmilch 2024 (in Vorbereitung).</ref> Wenn Briefwechsel des Camerarius mit solchen Briefpartnern überhaupt gedruckt wurden, so geschah dies entweder noch zu Camerarius' Lebzeiten ([[Melanchthon, Epistolae ad Camerarium, 1569]]), ohne Angabe des Empfängers (vgl. die meisten Briefe an [[Briefpartner::Georg Cracow]]) oder nach Augusts Tod: Da dessen Sohn und Nachfolger [[Christian I. (Sachsen)]] eine Religionspolitik betrieb, die gegenüber dem Calvinismus freundlicher gestimmt war, konnten in der von den Camerarius-Söhnen besorgten [[Camerarius, Epistolae familiares, 1595|Edition von 1595]] auch Briefwechsel mit [[Briefpartner::Georg Cracow]] und [[Briefpartner::Hubert Languet]] erscheinen. Ob Camerarius mit [[Erwähnte Person::Johannes Calvin]] selbst Briefkontakte hatte, ist unbekannt; allerdings ist ein persönliches Treffen 1540 in [[Straßburg]] auf Einladung des [[Erwähnte Person::Wolfgang Capito]] belegt.<ref>[[Gindely 1859]], S. 37.</ref> Auch der unitarische Christ (und mutmaßliche Antitrinitarier) Lelio Sozzini verkehrte mit Camerarius, teilweise über Melanchthon.<ref>Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=5863 MBW Nr. 5863.3], [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=6276 6276.4].</ref>
Auf katholischer Seite sind die Korrespondenzen mit [[Erwähnte Person::Erasmus von Rotterdam]]<ref>[[Briefwechsel-Erasmus von Rotterdam]].</ref>, [[Erwähnte Person::Julius von Pflug]]<ref>Vgl. [[Rhein 2024]], S. 135.</ref>, [[Erwähnte Person::Moritz von Hutten]] und [[Erwähnte Person::Daniel Stiebar von Rabeneck]]<ref>[[Briefwechsel-Daniel Stiebar von Rabeneck]]. Vgl. [[Mayer 1952]] und [[Wendehorst 1989]], S. 316f.</ref> zu nennen. Bei reformierten Theologen wie [[Erwähnte Person::Théodore de Bèze|Theodor Beza]] ist insbesondere eine gründliche Untersuchung der handschriftlichen Briefe erforderlich. Dass diese nicht zeitnah gedruckt wurden, liegt an der religionspolitischen Brisanz, die allein ihre Existenz mit sich bringt: Nach dem energischen Vorgehen des sächsischen Kurfürsten August gegen die "Kryptocalvinisten" im Jahr 1574 war es für Camerarius' Söhne sicher nicht opportun, Briefwechsel mit Calvinisten oder auch nur mit Philippisten zu drucken.<ref>Obwohl die Camerarius-Söhne sich nicht mehr im Kurfürstentum aufhielten, war [[Erwähnte Person::Joachim Camerarius II.]] als kurfürstlicher Leibarzt (von Haus aus) noch gelegentlich in Sachsen (Vgl. Camerarius II. an Kurfürst August vom 13.01.1585 http://www.aerztebriefe.de/id/00063632). Zu Beza bestand reger Briefkontakt, vgl. die Beza-Korrespondenz und Schlegelmilch 2024 (in Vorbereitung).</ref> Wenn Briefwechsel des Camerarius mit solchen Briefpartnern überhaupt gedruckt wurden, so geschah dies entweder noch zu Camerarius' Lebzeiten ([[Melanchthon, Epistolae ad Camerarium, 1569]]), allerdings ohne Angabe des Korrespondenzpartners (vgl. die meisten Briefe an [[Briefpartner::Georg Cracow]]) oder nach Augusts Tod: Da dessen Sohn und Nachfolger [[Christian I. (Sachsen)]] eine Religionspolitik betrieb, die gegenüber dem Calvinismus freundlicher gestimmt war, konnten in der von den Camerarius-Söhnen besorgten [[Camerarius, Epistolae familiares, 1595|Edition von 1595]] auch nicht-anonymisierte Briefwechsel mit [[Briefpartner::Georg Cracow]] und [[Briefpartner::Hubert Languet]] erscheinen. Ob Camerarius mit [[Erwähnte Person::Johannes Calvin]] selbst Briefkontakte hatte, ist unbekannt; allerdings ist ein persönliches Treffen 1540 in [[Straßburg]] auf Einladung des [[Erwähnte Person::Wolfgang Capito]] belegt.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], S. 37.</ref> Auch der unitarische Christ (und mutmaßliche Antitrinitarier) Lelio Sozzini stand mit Camerarius in Verbindung, teilweise über Melanchthon.<ref>Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=5863 MBW Nr. 5863.3], [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=6276 6276.4].</ref> Gar nicht untersucht wurden hier bisher die Beziehungen zu Matthäus Alber<ref> Vgl. Brief von Alber an Herzog Christoph vom 19.6.1560: Brief-ID 17748, in: Theologenbriefwechsel im Südwesten des Reichs in der Frühen Neuzeit (1550-1620). Verfügbar unter: https://thbw.hadw-bw.de/brief/17748. Zugriff am 27.12.2024: Alber bezeichnet C. als "mein allt bekhandter freindt"; vgl. auch [https://melanchthon.hadw-bw.de/regesten.html MBW Nr. 6175].</ref> und [[Erwähnte Person::Jakob Andreae]]<ref>Ein eher schlechtes Verhältnis zeigt ein Brief von Andreae an Selnecker vom 21.12.1570, Brief-ID 19795, in: Theologenbriefwechsel im Südwesten des Reichs in der Frühen Neuzeit (1550-1620). Verfügbar unter: https://thbw.hadw-bw.de/brief/19795. Zugriff am 27.12.2024.</ref>, zu [[Erwähnte Person::Justus Menius]] sowie zu den Leipziger Theologen.


Das enge Verhältnis, das Camerarius zu den Theologischen Fakultäten der Universitäten Leipzig und Wittenberg sicherlich gepflegt hat, ist außerhalb des Melanchthon-Briefwechsels nur sporadisch nachweisbar. Davon zeugen seine beiden autographen Konzepte vom 15.5.1551, in denen Camerarius im Namen der Leipziger Theologischen Fakultät zur Doktorpromotion der Kandidaten Wolfgang Pfendtner, [[Nikolaus Zipser]], Georg Schnell und Johannes Mencel einlädt. Adressaten sind im ersten Fall [[Georg III. (Anhalt-Plötzkau)]], im zweiten die Wittenberger Theologen [[Philipp Melanchthon]], [[Johannes Bugenhagen]],<ref>Einen kurzen Nachruf auf Bugenhagen verfasste Camerarius in seiner [[Erwähntes Werk::OC 0775|Vita Melanchthonis]], vgl. [[Werner 2010]], S. 257f.</ref> [[Georg Maior]] und [[Johann Forster]] sowie Magister [[Paul Eber]].<ref>[[Leipzig, UA]], Theol. Fak. 011, f. 5r-v und 10r-v bzw. f. 4r-v und 11r-v. Siehe [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=6082a MBW - Regesten online, Nr. 6082a] mit Anmerkung sowie Hasse 1997, S. 55f und 64.</ref>  
Das enge Verhältnis, das Camerarius zu den Theologischen Fakultäten der Universitäten Leipzig und Wittenberg sicherlich gepflegt hat, ist außerhalb des Melanchthon-Briefwechsels nur sporadisch nachweisbar. Weitere Zeugnisse davon sind etwa die beiden autographen Konzepte vom 15.5.1551, in denen Camerarius im Namen der Leipziger Theologischen Fakultät zur Doktorpromotion der Kandidaten Wolfgang Pfendtner, [[Nikolaus Zipser]], Georg Schnell und Johannes Mencel einlädt. Adressaten sind im ersten Fall [[Georg III. (Anhalt-Plötzkau)]], im zweiten die Wittenberger Theologen [[Philipp Melanchthon]], [[Johannes Bugenhagen]],<ref>Einen kurzen Nachruf auf Bugenhagen verfasste Camerarius in seiner [[Erwähntes Werk::OC 0775|Vita Melanchthonis]], vgl. [[Werner 2010]], S. 257f.</ref> [[Georg Maior]] und [[Johann Forster]] sowie Magister [[Paul Eber]].<ref>[[Leipzig, UA]], Theol. Fak. 011, f. 5r-v und 10r-v bzw. f. 4r-v und 11r-v. Siehe [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=6082a MBW Nr. 6082a] mit Anmerkung sowie Hasse 1997, S. 55f und 64.</ref>  


Darüber hinaus haben zahlreiche der Hunderten von Studenten, die Camerarius am Gymnasium bzw. an den Philosophischen Fakultäten ausgebildet hat, später den Weg in die Theologie eingeschlagen. Deutlich wird das auch durch einen Briefwechsel der Wittenberger und Leipziger Theologen zum Tod des Leipziger Superintendenten [[Johann Pfeffinger]]: Darin werden die besten Wünsche für die Gesundheit des ''praeceptor communis Ioachimus Camerarius'' übermittelt, der sich im Antwortschreiben dafür bedankt.<ref>[[Leipzig, UA]], Theol. Fak. 011, f. 51 (Theologische Fakultät Wittenberg an Theologische Fakultät Leizig, 7.1.1573), und das Antwortschreiben ebda. 010, f. 326r-327r (Theologische Fakultät Leipzig an Theologische Fakultät Wittenberg, 10.1.1573), worin die Leipziger die Wünsche auf [[Erwähnte Person::Georg Maior]] ausdehnen: ''(oremus Deum, ut) reverendos atque clarissimos viros Dominum D. Georgium Maiorem, et Dominum Ioachimum Camerarium, patres et praeceptores nostros cum observantia colendos, quorum vel umbra plurimum rebus afflictis et perturbatis prodesse posse videtur, diu: sicut et vestras reverendas dignitates: salvos et incolumes conservet: Domino Praeceptori Ioachimo pergrata fuit salutatio vestra et iussit vos omnes et singulos suis verbis a nobis officiose resalutari.</ref> Zahlreiche der hier Beteiligten dürften bereits zu einer Generation gehören, die die zentralen Ereignisse der Reformation nicht mehr miterlebt haben, sondern bereits zur Epoche der Konfessionalisierung zu zählen sind. Camerarius begleitete somit mehrere Theologengenerationen und unterrichtete, bildlich gesprochen, die Kinder und Enkel der Reformatoren.<ref>Die Kinder der Reformatoren im engeren Sinne studierten allerdings eher in Wittenberg als in Leipzig. Vgl. Spehr, Christopher: Reformatorenkinder. Frühneuzeitliche Lebensaufbrüche im Schatten bedeutender Väter. In: Lutherjahrbuch, 77 (2010), S. 183-219.</ref>
Darüber hinaus haben zahlreiche aus den Hunderten von Studenten, die Camerarius an der Nürnberger Oberen Schule bzw. an den Philosophischen Fakultäten in Tübingen und Leipzig ausgebildet hat, später den Weg in die Theologie eingeschlagen. Bezeichnend ist hier auch ein Briefwechsel der Wittenberger und Leipziger Theologen zum Tod des Leipziger Superintendenten [[Johann Pfeffinger]]: Darin werden die besten Wünsche für die Gesundheit des ''praeceptor communis Ioachimus Camerarius'' übermittelt, der sich im Antwortschreiben dafür bedankt.<ref>[[Leipzig, UA]], Theol. Fak. 011, f. 51 (Theologische Fakultät Wittenberg an Theologische Fakultät Leipzig, 7.1.1573), und das Antwortschreiben ebda. 010, f. 326r-327r (Theologische Fakultät Leipzig an Theologische Fakultät Wittenberg, 10.1.1573), worin die Leipziger die Wünsche auf [[Erwähnte Person::Georg Maior]] ausdehnen: ''(oremus Deum, ut) reverendos atque clarissimos viros Dominum D. Georgium Maiorem, et Dominum Ioachimum Camerarium, patres et praeceptores nostros cum observantia colendos, quorum vel umbra plurimum rebus afflictis et perturbatis prodesse posse videtur, diu: sicut et vestras reverendas dignitates: salvos et incolumes conservet: Domino Praeceptori Ioachimo pergrata fuit salutatio vestra et iussit vos omnes et singulos suis verbis a nobis officiose resalutari.</ref> Zahlreiche der hier Beteiligten dürften bereits zu einer Generation gehören, die die zentralen Ereignisse der Reformation nicht mehr miterlebt hat, und dürften bereits zur Epoche der Konfessionalisierung zu zählen sein. Camerarius begleitete somit mehrere Theologengenerationen und unterrichtete, bildlich gesprochen, die Kinder und Enkel der Reformatoren.<ref>Die Kinder der Reformatoren im engeren Sinne studierten allerdings eher in Wittenberg als in Leipzig. Vgl. Spehr, Christopher: Reformatorenkinder. Frühneuzeitliche Lebensaufbrüche im Schatten bedeutender Väter. In: Lutherjahrbuch, 77 (2010), S. 183-219.</ref>


'''(Vinzenz Gottlieb)'''
'''(Vinzenz Gottlieb)'''


==Theologische Schriften des Camerarius==
==Theologische Schriften des Camerarius==
===Biblische Theologie===
<p style="color:red;font-weight:bold;">Dieser Abschnitt ist noch in Arbeit und wird später eingefügt</p>
===Historische Theologie===
===Historische Theologie===
Joachim Camerarius war, wie er immer wieder betonte, kein Theologe, sondern in erster Linie Philologe. Dementsprechend ist auch seine Herangehensweise an biblische und theologische Themen oft eher eine philologisch-humanistische denn eine rein theologische. Dies wird schon früh bei seiner 1536 gedruckten ↓ [[#Camerarius' lateinische Theodoret-Übersetzung - Philologie, nicht Theologie|'''Übersetzung von Theodorets Kirchengeschichte''']] deutlich, die sich klar als philologisches, nicht als theologisches Werk versteht und vor allem als historische Quelle und zur Heilung gegenwärtiger Misstände dienen will. Tatsächlich ist die historische Theologie ein Bereich, der es Camerarius ermöglicht, seine besonderen Kompetenzen als Philologe auf theologische Stoffe anzuwenden, ohne dabei die Grenzen zu einem Fachbereich zu überschreiten, der nicht der seine ist. So befassen sich auch seine ↓ [[#Von Jesus und den Aposteln - "Historia Iesu Christi" und "Expositio de apostolis"|'''Biographien Jesu und der Apostel''']] nicht mit theologischen, sondern mit historischen und philologischen Inhalten: Camerarius' Ziel ist es nicht, selbst die christliche Lehre zu erklären, sondern sein Wissen über die antike Geschichte und Literatur einzusetzen, um das Verständnis jener zu fördern; Camerarius möchte nicht selbst deuten, sondern er möchte mittels seiner philologischen Fähigkeiten anderen Gelehrten mit entsprechender theologischer Kompetenz die sachlichen Grundlagen liefern, die diese wiederum für die Deutung der Heiligen Schrift benötigen. Die Geschichtsschreibung ist nur eines der Mittel, derer er sich dazu bedient.<br>
Joachim Camerarius war, wie er immer wieder betonte, kein (ausgebildeter) Theologe, sondern in erster Linie Philologe. Dementsprechend ist auch seine Herangehensweise an biblische und religionshistorische Themen oft eher eine philologisch-humanistische denn eine theologische. Dies wird schon früh bei seiner 1536 gedruckten ↓ [[#Camerarius' lateinische Theodoret-Übersetzung - Philologie, nicht Theologie (1536)|'''Übersetzung von Theodorets Kirchengeschichte''']] deutlich, die sich klar als philologisches Werk versteht und vor allem als historische Quelle dienen will, mit deren Hilfe gegenwärtige Missstände erkannt und 'geheilt' werden sollen. Tatsächlich ist die historische Theologie ein Bereich, der es Camerarius ermöglicht, seine besonderen Kompetenzen als Philologe auf theologische Stoffe anzuwenden, ohne dabei die Grenzen zu einem Fachbereich zu überschreiten, der nicht der seine ist. So befassen sich auch seine ↓ [[#Von Jesus und den Aposteln - "Historia Iesu Christi" und "Expositio de apostolis" (1566)|'''Biographien Jesu und der Apostel''']] nicht mit theologischen, sondern mit historischen und philologischen Inhalten: Camerarius' Ziel ist es nicht, selbst die christliche Lehre zu erklären, sondern sein Wissen über die antike Geschichte und Literatur einzusetzen, um das Verständnis dieser Lehre zu fördern; Camerarius möchte nicht selbst deuten, sondern er möchte mittels seiner philologischen Fähigkeiten anderen Gelehrten mit entsprechender theologischer Kompetenz die sachlichen Grundlagen liefern, die diese wiederum für die Deutung der Heiligen Schrift benötigen. Die Geschichtsschreibung und historische Biographistik ist nur eines der Mittel, derer er sich dazu bedient.<br>
Die Biographien Jesu und der Apostel waren dabei ein langfristiges Ziel, auf das Camerarius seit dem Ende des Schmalkaldischen Krieges hinarbeitete; bis zur Publikation im Jahr 1566 sollten noch zwanzig Jahre vergehen, in denen Camerarius sich intensiv mit den historischen Hintergründen beschäftigte. Diese Arbeit kulminierte 1561 in der Publikation seiner als historisches Handbuch gedachten ↓ [[#Der lateinische Nikephoros - Ein historiographisches Handbuch|'''lateinischen Übersetzung von Nikephoros' "Chronologia"''']]. In der Zwischenzeit erschien außerdem aus aktuellem Anlass zum Konzil von Trient in Erstauflage 1552 und in zweiter, erweiterter Auflage dann 1561 zusammen mit dem Nikephoros ein ↓ [[#Altes aktualisiert - Konziliengeschichte|'''Band zum Konzil vom Nicäa und den anderen ökumenischen Konzilien''']]. Hier zeigt sich wie bereits bei der frühen Theodoret-Übersetzung Camerarius' Bestreben, antikes Wissen zu aktualisieren und für die Gegenwart nutzbar zu machen; bei bei der Arbeit zu Nikephoros ebenswo wie in der Konziliengeschichte und in den Biographien ist es besonders die Chronologie, die Camerarius' Interesse auf sich zieht.<br>
Die Biographien Jesu und der Apostel waren dabei ein langfristiges Projekt, an dem Camerarius seit dem Ende des Schmalkaldischen Krieges arbeitete; bis zur Publikation im Jahr 1566 sollten noch zwanzig Jahre vergehen, in denen er sich intensiv mit den historischen Hintergründen des frühen Christentums beschäftigte. Diese Forschungen kulminierten 1561 in der Publikation seiner als historisches Handbuch gedachten ↓ [[#Der lateinische Nikephoros - Ein historiographisches Handbuch (1561)|'''lateinischen Übersetzung von Nikephoros' "Chronologia"''']]. In der Zwischenzeit erschien außerdem aus aktuellem Anlass zum Konzil von Trient in Erstauflage 1552 und in zweiter, erweiterter Auflage dann 1561 zusammen mit der "Chronologia" ein ↓ [[#Altes aktualisiert - Konziliengeschichte (1552)|'''Band zum Konzil vom Nicäa und den anderen ökumenischen Konzilien''']]. Hier zeigt sich - wie bereits bei der frühen Theodoret-Übersetzung - Camerarius' Bestreben, antikes Wissen zu aktualisieren und für die Gegenwart nutzbar zu machen; bei der Arbeit zu Nikephoros ebenso wie in der Konziliengeschichte und in den Biographien ist es besonders die Chronologie, die Camerarius' Interesse auf sich zieht.<br>
Ganz der Gegenwart und der Zeitgeschichte wandte sich Camerarius schließlich gegen Ende seines Lebens zu: So führten wiederholte Kontakte zu den Böhmischen Brüdern, einer aus den Hussiten des 15. Jahrhunderts hervorgegangenen Bewegung, zu einer eingehenderen Beschäftigung mit deren Geschichte und Lehre. Aus konkretem Anlass entstand so der Entwurf zu einer ↓ [[#Zeitgeschichte - Camerarius' Geschichte der Böhmischen Brüder|'''Geschichte der Böhmischen Brüder''']], die erst posthum im Druck erschien und starke apologetische Züge hat. Auch im Stil dieses Werks scheint jedoch Camerarius' klassische Bildung offensichtlich durch.
Ganz der Gegenwart und der Zeitgeschichte wandte sich Camerarius schließlich gegen Ende seines Lebens zu: So führten wiederholte Kontakte zu den Böhmischen Brüdern, einer aus den Hussiten des 15. Jahrhunderts hervorgegangenen Bewegung, zu einer eingehenderen Beschäftigung mit deren Geschichte und Lehre. Aus konkretem Anlass entstand so der Entwurf zu einer ↓ [[#Zeitgeschichte - Camerarius' Geschichte der Böhmischen Brüder (1605)|'''Geschichte der Böhmischen Brüder''']], die erst posthum im Druck erschien und starke apologetische Züge trägt. Auch bei diesem Werk scheint jedoch Camerarius' klassische Bildung offensichtlich durch.


====Camerarius' lateinische Theodoret-Übersetzung - Philologie, nicht Theologie====
====Camerarius' lateinische Theodoret-Übersetzung - Philologie, nicht Theologie (1536)====
Camerarius' philologische Ausrichtung zeigt sich schon früh bei seiner Übersetzung des Kirchenhistorikers [[Erwähnte Person::Theodoret]]. Glaubt man Camerarius' [[Erwähntes Werk::OCEp 1468|Widmungsbrief]] an [[Erwähnte Person::Justus Jonas]], war es wie auch in anderen Fällen seine schlechte Gesundheit, die den Anstoß zu seiner Beschäftigung mit Theodoret gab:<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 1468]]. Wenn Camerarius krank darniederlag, pflegte er zu lesen; die daraus resultierende intensive Beschäftigung mit einem Stoff äußerte sich in der Folge immer wieder in literarischer Produktivität. Vgl. hierzu → [[Medizin (CamLex)#Krankheit als Impulsgeber|'''Medizin''']]. So führte eine Krankheit 1538 letztlich zur Abfassung und Publikation mehrerer hippologischer Schriften (→ [[Naturkunde (CamLex)#Die hippologischen Schriften – Camerarius' Steckenpferd?|'''Naturkunde''']]).</ref>
Camerarius' primär philologische Ausrichtung zeigt sich schon früh bei seiner Übersetzung des Kirchenhistorikers [[Erwähnte Person::Theodoret]]. Glaubt man Camerarius' [[Erwähntes Werk::OCEp 1468|Widmungsbrief]] an [[Erwähnte Person::Justus Jonas]], war es wie auch in anderen Fällen seine schlechte Gesundheit, die den Anstoß zu seiner Beschäftigung mit Theodoret gab:<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 1468]]. Wenn Camerarius krank im Bett lag, pflegte er zu lesen; die daraus resultierende intensive Beschäftigung mit einem Stoff äußerte sich in der Folge immer wieder in literarischer Produktivität. Vgl. hierzu → [[Medizin (CamLex)#Krankheit als Impulsgeber|'''Medizin''']]. So führte eine Krankheit 1538 letztlich zur Abfassung und Publikation mehrerer hippologischer Schriften (→ [[Naturkunde (CamLex)#Die hippologischen Schriften – Camerarius' Steckenpferd?|'''Naturkunde''']]).</ref>
1535<ref>Der Brief ist ohne Jahresangabe auf den 13. August datiert. Die Übersetzung entstand laut dem Brief in demselben Sommer. Der Druck erschien laut Titelblatt 1536. Philipp Melanchthon bedankt sich bereits im Februar 1536 für Camerarius' bereits erfolgte Übersetzungsarbeit und freut sich über dessen Vorhaben, sie Justus Jonas zu widmen (vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regesten.html MBW - Regesten online], Nr. 1694), der Druck liegt ihm aber offenbar noch nicht vor. Als Entstehungsjahr der Übersetzung und damit auch des Widmungsbriefes ergibt sich somit 1535; dies deckt sich auch mit dem Absendeort Nürnberg (vgl. [[Itinerar]]). (Eine noch frühere Datierung des Briefes erscheint dagegen aufgrund des dann sehr großen Abstandes zum Druck unplausibel.)</ref>
1535<ref>Der Brief ist ohne Jahresangabe auf den 13. August datiert. Die Übersetzung entstand laut dem Brief in demselben Sommer. Der Druck erschien laut Titelblatt 1536. Philipp Melanchthon bedankt sich schon im Februar 1536 für Camerarius' bereits erfolgte Übersetzungsarbeit und freut sich über dessen Vorhaben, sie Justus Jonas zu widmen (vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regesten.html MBW - Regesten online], Nr. 1694), der Druck liegt ihm aber offenbar noch nicht vor. Als Entstehungsjahr der Übersetzung und damit auch des Widmungsbriefes ergibt sich somit 1535; dies deckt sich auch mit dem Absendeort Nürnberg (vgl. [[Itinerar]]). (Eine noch frühere Datierung des Briefes erscheint dagegen aufgrund des dann sehr großen Abstandes zum Druck unplausibel.)</ref>
habe er wieder einmal krank im Bett gelegen, vermutlich aufgrund seines langjährigen offenen Geschwürs am Fuß, das ihm zu dieser Zeit zu schaffen machte (→ [[Medizin (CamLex)#Malum pedis inveteratum – Ein hartnäckiges Geschwür|'''Medizin''']]); bei dieser Gelegenheit habe er in einem Buch gelesen, das sowohl eine griechische Edition von Theodorets Kirchengeschichte als auch Teile einer lateinischen Übersetzung derselben durch [[Erwähnte Person::Epiphanius Scholasticus]] enthalten habe (es muss sich um [[Erwähntes Werk::Rhenanus, Autores historiae ecclesiasticae, 1535|das Kompendium zur Kirchengeschichte]] handeln, das [[Erwähnte Person::Beatus Rhenanus]] 1535 in Basel herausgab<ref>1535 erschien in Basel, Léon Parmentier zufolge auf Basis des ''Codex Basileensis A III 18'', die ''Editio princeps'' von Theodorets Kirchengeschichte; der Codex wurde selbst für den Druck benutzt und dazu die Blattbindung gelöst (vgl. [[Parmentier 1911]], X und LXVI). Die Edition selbst wurde schon 1535 ohne eigenes Vorwort in Rhenanus' Kompendium eingebunden, das außerdem Fragmente von Epiphanius' Übersetzung als Teile der "Historia Tripartita" enthielt; Parmentier sind jedoch auch Exemplare bekannt, in denen sie mit Camerarius' Übersetzung zusammengebunden ist, die immerhin bereits ein Jahr später ebenfalls in Basel erschien (vgl. ebd., LXVI).</ref>).  
habe er wieder einmal krank zu Bett gelegen, vermutlich aufgrund seines langjährigen offenen Geschwürs am Fuß, das ihn zu dieser Zeit stark beeinträchtigte (→ [[Medizin (CamLex)#Malum pedis inveteratum – Ein hartnäckiges Geschwür|'''Medizin''']]); bei dieser Gelegenheit habe er in einem Buch gelesen, das sowohl eine griechische Edition von Theodorets Kirchengeschichte als auch Teile einer lateinischen Übersetzung derselben durch [[Erwähnte Person::Epiphanius Scholasticus]] enthalten habe (es muss sich um das [[Erwähntes Werk::Rhenanus, Autores historiae ecclesiasticae, 1535|Kompendium zur Kirchengeschichte]] handeln, das [[Erwähnte Person::Beatus Rhenanus]] soeben 1535 in Basel herausgegeben hatte<ref>1535 erschien in Basel, Léon Parmentier zufolge auf Basis des ''Codex Basilensis A III 18'', die ''Editio princeps'' von Theodorets Kirchengeschichte; der Codex wurde selbst für den Druck benutzt und dazu die Blattbindung gelöst (vgl. [[Parmentier 1911]], X und LXVI). Die Edition selbst wurde schon 1535 ohne eigenes Vorwort in Rhenanus' Kompendium eingebunden, das außerdem Fragmente von Epiphanius' Übersetzung als Teile der "Historia Tripartita" enthielt; Parmentier sind jedoch auch Exemplare bekannt, in denen sie mit Camerarius' Übersetzung zusammengebunden ist, die immerhin bereits ein Jahr später ebenfalls in Basel erschien (vgl. ebd., LXVI).</ref>).  
Auf das Drängen von Freunden, die bei ihm auf Krankenbesuch waren, darunter [[Erwähnte Person::Johann Mylius]], habe er mit der Übersetzung des Werks ins Lateinische begonnen: Die Version des Epiphanius, dem Camerarius ''barbaries'', ''inscitia'' und ''somnolentia'' zuschreibt (Bl. α2r), habe sowohl Mylius als auch er selbst als völlig nutzlos erkannt, da Epiphanius selbst vermutlich bereits eine spätere Sprachstufe des Griechischen gebrauchte und daher mit der älteren Form Theodorets weniger vertraut gewesen sei als Camerarius, der das Griechische von den besten (d.h. von den klassischen) Autoren und dem hervorragenden [[Erwähnte Person::Georg Helt]] gelernt habe. Camerarius habe sich beim Lesen gar die Frage gestellt, wie es sein könne, dass einem Griechen nicht nur die lateinische, sondern gar seine eigene Sprache so fremd sei!<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 1468]], [[Erwähntes Werk::Theodoret, Res Ecclesiasticae, 1536]], Bl. A2r/v. Was Camerarius meint, wenn er Epiphanius' Kenntnis des Griechischen so kritisiert, verdeutlicht wohl bereits einer der ersten Ausschnitte aus Theodoret, den Epiphanius übersetzt hat. Im griechischen Text heißt es hier: Ἤκουσεν γὰρ τοῦ θείου νόμου βοῶντος· ἐὰν ... ([[Erwähntes Werk::Rhenanus, Autores historiae ecclesiasticae, 1535]], Bl. αa2v). Theodoret verwendet also klassisch griechisch das Verb ἀκούειν mit folgendem Genitiv und Partizip. Epiphanius übersetzt hier jedoch: ''Audiverat enim clamante divina lege: Si ...'' ([[Erwähntes Werk::Rhenanus, Autores historiae ecclesiasticae, 1535]], S. 283). Die Partizipialkonstruktion im Genitiv deutet er also nicht als Objekt des Verbs ἀκούειν, das lateinisch als Akkusativobjekt zu ''audire'' wiederzugeben wäre, sondern als Genitivus absolutus, den er dann folgerichtig als Ablativus absolutus ins Lateinische überträgt. Camerarius übersetzt korrekt: ''Audierat enim divinam legem clamantem: Si...'' ([[Erwähntes Werk::Theodoret, Res Ecclesiasticae, 1536]], S. 4).<br>
Auf das Drängen von Freunden, die bei ihn während der Krankheit besuchten, darunter [[Erwähnte Person::Johann Mylius]], habe er mit der Übersetzung des Werks ins Lateinische begonnen: Die Version des Epiphanius, dem Camerarius ''barbaries'', ''inscitia'' und ''somnolentia'' zuschreibt (Bl. α2r), habe sowohl Mylius als auch er selbst als völlig nutzlos erkannt, da Epiphanius vermutlich bereits eine spätere Sprachstufe des Griechischen gebrauchte und daher mit der älteren Form Theodorets weniger vertraut gewesen sei als Camerarius, der das Griechische von den besten (d.h. von den klassischen) Autoren und dem hervorragenden [[Erwähnte Person::Georg Helt]] gelernt habe. Camerarius habe sich beim Lesen gar die Frage gestellt, wie es sein könne, dass einem Griechen nicht nur die lateinische, sondern gar seine eigene Sprache so fremd sei!<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 1468]], [[Erwähntes Werk::Theodoret, Res Ecclesiasticae, 1536]], Bl. A2r/v. Was Camerarius meint, wenn er Epiphanius' Kenntnis des Griechischen so kritisiert, verdeutlicht wohl bereits einer der ersten Ausschnitte aus Theodoret, den Epiphanius übersetzt hat. Im griechischen Text heißt es hier: Ἤκουσεν γὰρ τοῦ θείου νόμου βοῶντος· ἐὰν ... ([[Erwähntes Werk::Rhenanus, Autores historiae ecclesiasticae, 1535]], Bl. αa2v). Theodoret verwendet also klassisch griechisch das Verb ἀκούειν mit folgendem Genitiv und Partizip. Epiphanius übersetzt hier jedoch: ''Audiverat enim clamante divina lege: Si ...'' ([[Erwähntes Werk::Rhenanus, Autores historiae ecclesiasticae, 1535]], S. 283). Die Partizipialkonstruktion im Genitiv deutet er also nicht als Objekt des Verbs ἀκούειν, das lateinisch als Akkusativobjekt zu ''audire'' wiederzugeben wäre, sondern als Genitivus absolutus, den er dann folgerichtig als Ablativus absolutus ins Lateinische überträgt. Camerarius übersetzt korrekt: ''Audierat enim divinam legem clamantem: Si...'' ([[Erwähntes Werk::Theodoret, Res Ecclesiasticae, 1536]], S. 4).<br>
Nur wenige Zeilen später heißt es im Griechischen: [Βιτάλιος] καἰ τὴν ἐν τῇ παλαιᾷ καταλυθεῖσαν ὑπὸ τῶν τυράννων, ᾠκοδόμησεν ἐκκλησίαν ([[Erwähntes Werk::Rhenanus, Autores historiae ecclesiasticae, 1535]], Bl. αa2v). Epiphanius bietet hierfür: ''[Vitalius] etiam antiquam ex multis temporibus destructam a tyrannis aedificavit ecclesiam'' ([[Erwähntes Werk::Rhenanus, Autores historiae ecclesiasticae, 1535]], S. 283), Camerarius dagegen: ''Vitalius ... extruxit in antiqua urbe dirutam a tyrannis ecclesiam'' ([[Erwähntes Werk::Theodoret, Res Ecclesiasticae, 1536]], S. 4). Während Camerarius also ἐν τῇ παλαιᾷ korrekt als Ortsangabe ("in der Altstadt") versteht, übersetzt Epiphanius als hätte er stattdessen bloßes παλαιάν vorliegen; was sich leicht durch eine alternative Textgestalt erklären lässt (vgl. die Anmerkungen bei [[Parmentier 1911]], S. 7), mag auf Camerarius als Fehler gewirkt haben.</ref><br>
Nur wenige Zeilen später heißt es im Griechischen: [Βιτάλιος] καἰ τὴν ἐν τῇ παλαιᾷ καταλυθεῖσαν ὑπὸ τῶν τυράννων, ᾠκοδόμησεν ἐκκλησίαν ([[Erwähntes Werk::Rhenanus, Autores historiae ecclesiasticae, 1535]], Bl. αa2v). Epiphanius bietet hierfür: ''[Vitalius] etiam antiquam ex multis temporibus destructam a tyrannis aedificavit ecclesiam'' ([[Erwähntes Werk::Rhenanus, Autores historiae ecclesiasticae, 1535]], S. 283), Camerarius dagegen: ''Vitalius ... extruxit in antiqua urbe dirutam a tyrannis ecclesiam'' ([[Erwähntes Werk::Theodoret, Res Ecclesiasticae, 1536]], S. 4). Während Camerarius also ἐν τῇ παλαιᾷ korrekt als Ortsangabe ("in der Altstadt") versteht, übersetzt Epiphanius als hätte er stattdessen bloßes παλαιάν vorliegen; was sich leicht durch eine alternative Textgestalt erklären lässt (vgl. die Anmerkungen bei [[Parmentier 1911]], S. 7), mag auf Camerarius als Fehler gewirkt haben.</ref><br>
Es handelt sich bei Camerarius' Übersetzung offenbar um ein recht kurzfristiges Unterfangen: Da er sie als Produkt langer Sommertage (''opella aestivalium dierum longarum'', Bl. A3v) bezeichnet, ist anzunehmen, dass sie tatsächlich in den Sommermonaten des Jahres 1535 entstand, mutmaßlich noch vor Verfassen des Widmungsbriefes, der auf den 13. August datiert ist. Die Übersetzung wurde schließlich 1536 gedruckt.<ref>Vgl. [[Theodoret, Res Ecclesiasticae, 1536]].</ref>
Es handelt sich bei Camerarius' Übersetzung offenbar um ein recht kurzfristiges Unterfangen: Da er sie als Produkt langer Sommertage (''opella aestivalium dierum longarum'', Bl. A3v) bezeichnet, ist anzunehmen, dass sie tatsächlich in den Sommermonaten des Jahres 1535 entstand, mutmaßlich noch vor Verfassen des Widmungsbriefes, der auf den 13. August datiert ist. Die Übersetzung wurde schließlich 1536 gedruckt.<ref>Vgl. [[Theodoret, Res Ecclesiasticae, 1536]].</ref>
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Eine Folge davon sei etwa, dass man allgemein annehme, der Häretiker Arius sei unter Kaiser Constantius gestorben; Theodoret schreibe aber klar und deutlich, dass sein Tod unter Kaiser [[Erwähnte Person::Konstantin der Große|Konstantin]] erfolgt sei.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0194]], [[Erwähntes Werk::Theodoret, Res Ecclesiasticae, 1536]], S. 28 in Camerarius' Übersetzung.</ref>
Eine Folge davon sei etwa, dass man allgemein annehme, der Häretiker Arius sei unter Kaiser Constantius gestorben; Theodoret schreibe aber klar und deutlich, dass sein Tod unter Kaiser [[Erwähnte Person::Konstantin der Große|Konstantin]] erfolgt sei.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0194]], [[Erwähntes Werk::Theodoret, Res Ecclesiasticae, 1536]], S. 28 in Camerarius' Übersetzung.</ref>
Entsprechend sei entweder Theodoret unglaubwürdig oder Rufinus (von Aquileia) sowie die Übersetzer Theodorets, von denen die verbreitete Interpretation stammte, hätten ungenau gearbeitet.<ref>Zu Rufinus' Version der Erzählung, in der Arius' Tod in der Tat nach dem des Konstantin eingeordnet ist, vgl. [[Erwähntes Werk::Rhenanus, Autores historiae ecclesiasticae, 1535]], S. 229.</ref><br>
Entsprechend sei entweder Theodoret unglaubwürdig oder Rufinus (von Aquileia) sowie die Übersetzer Theodorets, von denen die verbreitete Interpretation stammte, hätten ungenau gearbeitet.<ref>Zu Rufinus' Version der Erzählung, in der Arius' Tod in der Tat nach dem des Konstantin eingeordnet ist, vgl. [[Erwähntes Werk::Rhenanus, Autores historiae ecclesiasticae, 1535]], S. 229.</ref><br>
Der Ireniker Camerarius bemüht sich also ganz bewusst, sich von den theologischen Inhalten des Werks zu distanzieren, um nicht in die Schusslinie zu geraten, falls mancher Theologe sich durch Theodorets Aussagen oder Camerarius' Übersetzung derselben angegriffen fühlen sollte. Auch die beiden Werbegedichte in drei griechischen und sieben lateinischen Distichen, die er im Anschluss an die Widmung dem Hauptwerk voranstellt, betonen vor allem den Quellenwert von Theodorets Werk, das die Geschichte von Gottes Volk erzähle:<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0196]], [[Erwähntes Werk::Theodoret, Res Ecclesiasticae, 1536]], Bl. a1r.</ref>
Von Äußerungen zu theologischen Inhalten sieht Camerarius ab und nimmt hier als Übersetzer eine neutrale Position ein; dies wohl auch, um sich nicht angreifbar zu machen, falls mancher Theologe sich durch Theodorets Aussagen oder Camerarius' Übersetzung derselben provoziert fühlen sollte. Auch die beiden Werbegedichte in drei griechischen und sieben lateinischen Distichen, die er im Anschluss an die Widmung dem Hauptwerk voranstellt, betonen vor allem den Quellenwert von Theodorets Werk, das die Geschichte von Gottes Volk erzähle:<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0196]], [[Erwähntes Werk::Theodoret, Res Ecclesiasticae, 1536]], Bl. a1r.</ref>
Es behandle eine Zeit, für die sonst wenige Quellen existieren; auch wenn es seine Mängel habe, sei es daher dennoch extrem wertvoll.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0195]], [[Erwähntes Werk::Theodoret, Res Ecclesiasticae, 1536]], Bl. a1r.</ref><br>
Es behandle eine Zeit, für die sonst wenige Quellen existieren; auch wenn es seine Mängel habe, sei es daher dennoch von größtem Wert.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0195]], [[Erwähntes Werk::Theodoret, Res Ecclesiasticae, 1536]], Bl. a1r.</ref><br>
Die eigentliche lateinische Übersetzung von Theodorets Kirchengeschichte begleiten darüber hinaus mehrere kleinere Werke mit erläuternden Inhalten; auch diese unterstreichen die Interpretation des Bandes als Geschichtswerk, indem sie Verständnishilfen und Hintergrundinformationen zu diesem liefern. Darunter finden sich Kurzbiographien der Kaiser von Konstantin bis Theodosius II., der Bischöfe und weiterer Theologen, kurze Erläuterungen zu den in der "Historia Ecclesiastica" erwähnten Häresien sowie zwei kurze Traktate zum Unterschied zwischen den lateinischen Begriffen ''substantia'' und ''essentia''.<ref>Vgl. die Streckenbeschreibung des [[Theodoret, Res Ecclesiasticae, 1536|Drucks von 1536]].</ref>
Die eigentliche lateinische Übersetzung von Theodorets Kirchengeschichte begleiten darüber hinaus mehrere kleinere Werke mit erläuternden Inhalten; auch diese unterstreichen die Funktion des Bandes als Geschichtswerk, indem sie Verständnishilfen und Hintergrundinformationen liefern. Unter diesen finden sich Kurzbiographien der Kaiser von Konstantin bis Theodosius II., der Bischöfe und weiterer Theologen, kurze Erläuterungen zu den in der "Historia Ecclesiastica" erwähnten Häresien sowie zwei kurze Traktate zum Unterschied zwischen den lateinischen Begriffen ''substantia'' und ''essentia''.<ref>Vgl. die Streckenbeschreibung des [[Theodoret, Res Ecclesiasticae, 1536|Drucks von 1536]].</ref>


Camerarius' Übersetzung scheint recht beliebt gewesen zu sein. Philipp Melanchthon bedankt sich im Februar 1536 für die geleistete Arbeit und zeigt sich über die geplante Widmung an Justus Jonas erfreut.<ref>[https://melanchthon.hadw-bw.de/regesten.html MBW - Regesten online], Nr. 1694: ''De Theodorito verso gratiam tibi habeo. Est et illud mihi gratissimum, quod Ionae dedicas, sic enim intellexi tuas literas. Amo enim Ionam et candorem ac fidem ei tribuo. Scio eum et de tuo ingenio tuisque virtutibus honorifice sentire.''</ref>
Camerarius' Übersetzung scheint recht beliebt gewesen zu sein. Philipp Melanchthon bedankt sich im Februar 1536 für die geleistete Arbeit und zeigt sich über die geplante Widmung an Justus Jonas erfreut.<ref>[https://melanchthon.hadw-bw.de/regesten.html MBW - Regesten online], Nr. 1694: ''De Theodorito verso gratiam tibi habeo. Est et illud mihi gratissimum, quod Ionae dedicas, sic enim intellexi tuas literas. Amo enim Ionam et candorem ac fidem ei tribuo. Scio eum et de tuo ingenio tuisque virtutibus honorifice sentire.''</ref>
Ebenso bestätigen die häufigen Neuauflagen die Beliebtheit des Textes: Während Beatus Rhenanus' Band zur Kirchengeschichte in der Auflage von 1535 noch den griechischen Theodoret abdruckte und als einzige Übersetzungsversatzstücke die des Epiphanius Scholasticus aus der "Historia Tripartita" bot, enthalten die sieben zwischen 1539 und 1570 publizierten Neuauflagen zunächst beide Texte und später dann nur noch die vollständige Übersetzung des Camerarius.<ref>Vgl. [[Eusebius, Ecclesiasticae historiae autores, 1539]], [[Eusebius, Ecclesiasticae historiae autores, 1544]], [[Eusebius, Ecclesiasticae historiae autores, 1549]], [[Eusebius, Ecclesiasticae historiae autores, 1554]], [[Eusebius, Ecclesiasticae historiae autores, 1557]], [[Eusebius, Ecclesiasticae historiae autores, 1562]] und [[Eusebius, Ecclesiastica historia, 1570]].</ref>
Ebenso bestätigen die häufigen Neuauflagen die Beliebtheit des Textes: Während Beatus Rhenanus' Band zur Kirchengeschichte in der Auflage von 1535 noch den griechischen Theodoret abdruckte und als einzige Übersetzungsversatzstücke die des Epiphanius Scholasticus aus der "Historia Tripartita" bot, enthalten die sieben zwischen 1539 und 1570 publizierten Neuauflagen zunächst beide Texte und später dann nur noch die vollständige Übersetzung des Camerarius.<ref>Vgl. [[Eusebius, Ecclesiasticae historiae autores, 1539]], [[Eusebius, Ecclesiasticae historiae autores, 1544]], [[Eusebius, Ecclesiasticae historiae autores, 1549]], [[Eusebius, Ecclesiasticae historiae autores, 1554]], [[Eusebius, Ecclesiasticae historiae autores, 1557]], [[Eusebius, Ecclesiasticae historiae autores, 1562]] und [[Eusebius, Ecclesiastica historia, 1570]].</ref>


====Altes aktualisiert - Konziliengeschichte====
====Altes aktualisiert - Konziliengeschichte (1552)====
=====Nicäa und Trient - Das Werk im zeitlichen Kontext=====
=====Nicäa und Trient - Das Werk im zeitlichen Kontext=====
Wie schon bei Camerarius' Theodoret-Übersetzung das Ziel war, mit antikem Wissen gegenwärtige Missstände zu beheben, so sollte auch sein dem katholischen Erzbischof von Riga [[Erwähnte Person::Wilhelm (Brandenburg-Ansbach-Kulmbach)|Wilhelm von Brandenburg-Ansbach-Kulmbach]] gewidmetes [[Erwähntes Werk::OC 0573|Werk über das Konzil von Nicäa]] ein antikes Exemplum für eine gegenwärtige Problemstellung liefern; das Werk erschien im Vorlauf des Konzils von Trient wohl bereits Ende 1551, auch wenn der Druck 1552 als Druckjahr angibt. Angesichts des bevorstehenden Konzils habe Camerarius sich über dessen Ablauf und möglichen Ausgang Gedanken gemacht und beschlossen, einen antiken Präzedenzfall zu suchen, auf dessen Basis sich Schlussfolgerungen über den möglichen Ausgang des aktuellen Konzils treffen ließen.<ref>''Cogitanti mihi in his synodi Oecumenicae molitionibus, quae longo iam tempore sunt in manibus, quid aut ordine et recte futurum, aut de eventu sperandum esse videatur, venit in mentem ut exemplum aliquod requirerem similium consiliorum et actionum, de quo coniecturam facere, et quasi divinare possemus, quem exitum hae quoque res habiturae essent'' ([[Erwähntes Werk::OC 0573]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552]], 3f.).</ref><br>
Wie es schon bei Camerarius' Theodoret-Übersetzung ein Anliegen war, mit antikem Wissen gegenwärtige Missstände zu beheben, so sollte auch sein dem katholischen Erzbischof von Riga [[Erwähnte Person::Wilhelm (Brandenburg-Ansbach-Kulmbach)|Wilhelm von Brandenburg-Ansbach-Kulmbach]] gewidmetes [[Erwähntes Werk::OC 0573|Werk über das Konzil von Nicäa]] ein antikes Exemplum für eine gegenwärtige Problemstellung liefern; das Werk erschien im Vorlauf des Konzils von Trient wohl bereits Ende 1551, auch wenn der Druck 1552 als Druckjahr nennt.<ref>Für Erscheinungsdaten nach der Leipziger Herbstmesse ist das so üblich.</ref>
Jedoch habe er feststellen müssen, dass solche Bemühungen seit Anbeginn der christlichen Kirche allzu oft in großen Übeln für die Gesellschaft endeten; besonders verschärft habe sich dieses Problem, seitdem der geistliche Stand auch weltliche Macht erlangt habe.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0573]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552]], 4f. Als Beispiel für das verderbliche Machtstreben des kirchlichen Standes führt Camerarius besonders das Abendländische Schisma an.</ref>
Angesichts des bevorstehenden Konzils habe Camerarius sich über dessen Ablauf und möglichen Ausgang Gedanken gemacht und beschlossen, einen antiken Präzedenzfall zu suchen, auf dessen Basis sich Folgerungen für das potentielle Ergebnis des aktuellen Konzils treffen ließen.<ref>''Cogitanti mihi in his synodi Oecumenicae molitionibus, quae longo iam tempore sunt in manibus, quid aut ordine et recte futurum, aut de eventu sperandum esse videatur, venit in mentem ut exemplum aliquod requirerem similium consiliorum et actionum, de quo coniecturam facere, et quasi divinare possemus, quem exitum hae quoque res habiturae essent'' ([[Erwähntes Werk::OC 0573]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552]], 3f.).</ref><br>
Daher habe er beschlossen, auf die vergleichende Vorhersage zu verzichten und den Ausgang der gegenwärtigen Bemühungen Gott zu überlassen; stattdessen wolle er aufzeigen, was in der Vergangenheit richtig gemacht wurde (''quid rectiss[ime] et praeclariss[ime] factum esse iis temporibus videretur'', S. 4). Das beste Beispiel lobenswerter und erfolgreicher Bemühungen um Klärung und Einigung sei aber das Konzil von Nicäa, in dem es ebenfalls um Uneinigkeiten im Dogma ging. Mit einer Beschreibung der damaligen Ereignisse hoffe er, die Leser - und wohl auch den katholischen Widmungsempfänger - zur Sorge um den rechten Glauben zu bewegen, da nur eine komplette Neuausrichtung der Kirche diese vor dem Untergang bewahren könne und die Nutznießer des Status quo zu allen erdenklichen Mitteln griffen, um diesen zu bewahren. Die um den wahren Glauben Bemühten müssten daher auf die richtigen Architekten der neuen Ordnung setzen und nicht auf diejenigen, denen die gegenwärtigen Zustände nützten.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0573]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552]], 14f.</ref>
Jedoch habe er feststellen müssen, dass solche religionspolitischen Bemühungen seit Anbeginn der christlichen Kirche allzu oft in großen Übeln für die Gesellschaft endeten; besonders verschärft habe sich dieses Problem, seitdem der geistliche Stand auch weltliche Macht erlangt habe.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0573]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552]], 4f. Als Beispiel für das verderbliche Machtstreben des kirchlichen Standes führt Camerarius besonders das Abendländische Schisma an.</ref>
Als Richtschnur sollten dabei nicht Waffengewalt, sondern Recht und göttliche Wahrheit gelten. Der Weg zur Einigung, so Camerarius' ganz persönlicher Ratschlag, führe über die Rückbesinnung auf die gemeinsamen, wohlbekannten Grundlagen und eine darauf aufbauende Reinigung von den Lastern; erst wenn diese Basis wieder vorhanden sei, solle man über tiefergehende Fragestellungen verhandeln. Dies sei freilich leichter gesagt als getan.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0573]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552]], 22f.</ref><br>
Daher habe er beschlossen, auf die vergleichende Vorhersage zu verzichten und den Ausgang der gegenwärtigen Bemühungen Gott zu überlassen; stattdessen wolle er aufzeigen, was in der Vergangenheit richtig gemacht wurde (''quid rectiss[ime] et praeclariss[ime] factum esse iis temporibus videretur'', S. 4). Das beste Beispiel lobenswerter und erfolgreicher Bemühungen um Klärung und Einigung sei aber das Konzil von Nicäa, in dem es ebenfalls um Uneinigkeiten im Dogma ging. Mit einer Beschreibung der damaligen Ereignisse hoffe er, die Leser - und wohl auch den katholischen Widmungsempfänger - zur Sorge um den rechten Glauben zu bewegen, da nur eine Neuausrichtung der Kirche ''in toto'' diese vor dem Untergang bewahren könne und die Nutznießer des Status quo zu allen erdenklichen Mitteln griffen, um diesen zu bewahren. Die um den wahren Glauben Bemühten müssten daher auf die richtigen Architekten der neuen Ordnung setzen und nicht auf diejenigen, denen die gegenwärtigen Zustände nützten.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0573]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552]], 14f.</ref>
Dabei äußert Camerarius einen Gedanken, der auch später für das Vorgehen in der ↓ [[#Von Jesus und den Aposteln - "Historia Iesu Christi" und "Expositio de apostolis"|'''Jesus-Biographie''']] wieder zentral wird: Menschliche Vernunft und Glaube sind einander unverträglich; wahre Frömmigkeit folge der offenbarten himmlischen Wahrheit, ohne diese zu hinterfragen.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0573]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552]], 61: ''Verum .... religiosa pietas ... sequitur doctrinam coelestem, et huic fidem habet non scientiae humanae, sed piae fidei: Et quae divina sunt, ea neque callide cogitando, neque audacter pronuntiando profanare sustinet.''</ref>
Als Richtschnur sollten dabei nicht Waffengewalt, sondern Recht und göttliche Wahrheit gelten. Der Weg zur Einigung, so Camerarius' ganz persönlicher Ratschlag, führe über die Rückbesinnung auf die gemeinsamen, wohlbekannten religiösen Grundlagen und eine darauf aufbauende Reinigung von den Lastern; erst wenn diese Basis wieder vorhanden sei, solle man über tiefergehende Fragestellungen verhandeln. Dies sei freilich leichter gesagt als getan.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0573]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552]], 22f.</ref><br>
Zugleich betont Camerarius den Wert der Bildung in den ''artes'' zum Verständnis der christlichen Lehre, denn die Geschichte zeige, dass Unbildung eher zum Festhalten an Fehllehren als zu deren Beseitigung führe.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0573]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552]], 132.</ref>
Dabei äußert Camerarius einen Gedanken, der auch später für das programmatische Vorgehen in der ↓ [[#Von Jesus und den Aposteln - "Historia Iesu Christi" und "Expositio de apostolis" (1566)|'''Jesus-Biographie''']] wieder zentral werden wird: Menschliche Vernunft und Glaube seien einander unverträglich; wahre Frömmigkeit folge der offenbarten himmlischen Wahrheit, ohne diese zu hinterfragen.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0573]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552]], 61: ''Verum ... religiosa pietas ... sequitur doctrinam coelestem, et huic fidem habet non scientiae humanae, sed piae fidei: Et quae divina sunt, ea neque callide cogitando, neque audacter pronuntiando profanare sustinet.''</ref>
Am Beispiel der Festlegung des Osterdatums, das nicht für den rechten Glauben an sich, sondern nur für die Festlegung der Zeremonien notwendig sei, zeigt Camerarius auf, dass es nicht zielführend sei, sich in nichtessentiellen Inhalten (''de non necessariis rebus'') dem Willen der Mehrheit zu widersetzen, und positioniert sich damit im Kontext des Adiaphoristischen Streits ([[#1547 bis 1553|'''s.o.''']]) auf der Seite Melanchthons; dieses Ergebnis will er wohl auch als Devise für das kommende Konzil verstanden wissen.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0573]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552]], 129ff.</ref>
Zugleich betont Camerarius den Wert der Bildung in den ''artes'' zum Verständnis der christlichen Lehre, denn die Geschichte zeige, dass ein Bildungsdefizit eher zum Festhalten an Fehllehren als zu deren Beseitigung führe.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0573]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552]], 132.</ref>
Am Beispiel der Bestimmung des Osterdatums, das nicht für den rechten Glauben an sich, sondern nur für die Festlegung der Zeremonien notwendig sei, zeigt Camerarius auf, dass es nicht zielführend sei, sich in nichtessentiellen Inhalten (''de non necessariis rebus'') dem Willen der Mehrheit zu widersetzen, und positioniert sich damit im Kontext des Adiaphoristischen Streits ([[#1547 bis 1553|'''s.o.''']]) auf der Seite Melanchthons; dieses Ergebnis will er wohl auch als Devise für das kommende Konzil verstanden wissen.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0573]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552]], 129ff.</ref>
Das Werk schließt, nachdem es zuvor bereits in einem Einschub einen Vorausblick auf folgende Konzilien gegeben hatte,<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0573]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552]], 86-90.</ref>
Das Werk schließt, nachdem es zuvor bereits in einem Einschub einen Vorausblick auf folgende Konzilien gegeben hatte,<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0573]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552]], 86-90.</ref>
mit einer konzisen Rückschau auf die innerchristlichen Streitigkeiten und ihre Lösungsversuche seit dem Apostelkonzil. Die ersten hundert Jahre der Kirche stellt Camerarius dabei als harmonische Blütezeit dar, in der die Kirche nicht danach strebte, Regeln und Richtlinien anzuhäufen, sondern wahren Glauben zu zeigen; diverse Häresien führten anschließend immer wieder zu Uneinigkeit. Auch das Konzil von Nicäa führte nicht dauerhaft zur Lösung aller Streitigkeiten, sodass weitere Synoden und Konzilien folgten. Mit dem Konzil von Konstantinopel des Jahres 360, das die Begriffe οὐσία und ὑπόστασις ganz vermied, nachdem sie immer wieder Anlass zum Konflikt gegeben hatten, endet die Zusammenschau. Nach diesem hätten Elend und Unheil (''miseria et calamitas'') den Erdkreis heimgesucht und der größte Teil der Welt sei Irrlehren (''tenebris impietatis et errorum''), der Rest aber dem Aberglauben (''superstitio'') anheimgefallen. Von der jüngeren Vergangenheit und dem, was kommen möge, wolle Camerarius schweigen.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0573]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552]], 154ff.</ref>
mit einer konzisen Rückschau auf die innerchristlichen Streitigkeiten und ihre Lösungsversuche seit dem Apostelkonzil. Die ersten hundert Jahre der Kirche stellt Camerarius dabei als harmonische Blütezeit dar, in der die Kirche nicht danach strebte, Regeln und Richtlinien zu kumulieren, sondern wahren Glauben zu demonstrieren; diverse Häresien führten anschließend immer wieder zu Uneinigkeit. Auch das Konzil von Nicäa brachte keine dauerhafte Lösung aller Streitigkeiten, sodass weitere Synoden und Konzilien folgten. Mit dem Konzil von Konstantinopel des Jahres 360, das die Begriffe οὐσία und ὑπόστασις ganz vermied, nachdem sie immer wieder Anlass zu Konflikten gegeben hatten, endet die Zusammenschau. Nach diesem hätten Elend und Unheil (''miseria et calamitas'') den Erdkreis heimgesucht und der größte Teil der Welt sei Irrlehren (''tenebrae impietatis et errorum''), der Rest aber dem Aberglauben (''superstitio'') anheimgefallen. Von der jüngeren Vergangenheit und dem, was komme, wolle Camerarius schweigen.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0573]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552]], 154ff.</ref>


=====Geschichte und Chronologie - Der Werkverbund=====
=====Geschichte und Chronologie - Der Werkverbund=====
Die eigentliche Geschichte des Konzils von Nicäa wird in der Erstauflage von zwei kleineren Werken begleitet: Bei dem ersten davon handelt es sich um eine kurze [[Erwähntes Werk::OC 0571|tabellarische Chronologie]] wichtiger Ereignisse vom nicänischen Konzil zum Konzil von Trient; diese, so hoffe Camerarius, werde sich bei der Lektüre des Werks als nützlich erweisen. Der Tabelle vorangestellt ist eine knappe Vorbemerkung, in der sich Camerarius skeptisch bezüglich der Möglichkeit exakter Datierungen lange zurückliegender Ereignisse zeigt, da es oft an den notwendigen Quellen fehle: So seien etwa die Aufzeichnungen der Römer bei der Plünderung Roms durch die Gallier 387 v.Chr. vernichtet worden.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0571]].</ref>
Die eigentliche Geschichte des Konzils von Nicäa wird in der Erstauflage von zwei kleineren Werken begleitet: Bei dem ersten davon handelt es sich um eine kurze [[Erwähntes Werk::OC 0571|tabellarische Chronologie]] wichtiger Ereignisse angefangen beim nicänischen Konzil bis zum Konzil von Trient; diese, so hoffe Camerarius, werde sich bei der Lektüre des Werks als nützlich erweisen. Der Tabelle vorangestellt ist eine knappe Vorbemerkung, in der sich Camerarius skeptisch bezüglich der Möglichkeit exakter Datierungen lange zurückliegender Ereignisse zeigt, da es oft an den notwendigen Quellen fehle: So seien etwa die Aufzeichnungen der Römer bei der Plünderung Roms durch die Gallier 387 v.Chr. vernichtet worden.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0571]].</ref>
Camerarius' Ausführungen scheinen eine längere Debatte zwischen ihm und Philipp Melanchthon zu reflektieren: Dieser stimmt in einem Brief von September 1553 Camerarius zu, dass exakte Datierungen oft nicht möglich seien, argumentiert aber, dass man sich manchmal mit der bestmöglichen Näherung zufrieden geben müsse: Dies tue selbst die sonst für ihre mathematische Exaktheit bekannte Astrologie. Melanchthon pflege oft, wenn er spreche, um der Klarheit willen vorgefundene Informationen unhinterfragt zu wiederholen; zwar seien Unwahrheiten nach Möglichkeit zu vermeiden - wenngleich sie bisweilen nützlich sein könnten -, doch betreffe dies vor allem das geschriebene Wort.<ref>[https://melanchthon.hadw-bw.de/regesten.html MBW - Regesten online], Nr. 6977: ''S. D. De indiciis temporum, quae ob caussas tibi notas et saepe a me commemoratas crebro usurpo, scribis non arbitrari te, quod possint certo dies negotii aut casus ullius demonstrari, cum de annis quoque dubitationes non careant ratione, et, quid exquisitae notationi obstet, prudenter colligis. Ego vero, quamvis sciam non posse praecise quicquam in hoc genere definiri, tamen utile duco quam proxime exquisita tempora habere in promtu. Scis astrologos quoque interdum contentos esse'' τῷ ἔγγιστα'', cum disciplina illa nitatur scientia geometriae, cuius demonstrationes firmissimae putantur, et cogere assensum, ut proverbio etiam locum dederint ''»ἀνάγκαι γεωµετρικαί«''. Meus autem mos tibi non est ignotus, de quo memini te aliquando argumentari, in fugiendo ambages et dubitationes, quatenus fieri potest, et diserte aliquid exponendo et, quemadmodum dicere soleo,'' κατηγορικῶς''. Itaque et narro ista forma etiam ea, de quibus fortasse alii aliter. Mihi enim scripta aut dicta refero'' οὐδὲν ὑπολογιζόµενος τὴν κατάφασιν ἢ ἀπόφασιν''. Iam, scio, repetes tecum id, quod nuper dicebas: videndum tamen, ne quid forte falso affirmetur. Hoc illi videant, qui autores sunt. Et interdum falsa quoque disseminari et fabulas utiles narrari prodest. Ego quidem nihil comminiscor. In recitando si minus iudicor timidus vel nimis etiam confidens, detur venia simplicitati meae aut feratur etiam istud vitium. De his igitur satis.''</ref><br>
Camerarius' Ausführungen scheinen eine längere Debatte zwischen ihm und Philipp Melanchthon zu reflektieren: Dieser stimmt in einem Brief von September 1553 Camerarius zu, dass exakte Datierungen oft nicht möglich seien, argumentiert aber, dass man sich manchmal mit der bestmöglichen Näherung zufrieden geben müsse: Dies tue selbst die sonst für ihre mathematische Exaktheit bekannte Astrologie. Melanchthon pflege oft, wenn er spreche, um der Klarheit willen vorgefundene Informationen unhinterfragt zu wiederholen; zwar seien Unwahrheiten nach Möglichkeit zu vermeiden - wenngleich sie bisweilen nützlich sein könnten -, doch betreffe dies vor allem das geschriebene Wort.<ref>[https://melanchthon.hadw-bw.de/regesten.html MBW - Regesten online], Nr. 6977: ''S. D. De indiciis temporum, quae ob caussas tibi notas et saepe a me commemoratas crebro usurpo, scribis non arbitrari te, quod possint certo dies negotii aut casus ullius demonstrari, cum de annis quoque dubitationes non careant ratione, et, quid exquisitae notationi obstet, prudenter colligis. Ego vero, quamvis sciam non posse praecise quicquam in hoc genere definiri, tamen utile duco quam proxime exquisita tempora habere in promtu. Scis astrologos quoque interdum contentos esse'' τῷ ἔγγιστα'', cum disciplina illa nitatur scientia geometriae, cuius demonstrationes firmissimae putantur, et cogere assensum, ut proverbio etiam locum dederint ''»ἀνάγκαι γεωµετρικαί«''. Meus autem mos tibi non est ignotus, de quo memini te aliquando argumentari, in fugiendo ambages et dubitationes, quatenus fieri potest, et diserte aliquid exponendo et, quemadmodum dicere soleo,'' κατηγορικῶς''. Itaque et narro ista forma etiam ea, de quibus fortasse alii aliter. Mihi enim scripta aut dicta refero'' οὐδὲν ὑπολογιζόµενος τὴν κατάφασιν ἢ ἀπόφασιν''. Iam, scio, repetes tecum id, quod nuper dicebas: videndum tamen, ne quid forte falso affirmetur. Hoc illi videant, qui autores sunt. Et interdum falsa quoque disseminari et fabulas utiles narrari prodest. Ego quidem nihil comminiscor. In recitando si minus iudicor timidus vel nimis etiam confidens, detur venia simplicitati meae aut feratur etiam istud vitium. De his igitur satis.''</ref><br>
Bei dem zweiten angehängten Werk handelt es sich um eine [[Erwähntes Werk::OC 0572|lateinische Übersetzung]] des letzten Abschnitts des Traktats "De spiritu sancto" (Περὶ τοῦ ἁγίου πνεύματος, 30, 76-79) von [[Erwähnte Person::Basilius der Große|Basilius von Caesarea]], in dem dieser den deplorablen Zustand der von Zwietracht zerissenen Kirche beschreibt. Der Text füllt zum einen die letzte Lage des Bandes, ist zum anderen aber allgemein genug gehalten, dass er vom Leser wohl - ganz im Sinne von Camerarius' Ziel, antikes Wissen für die Gegenwart nutzbar zu machen - auch auf die Lage der Kirche zu Camerarius' Zeit bezogen werden konnte und sollte.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0572]].</ref>
Bei dem zweiten angehängten Werk handelt es sich um eine [[Erwähntes Werk::OC 0572|lateinische Übersetzung]] des letzten Abschnitts des Traktats "De spiritu sancto" (Περὶ τοῦ ἁγίου πνεύματος, 30, 76-79) von [[Erwähnte Person::Basilius der Große|Basilius von Caesarea]], in dem dieser den deplorablen Zustand der von Zwietracht zerrissenen Kirche beschreibt. Der Text füllt zum einen die letzte Lage des Bandes, ist zum anderen aber allgemein genug gehalten, dass er vom Leser wohl - ganz im Sinne von Camerarius' Ziel, antikes Wissen für die Gegenwart nutzbar zu machen - auch auf die Lage der Kirche zu Camerarius' Zeit bezogen werden konnte und sollte.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0572]].</ref>


=====Die Rezeption - Camerarius als sein eigener Multiplikator=====
=====Die Rezeption - Camerarius als sein eigener Multiplikator=====
Camerarius sandte Exemplare des Drucks bald nach Fertigstellung an seine Freunde: [[Erwähnte Person::Christoph von Karlowitz]] erhielt am 10.01.1552 eine Ausgabe;<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 0491]] und [[Woitkowitz 2003]], S. 233-237.</ref>
Camerarius sandte Exemplare des Drucks bald nach Fertigstellung an seine Freunde: [[Erwähnte Person::Christoph von Karlowitz]] erhielt am 10.01.1552 eine Ausgabe;<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 0491]] und [[Woitkowitz 2003]], S. 233-237.</ref>
möglicherweise gab er sie in der Folge weiter, jedenfalls bemüht sich Camerarius am 30.03.1554 noch einmal um ein Exemplar für Karlowitz. Daneben lässt Camerarius Pläne für ein weiteres Werk verlauten, das sich mit der Synode von Ephesus und deren Streitpunkten beschäftigen solle, da ihre Inhalte in der Gegenwart wieder relevant seien.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 0917]].</ref>
möglicherweise gab er sie in der Folge weiter, jedenfalls bemüht sich Camerarius am 30.03.1554 noch einmal um ein Exemplar für Karlowitz. Daneben lässt Camerarius Pläne für ein weiteres Werk verlauten, das sich mit der Synode von Ephesus und deren Streitpunkten beschäftigen solle, da ihre Inhalte in der Gegenwart wieder relevant seien.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 0917]].</ref>
Ein entsprechendes Werk ist nicht bekannt, die Äußerung zeigt aber erneut die Zielsetzung vieler von Camerarius' Werken.<br>
Ein entsprechendes Werk ist nicht bekannt, die Äußerung verdeutlicht aber erneut die Zielsetzung vieler von Camerarius' Werken.<br>
Bei der Verbreitung sorgte Camerarius auch selbst dafür, dass sein Werk die richtigen Personen, gegebenenfalls auch auf altgläubiger Seite erreichte: Nicht nur ist der Widmungsempfänger ein katholischer Bischof; auch der mit Camerarius eng befreundete (altgläubige) Würzburger Domherr [[Erwähnte Person::Daniel Stiebar von Rabeneck]] erhält bereits am 29.12.1551 ein Exemplar der "Historia" mit der expliziten Bitte, es nach der Lektüre an den (ebenfalls katholischen) Bischof von Eichstätt [[Erwähnte Person::Moritz von Hutten]] weiterzusenden; Stiebar werde ein eigenes Exemplar erhalten.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 1058]]</ref>
Bei der Verbreitung seines Werks sorgte Camerarius auch selbst dafür, dass dieses die richtigen Personen, gegebenenfalls auch auf altgläubiger Seite erreichte: Nicht nur ist der Widmungsempfänger ein katholischer Bischof; auch der mit Camerarius eng befreundete (altgläubige) Würzburger Domherr [[Erwähnte Person::Daniel Stiebar von Rabeneck]] erhält bereits am 29.12.1551 ein Exemplar der "Historia" mit der expliziten Bitte, es nach der Lektüre an den (ebenfalls katholischen) Bischof von Eichstätt [[Erwähnte Person::Moritz von Hutten]] weiterzusenden; Stiebar werde dann noch einmal ein eigenes Exemplar erhalten.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 1058]].</ref>
Auch der lutherische Theologe [[Erwähnte Person::Johannes Brenz]], der tatsächlich in Trient anwesend war, las das Werk auf der Reise zum Konzil, wie er Camerarius am 27.04.1552 berichtet; er habe die Lektüre genossen und fordere Camerarius dazu auf, mit weiteren ähnlichen Zeugnissen seiner Rechtgläubigkeit der Kirche zu dienen.<ref>[https://thbw.hadw-bw.de/brief/15501 THBW 15501]: ''In itinere ad Tridentum legimus etiam equitantes tuam Nicaenam historiam ac multum ea delectati sumus. Facies ecclesiae rem gratissimam, si talibus monumentis tuam ei fidem probare perges.''</ref>
Auch der lutherische Theologe [[Erwähnte Person::Johannes Brenz]], der tatsächlich in Trient anwesend war, las das Werk auf der Reise zum Konzil, wie er Camerarius am 27.04.1552 berichtet; er habe die Lektüre genossen und fordere Camerarius dazu auf, mit weiteren ähnlichen Zeugnissen seiner Rechtgläubigkeit der Kirche zu dienen.<ref>[https://thbw.hadw-bw.de/brief/15501 THBW 15501]: ''In itinere ad Tridentum legimus etiam equitantes tuam Nicaenam historiam ac multum ea delectati sumus. Facies ecclesiae rem gratissimam, si talibus monumentis tuam ei fidem probare perges.''</ref>


=====Neuauflage - Das Werk wird zum Anhang=====
=====Neuauflage - Das Werk wird zum Anhang=====
Mit der [[Erwähntes Werk::Nikephoros, Chronologia, 1561|Neuauflage]] des Werkverbundes von 1561 wurde dieser einerseits um ein weiteres kurzes Werk erweitert; andererseits wurde er nun selbst zur Appendix: In der Ausgabe von 1561 wird die Konziliengeschichte nämlich an Camerarius' etwa doppelt so lange [[Erwähntes Werk::OC 0677|lateinische Ausgabe von Nikephoros' "Chronologia"]] angefügt, die Camerarius in "De chronicis" angekündigt und nun nach langer Arbeit fertiggestellt hatte ([[#Der lateinische Nikephoros - Ein historiographisches Handbuch|'''s. den nächsten Abschnitt''']]). Diese lange Beschäftigung mit Chronologie und Datierungen war denn vermutlich auch der Anlass zu der kurzen, neu am Ende angefügten [[Erwähntes Werk::OC 0676|chronologischen Darstellung zu den Ökumenischen Konzilien]]: Zwar gab die eigentliche "Historia" bereits einen groben Überblick über Konzilien und Synoden auch nach Nicäa<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0573]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552]], 85-90.</ref>
Mit der [[Erwähntes Werk::Nikephoros, Chronologia, 1561|Neuauflage]] des Werkverbundes von 1561 wurde dieser einerseits um ein weiteres kurzes Werk erweitert; andererseits wurde er nun selbst zur Appendix: In der Ausgabe von 1561 wird die Konziliengeschichte nämlich an Camerarius' etwa doppelt so lange [[Erwähntes Werk::OC 0677|lateinische Ausgabe von Nikephoros' "Chronologia"]] angefügt, die Camerarius in "De chronicis" angekündigt und nun nach langer Arbeit fertiggestellt hatte ([[#Der lateinische Nikephoros - Ein historiographisches Handbuch (1561)|'''s. den nächsten Abschnitt''']]). Diese lange Beschäftigung mit Chronologie und Datierungen war denn vermutlich auch der Anlass zu der kurzen, neu am Ende angefügten [[Erwähntes Werk::OC 0676|chronologischen Darstellung zu den Ökumenischen Konzilien]]: Zwar gab die eigentliche "Historia" bereits einen groben Überblick über Konzilien und Synoden auch nach Nicäa<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0573]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552]], 85-90.</ref>
und auch die kurze Schrift "De chronicis" lieferte bereits eine grundständige tabellarische Chronologie bis in Camerarius' Gegenwart; das neue Werk geht jedoch spezifisch auf den Begriff der Ökumenischen Konzilien ein und gibt einen Überblick über deren Streitfragen.<ref>Camerarius zählt acht oder neun Ökumenische Konzilien: Dabei äußert er Zweifel daran, dass Konstantinopel IV (869/870) als achtes Ökumenisches Konzil bezeichnet werden kann; als nächstes Konzil mit einem Anspruch auf Ökumenizität, den er weder bejaht noch verneint, bezeichnet Camerarius das Konzil von Konstanz (1414-1418).</ref>  
und auch die kurze Schrift "De chronicis" lieferte bereits eine grundständige tabellarische Chronologie bis in Camerarius' Gegenwart; das neue Werk geht jedoch spezifisch auf den Begriff der Ökumenischen Konzilien ein und gibt einen Überblick über deren Streitfragen.<ref>Camerarius zählt acht oder neun Ökumenische Konzilien: Dabei äußert er Zweifel daran, dass Konstantinopel IV (869/870) als achtes Ökumenisches Konzil bezeichnet werden kann; als nächstes Konzil mit einem Anspruch auf Ökumenizität, den er weder bejaht noch verneint, bezeichnet Camerarius das Konzil von Konstanz (1414-1418).</ref>  
Der dritte Fokus der neuen Schrift liegt, wie schon der Titel "De synodis oecumenicis, et harum temporibus atque praecipuis negotiis" nahelegt, auf der zeitlichen Einordnung der Konzilien, die nun mit dem fertiggestellten Nikephoros als Basis sehr viel besser möglich war als zu Zeiten der ersten Auflage.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0676]], [[Erwähntes Werk::Nikephoros, Chronologia, 1561]], 219-223.</ref>
Der dritte Fokus der neuen Schrift liegt, wie schon der Titel "De synodis oecumenicis, et harum temporibus atque praecipuis negotiis" nahelegt, auf der zeitlichen Einordnung der Konzilien, die nun mit dem fertiggestellten Nikephoros als Basis sehr viel besser möglich war als zu Zeiten der ersten Auflage.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0676]], [[Erwähntes Werk::Nikephoros, Chronologia, 1561]], 219-223.</ref>


====Der lateinische Nikephoros - Ein historiographisches Handbuch====
====Der lateinische Nikephoros - Ein historiographisches Handbuch (1561)====
=====Hintergrund - Nikephoros als Vorarbeit zu Jesus=====
=====Hintergrund - Nikephoros als Vorarbeit zu Jesus=====
In seinem [[Erwähntes Werk::OC 0678|Vorwort]] zur "Chronologia" des [[Erwähnte Person::Nikephoros I. (Patriarch)|Nikephoros]] unterscheidet Camerarius zwei Arten von Geschichtsschreibung: Zum einen die von den Griechen als ἱστορία πραγματική bezeichnete Form, die eigentliche Geschichtsschreibung im modernen Sinne, die chronologisch geordnet in fortlaufender Form von Ereignissen berichtet und Hintergründe, Motivationen, das Auftreten von Personen und die Folgen von Ereignissen behandelt. Auf der anderen Seite steht für Camerarius die Biographie, die sich einen einzelnen Aspekt, das Leben einer Person, herausgreift und ausführlich darstellt. Beide Arten von Geschichtsschreibung haben laut Camerarius ihre Verdienste: die größere Form sei erhabener (''speciosum atque magnificum''), doch die Biographie eigne sich besser zur Darstellung von ''exempla'' und sei unterhaltsamer zu lesen.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0678]], [[Erwähntes Werk::Nikephoros, Chronologia, 1561]], 16.</ref><br>
In seinem [[Erwähntes Werk::OC 0678|Vorwort]] zur "Chronologia" des [[Erwähnte Person::Nikephoros I. (Patriarch)|Nikephoros]] unterscheidet Camerarius zwei Arten von Geschichtsschreibung: Zum einen die von den Griechen als ἱστορία πραγματική bezeichnete Form, die eigentliche Geschichtsschreibung im modernen Sinne, die chronologisch geordnet in fortlaufender Form von Ereignissen berichtet und Hintergründe, Motivationen, das Auftreten von Personen und die Folgen von Ereignissen behandelt. Auf der anderen Seite steht für Camerarius die Biographie, die sich einen einzelnen Aspekt, das Leben einer Person, herausgreift und ausführlich darstellt. Beide Arten von Geschichtsschreibung haben laut Camerarius ihre Verdienste: die größere Form sei erhabener (''speciosum atque magnificum''), doch die Biographie eigne sich besser zur Darstellung von ''exempla'' und sei unterhaltsamer zu lesen.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0678]], [[Erwähntes Werk::Nikephoros, Chronologia, 1561]], 16.</ref><br>
Im Rahmen des Schmalkaldischen Krieges musste Camerarius seine Pläne für eine [[Erwähntes Werk::Camerarius, De eloquentibus Graeciae, (unvollendet)|Darstellung zu den griechischen Rednern]] im Sinne der zweiten Gattung aufgeben. Nach Ende der Kriegswirren entschloss er sich dann stattdessen, über Jesus und die Apostel zu schreiben (↓ [[#Von Jesus und den Aposteln - "Historia Iesu Christi" und "Expositio de apostolis"|'''Von Jesus und den Aposteln - "Historia Iesu Christi" und "Expositio de apostolis"''']]). Da jedoch hierfür die Klärung gewisser Datierungsfragen eine essentielle Voraussetzung war, machte sich Camerarius zunächst daran, die historischen Ereignisse in eine konsistente und plausible zeitliche Ordnung zu bringen (''ut collatis iis scriptis quae isto in genere potuissem conquirere, seriem quandam consentaneam, atque verisimilem maxime, designarem'').<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0678]], [[Erwähntes Werk::Nikephoros, Chronologia, 1561]], 17.</ref>
Im Zuge des Schmalkaldischen Krieges musste Camerarius seine Pläne für eine [[Erwähntes Werk::Camerarius, De eloquentibus Graeciae, (unvollendet)|Darstellung zu den griechischen Rednern]] im Sinne der zweiten Gattung aufgeben. Nach Ende der Kriegswirren entschloss er sich dann stattdessen, über Jesus und die Apostel zu schreiben (↓ [[#Von Jesus und den Aposteln - "Historia Iesu Christi" und "Expositio de apostolis" (1566)|'''Von Jesus und den Aposteln - "Historia Iesu Christi" und "Expositio de apostolis" (1566)''']]). Da jedoch hierfür die Klärung gewisser Datierungsfragen eine essentielle Voraussetzung war, machte sich Camerarius zunächst daran, die historischen Ereignisse in eine konsistente und plausible zeitliche Ordnung zu bringen (''ut collatis iis scriptis quae isto in genere potuissem conquirere, seriem quandam consentaneam, atque verisimilem maxime, designarem'').<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0678]], [[Erwähntes Werk::Nikephoros, Chronologia, 1561]], 17.</ref>
Im Zuge dieser Arbeiten stieß er auf die "Chronologia" des [[Erwähnte Person::Nikephoros I. (Patriarch)|Nikephoros]],<ref>Über den Autor war Camerarius nach eigenem Zeugnis nicht mehr bekannt, als dass er Patriarch gewesen und von [[Erwähnte Person::Nikephoros Kallistu Xanthopulos]] zu unterscheiden war (vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 1501]], dat. 19.08.1572).</ref>
Im Zuge dieser Arbeiten stieß er auf die "Chronologia" des [[Erwähnte Person::Nikephoros I. (Patriarch)|Nikephoros]],<ref>Über den Autor war Camerarius nach eigenem Zeugnis nicht mehr bekannt, als dass er Patriarch gewesen und von [[Erwähnte Person::Nikephoros Kallistu Xanthopulos]] zu unterscheiden war (vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 1501]], dat. 19.08.1572).</ref>
die in einem [[Epiphanios von Salamis, Κατὰ αἱρέσεων ὀγδοήκοντα, 1544|Epiphanius-Codex]] des [[Erwähnte Person::Johann Lange (Theologe)|Johann Lange]] enthalten gewesen war: Diesen kannte Melanchthon bereits seit den 1530er Jahren, Camerarius bekam ihn spätestens 1542 zur Weiterleitung an [[Erwähnte Person::Johann Oporinus]] in die Hände<ref>Vgl. [[Clemen 1912a]], 52f.</ref>
die in einem [[Epiphanios von Salamis, Κατὰ αἱρέσεων ὀγδοήκοντα, 1544|Epiphanius-Codex]] des [[Erwähnte Person::Johann Lange (Theologe)|Johann Lange]] enthalten gewesen war: Diesen kannte Melanchthon bereits seit den 1530er Jahren, Camerarius bekam ihn spätestens 1542 zur Weiterleitung an [[Erwähnte Person::Johann Oporinus]] in die Hände<ref>Vgl. [[Clemen 1912a]], 52f.</ref>
und konnte für die Arbeit an Nikephoros auch später noch einmal darauf zugreifen.<ref>''Cum autem hoc [sc. Epiphanio'' oder ''opere Epiphanii], pro veteri necessitudine nostra [sc. cum Iohanni Lange] tunc quoque perquam familiariter uti concederetur, viro non modo dignitate et doctrina, sed humanitate etiam praestante, sumpsimus ab ipso et hunc [sc. Nicephori] librum'' ([[Erwähntes Werk::OC 0678]], [[Erwähntes Werk::Nikephoros, Chronologia, 1561]], 17).</ref><br>
und konnte für die Arbeit an Nikephoros auch später noch einmal darauf zugreifen.<ref>''Cum autem hoc [sc. Epiphanio'' oder ''opere Epiphanii], pro veteri necessitudine nostra [sc. cum Iohanni Lange] tunc quoque perquam familiariter uti concederetur, viro non modo dignitate et doctrina, sed humanitate etiam praestante, sumpsimus ab ipso et hunc [sc. Nicephori] librum'' ([[Erwähntes Werk::OC 0678]], [[Erwähntes Werk::Nikephoros, Chronologia, 1561]], 17).</ref><br>
Die Quellenarbeit erwies sich allerdings als schwierig, und so zog sich das, was als Recherche für die Jesus-Vita begonnen hatte, über lange Zeit hin und wurde zu einem eigenen Werk:<ref>Von Verzögerungen bei der Arbeit am Nikephoros berichtet Camerarius bereits 1552 in dem kurzen Werk [[Erwähntes Werk::Camerarius, De chronicis, 1552|"De chronicis"]] (vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0571]], [[Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552]], 159.</ref>
Die Quellenarbeit erwies sich allerdings als schwierig, und so zog sich das, was als Recherche für die Jesus-Vita begonnen hatte, über lange Zeit hin und wurde zu einem eigenen Werk:<ref>Von Verzögerungen bei der Arbeit am Nikephoros berichtet Camerarius bereits 1552 in dem kurzen Werk [[Erwähntes Werk::Camerarius, De chronicis, 1552|"De chronicis"]] (vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0571]], [[Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552]], 159.</ref>
Schon bei der ersten Übersetzungsarbeit am Nikephoros fielen Camerarius viele Fehler auf, bedingt teils durch den Autor selbst, teils durch die Überlieferung. Trotz dessen und trotz des wenig ausgefeilten Stils des Werks beschloss er, eine Übersetzung zu publizieren, um den Gelehrten ein kurzes und konzises Überblickswerk an die Hand zu geben, zumal ihm kein vergleichbares Werk bekannt war. Früh begann er damals auch schon mit der Annotation des Werks: So lassen sich einige von Camerarius' Anmerkungen auf die Zeit unmittelbar nach dem Schmalkaldischen Krieg datieren. Aufgrund seiner intermittierenden Arbeitsweise verzögerte sich jedoch die Arbeit; zudem feilte er seine Anmerkungen mit der Zeit immer weiter aus und erweiterte seine Annotationen ständig.<ref>Während Camerarius in [[Erwähntes Werk::OC 0677]], [[Erwähntes Werk::Nikephoros, Chronologia, 1561]], 51 das gegenwärtige Jahr mit 1547 benennt, schreibt er innerhalb derselben Notiz eine Seite weiter bereits von 1549 und fügt in Klammern an, seit Beginn seiner Arbeit an dieser Anmerkung seien bereits zwei Jahre vergangen.</ref>  
Schon bei der ersten Übersetzungsarbeit am Nikephoros fielen Camerarius viele Fehler auf, bedingt teils durch den Autor selbst, teils durch die Überlieferung. Trotz dessen und trotz des wenig ausgefeilten Stils des Werks beschloss er, eine Übersetzung zu publizieren, um den Gelehrten ein kurzes und konzises Überblickswerk an die Hand zu geben, zumal ihm keine vergleichbare Schrift bekannt war. Früh begann er damals auch schon mit der Annotation des Werks: So lassen sich einige von Camerarius' Anmerkungen auf die Zeit unmittelbar nach dem Schmalkaldischen Krieg datieren. Aufgrund seiner intermittierenden Arbeitsweise verzögerte sich jedoch die Arbeit; zudem feilte er seine Anmerkungen mit der Zeit immer weiter aus und erweiterte seine Annotationen ständig.<ref>Während Camerarius in [[Erwähntes Werk::OC 0677]], [[Erwähntes Werk::Nikephoros, Chronologia, 1561]], 51 das gegenwärtige Jahr mit 1547 benennt, schreibt er innerhalb derselben Notiz eine Seite weiter bereits von 1549 und fügt in Klammern an, seit Beginn seiner Arbeit an dieser Anmerkung seien bereits zwei Jahre vergangen.</ref>  
Im Anschluss an das Werk führt er außerdem die Schilderungen des Nikephoros bis in seine Zeit fort.
Im Anschluss an das Werk führt er außerdem die Schilderungen des Nikephoros bis in seine Zeit fort.
Letztlich wurde das Werk so erst [[Erwähntes Werk::Nikephoros, Chronologia, 1561|im Jahr 1561 in einem Band gedruckt]], der neben der [[Erwähntes Werk::OC 0677|"Chronologia"]] selbst auch eine zweite erweiterte Auflage von Camerarius' bereits 1552 publizierter ↑ [[#Altes aktualisiert - Konziliengeschichte|'''Geschichte des Konzils von Nicäa''']] enthält. Dem chronologischen Werk die Konziliengeschichte beizugeben scheint im ersten Moment Camerarius' Wunsch zu widersprechen, ein konzises Handbuch zu schaffen: Tatsächlich geht dieser Plan auf Camerarius selbst zurück, der in einem in dem Band abgedruckten [[Erwähntes Werk::OCEp 1280|Brief]] an [[Erwähnte Person::Johann Oporinus]] diesen um die Verbindung beider Werke bittet. Allerdings gibt er dem Drucker in demselben Brief die Vollmacht über die Anordnung der Lagen (''Haec igitur tuo arbitrio conformatis cartis edes''),<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 1280]], [[Erwähntes Werk::Nikephoros, Chronologia, 1561]], 166.</ref>
Letztlich wurde das Werk so erst im Jahr 1561 [[Erwähntes Werk::Nikephoros, Chronologia, 1561|in einem Band]] gedruckt, der neben der [[Erwähntes Werk::OC 0677|"Chronologia"]] selbst auch eine zweite erweiterte Auflage von Camerarius' bereits 1552 publizierter ↑ [[#Altes aktualisiert - Konziliengeschichte (1552)|'''Geschichte des Konzils von Nicäa''']] enthält. Dem chronologischen Werk die Konziliengeschichte beizugeben, scheint im ersten Moment Camerarius' Wunsch zu widersprechen, ein konzises Handbuch zu schaffen: Tatsächlich aber geht dieser Plan auf Camerarius selbst zurück, der in einem in dem Band abgedruckten [[Erwähntes Werk::OCEp 1280|Brief]] an [[Erwähnte Person::Johann Oporinus]] diesen um die Verbindung beider Werke bittet. Allerdings gibt er dem Drucker in demselben Brief die Vollmacht über die Anordnung der Lagen (''Haec igitur tuo arbitrio conformatis cartis edes''),<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 1280]], [[Erwähntes Werk::Nikephoros, Chronologia, 1561]], 166.</ref>
die dieser so aufteilte, dass der separate Kauf der "Chronologia" gut möglich war.<ref>In der [[Erwähntes Werk::Nikephoros, Chronologia, 1573|zweiten Auflage von 1573]] startet sogar die Paginierung in der zweiten Hälfte zu den Konzilien neu.</ref>
die dieser so aufteilte, dass der separate Kauf der "Chronologia" gut möglich war.<ref>In der [[Erwähntes Werk::Nikephoros, Chronologia, 1573|zweiten Auflage von 1573]] beginnt sogar die Paginierung in der zweiten Hälfte zu den Konzilien neu.</ref>


=====Frühe Pläne zur Neuauflage=====
=====Frühe Pläne zur Neuauflage=====
Auch wenn Camerarius Oporinus gebeten hatte, dafür Sorge zu tragen, dass sein Werk korrekt gedruckt werde und die Setzer nichts am Text veränderten, sei es, weil sie etwas nicht verstünden oder aus Nachlässigkeit,<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 1280]], [[Erwähntes Werk::Nikephoros, Chronologia, 1561]], 166.</ref>
Auch wenn Camerarius Oporinus gebeten hatte, dafür Sorge zu tragen, dass sein Werk korrekt gedruckt werde und die Setzer nichts am Text veränderten, sei es, weil sie etwas nicht verstünden oder aus Nachlässigkeit,<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 1280]], [[Erwähntes Werk::Nikephoros, Chronologia, 1561]], 166.</ref>
war er offenbar dennoch mit dem Ergebnis des Prozesses nicht zufrieden: Am 07.05.1561 schrieb er an [[Erwähnte Person::Hieronymus Wolf]], das Werk sei weder allzu gründlich noch allzu nachlässig gedruckt worden, und bat Wolf, bei der Lektüre Errata zu korrigieren;<ref>[[Erwähntes Werk::OCEp 0825]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Epistolae familiares, 1583]], 470 und [[Zäh 2013]], Nr. 199: ''Meam Chronologiam neque diligentissimam neque negligentissimam editam puto te vidisse. Fuit mihi curae, ut narrarem ea quae cognitu utilia essent maxime. Te forte legentem et errata corrigere et notata mihi indicare velim.''</ref>
war er offenbar dennoch mit dem Ergebnis des Prozesses nicht zufrieden: Am 07.05.1561 schrieb er an [[Erwähnte Person::Hieronymus Wolf]], das Werk sei weder sehr gründlich noch sehr nachlässig gedruckt worden, und bat Wolf, bei der Lektüre Errata zu korrigieren;<ref>[[Erwähntes Werk::OCEp 0825]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Epistolae familiares, 1583]], 470 und [[Zäh 2013]], Nr. 199: ''Meam Chronologiam neque diligentissimam neque negligentissimam editam puto te vidisse. Fuit mihi curae, ut narrarem ea quae cognitu utilia essent maxime. Te forte legentem et errata corrigere et notata mihi indicare velim.''</ref>
die Bitte wiederholte er am 23. Juni, als er gehört hatte, dass Wolf die Lektüre begonnen habe.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 0826]].</ref>
die Bitte wiederholte er am 23. Juni, als er gehört hatte, dass Wolf die Lektüre begonnen habe.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 0826]].</ref>
Auch [[Erwähnte Person::Esrom Rüdinger]], der den Band in der Offizin vorfand und las, wies Camerarius früh auf einige Fehler bei der Jahresrechnung hin.<ref>So Camerarius später am 19.08.1572 (vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 1501]]).</ref>
Auch [[Erwähnte Person::Esrom Rüdinger]], der den Band in der Offizin vorfand und las, wies Camerarius früh auf einige Fehler bei der Jahresrechnung hin.<ref>So Camerarius später am 19.08.1572 (vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 1501]]).</ref>
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Jedoch verstarb Oporin bald darauf am 06.07.1568; die Aufsicht über die noch in der Offizin befindlichen Druckvorlagen führte [[Erwähnte Person::Theodor Zwinger]], zu dem Camerarius am 18.09.1568 Kontakt aufnahm und ihn bat, auf den Nikephoros Acht zu geben.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 1231]] = http://www.aerztebriefe.de/id/00005231.</ref>
Jedoch verstarb Oporin bald darauf am 06.07.1568; die Aufsicht über die noch in der Offizin befindlichen Druckvorlagen führte [[Erwähnte Person::Theodor Zwinger]], zu dem Camerarius am 18.09.1568 Kontakt aufnahm und ihn bat, auf den Nikephoros Acht zu geben.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 1231]] = http://www.aerztebriefe.de/id/00005231.</ref>
Zwinger antwortete am 5. November, Camerarius brauche sich keine Sorgen zu machen, da sich das Buch noch vor Ort befinde und Oporins Nachfolger es vertragsgemäß weiterhin drucken müssten; wenn er es dennoch zurückhaben wolle, müsse er mit diesen verhandeln.<ref>Vgl. http://www.aerztebriefe.de/id/00004627 (Autograph unter https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:29-bv044448948-2).</ref>
Zwinger antwortete am 5. November, Camerarius brauche sich keine Sorgen zu machen, da sich das Buch noch vor Ort befinde und Oporins Nachfolger es vertragsgemäß weiterhin drucken müssten; wenn er es dennoch zurückhaben wolle, müsse er mit diesen verhandeln.<ref>Vgl. http://www.aerztebriefe.de/id/00004627 (Autograph unter https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:29-bv044448948-2).</ref>
Vom 07.11.1569 datiert dementsprechend eine Urkunde, in der Camerarius Zwinger mit der Aufsicht über den Druck betraut.<ref>Vgl. http://www.aerztebriefe.de/id/00052202; Faksimile unter https://doi.org/10.7891/e-manuscripta-19385.</ref>
Vom 07.11.1569 datiert dementsprechend eine Urkunde, in der Camerarius Zwinger mit der Aufsicht über den Druck betraut.<ref>Vgl. http://www.aerztebriefe.de/id/00052202; Digitalisat unter https://doi.org/10.7891/e-manuscripta-19385.</ref>
Die Druckvorlage war jedoch nicht mehr aufzufinden: In zwei Briefem vom 01.09.1570 und vom 16.11.1570 äußerte Zwinger noch die Hoffnung, Oporinus habe sie vielleicht jemandem ausgeliehen. Jedoch sei die Bibliothek auch mehrfach umgezogen und habe dabei einige Verluste hinnehmen müssen.<ref>Vgl. [[Gilly 2001]], 30f. sowie http://www.aerztebriefe.de/id/00034308 und http://www.aerztebriefe.de/id/00034311. Für die Originale vgl. in der Briefsammlung Trew [https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:29-bv044449095-7 H62/TREWBR ZWINGER_THEODOR[3] (01.09.1570) und [https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:29-bv044449200-7 H62/TREWBR ZWINGER_THEODOR[6].</ref>
Die Druckvorlage war jedoch nicht mehr aufzufinden: In zwei Briefem vom 01.09.1570 und vom 16.11.1570 äußerte Zwinger noch die Hoffnung, Oporinus habe sie vielleicht jemandem ausgeliehen. Jedoch sei die Bibliothek auch mehrfach umgezogen und habe dabei einige Verluste hinnehmen müssen.<ref>Vgl. [[Gilly 2001]], 30f. sowie http://www.aerztebriefe.de/id/00034308 und http://www.aerztebriefe.de/id/00034311. Für die Originale vgl. in der Briefsammlung Trew [https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:29-bv044449095-7 H62/TREWBR ZWINGER_THEODOR[3] (01.09.1570) und [https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:29-bv044449200-7 H62/TREWBR ZWINGER_THEODOR[6].</ref>
Am 08.10.1571 äußert Camerarius gegenüber Hieronymus Wolf die Befürchtung, das Buch sei wohl verloren gegangen;<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 0844]] und [[Zäh 2013]], 400. Zu Wolfs Bedauern vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 2588]] vom 05.11.1571 (= [[Zäh 2013]], Nr. 402).</ref>
Am 08.10.1571 äußert Camerarius gegenüber Hieronymus Wolf die Befürchtung, das Buch sei wohl verloren gegangen;<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 0844]] und [[Zäh 2013]], Nr. 400. Zu Wolfs Bedauern vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 2588]] vom 05.11.1571 (= [[Zäh 2013]], Nr. 402).</ref>
dies bestätigte auch Zwinger am 15.02.1572 in einem Brief an Camerarius' Sohn [[Erwähnte Person::Joachim Camerarius II.|Joachim]] (''Parentis ... Chronologiam in Oporini scriniis nuspiam invenire potuimus'').<ref>Vgl. http://www.aerztebriefe.de/id/00000189, Scan des Originals in der Briefsammlung Trew [https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:29-bv044449786-8 H62/TREWBR ZWINGER_THEODOR[12].</ref>
dies bestätigte auch Zwinger am 15.02.1572 in einem Brief an Camerarius' Sohn [[Erwähnte Person::Joachim Camerarius II.|Joachim]] (''Parentis ... Chronologiam in Oporini scriniis nuspiam invenire potuimus'').<ref>Vgl. http://www.aerztebriefe.de/id/00000189, Scan des Originals in der Briefsammlung Trew [https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:29-bv044449786-8 H62/TREWBR ZWINGER_THEODOR[12].</ref>
Als [[Erwähnte Person::Hans Steinmann]] sich für die Neuauflage erbot, musste Camerarius daher, soweit es seine Gesundheit zuließ (→ [[Medizin (CamLex)#Nierensteine – eine Familienkrankheit|'''Medizin''']]), Ersatz schaffen.<ref>So Camerarius an Rüdinger am 19.08.1572 (vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 1501]]).</ref>
Als [[Erwähnte Person::Hans Steinmann]] sich für die Neuauflage erbot, musste Camerarius daher, soweit es seine Gesundheit zuließ (→ [[Medizin (CamLex)#Nierensteine – eine Familienkrankheit|'''Medizin''']]), Ersatz schaffen.<ref>So Camerarius an Rüdinger am 19.08.1572 (vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 1501]]).</ref>
1573 erschien bei Steinmann und Vögelin in Leipzig die [[Erwähntes Werk::Nikephoros, Chronologia, 1573|Neuauflage des Verbundes aus Nikephoros und Konziliengeschichte]],<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::Nikephoros, Chronologia, 1573]].</ref>
1573 erschien bei Steinmann und Vögelin in Leipzig die [[Erwähntes Werk::Nikephoros, Chronologia, 1573|Neuauflage des Verbundes aus Nikephoros und Konziliengeschichte]],<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::Nikephoros, Chronologia, 1573]].</ref>
erweitert um zwei Epicedien auf den mittlerweile verstorbenen Widmungsempfänger [[Wolfgang (Pfalz-Zweibrücken)|Wolfgang von Pfalz-Zweibrücken]] und einen [[Erwähntes Werk::OCEp 1501|Brief]] an [[Erwähnte Person::Esrom Rüdinger]], der die Hintergründe der Neuauflage erläutert. Darin rechtfertigt sich Camerarius auch dafür, verschiedenen Anmerkungen unter anderem Rüdingers nicht gefolgt zu sein: Er referiere schließlich nicht seine eigenen Berechnungen, sondern die des Nikephoros, die in Griechenland noch immer verwendet würden.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 1501]].</ref>
erweitert um zwei Epicedien auf den mittlerweile verstorbenen Widmungsempfänger [[Wolfgang (Pfalz-Zweibrücken)|Wolfgang von Pfalz-Zweibrücken]] und einen [[Erwähntes Werk::OCEp 1501|Brief]] an [[Erwähnte Person::Esrom Rüdinger]], der die Hintergründe der Neuauflage erläutert. Darin rechtfertigt sich Camerarius auch dafür, verschiedenen Anmerkungen (unter anderem Rüdingers) nicht gefolgt zu sein: Er referiere schließlich nicht seine eigenen Berechnungen, sondern die des Nikephoros, die in Griechenland noch immer verwendet würden.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 1501]].</ref>


=====Inhalte und Rezeption=====
=====Inhalte und Rezeption=====
Mit dem Verlust der Druckvorlage gingen auch Camerarius' Korrekturen und weitere Anmerkungen verloren. Wie groß die Unterschiede zur ersten Auflage gewesen wären, lässt sich freilich aufgrund des Verlusts nicht mehr beziffern. Allerdings vermitteln Camerarius' Bemühungen um die Neuauflage durchaus den Anschein, dass er größere Ergänzungen oder Änderungen geplant hatte; Zeit dafür hatte er jedenfalls in den 12 Jahren zwischen den beiden Auflagen genug. Es ist jedoch fraglich, ob Camerarius trotz des deutlich geringeren Vorlaufs in der Lage war, alle seine geplanten Änderungen nach Verlust der Druckvorlage für den Druck bei Steinmann/Vögelin zu reproduzieren, und in der Tat findet ein stichprobenhafter Vergleich der letztlich gedruckten Neuauflage mit der Erstedition keine nennenswerten Unterschiede im Wortlaut.<br>
Mit dem Verlust der Druckvorlage gingen auch Camerarius' Korrekturen und weitere Anmerkungen verloren. Wie groß die Unterschiede zur ersten Auflage gewesen wären, lässt sich freilich aufgrund des Verlusts nicht mehr beziffern. Allerdings vermitteln Camerarius' Bemühungen um die Neuauflage durchaus den Anschein, dass er größere Ergänzungen oder Änderungen geplant hatte; Zeit dafür hatte er jedenfalls in den 12 Jahren zwischen den beiden Auflagen genug. Es ist jedoch fraglich, ob Camerarius trotz des deutlich geringeren Vorlaufs in der Lage war, alle seine geplanten Änderungen nach Verlust der Druckvorlage für den Druck bei Steinmann/Vögelin zu reproduzieren, und in der Tat findet ein stichprobenhafter Vergleich der letztlich gedruckten Neuauflage mit der Erstedition keine nennenswerten Unterschiede im Wortlaut.<br>
Nikephoros' Werk ist eine Weltchronik; Camerarius hält sich an den knapper formulierten der beiden heute bekannten Überlieferungsstränge. Das Werk beginnt bei Adam, führt die Lebenszeiten der biblischen Persönlichkeiten knapp aus und geht im Anschluss zu den historischen Ereignissen über; das Ende stellt die Regierungszeit des byzantinischen Kaisers Michael III. (reg. 842-867) dar. Camerarius präsentiert abschnittsweise seine lateinische Übersetzung von Nikephoros' griechischem Text. Im Anschluss folgen jeweils ausführliche Annotationen des Camerarius, in denen dieser Nikephoros' Darstellungen und Berechnungen mit denen aus anderen Quellen, insbesondere der Bibel vergleicht.<ref>Vgl. etwa [[Erwähntes Werk::Nikephoros, Chronologia, 1561]], 21.</ref>
Nikephoros' Werk ist eine Weltchronik; Camerarius hält sich an den knapper formulierten der beiden heute bekannten Überlieferungsstränge. Das Werk beginnt bei Adam, führt die Lebenszeiten der biblischen Figuren knapp aus und geht im Anschluss zu den historischen Ereignissen über; das Ende stellt die Regierungszeit des byzantinischen Kaisers Michael III. (reg. 842-867) dar. Camerarius präsentiert abschnittsweise seine lateinische Übersetzung von Nikephoros' griechischem Text. Im Anschluss folgen jeweils ausführliche Annotationen, in denen Camerarius Nikephoros' Darstellungen und Berechnungen mit denen aus anderen Quellen, insbesondere der Bibel vergleicht.<ref>Vgl. etwa [[Erwähntes Werk::Nikephoros, Chronologia, 1561]], 21.</ref>
Dabei bemüht sich Camerarius um die Auflösung von Widersprüchen zwischen verschiedenen Quellen und schreckt auch nicht vor Kritik an Nikephoros zurück; jedoch scheut er sich auch nicht, Unstimmigkeiten, wenn sie nicht ohne weiteres auflösbar sind, stehen zu lassen.<ref>Vgl. etwa [[Erwähntes Werk::Nikephoros, Chronologia, 1561]], 22f.</ref>
Dabei bemüht sich Camerarius um die Auflösung von Widersprüchen zwischen verschiedenen Quellen und übt dabei durchaus auch Kritik an Nikephoros; andererseits scheut er sich nicht, Unstimmigkeiten zu belassen, wenn sie nicht ohne weiteres auflösbar sind.<ref>Vgl. etwa [[Erwähntes Werk::Nikephoros, Chronologia, 1561]], 22f.</ref>
In der letzten Anmerkung zur eigentlichen "Chronologia" führt Camerarius zudem das Werk des Nikephoros bis zum Tod [[Erwähnte Person::Karl V. (HRR)|Kaiser Karls V.]] fort.<ref>Vgl. etwa [[Erwähntes Werk::Nikephoros, Chronologia, 1561]], 53-62.</ref>
In der letzten Anmerkung zur eigentlichen "Chronologia" führt Camerarius zudem das Werk des Nikephoros bis zum Tod [[Erwähnte Person::Karl V. (HRR)|Kaiser Karls V.]] fort.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::Nikephoros, Chronologia, 1561]], 53-62.</ref>


Die frühen Pläne für eine Neuauflage belegen den baldigen Ausverkauf von Camerarius' Übersetzung. Belege für eine breite Rezeption finden sich allerdings kaum. Die erste Auflage enthält auf S. 224 ein langes Geleitgedicht eines gewissen Ιακώβος Ερτήλιος (vielleicht Jakob Hertel),<ref>Die Identität dieses Jakob Ertel ist unklar. Die GND teilt ihm auf Basis des Gedichts im Nikephoros die Nummer [https://d-nb.info/gnd/119664879 119664879], kennt jedoch keine weiteren Belege. Jedoch erscheint die Annahme plausibel, dass die Person zum Zeitpunkt des Drucks 1561 in Leipzig (Wirkungsort des Camerarius) oder Basel (Druckort der ersten Auflage des Nikephoros) studierte. Ein Blick in die Matrikeln liefert als einzigen möglichen Kandidaten "Jacobus Hertelinus Rotlandus = J. Härtlein von Hof im Voigtland" ([[Wackernagel 1956]], S. 82, Nr. 47, GND [https://d-nb.info/gnd/100163556 100163556], Geburtort Chur falsch): Geboren 1536 schrieb er sich 1549/50 in Erfurt ein und erhielt am 29.10.1555 in Basel unter dem Namen ''Jac. Hertelius Curiensis e Variscis'' den Grad eines Baccalaureaten; am 10.02.1557 wurde er Magister. Er war später Schulmeister in St. Peter in Basel, bis er am 23.09.1564 an der Pest starb. Zu ihm vgl. Jenny, Beat Rudolf, Die Musikprofessur an der Universität Basel im zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts. Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 83 (1983), 27-83 ( http://edoc.unibas.ch/dok/A6243504, besonders S. 54f., 75) sowie ders., Humanismus und städtische Eliten in Basel im 16. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung der Basler Lateinschulen von 1529-1589. In: Werner Meyer und Kaspar von Greyerz, Platteriana. Beiträge zum 500. Geburtstag des Thomas Platter (1499?-1582) (Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft 175), Basel 2002, S. 77-121 ( http://edoc.unibas.ch/dok/A2691942, besonders S. 96f.). Hertel wird vom VD16 als Beiträger zu diversen Drucken geführt, meist mit Geleitgedichten wie dem zu Nikephoros, viele Anfang der 1560er Jahre. Dazu gehört namentlich zu [https://gateway-bayern.de/VD16+F+343 VD16 F 343] (S. 15), wo er sich ebenfalls als ''Iacobus Hertelius Curien[sis] Variscus'' bezeichnet. Dieser Druck hat wie viele andere ein theologisches Thema (vgl. [https://gateway-bayern.de/VD16+C+6576 VD16 C 6576], Bl. A1v sowie einige der folgenden). In den meisten Fällen verwendet Hertel zudem wie der Ertel des Nikephoros jambische Versmaße in sechshebiger (vgl. [https://gateway-bayern.de/VD16+S+7596 VD16 S 7596], Bl. A1v, [https://gateway-bayern.de/VD16+W+1361 VD16 W 1361], Bl. A4r/v, [https://gateway-bayern.de/VD16+A+3259 VD16 A 3259], Bl. β4v, [https://gateway-bayern.de/VD16+L+2924 VD16 L 2924], Bl. β3v-4r, [https://gateway-bayern.de/VD16+F+3195 VD16 F 3195] Bl. DD5v-6r) oder wie im Nikephoros in dreihebiger (vgl. [https://gateway-bayern.de/VD16+C+6112 VD16 C 6112], S. 13, [https://gateway-bayern.de/VD16+M+3125 VD16 M 3125], Bl. A1v, [https://gateway-bayern.de/VD16+R+2665 VD16 R 2665], S. 19) Form. Eine Identifikation von Ertel und Hertel scheint mithin plausibel.</ref><br>
Die frühen Pläne für eine Neuauflage belegen den schnellen Ausverkauf von Camerarius' Übersetzung. Belege für eine breite Rezeption finden sich allerdings kaum. Die erste Auflage enthält auf S. 224 ein langes Geleitgedicht eines gewissen Ιακώβος Ερτήλιος (vielleicht Jakob Hertel)<ref>Die Identität dieses Jakob (H-)Ertel (im Druck steht der Name ohne Spiritus) ist unklar. Die GND teilt ihm auf Basis des Gedichts im Nikephoros die Nummer [https://d-nb.info/gnd/119664879 119664879] zu, kennt jedoch keine weiteren Belege. Jedoch erscheint die Annahme plausibel, dass die Person zum Zeitpunkt des Drucks 1561 in Leipzig (Wirkungsort des Camerarius) oder Basel (Druckort der ersten Auflage des Nikephoros) studierte. Ein Blick in die Matrikeln liefert als einzigen möglichen Kandidaten "Jacobus Hertelinus Rotlandus = J. Härtlein von Hof im Voigtland" ([[Wackernagel 1956]], S. 82, Nr. 47, GND [https://d-nb.info/gnd/100163556 100163556], Geburtort Chur falsch): Geboren 1536 schrieb er sich 1549/50 in Erfurt ein und erhielt am 29.10.1555 in Basel unter dem Namen ''Jac. Hertelius Curiensis e Variscis'' den Grad eines Baccalaureus; am 10.02.1557 wurde er Magister. Er war später Schulmeister in St. Peter in Basel, bis er am 23.09.1564 an der Pest starb. Zu ihm vgl. Jenny, Beat Rudolf: Die Musikprofessur an der Universität Basel im zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts. In: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 83 (1983), S. 27-83 ( http://edoc.unibas.ch/dok/A6243504), besonders S. 54f., 75, sowie ders.: Humanismus und städtische Eliten in Basel im 16. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung der Basler Lateinschulen von 1529-1589. In: Platteriana. Beiträge zum 500. Geburtstag des Thomas Platter (1499?-1582). Hg. von Werner Meyer und Kaspar von Greyerz, Basel 2002 (Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft 175), S. 77-121 ( http://edoc.unibas.ch/dok/A2691942), besonders S. 96f. Hertel wird vom VD16 als Beiträger zu diversen Drucken geführt, meist mit Geleitgedichten wie dem zu Nikephoros, viele vom Anfang der 1560er Jahre. Einer dieser Drucke ist namentlich [https://gateway-bayern.de/VD16+F+343 VD16 F 343] (S. 15), wo er sich ebenfalls als ''Iacobus Hertelius Curien[sis] Variscus'' bezeichnet. Dieser Druck hat wie viele andere ein theologisches Thema (vgl. [https://gateway-bayern.de/VD16+C+6576 VD16 C 6576], Bl. A1v sowie einige der folgenden). In den meisten Fällen verwendet Hertel zudem wie der (H-)Ertel des Nikephoros jambische Versmaße in sechshebiger (vgl. [https://gateway-bayern.de/VD16+S+7596 VD16 S 7596], Bl. A1v, [https://gateway-bayern.de/VD16+W+1361 VD16 W 1361], Bl. A4r/v, [https://gateway-bayern.de/VD16+A+3259 VD16 A 3259], Bl. β4v, [https://gateway-bayern.de/VD16+L+2924 VD16 L 2924], Bl. β3v-4r, [https://gateway-bayern.de/VD16+F+3195 VD16 F 3195] Bl. DD5v-6r) oder wie im Nikephoros in dreihebiger Form (vgl. [https://gateway-bayern.de/VD16+C+6112 VD16 C 6112], S. 13, [https://gateway-bayern.de/VD16+M+3125 VD16 M 3125], Bl. A1v, [https://gateway-bayern.de/VD16+R+2665 VD16 R 2665], S. 19). Eine Identifikation von (H-)Ertel und Hertel scheint mithin plausibel.</ref>,
in dem dieser es einem Δανιὴλ Καστέλλος ὁ Βενέτικος (Daniel Castelli aus Venedig?) zur Lektüre empfiehlt: Er werde daraus Geschichte und Verfassung der Staaten lernen und sehen, wie Zeit und Schicksal alle menschlichen Werke zerstören. Camerarius wird von Hertel - ein Jahr nach dem Tod Philipp Melanchthons - als dessen von Christus ordinierter Nachfolger als Anführer der Künste (ἀγαθῶν καλῶν τε Μουσῶν ἄναξ) adressiert.<br>
in dem dieser es einem Δανιὴλ Καστέλλος ὁ Βενέτικος (Daniel Castelli aus Venedig?) zur Lektüre empfiehlt: Er werde daraus Geschichte und Verfassung der Staaten lernen und sehen, wie Zeit und Schicksal alle menschlichen Werke zerstören. Camerarius wird von Hertel - ein Jahr nach dem Tod Philipp Melanchthons - als dessen von Christus ordinierter Nachfolger in der Leitung der Künste (ἀγαθῶν καλῶν τε Μουσῶν ἄναξ) adressiert.<br>
Auch [[Erwähnte Person::Reiner Reineck]] erwähnt Camerarius' Schrift lobend in einem Begleitschreiben zu seinem 1574 gedruckten Werk [[Erwähntes Werk::Reineck, Syntagma de familiis, 1574|"Syntagma de familiis"]] und bezeichnet es als eine der wichtigsten Quellen seines Werkes.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::Reineck, Syntagma de familiis, 1574]], 617.</ref>
Auch [[Erwähnte Person::Reiner Reineck]] erwähnt Camerarius' Schrift lobend in einem Begleitschreiben zu seinem 1574 gedruckten Werk [[Erwähntes Werk::Reineck, Syntagma de familiis, 1574|"Syntagma de familiis"]] und bezeichnet es als eine seiner wichtigsten Quellen.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::Reineck, Syntagma de familiis, 1574]], 617.</ref>
Freilich enthält der Druck auch wiederum einen [[Erwähntes Werk::OCEp 1496|Brief des Camerarius an Reineck]], in dem Camerarius den Druck des Werkes unbedingt empfiehlt, auch wenn er es aus gesundheitlichen Gründen nicht ganz habe lesen können.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 1496]] (dat. 09.05.1573)</ref>
Zugleich enthält das "Syntagma" einen [[Erwähntes Werk::OCEp 1496|Brief des Camerarius an Reineck]], in dem Camerarius diesem die Publikation des Werkes nachdrücklich empfiehlt, auch wenn er es aus gesundheitlichen Gründen nicht ganz habe lesen können.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 1496]] (dat. 09.05.1573).</ref>


====Von Jesus und den Aposteln - "Historia Iesu Christi" und "Expositio de apostolis"====
====Von Jesus und den Aposteln - "Historia Iesu Christi" und "Expositio de apostolis" (1566)====
=====Vorbemerkung=====
=====Vorbemerkung=====
Nach dem Abschluss und der Publikation von Nikephoros' "Chronologia" 1561 konnte Camerarius endlich das Werk in Angriff nehmen, um das es ihm eigentlich ging: Für die Biographien Jesu und der Apostel war Nikephoros' Werk eine unabdingbare Voraussetzung gewesen; diese stellen somit in gewisser Weise die Krönung von zwanzig Jahren historiographischer Arbeit dar. Zugleich zeigt sich bei kaum einem Werk Camerarius' philologische Herangehensweise an theologische Stoffe besser als bei seiner 1566 erstmals gedruckten Beschreibung des Lebens Jesu Christi, eines eigentlich theologischen Stoffs par excellence:<ref>Zu Camerarius' Jesus-Vita vgl. auch [[Seckt 1888]], 21-31 und [[Kunkler 1998]], 242-251.</ref>
Nach dem Abschluss und der Publikation von Nikephoros' "Chronologia" 1561 konnte Camerarius endlich das Werk in Angriff nehmen, um das es ihm eigentlich ging: Für die Biographien Jesu und der Apostel war Nikephoros' Werk eine unabdingbare Voraussetzung gewesen; diese stellen somit in gewisser Weise die Krönung von zwanzig Jahren historiographisch-chronologischer Arbeit dar. Zugleich zeigt sich bei kaum einem anderen Werk Camerarius' philologische Herangehensweise an theologische Stoffe besser als bei seiner 1566 erstmals gedruckten Beschreibung des Lebens Jesu Christi:<ref>Zu Camerarius' Jesus-Vita vgl. auch [[Seckt 1888]], 21-31 und [[Kunkler 1998]], 242-251.</ref>
Wenngleich die Schrift zwar am Anfang und am Ende Jesu Rolle als wesensgleicher Sohn Gottes und der ewigen Jungfrau Maria<ref>So schon auf dem Titelblatt des [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566|Drucks]]: "Historiae Iesu Christi filii Dei nati in terra matre sanctiss[ima] sempervirgine Maria summatim relata expositio".</ref>
Wenngleich die Schrift zwar am Anfang und am Ende Jesu Rolle als wesensgleicher Sohn Gottes und der ewigen Jungfrau Maria<ref>So schon auf dem Titelblatt des [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566|Drucks]]: "Historiae Iesu Christi filii Dei nati in terra matre sanctiss[ima] sempervirgine Maria summatim relata expositio".</ref>
betont - und so Camerarius' 'Rechtgläubigkeit' bezeugt -, handelt es sich doch im Grunde um ein historiographisches oder biographisches Werk, das Jesu Leben auf Erden und seine Zeitumstände betrachtet. Im Bereich der Historiographie verortet sie auch sowohl der [[Erwähntes Werk::OCEp 1461|Widmungsbrief des Bandes]] an [[Erwähnte Person::Joachim Friedrich (Brandenburg)|Joachim Friedrich von Brandenburg]] als auch eine im [[Erwähntes Werk::OC 0762|Werk]] selbst enthaltene Vorrede. Ganz besonders kommen in dem Werk Camerarius' Interesse für Chronologie und die korrekte chronologische An- und Einordnung historischer Ereignisse zum tragen, das er in der langjährigen Arbeit an der ↑ [[#Der lateinische Nikephoros - Ein historiographisches Handbuch|'''Nikephoros-Übersetzung''']] ausgebildet hatte.
betont - und so Camerarius' 'Rechtgläubigkeit' bezeugt -, handelt es sich doch im Grunde um ein historiographisches oder biographisches Werk, das Jesu Leben auf Erden und seine Zeitumstände betrachtet. Im Bereich der Historiographie verortet sie sowohl der [[Erwähntes Werk::OCEp 1461|Widmungsbrief des Bandes]] an [[Erwähnte Person::Joachim Friedrich (Brandenburg)|Joachim Friedrich von Brandenburg]] als auch eine im [[Erwähntes Werk::OC 0762|Werk]] selbst enthaltene Vorrede. Ganz besonders kommt in dem Werk Camerarius' Interesse für Chronologie und für die korrekte chronologische An- und Einordnung historischer Ereignisse zum Tragen, das er in der langjährigen Arbeit an der ↑ [[#Der lateinische Nikephoros - Ein historiographisches Handbuch (1561)|'''Nikephoros-Übersetzung''']] ausgebildet hatte.


=====Entstehung und Zielsetzung der Schrift=====
=====Entstehung und Zielsetzung der Schrift=====
Seit jeher, so schreibt Camerarius im Widmungsbrief, habe er sich auch um die Geschichtsschreibung bemüht als ein Teil der ''bonae artes'', der durch seine zahlreichen ''exempla'' nicht nur Vergnügen, sondern auch großen Nutzen bringen könne. Dies gilt freilich für die paganen Geschichtsschreiber, die er reichlich gelesen habe; mit fortschreitendem Alter aber habe er erkannt, das am erfreulichsten und nützlichsten doch die Werke christlicher Autoren seien, dass die theologische Lehre aber wiederum durch die Geschichtsschreibung ihre Ergänzung und Vervollständigung erfahre.<ref>''Procedente autem aetate, attentius, ut fit, cogitans: Quid et iucundum inprimis esse deberet, et profuturum maxime videretur, facile animadverti utrunque eo potissimum contineri, in quo hominis Christiani professio versaretur. Ea est profecto cognitio illustris rerum divinarum, quam historiae congruentis copia non modo augeri, sed cum personarum tum eventuum consideratione explicari declarando constat'' ([[Erwähntes Werk::OCEp 1461]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], Bl. A2v).</ref>
Seit jeher, so schreibt Camerarius im Widmungsbrief, habe er sich auch um die Geschichtsschreibung bemüht als ein Teil der ''bonae artes'', der durch seine zahlreichen ''exempla'' nicht nur Vergnügen, sondern auch großen Nutzen bringen könne. Reichlich gelesen habe er freilich (zunächst) die paganen Geschichtsschreiber; mit fortschreitendem Alter habe er jedoch erkannt, dass am erfreulichsten und nützlichsten doch die Werke christlicher Autoren seien, dass die theologische Lehre aber wiederum durch die Geschichtsschreibung ihre Ergänzung und Vervollständigung erfahre.<ref>''Procedente autem aetate, attentius, ut fit, cogitans: Quid et iucundum inprimis esse deberet, et profuturum maxime videretur, facile animadverti utrunque eo potissimum contineri, in quo hominis Christiani professio versaretur. Ea est profecto cognitio illustris rerum divinarum, quam historiae congruentis copia non modo augeri, sed cum personarum tum eventuum consideratione explicari declarando constat'' ([[Erwähntes Werk::OCEp 1461]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], Bl. A2v).</ref>
Der protestantische Philologe Camerarius postuliert hier also eine Loslösung von der Autorität der Kirche: Nicht das kirchliche Dogma erklärt den Sinn der Heiligen Schrift; dieser erhellt sich vielmehr von selbst, indem die Bibel als Erzeugnis ihrer Zeit aufgefasst und wie andere klassische Texte im Zusammenhang mit den historischen Umständen und mit anderen Texten verstanden wird.<ref>Indem er die alleinige Bedeutung der Heiligen Schrift zur Erlangung des Heils betont, hält sich Camerarius tatsächlich eng an [[Erwähnte Person::Martin Luther]] (vgl. [[Kunkler 1998]], 245).</ref>  
Der protestantische Philologe Camerarius postuliert hier also eine Loslösung von der Autorität der Kirche: Nicht das kirchliche Dogma erklärt den Sinn der Heiligen Schrift; dieser erhellt sich vielmehr von selbst, indem die Bibel als Erzeugnis ihrer Zeit aufgefasst und wie andere klassische Texte aus dem Zusammenhang mit den historischen Umständen und mit anderen Texten verstanden wird.<ref>Indem er die alleinige Bedeutung der Heiligen Schrift zur Erlangung des Heils betont, hält sich Camerarius tatsächlich eng an [[Erwähnte Person::Martin Luther]] (vgl. [[Kunkler 1998]], 245).</ref>  
Sein Ziel ist es, "die aus der Bibel überlieferten Zeungnisse mit dem ihm zur Verfügung stehenden historischen und literarischen Quellenmaterial [zu] verbinden, um auf diese Weise dem rechten Verständnis des Bibeltextes dienlich zu sein",<ref>[[Kunkler 1998]], 243.</ref>
Sein Ziel ist es, "die aus der Bibel überlieferten Zeugnisse mit dem ihm zur Verfügung stehenden historischen und literarischen Quellenmaterial [zu] verbinden, um auf diese Weise dem rechten Verständnis des Bibeltextes dienlich zu sein",<ref>[[Kunkler 1998]], 243.</ref>
dessen Lehren alleine zum Heil führen.<br>
dessen Lehren alleine zum Heil führen.<br>
Dementsprechend habe Camerarius die Bibel besonders gründlich gelesen, zur Ergänzung aber und zum besseren Verständnis weitere christliche Historiographen hinzugezogen. Im Rahmen dieser Lektüre waren es besonders das Leben Jesu selbst und seiner Apostel sowie die darin enthaltenen Widersprüche, die Camerarius' Interesse weckten.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 1461]].</ref>
Dementsprechend habe Camerarius die Bibel besonders gründlich gelesen, zur Ergänzung aber und zum besseren Verständnis weitere christliche Historiographen hinzugezogen. Im Rahmen dieser Lektüre waren es besonders das Leben Jesu selbst und seiner Apostel sowie die darin enthaltenen Widersprüche, die Camerarius' Interesse weckten.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 1461]].</ref>
So kam es, dass Camerarius, nachdem er aufgrund politischer und privater Schwierigkeiten (gemeint ist vermutlich der Schmalkaldische Krieg<ref>Dies geht aus Camerarius' an [[Erwähnte Person::Wolfgang (Pfalz-Zweibrücken)|Wolfgang von Pfalz-Zweibrücken]] gerichtetem [[Erwähntes Werk::OC 0678|Proöm der Chronologie des Nikephorus]] hervor (vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0678]]).</ref>)  
So kam es, dass Camerarius, nachdem er aufgrund politischer und privater Schwierigkeiten (gemeint ist vermutlich der Schmalkaldische Krieg<ref>Dies geht aus Camerarius' an [[Erwähnte Person::Wolfgang (Pfalz-Zweibrücken)|Wolfgang von Pfalz-Zweibrücken]] gerichtetem [[Erwähntes Werk::OC 0678|Proöm der "Chronologia" des Nikephoros]] hervor (vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0678]]).</ref>)  
ein [[Erwähntes Werk::OC 1001|begonnenes Werk über die griechischen Redner]] aufgeben musste, stattdessen begann, seine Notizen zu Jesus und den Aposteln in eine zeitliche Reihenfolge zu bringen und zu einer fortlaufenden Erzählung auszuarbeiten.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 2.</ref>
ein [[Erwähntes Werk::OC 1001|angefangenes Werk über die griechischen Redner]] aufgeben musste, stattdessen begann, seine Notizen zu Jesus und den Aposteln in eine zeitliche Reihenfolge zu bringen und zu einer fortlaufenden Erzählung auszuarbeiten.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 2.</ref>
Als besonders nützlich zum Verständnis der historischen Hintergründe nennt er namentlich die ↑ [[#Der lateinische Nikephoros - Ein historiographisches Handbuch|'''Chronologie des Nikephoros''']], deren [[Erwähntes Werk::OC 0677|kommentierte lateinische Übersetzung]] er 1561 publiziert hatte; die Arbeit an dieser Übersetzung, die Camerarius über viele Jahre hinweg vom Ende des Schmalkaldischen Krieges bis 1561 in Anspruch genommen, war für ihn eine notwendige Vorarbeit für sein eigentliches Ziel: die Biographien Jesu und der Apostel. Diese beiden biographischen Werke wurden 1566 in zwei Auflagen das erste Mal gedruckt; eine dritte Auflage erschien 1581.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]] und [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566a]] sowie [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historia Iesu, 1581]].</ref>
Als besonders nützlich zum Verständnis der historischen Hintergründe nennt er namentlich die ↑ [[#Der lateinische Nikephoros - Ein historiographisches Handbuch (1561)|'''"Chronologia" des Nikephoros''']], deren [[Erwähntes Werk::OC 0677|kommentierte lateinische Übersetzung]] er 1561 publiziert hatte; die Arbeit an dieser Übersetzung, die Camerarius über viele Jahre hinweg vom Ende des Schmalkaldischen Krieges bis 1561 in Anspruch genommen hatte, war für ihn eine notwendige Vorarbeit für sein eigentliches Ziel: die Biographien Jesu und der Apostel. Diese beiden biographischen Werke wurden 1566 in zwei Auflagen das erste Mal gedruckt; eine dritte Auflage erschien 1581.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]] und [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566a]] sowie [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historia Iesu, 1581]].</ref>
Der Band, der [[Erwähnte Person::Joachim Friedrich (Brandenburg)|Joachim Friedrich von Brandenburg]] gewidmet ist, erzählt zunächst auf fast 100 Seiten die [[Erwähntes Werk::OC 0762|Geschichte vom Leben Jesu]]; im Anschluss folgen auf weiteren 100 Seiten [[Erwähntes Werk::OC 0761|Biographien der zwölf Apostel]].<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]] und [[Erwähntes Werk::OC 0761]].</ref>
Der Band, der [[Erwähnte Person::Joachim Friedrich (Brandenburg)|Joachim Friedrich von Brandenburg]] gewidmet ist, erzählt zunächst auf fast 100 Seiten die [[Erwähntes Werk::OC 0762|Geschichte vom Leben Jesu]]; im Anschluss folgen auf weiteren 100 Seiten die [[Erwähntes Werk::OC 0761|Biographien der zwölf Apostel]].<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]] und [[Erwähntes Werk::OC 0761]].</ref>
Es folgen weitere kleinere Werke mit verwandten Inhalten, darunter Gedichte zu den Jüngern Jesu, den Aposteln und den Evangelisten von [[Gregor von Nazianz]], [[Erwähnte Person::Nikephoros Kallistu Xanthopulos]] sowie Camerarius selbst und eine Rede des Martin Gasser zu Jesu Tod, die bereits 1563 in erster Auflage gedruckt worden war.<ref>Vgl. [https://gateway-bayern.de/VD16+G+508 VD16 G 508].</ref>
Es folgen weitere kleinere Werke mit verwandten Inhalten, darunter Gedichte zu den Jüngern Jesu, den Aposteln und den Evangelisten von [[Gregor von Nazianz]], [[Erwähnte Person::Nikephoros Kallistu Xanthopulos]] sowie Camerarius selbst und eine Rede des Martin Gasser zu Jesu Tod, die bereits 1563 in erster Auflage gedruckt worden war.<ref>Vgl. [https://gateway-bayern.de/VD16+G+508 VD16 G 508].</ref>


=====Historiographie und Biographie - Jesus und die Apostel als historische Personen=====
=====Historiographie und Biographie - Jesus und die Apostel als historische Personen=====
Im Zentrum beider Werke stehen die historischen Geschehnisse: Die Apostelbiographien betrachten das historische Wirken der Apostel, die Jesus-Biographie beschränkt sich auf Jesu Jugend und Tod. Jesu Wirken als Lehrer und seine Wundertätigkeit spart die Erzählung aus und verweist auf die Evangelien, deren Aufgabenbereich Camerarius klar von dem seines eigenen Werks trennt: Allen, die von der göttlichen Inspiration des Evangeliums überzeugt seien, sei völlig klar, dass die göttliche Offenbarung nicht unbesonnen, zweideutig, unglaubwürdig oder gar widersprüchlich (''temere aut ambigue aut dubie aut dissentaneum in modum expositum'') sei, auch wenn sie sich dem menschlichen Verständnis bisweilen entziehe. Jesu Wille sei es gewesen, dass seine Taten nicht in großen Worten rhetorisch geschmückt dargestellt würden, sondern in einfacher, klarer, geradezu dümmlich wirkender Sprache (''ut speciem illa [''sc.'' simplicitas] prae se ferret stulticiae''), weil nur so das dem menschlichen Verstand unbegreifliche göttliche Wirken den Menschen nahegebracht werden könne.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 15f.</ref><br>  
Im Zentrum beider Werke stehen die historischen Geschehnisse: Die Apostelbiographien betrachten das historische Wirken der Apostel, die Jesus-Biographie beschränkt sich auf Jesu Jugend und Tod. Jesu Wirken als Lehrer und seine Wundertätigkeit spart die Erzählung aus und verweist auf die Evangelien, deren Aufgabenbereich Camerarius klar von dem seines eigenen Werks trennt: Allen, die von der göttlichen Inspiration des Evangeliums überzeugt seien, sei völlig klar, dass die göttliche Offenbarung nicht ohne höhere Absicht, zweideutig, unglaubwürdig oder gar widersprüchlich (''temere aut ambigue aut dubie aut dissentaneum in modum expositum'') sei, auch wenn sie sich dem menschlichen Verständnis bisweilen entziehe. Jesu Wille sei es gewesen, dass seine Taten nicht in großen Worten rhetorisch geschmückt dargestellt würden, sondern in einfacher, klarer, geradezu einfältiger Sprache (''ut speciem illa [''sc.'' simplicitas] prae se ferret stulticiae''), weil nur so den Menschen das göttliche Wirken, das sich ihrem Verstand verschließe, nahegebracht werden könne.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 15f.</ref><br>  
Die Bibel sei daher grundsätzlich anders zu lesen als die klassische Geschichtsschreibung; in ihr dürfe man nicht nach rhetorischer Ausgefeiltheit und klarer Darstellung von Handlungsmotiven und zeitlicher Abfolge der Ereignisse suchen (''Quocirca aliter haec quam humanae sagacitatis scripta legenda sunt. Non inventionis industria, non dispositionis studium, non probabilis expositionis cura, non copa orationis in his quaerenda. non etiam consiliorum, occasionum, eventuum persecutio''<ref>[[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 15.</ref>). Bei den Evangelien handle es sich um kurze Schilderungen der (göttlichen) Wahrheit (''breves expositiones veritatis''<ref>[[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 18.</ref>), nicht um eigentliche Geschichtswerke. Man lese sie nicht auf der Suche nach Wissen und Weisheit, sondern nach der göttlichen Offenbarung. Freilich müsse man das Evangelium genau und kritisch lesen, um Gottes Botschaft zu verstehen; die darin enthaltenen Schilderungen seien aber als gegeben hinzunehmen und nicht zu hinterfragen.<ref>Vgl. [[Kunkler 1998]], 249.</ref>
Die Bibel sei daher grundsätzlich anders zu lesen als die klassische Geschichtsschreibung; in ihr dürfe man nicht nach rhetorischer Ausgefeiltheit und klarer Darstellung von Handlungsmotiven und zeitlicher Abfolge der Ereignisse suchen (''Quocirca aliter haec quam humanae sagacitatis scripta legenda sunt. Non inventionis industria, non dispositionis studium, non probabilis expositionis cura, non copa orationis in his quaerenda. non etiam consiliorum, occasionum, eventuum persecutio''<ref>[[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 15.</ref>). Bei den Evangelien handle es sich um kurze Schilderungen der (göttlichen) Wahrheit (''breves expositiones veritatis''<ref>[[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 18.</ref>), nicht um eigentliche Geschichtswerke. Man lese sie nicht auf der Suche nach Wissen und Weisheit, sondern nach der göttlichen Offenbarung. Freilich müsse man das Evangelium genau und kritisch lesen, um Gottes Botschaft zu verstehen; die darin enthaltenen Schilderungen seien aber als gegeben hinzunehmen und nicht zu hinterfragen.<ref>Vgl. [[Kunkler 1998]], 249.</ref>
Scheinbare Widersprüche innerhalb der Heiligen Schrift wie die bei Jesu Genealogie in Lukas- und Matthäus-Evangelium brauchen den Leser also nicht zu kümmern, ja er muss sie außer Acht lassen, da sie nur durch die Unzulänglichkeit des menschlichen Verstandes zustande kommen. Wo Widersprüchen durch wissenschaftliche Erklärung nicht beizukommen war, "müßten die Überlieferungen, so wie sie waren, mit frommen [sic] Sinn und in schlichter Einfalt in all ihren Widersprüchen geglaubt werden."<ref>[[Kunkler 1998]], 251.</ref>  
Scheinbare Widersprüche innerhalb der Heiligen Schrift wie die bei Jesu Genealogie im Lukas- und Matthäus-Evangelium brauchen den Leser also nicht zu bekümmern, ja er muss sie außer Acht lassen, da sie nur durch die Unzulänglichkeit des menschlichen Verstandes zustande kommen. Wo Widersprüchen durch wissenschaftliche Erklärung nicht beizukommen war, "müßten die Überlieferungen, so wie sie waren, mit frommen [sic] Sinn und in schlichter Einfalt in all ihren Widersprüchen geglaubt werden"<ref>[[Kunkler 1998]], 251.</ref>.
Dementsprechend muss auch der Autor Camerarius sich nicht mit derartigen Widersprüchen befassen. "Camerarius wollte damit zum Ausdruck bringen, daß die Wissenschaft der christlichen Heilsbotschaft gegenüber einen hohen Respekt schuldig sei, indem sie diejenigen Fragen, die über den menschlichen Erkenntnishorizont hinausreichten, nicht aufzugreifen und zum Gegenstand ihrer Arbeit zu machen hätte."<ref>[[Kunkler 1998]], 248.</ref><br>
Dementsprechend muss auch der Autor Camerarius sich nicht mit derartigen Widersprüchen befassen. "Camerarius wollte damit zum Ausdruck bringen, daß die Wissenschaft der christlichen Heilsbotschaft gegenüber einen hohen Respekt schuldig sei, indem sie diejenigen Fragen, die über den menschlichen Erkenntnishorizont hinausreichten, nicht aufzugreifen und zum Gegenstand ihrer Arbeit zu machen hätte."<ref>[[Kunkler 1998]], 248.</ref><br>
Die unterschiedlichen Aufgaben, die das Evangelium einerseits und Camerarius' Werk andererseits haben, bedingen auch die unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkte: Camerarius' Interesse liegt auf der Klärung von Verwandtschaftsverhältnissen wie der Abstammung Marias und Josefs,<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 5.</ref>
Die unterschiedlichen Aufgaben, die das Evangelium einerseits und Camerarius' Werk andererseits haben, bedingen auch die unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkte: Camerarius' Interesse liegt auf der Klärung von Verwandtschaftsverhältnissen wie der Abstammung Marias und Josefs,<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 5.</ref>
den historischen Umständen des Lebens Jesu wie den Herrschaftsverhältnissen im damaligen Palästina<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 6-13.</ref>
den historischen Umständen des Lebens Jesu wie den Herrschaftsverhältnissen im damaligen Palästina<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 6-13.</ref>
und der Chronologie wie etwa Jesu Geburtsjahr.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 13ff. Vgl. auch S. 67f. und 70f. zu Camerarius' Erklärung, warum Jesus "am dritten Tage" auferstanden ist, wenn der doch am Freitag gestorben und am Sonntag auferstanden ist.</ref>
und der Chronologie wie etwa Jesu Geburtsjahr.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 13ff. Vgl. auch S. 67f. und 70f. zu Camerarius' Erklärung, warum Jesus "am dritten Tage" auferstanden sei, wenn der doch am Freitag gestorben und am Sonntag vom Reich der Toten zurückgekehrt ist.</ref>
Dabei wägt er widersprüchliche Quellen gegeneinander ab und äußert sich kritisch zu übertriebenen Ausschmückungen der Erzählungen.<ref>Auf Bl. A3v-A4v verkündet Camerarius, er werde an einigen Stellen auf verbreitete Fehllehren eingehen; er wisse, dass er sich damit Kritik aussetze, aber die Alternative sei, überhaupt nichts zu schreiben. Auf Bl. A7v zeigt er auf, dass die Werke der Frühscholastik (''ea, quae ante annos circiter quingentos edita sunt'') noch recht nahe an der wahren Lehre sind, jedoch mit geringen Abweichungen, und dass jede folgende Generation der Scholastik auf den Fehlern ihrer Vorgänger aufbauend sich weiter von Jesu Lehre entfernt habe (vgl. auch [[Kunkler 1998]], 247). Auf Bl. A8v erklärt er den Ursprung der Sage von Georg dem Drachentöter aus der Perseus-Sage; bei Fragen der Chronologie vergleicht Camerarius verschiedene Quellen und gewichtet sie nach ihrer Zuverlässigkeit (S. 13ff.); auf S. 75 äußert er sich kritisch zum Schweißtuch der Veronika und ähnlichen Erzählungen. Auf S. 89 fordert Camerarius, die Antike müsse hochgehalten werden, jedoch in ihrer reinen und wahren Form, unverdorben durch übertriebene Ausschmückungen (''antiquitas quidem venerabilis esse debet universis, sed ea sancta, incorrupta, sincera''). Die Apokryphen verwirft Camerarius auf Bl. A7v und S. 100f.</ref>
Dabei wägt er widersprüchliche Quellen gegeneinander ab und äußert sich kritisch zu übertriebenen Ausschmückungen der Erzählungen.<ref>Auf Bl. A3v-A4v verkündet Camerarius, er werde an einigen Stellen auf verbreitete Fehllehren eingehen; er wisse, dass er sich damit Kritik aussetze, aber die Alternative sei, überhaupt nichts zu schreiben. Auf Bl. A7v zeigt er auf, dass die Werke der Frühscholastik (''ea, quae ante annos circiter quingentos edita sunt'') noch recht nahe an der wahren Lehre seien, jedoch mit geringen Abweichungen, und dass jede folgende Generation der Scholastik auf den Fehlern ihrer Vorgänger aufbauend sich weiter von Jesu Lehre entfernt habe (vgl. auch [[Kunkler 1998]], 247). Auf Bl. A8v erklärt er den Ursprung der Sage von Georg dem Drachentöter aus der Perseus-Sage; bei Fragen der Chronologie vergleicht Camerarius verschiedene Quellen und gewichtet sie nach ihrer Zuverlässigkeit (S. 13ff.); auf S. 75 äußert er sich kritisch zum Schweißtuch der Veronika und ähnlichen Erzählungen. Auf S. 89 fordert Camerarius, die Antike müsse geschätzt werden, jedoch in ihrer reinen und wahren Form, unverdorben durch übertriebene Ausschmückungen (''antiquitas quidem venerabilis esse debet universis, sed ea sancta, incorrupta, sincera''). Die Apokryphen verwirft Camerarius auf Bl. A7v und S. 100f.</ref>
Seine antiken Quellen betrachtet er dabei nicht wie die Scholastik als unfehlbare Autoritäten, "sondern als durchaus fehlbare Autoren, die neben vielen verwertbaren Erkenntnissen auch Ansichten und Vorstellungen vertreten hatten, die einer Übernahme nicht wert erschienen."<ref>[[Kunkler 1998]], 245.</ref>
Die antiken Schriftsteller betrachtet er dabei nicht wie die Scholastik als unfehlbare Autoritäten, "sondern als durchaus fehlbare Autoren, die neben vielen verwertbaren Erkenntnissen auch Ansichten und Vorstellungen vertreten hatten, die einer Übernahme nicht wert erschienen."<ref>[[Kunkler 1998]], 245.</ref>
Daher war es ihm möglich, auch unbekanntere Autoren als Quellen heranzuziehen und "aus dem umfangreichen Reservoir antiken Wissensgutes in weitgehender Ungebundenheit das herausschöpfen, was ihm an Aussagen im Rahmen seines eigenen Denkens auch wirklich relevant erschien".<ref>[[Kunkler 1998]], 246.</ref><br>
Daher war es ihm möglich, auch unbekanntere Autoren als Quellen heranzuziehen und "aus dem umfangreichen Reservoir antiken Wissensgutes in weitgehender Ungebundenheit das heraus[zu]schöpfen, was ihm an Aussagen im Rahmen seines eigenen Denkens auch wirklich relevant erschien".<ref>[[Kunkler 1998]], 246.</ref><br>
Von dem aber, was in den Evangelien berichtet wird, also von Lehre und Wundertätigkeit Jesu, kurz: von allem, was Heilsbotschaft und Glaubenswahrheit betrifft, will Camerarius nur die wichtigsten Punkte grob herausgreifen (''capita tantum exponamus''),<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 19.</ref>
Von dem aber, was in den Evangelien berichtet wird, also von Lehre und Wundertätigkeit Jesu, kurz: von allem, was Heilsbotschaft und Glaubenswahrheit betrifft, will Camerarius nur die wichtigsten Punkte grob herausgreifen (''capita tantum exponamus''),<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 19.</ref>
da diese im Gegensatz zu sachlichen Erklärungen des Textes nicht Gegenstand menschlicher Gelehrsamkeit sein dürfe:<ref>Vgl. [[Kunkler 1998]], 248.</ref>
da diese im Gegensatz zu sachlichen Erklärungen des Textes nicht Gegenstand menschlicher Gelehrsamkeit sein dürfen:<ref>Vgl. [[Kunkler 1998]], 248.</ref>
Wenn menschliche Beredsamkeit versuche, göttliche Lehre neu zu formulieren, müsse es notwendigerweise zu Verunreinigungen kommen, und je gründlicher der theologische Stoff rhetorisch überarbeitet würde, desto profaner würde er dadurch.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 19: ''Nam quo accuratius expoliuntur [sc. ea quae intelligentiam animi nostri excedunt], eo inter tractandum profaciora quodammodo redduntur.'' Ein Beispiel für die katastrophalen Folgen der Anwendung menschlicher Vernunft auf himmlische Wahrheiten ist laut dem Kommentar zum lateinischen Nikephoros der Arianismus: Mit Aussagen wie denen, dass es eine Zeit vor Jesus gegeben habe (ἦν ὅτ' οὐκ ἦν), dass dieser aus dem Nichts geschaffen worden sei (ἐκ τῶν οὐκ ὄντων ἐγένετο) und dass Jesus vor seiner Zeugung nicht existiert habe (πρὸ τοῦ γεννηθῆναι οὐκ ἦν), kurz dass Jesus Geschöpf Gottes und damit nicht mit diesem ewig sei, habe Arius großen Schaden angerichtet; indem er, ob bösen oder guten Willens, versucht habe, menschliche Argumentationsweise in die christliche Lehre einzubringen, habe er sich dem Teufel als Werkzeug erboten ([[Erwähntes Werk::OC 0677]], [[Nikephoros, Chronologia, 1561]], 41f.: ''Unde discere debemus, quam nocens et perniciosa res sit rationis humanae artificium et architectura in dogmatis divinis. Sive enim malicae, seu quodam non impio consilio, perverso tamen studio, ille [sc. Arius] hanc conatus fuit in Ecclesiam ''[sic]'' doctrinam invehere, praebuit se Diabolo hosti Ecclesiae organum ad effectionem multorum malorum, et ingentium perturbationum, quae postea variae secundum diversimodi hominum petulantia ingenia extiterunt'').</ref>
Wenn menschliche Beredsamkeit versuche, göttliche Lehre neu zu formulieren, müsse es notwendigerweise zu Kontaminierungen kommen, und je gründlicher der theologische Stoff rhetorisch überarbeitet würde, desto profaner würde er dadurch.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 19: ''Nam quo accuratius expoliuntur [sc. ea quae intelligentiam animi nostri excedunt], eo inter tractandum profaniora quodammodo redduntur.'' Ein Beispiel für die katastrophalen Folgen der Anwendung menschlicher Vernunft auf himmlische Wahrheiten ist laut dem Kommentar zum lateinischen Nikephoros der Arianismus: Mit Aussagen wie denen, dass es eine Zeit vor Jesus gegeben habe (ἦν ὅτ' οὐκ ἦν), dass dieser aus dem Nichts geschaffen worden sei (ἐκ τῶν οὐκ ὄντων ἐγένετο) und dass Jesus vor seiner Zeugung nicht existiert habe (πρὸ τοῦ γεννηθῆναι οὐκ ἦν), kurz dass Jesus Geschöpf Gottes und damit nicht mit diesem ewig sei, habe Arius großen Schaden angerichtet; indem er, ob bösen oder guten Willens, versucht habe, menschliche Argumentationsweise in die christliche Lehre einzubringen, habe er sich dem Teufel als Werkzeug erboten ([[Erwähntes Werk::OC 0677]], [[Nikephoros, Chronologia, 1561]], 41f.: ''Unde discere debemus, quam nocens et perniciosa res sit rationis humanae artificium et architectura in dogmatis divinis. Sive enim malicae, seu quodam non impio consilio, perverso tamen studio, ille [sc. Arius] hanc conatus fuit in Ecclesiam ''[sic]'' doctrinam invehere, praebuit se Diabolo hosti Ecclesiae organum ad effectionem multorum malorum, et ingentium perturbationum, quae postea variae secundum diversimodi hominum petulantia ingenia extiterunt'').</ref>
Daher wolle Camerarius nicht den Stoff des Evangeliums neu erzählen. Die menschliche Weisheit und Eloquenz müsse sich andere Stoffe suchen und nicht versuchen, ihre irdischen Kompetenzen auf den Himmel auszuweiten (''haec ne attingat, neque terrenam facultatem in coelum proferre ausit'').<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 19.</ref>
Daher wolle Camerarius nicht den Stoff des Evangeliums neu erzählen. Die menschliche Weisheit und Eloquenz müsse sich andere Stoffe suchen und nicht versuchen, ihre irdischen Kompetenzen auf den Himmel auszuweiten (''haec ne attingat, neque terrenam facultatem in coelum proferre ausit'').<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 19.</ref>
Nur wo Erklärungen zum Verständnis nötig seien, wolle Camerarius diese vorsichtig und gewissenhaft (''timide et religiose'')<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 19.</ref>
Nur wo Erklärungen zum Verständnis nötig seien, wolle Camerarius diese vorsichtig und gewissenhaft (''timide et religiose'')<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 19.</ref>
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=====Theologie - Christologische Inhalte=====
=====Theologie - Christologische Inhalte=====
Indem Camerarius so Jesu Leben von der humanistisch-philologischen Seite aus betrachtet, vermeidet er geschickt die Kritik, die ihm andernfalls von seinem Publikum entgegenschlagen könnte, sei es, weil dieses nicht mit den von ihm geäußerten theologischen Ansichten übereinstimmte, sei es, weil er sich als Nicht-Theologe auf ein fremdes Gebiet wagte. Das bedeutet aber nicht, dass Camerarius' Jesus-Biographie von theologischen Aussagen frei wäre, im Gegenteil: Bei Äußerungen zu theologischen Details wäre Camerarius das Risiko von Anfeindungen eingegangen; doch es gab eine Reihe allgemeinerer Glaubenssätze, die wegzulassen gewiss noch schädlicher gewesen wäre: Eine Biographie, die Jesus nur als Mensch betrachtet, hätte wohl weder die Billigung der altgläubigen noch der protestantischen Seite gefunden. Gerade im Rahmen der innerprotestantischen Streitigkeiten, die eine Reihe von Streitfragen wieder aufgriffen, die schon in der Antike behandelt worden waren, sah sich Camerarius offenbar gezwungen, klarzustellen, dass er auf der richtigen Seite steht.<ref>Zur Entstehungszeit des Werks war ein Streit um antitrinitarische Gruppierungen entbrannt. Camerarius war bereits bezüglich des Athanasischen Glaubensbekenntnisses angeeckt und war daher bestrebt, keine Zweifel an seiner trinitarischen Gesinnung aufkommen zu lassen. Vgl. den Abschnitt zur ↓ [[Theologie (CamLex)#Trinitätslehre|'''Trinität''']].</ref><br>
Indem Camerarius so Jesu Leben von der humanistisch-philologischen Seite aus betrachtet, vermeidet er Kritik, sei diese in abweichenden theologischen Ansichten seines Publikums begründet oder darin, dass er als Nicht-Theologe fremdes Terrain usurpiere. Das bedeutet aber nicht, dass Camerarius' Jesus-Biographie von theologischen Aussagen frei wäre, im Gegenteil: Bei Äußerungen zu theologischen ''Details'' wäre Camerarius das Risiko von Anfeindungen eingegangen; doch es gab eine Reihe allgemeinerer Glaubenssätze, die wegzulassen gewiss noch unzuträglicher gewesen wäre: Eine Biographie, die Jesus nur als Mensch betrachtet, hätte wohl weder die Billigung der altgläubigen noch die der protestantischen Seite gefunden. Gerade im Rahmen der innerprotestantischen Streitigkeiten, die eine Reihe von Fragen wieder aufgriffen, die schon in der Antike kontrovers behandelt worden waren, sah sich Camerarius offenbar gezwungen, seinen 'rechtgläubigen Standpunkt klarzustellen.<ref>Zur Entstehungszeit des Werks war ein Streit um antitrinitarische Gruppierungen entbrannt. Camerarius war bereits bezüglich des Athanasischen Glaubensbekenntnisses angeeckt und war daher bestrebt, keine Zweifel an seiner trinitarischen Gesinnung aufkommen zu lassen. Vgl. den Abschnitt zur ↓ [[Theologie (CamLex)#Trinitätslehre|'''Trinität''']].</ref><br>
Und so betont Camerarius gleich zu Beginn, Christus und Gott seien wesensgleich (ὁμοούσιος); Jesus sei von der Jungfrau Maria geboren, jedoch von Gott vor Anbeginn der Zeit gezeugt worden.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 4.</ref>
Und so betont er gleich zu Beginn, Christus und Gott seien wesensgleich (ὁμοούσιοι); Jesus sei von der Jungfrau Maria geboren, jedoch von Gott vor Anbeginn der Zeit gezeugt worden.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 4.</ref>
Somit ist Christus zeitlos (ἄχρονος) und ohne Anfang (ἄναρχος) in der Zeit, hat jedoch seinen Anfang im Vater (ἀρχὴν, ''id est'', αἰτίαν γενέσεως ''habens'') und ist zugleich ewig (ἀειγενής).<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 6.</ref>
Somit ist Christus zeitlos (ἄχρονος) und ohne Anfang (ἄναρχος) in der Zeit, hat jedoch seinen Anfang im Vater (ἀρχὴν, ''id est'', αἰτίαν γενέσεως ''habens'') und ist zugleich ewig (ἀειγενής).<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 6.</ref>
Später nutzt Camerarius eine Übersetzung von [[Erwähnte Person::Epiphanios von Salamis|Epiphanius]]' [[Erwähntes Werk::Epiphanios von Salamis, Contra Antidicomaritas|Werk gegen die Antidikomariten]], um die zwei zentralen Aussagen noch einmal zu formulieren: So nutzt er dessen Aussagen, um sich klar gegen 'Arianismus' und Unitarismus zu positionieren, denn es sei Blasphemie, das Wesen Gottes und Jesu voneinander zu trennen (''abalienare'') und betont umgekehrt, dass die entgegengesetzte Argumentation, nach der Vater, Sohn und Heiliger Geist ununterscheidbar (''idem'') seien, ebenso falsch sei und Jesus allzu viel Verehrung zukommen lasse.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 83: ''Nam qui in filium DEI blasphemi sunt, ... ii abalienare naturam huius a patris Deitate cupide studuerunt. Alii autem contra diversa sententia evecti tanquam ad ampliorem cultum, eundem esse hunc et patrem dixere. Itemque eundem filium et SPIRITUM sanctum. Est autem in his ambabus partibus plaga insanabilis.'' Der griechische Text bei Epiphanios lautet (Panarion 23): Οἱ μὲν γὰρ εἰς τὸν υἱὸν βλασφημοῦντες, καθάπερ μοι ἄνω προδεδήλωται, φύσει ἀπαλλοτριοῦν αὐτὸν τῆς τοῦ πατρὸς θεότητος ἐφιλοτιμήσαντο· ἄλλοι δὲ πάλιν ἑτέρως φρονήσαντες, ὡς δῆθεν τιμῆσαι περισσοτέρως προαχθέντες, τὸν αὐτὸν εἶναι πατέρα εἶπον καὶ τὸν αὐτὸν υἱὸν καὶ τὸ αὐτὸ ἅγιον πνεῦμα· ἔστι δὲ τοῖς μέρεσιν ἀμφοτέροις ἀνίατος ἡ πληγή.</ref>
Später nutzt Camerarius eine Übersetzung von [[Erwähnte Person::Epiphanios von Salamis|Epiphanius]]' [[Erwähntes Werk::Epiphanios von Salamis, Contra Antidicomaritas|Werk gegen die Antidikomariten]], um die zwei zentralen Aussagen noch einmal zu formulieren: So positioniert er mit einem Zitat sich deutlich gegen 'Arianismus' und Unitarismus, da es Blasphemie sei, das Wesen Gottes und Jesu voneinander zu trennen (''abalienare''), und er betont umgekehrt, dass die entgegengesetzte Argumentation, nach der Vater, Sohn und Heiliger Geist ununterscheidbar (''idem'') seien, ebenso falsch sei und Jesus allzu viel Verehrung zukommen lasse.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 83: ''Nam qui in filium DEI blasphemi sunt, ... ii abalienare naturam huius a patris Deitate cupide studuerunt. Alii autem contra diversa sententia evecti tanquam ad ampliorem cultum, eundem esse hunc et patrem dixere. Itemque eundem filium et SPIRITUM sanctum. Est autem in his ambabus partibus plaga insanabilis.'' Der griechische Text bei Epiphanios lautet (Panarion 23): Οἱ μὲν γὰρ εἰς τὸν υἱὸν βλασφημοῦντες, καθάπερ μοι ἄνω προδεδήλωται, φύσει ἀπαλλοτριοῦν αὐτὸν τῆς τοῦ πατρὸς θεότητος ἐφιλοτιμήσαντο· ἄλλοι δὲ πάλιν ἑτέρως φρονήσαντες, ὡς δῆθεν τιμῆσαι περισσοτέρως προαχθέντες, τὸν αὐτὸν εἶναι πατέρα εἶπον καὶ τὸν αὐτὸν υἱὸν καὶ τὸ αὐτὸ ἅγιον πνεῦμα· ἔστι δὲ τοῖς μέρεσιν ἀμφοτέροις ἀνίατος ἡ πληγή.</ref>
Beide Formen des Antitrinitarismus sind somit abzulehnen.<br>
Beide Formen des Antitrinitarismus seien somit abzulehnen.<br>
Mit seiner Geburt sei Jesus Mensch geworden, ohne dadurch jedoch aufzuhören, Gott zu sein, und habe die Sünde auf sich übertragen, um so die Menschen zu befreien und mit Gott zu versöhnen. Damit eröffnet Jesus den Menschen den Weg zum Heil, das nur erreichen kann, wer Jesus folgt.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 5, 48f. Wie Camerarius an anderer Stelle ebenfalls um 1565 darlegt, hatte Jesu Tod zugleich zur Folge, dass die Macht der Dämonen, die die Menschen lange Zeit beherrscht hatten, gebrochen wurde: ''Atque ab his [sc. daemonibus] caussa tandem data fuit mortis, qua per summam contumeliam tolleretur e medio [sc. Iesus]. Qua quidem morte eorum vis et potestas peremta est, et mortuus hic atque sepultus, cum mox diuina potentia excitatus revixisset, vitam amissam reconciliata Dei aeterni gratia hominibus restituit: Tunc igitur et potentia ista [sc. daemonum] fracta, et regnum ereptum, et in contrarium cuncta fuere conuersa'' ([[Erwähntes Werk::OC 0763]], [[Erwähntes Werk::Plutarch, De natura et effectionibus daemonum, 1565]], Bl. C5r). Vgl. auch den Artikel zu → [[Mantik und Magie (CamLex)#Ein Kessel Magisches|'''Mantik und Magie''']].</ref><br>
Mit seiner Geburt sei Jesus Mensch geworden, aber Gott geblieben, und habe die Sünde auf sich übertragen, um so die Menschen zu befreien und mit Gott zu versöhnen. Damit eröffnet Jesus den Menschen den Weg zum Heil, das nur erreichen kann, wer ihm folgt.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 5, 48f. Wie Camerarius an anderer Stelle ebenfalls um 1565 darlegt, hatte Jesu Tod zugleich zur Folge, dass die Macht der Dämonen, die die Menschen lange Zeit beherrscht hatten, gebrochen wurde: ''Atque ab his [sc. daemonibus] caussa tandem data fuit mortis, qua per summam contumeliam tolleretur e medio [sc. Iesus]. Qua quidem morte eorum vis et potestas peremta est, et mortuus hic atque sepultus, cum mox diuina potentia excitatus revixisset, vitam amissam reconciliata Dei aeterni gratia hominibus restituit: Tunc igitur et potentia ista [sc. daemonum] fracta, et regnum ereptum, et in contrarium cuncta fuere conuersa'' ([[Erwähntes Werk::OC 0763]], [[Erwähntes Werk::Plutarch, De natura et effectionibus daemonum, 1565]], Bl. C5r). Vgl. auch den Artikel zu → [[Mantik und Magie (CamLex)#Ein Kessel Magisches|'''Mantik und Magie''']].</ref><br>
Maria ist die unberührte ewige Jungfrau (''intacta et perpetua castitate pura virgo''),<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 5.</ref>
Maria ist die unberührte ewige Jungfrau (''intacta et perpetua castitate pura virgo''),<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 5.</ref>
und, wie Camerarius unmissverständlich betont, sie ist nicht göttlich, sondern ein Mensch: ''[Maria] habuit ... [Iosephum] assiduum atque diligentissimum socium educationis et curae filii DEI et '''hominis, id est sui'''.''<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 5f.</ref>
und, wie Camerarius unmissverständlich betont, sie ist nicht göttlich, sondern ein Mensch: ''[Maria] habuit ... [Iosephum] assiduum atque diligentissimum socium educationis et curae filii DEI et '''hominis, id est sui'''.''<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 5f.</ref>
Ob sie mit oder ohne ihren Körper in das Himmelreich aufgenommen wurde, möchte Camerarius dagegen explizit nicht entscheiden, da keine der beiden Varianten durch die Bibel gestützt werde.<ref>''Ac potius castissimae virginis memoriam colere nunc quidem sive una cum corpore seu absque hoc assumtae in vitam aeternam a filio. Id quod ideo utrunque posui quia neutrum iis literis quarum est sancta autoritas mandatum legitur'' ([[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 40). Vgl. auch ebd., 76.</ref>
Ob sie mit oder ohne ihren Körper in das Himmelreich aufgenommen wurde, möchte Camerarius dagegen explizit nicht entscheiden, da keine der beiden Varianten durch die Bibel gestützt werde.<ref>''Ac potius castissimae virginis memoriam colere nunc quidem sive una cum corpore seu absque hoc assumtae in vitam aeternam a filio. Id quod ideo utrunque posui quia neutrum iis literis quarum est sancta autoritas mandatum legitur'' ([[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 40). Vgl. auch ebd., 76.</ref>
Lehren, die Marias Rolle feiern und ihrem Andenken dienen, akzeptiert er; solche jedoch, die ihr Andenken beleidigen, seien abzulehnen. Keinesfalls sei Maria als Göttin zu verehren, wie es manche in Vergangenheit und Gegenwart, wenn nicht in Worten, so doch in Taten getan hätten.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 40.</ref>
Lehren, die Marias Rolle herausheben und ihrem Andenken dienen, seien zu akzeptieren; solche jedoch, die ihr Andenken beleidigen, seien abzulehnen. Keinesfalls jedoch sei Maria als göttlich zu verehren, wie es manche in Vergangenheit und Gegenwart, wenn explizit nicht in Worten, so doch in Taten getan hätten.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 40.</ref>
Die falsche Verehrung (''perversa veneratio'') Marias durch Bildnisse, Opfer und Votivgaben lehnt Camerarius als Aberglaube (''superstitio'') ab, der die Kirche schon seit Jahrhunderten heimsuche.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 81f.</ref><br>
Die falsche Verehrung (''perversa veneratio'') Marias durch Bildnisse, Opfer und Votivgaben lehnt Camerarius als Aberglaube (''superstitio'') ab, der die Kirche schon seit Jahrhunderten heimsuche.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 81f.</ref><br>
Allgemein kritisiert Camerarius die bildliche Darstellung von Jesus, Maria und ihrem Umfeld:<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 79ff.</ref>
Allgemein kritisiert Camerarius die bildliche Darstellung von Jesus, Maria und ihrem Umfeld:<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 79ff.</ref>
Bilder seien nur solange unproblematisch, wie die Lehre rein sei. Wie die Einfachheit der biblischen Sprache für Camerarius notwendig ist, um den Menschen die göttliche Wahrheit nahezubringen, und nicht durch übermäßige rhetorische Mittel verfälscht werden darf, so gilt auch für die Bilder, dass die reine Wahrheit zu erhalten und nicht durch menschliche Ausschmückungen zu überdecken ist.<ref>''Neve veritatis pulcritudinem ac decus contaminent atque polluant aspersis mendaciorum maculis'' ([[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 86). Als Beispiel nennt Camerarius mit Bezug auf Platon (wohl nach Hipp. mai. 290 a ff. und 295 c) die Augen der Statuen, die nicht in grellen Farben wie Gold und Purpur zu bemalen seien, sondern in natürlichen Farben, sodass sie als Augen erkennbar seien.</ref>
Bilder seien zwar selbst in übertriebener Darstellung unproblematisch, solange die kirchliche Lehre rein sei; sobald diese allerdings kontaminiert sei, beschleunigten prächtige Darstellungen den Niedergang, da sie Fehler in der Lehre überstrahlen.<ref>Wieder bezogen auf das Thema der Marien- und Heiligenverehrung schwebte Camerarius vermutlich etwa vor, dass besonders prunkvolle Darstellungen Marias und der Heiligen leichter dazu verleiten konnten, diese als göttlich zu verehren, sobald die Vorstellung von der Möglichkeit solcher Verehrung einmal Eingang in die kirchliche Lehre gefunden und diese so kontaminiert hat.</ref>
Wie die Einfachheit der biblischen Sprache für Camerarius notwendig ist, um den Menschen die göttliche Wahrheit nahezubringen, die nicht durch übermäßige rhetorische Mittel verfälscht werden darf, so gilt auch für die Bilder, dass die reine Wahrheit zu erhalten und nicht durch menschliche Ausschmückungen zu überdecken ist.<ref>''Neve veritatis pulcritudinem ac decus contaminent atque polluant aspersis mendaciorum maculis'' ([[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 86). Als Beispiel nennt Camerarius mit Bezug auf Platon (wohl nach Hipp. mai. 290 a ff. und 295 c) die Augen der Statuen, die nicht in grellen Farben wie Gold und Purpur zu bemalen seien, sondern in natürlichen Farben, sodass sie als Augen erkennbar seien.</ref>


=====Die Nachwirkung - Camerarius' Werk als Geschichtswerk=====
=====Die Nachwirkung - Camerarius' Werk als Geschichtswerk=====
Eines der wenigen unmittelbaren Zeugnisse von Reaktionen auf Camerarius' Jesus-Biographie ist der Brief, den sein ehemaliger Schüler [[Erwähnte Person::Matthias Stojus]] am 21.02.1566 schrieb: Darin bedankt sich Stojus für das Exemplar der Biographie, das Camerarius ihm offenbar zugeschickt hatte, und bedauert, es noch nicht lesen zu können, da [[Erwähnte Person::David Voit]] es ihm sogleich aus der Hand gerissen habe. Allerdings hatte Stojus offenbar immerhin zumindest einen Blick in das Buch werfen können; sein Urteil über das gesehene fällt positiv aus: Camerarius' Schilderungen stimmten hervorragend mit denen der Bibel überein und würden die Fiktionalität der Erzählungen anderer beweisen.<ref>''Libellum tuarum narrationum de Vita CHRISTI et Apostolorum accepi, pro quo tibi gratias ago maximas. Arbitror enim illa Sacris literis maxime consentanea esse adeoque exquisiti iudicii et doctrinae ut temere confictae narrationes aliorum facile ostendantur ac refutentur. Avide itaque lecturus eram libellum nisi D. Davides Voit noster illum mihi e manibus eripuisset, ut perlegendo me anteverteret'' (Briefsammlung Trew, Sign. [https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:29-bv043954193-3H62/TREWBR STOIUS_MATTHIAS[30]). Die Korrespondenz von Camerarius und Stojus untersucht Alexander Hubert ausführlich in seiner am Camerariusprojekt angesiedelten Dissertation.</ref><br>
Eines der wenigen unmittelbaren Zeugnisse von Reaktionen auf Camerarius' Jesus-Biographie ist der Brief, den sein ehemaliger Schüler [[Erwähnte Person::Matthias Stojus]] am 21.02.1566 schrieb: Darin bedankt sich Stojus für das Exemplar der Biographie, das Camerarius ihm offenbar zugeschickt hatte, und bedauert, es noch nicht lesen zu können, da [[Erwähnte Person::David Voit]] es ihm sogleich aus der Hand gerissen habe. Allerdings hatte Stojus offenbar immerhin zumindest einen Blick in das Buch werfen können; sein Urteil über das Gesehene fällt positiv aus: Camerarius' Schilderungen stimmten hervorragend mit denen der Bibel überein und würden die Fiktionalität der Erzählungen anderer beweisen.<ref>''Libellum tuarum narrationum de Vita CHRISTI et Apostolorum accepi, pro quo tibi gratias ago maximas. Arbitror enim illa Sacris literis maxime consentanea esse adeoque exquisiti iudicii et doctrinae ut temere confictae narrationes aliorum facile ostendantur ac refutentur. Avide itaque lecturus eram libellum nisi D. Davides Voit noster illum mihi e manibus eripuisset, ut perlegendo me anteverteret'' (Briefsammlung Trew, Sign. STOIUS_MATTHIAS[30, Digitalisat unter https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:29-bv043954193-3H62/TREWBR ). Die Korrespondenz von Camerarius und Stojus untersucht Alexander Hubert ausführlich in seiner am Camerariusprojekt angesiedelten Dissertation.</ref><br>
Ansonsten scheint Camerarius' Jesus-Vita vor allem als historiographisches Werk rezipiert worden zu sein, was angesichts ihrer Rezeption als solches nur natürlich erscheint. [[Erwähnte Person::Joachim von Beust]] zitiert Camerarius in seiner 1591 gedruckten [[Erwähntes Werk::Beust, Orthodoxa enarratio Evangeliorum, 1591|"Orthodoxa enarratio"]] als Quelle zum Leben des Paulus<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::Beust, Orthodoxa enarratio Evangeliorum, 1591]], 65.</ref>
Ansonsten scheint Camerarius' Jesus-Vita vor allem als historiographisches Werk rezipiert worden zu sein, was angesichts ihrer Rezeption als solches nur natürlich erscheint. [[Erwähnte Person::Joachim von Beust]] zitiert Camerarius' Apostel-Viten in seiner 1591 gedruckten [[Erwähntes Werk::Beust, Orthodoxa enarratio Evangeliorum, 1591|"Orthodoxa enarratio"]] als Quelle zum Leben des Paulus<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::Beust, Orthodoxa enarratio Evangeliorum, 1591]], Bd. 3, 65.</ref>
sowie zur Identität des Judas Thaddäus.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::Beust, Orthodoxa enarratio Evangeliorum, 1591]], 248f.</ref>
sowie zur Identität des Judas Thaddäus.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::Beust, Orthodoxa enarratio Evangeliorum, 1591]], Bd. 3, 248f.</ref>
Auf Camerarius' genealogische Arbeiten stützen sich zwei spätere Werke: Eine 1685 von Johann Georg Kulpis herausgegebenen Kompilation von Werken zur deutschen Geschichte enthält neben zahlreichen anderen Werken auch das "Chronicon" des Albert von Stade; zu dem Abschnitt, an dem der Autor Jesu Abstammung behandelt und dies mit einem Stammbaum illustriert, notiert der Herausgeber: ''Potiorem de hac genealogia sententiam ducimus, quam sequitur Camerarius de vita Christi pag[ina] 41 et seq[uentibus].''<ref>[[Kulpis 1685]], 141.</ref>
Auf Camerarius' genealogische Arbeiten stützen sich zwei spätere Werke: Eine 1685 von Johann Georg Kulpis herausgegebene Kompilation von Werken zur deutschen Geschichte enthält neben zahlreichen anderen Werken auch das "Chronicon" des Albert von Stade; zu dem Abschnitt, an dem der Autor Jesu Abstammung behandelt und dies mit einem Stammbaum illustriert, notiert der Herausgeber: ''Potiorem de hac genealogia sententiam ducimus, quam sequitur Camerarius de vita Christi pag[ina] 41 et seq[uentibus].''<ref>[[Kulpis 1685]], 141.</ref>
Ebenso verwendet der katholische Priester und Archäologe Jean-Jacques Bourassé in seinem polemischen Werk zur Jungfrau Maria Camerarius als Autorität gegen die Lutheraner, die keine Aussagen über Marias Abstammung anerkennen, die sich nicht anhand der Bibel belegen lassen: Schon Epiphanius und Augustinus hätten zur Ergänzung der Lehre der Heiligen Schrift auf die Autorität der Kirche verwiesen und auch die Lutheraner könnten nicht so viele Bücher füllen, wenn sie sich nicht in Teilen auf diese stützten. Marias Abstammung sei gut belegt und es gebe keinen Grund, gerade bei diesem Thema nur die Bibel als Quelle akzeptieren zu wollen, wie es Luther einst getan habe. Als eines der Beispiele für protestantische Gelehrte, die in dieser Frage von ihrem Lehrer Luther abweichen, führt Bourassé Joachim Camerarius an.<ref>Vgl. [[Bourassé 1862]], Sp. 674f.</ref>
Ebenso verwendet der katholische Priester und Archäologe Jean-Jacques Bourassé in seinem polemischen Werk über die Jungfrau Maria Camerarius als Autorität gegen die Lutheraner, die keine Aussagen über Marias Abstammung anerkennen, die sich nicht anhand der Bibel belegen lassen: Schon Epiphanius und Augustinus hätten zur Ergänzung der Lehre der Heiligen Schrift auf die Autorität der Kirche verwiesen und auch die Lutheraner könnten nicht so viele Bücher füllen, wenn sie sich nicht in Teilen auf diese stützten. Marias Abstammung sei gut belegt und es gebe keinen Grund, gerade bei diesem Thema nur die Bibel als Quelle akzeptieren zu wollen, wie es Luther einst getan habe. Als eines der Beispiele für protestantische Gelehrte, die in dieser Frage von ihrem Lehrer Luther abweichen, führt Bourassé Joachim Camerarius an.<ref>Vgl. [[Bourassé 1862]], Sp. 674f.</ref>
Dabei kehrt er freilich Camerarius' Absicht um, der zwar die Benutzung der antiken Autoren empfahl, diese aber ja gerade nicht als unfehlbare Autoritäten sah.
Dabei kehrt er freilich Camerarius' Absicht um, der zwar die Benutzung der antiken Autoren empfahl, diese aber ja gerade nicht als unfehlbare Autoritäten sah.


====Zeitgeschichte - Camerarius' Geschichte der Böhmischen Brüder====
====Zeitgeschichte - Camerarius' Geschichte der Böhmischen Brüder (1605)====
=====Der Kontakt zu den Böhmischen Brüdern=====
=====Der Kontakt zu den Böhmischen Brüdern=====
Camerarius' Hinwendung zur jüngeren Vergangenheit in seiner [[Erwähntes Werk::OC 0949|Geschichte der Böhmischen Brüder]] ist das Resultat langjähriger Kontakte zwischen dieser Organisation und den sächsischen Protestanten. [[Erwähnte Person::Martin Luther]]s Verhältnis zu den Brüdern war im Laufe seines Lebens einem starken Wandel unterworfen; nach anfänglicher Skepsis, die noch von Luthers Erziehung als Mönch geprägt war, öffnete er sich ab den 1520er Jahren zunehmend der Bewegung, gerade zu einer Zeit, als sich umgekehrt in Böhmen eine neue Generation immer mehr Wittenberg zuwandte.<ref>Vgl. [[Molnár 1981]], 4ff.</ref>
Camerarius' Hinwendung zur jüngeren Vergangenheit in seiner [[Erwähntes Werk::OC 0949|Geschichte der Böhmischen Brüder]] ist das Resultat langjähriger Kontakte zwischen dieser Organisation und den sächsischen Protestanten. [[Erwähnte Person::Martin Luther]]s Verhältnis zu den Brüdern war im Laufe seines Lebens einem starken Wandel unterworfen; nach anfänglicher Skepsis, die noch von Luthers Erziehung als Mönch geprägt war, öffnete er sich ab den 1520er Jahren zunehmend der Bewegung, gerade zu einer Zeit, als sich umgekehrt in Böhmen eine neue Generation immer mehr Wittenberg zuwandte.<ref>Vgl. [[Molnár 1981]], 4ff.</ref>
Auch wenn Luther und die Unität<ref>Die Böhmischen Brüder maßten sich niemals die Bezeichnung einer Kirche an, da sie diesen Begriff für die universelle christliche Kirche reservierten; sie selbst bezeichneten sich als Unität (lat. ''unitas'', tsch. ''jednota'') von Brüdern (vgl. [[Molnár 1951]], 102).</ref>
Auch wenn Luther und die Unität<ref>Die Böhmischen Brüder maßten sich niemals die Bezeichnung einer Kirche an, da sie diesen Begriff universellen christlichen Kirche vorbehielten; sie selbst bezeichneten sich als Unität (lat. ''unitas'', tsch. ''jednota'') von Brüdern (vgl. [[Molnár 1951]], 102).</ref>
nie wirklich enge Freunde wurden und Luther seine eigene Lehre als die korrekte sah, waren die Böhmischen Brüder für ihn doch der Wahrheit recht nahe. [[Erwähnte Person::Philipp Melanchthon]] schätzte die Brüder bereits 1535 und sah in den wesentlichen Inhalten keine bedeutenden Unterschiede zur Lehre der Lutheraner.<ref>Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regesten.html MBW - Regesten online], Nr. 1559.</ref>
keine engeren Beziehungen aufbauten und Luther seine eigene Lehre als die richtige sah, standen die Böhmischen Brüder für ihn doch der Wahrheit recht nahe. [[Erwähnte Person::Philipp Melanchthon]] schätzte die Brüder, wie bereits ein Brief an dieselben von 1535 belegt, und sah in den wesentlichen Inhalten keine bedeutenden Unterschiede zur Lehre der Lutheraner.<ref>Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regesten.html MBW - Regesten online], Nr. 1559.</ref>
Im Streben nach Anerkennung nährte sich auch die Unität ihrerseits in ihrem Bekenntnis von 1535 deutlich an Luther an; dieses Bekenntnis wurde nach weiteren Überarbeitungen im Sinne Luthers 1538 mit einem Vorwort desselben in Wittenberg gedruckt. Darin distanziert sich Luther deutlich von seiner früheren Ablehnung der Unität, die seinem früheren 'Papismus' geschuldet gewesen sei; dass manche Riten und Zeremonien der Brüder von denen der Protestanten abwichen, sei nur eine natürliche Folge der geografischen und kulturellen Verschiedenheit: Nie hätten alle Kirchen in allen Riten übereingestimmt.<ref>Vgl. [[Molnár 1981]], 13 und [https://gateway-bayern.de/VD16+C+4825 VD16 C 4825].</ref><br>
Im Streben nach Anerkennung hatte sich die Unität in ihrem Bekenntnis von 1535 deutlich an Luther angenähert; dieses Bekenntnis wurde nach weiteren Überarbeitungen im Sinne Luthers 1538 mit einem Vorwort desselben in Wittenberg gedruckt. Darin distanziert sich Luther deutlich von seiner früheren Ablehnung der Unität, die seinem früheren 'Papismus' geschuldet gewesen sei; dass manche Riten und Zeremonien der Brüder von denen der Protestanten abwichen, sei nur eine natürliche Folge der geografischen und kulturellen Verschiedenheit: Nie hätten alle Kirchen in allen Riten übereingestimmt.<ref>Vgl. [[Molnár 1981]], 13 und [https://gateway-bayern.de/VD16+C+4825 VD16 C 4825].</ref><br>
Mit [[Erwähnte Person::Caspar Peucer]] gab es in Camerarius' Umfeld zudem eine weitere Person, die den Böhmischen Brüdern gegenüber überaus aufgeschlossen war: Anders als bei Luther und Melanchthon war der Grund für Peucer keine theologischen Argumente, sondern seine Herkunft: Gebürtig stammte Peucer aus [[Erwähnter Ort::Bautzen]], seine Muttersprache war das Sorbische;<ref>So Peucer selbst in einem Brief an [[Erwähnte Person::Jan Blahoslav]] vom 19.06.1566 (vgl. http://www.aerztebriefe.de/id/00051842 ), unvollständig abgedruckt in [[Benz 1971]], 132, vollständig in [[Gindely 1859]], 289. Er gibt darin zu, dass er die Sprache nicht mehr fließend spreche, aber sich bemühe, sie zu üben, und ihre vollständige Beherrschung sogar der der üblichen Bildungssprachen (ohne konkrete Nennungen) vorziehen würde: ''Nam et henetam linguam, in qua natus sum, interdum per otium repetere conor et sane integram malim, quam ex illis aliquam, quae a nostris hominibus sumptibus magnis, sed ambitione quadam magis, quam fructu discuntur.'' Vgl. auch [[Roebel 2012]], 16 (mit Anm. 10), 29, 95.</ref>
Mit [[Erwähnte Person::Caspar Peucer]] gab es in Camerarius' Umfeld zudem eine weitere Person, die den Böhmischen Brüdern gegenüber überaus aufgeschlossen war: Anders als bei Luther und Melanchthon waren der Grund für Peucer keine theologischen Argumente, sondern seine Herkunft: Gebürtig stammte Peucer aus [[Erwähnter Ort::Bautzen]], seine Muttersprache war das Sorbische;<ref>So Peucer selbst in einem Brief an [[Erwähnte Person::Jan Blahoslav]] vom 19.06.1566 (vgl. http://www.aerztebriefe.de/id/00051842 ), unvollständig abgedruckt in [[Benz 1971]], 132, vollständig in [[Gindely 1859]], 289. Er gibt darin zu, dass er die Sprache nicht mehr fließend spreche, aber sich bemühe, sie präsent zu halten, und ihre vollständige Beherrschung sogar der der üblichen Bildungssprachen (ohne konkrete Nennungen) vorziehen würde: ''Nam et henetam linguam, in qua natus sum, interdum per otium repetere conor et sane integram malim, quam ex illis aliquam, quae a nostris hominibus sumptibus magnis, sed ambitione quadam magis, quam fructu discuntur.'' Vgl. auch [[Roebel 2012]], 16 (mit Anm. 10), 29, 95. Vgl. hierzu Melanchthons Lob für Melchior Wins, der seinen Sohn Tschechisch lernen lasse; diese Sprache ziehe auch Melanchthon der Französischen vor.</ref>
Peucers Dialekt war dem Tschechischen ähnlich genug, dass er eine tschechische Bibelübersetzung als eine Übersetzung in "unsere Sprache" (''nostra lingua'') bezeichnete.<ref>Vgl. [[Benz 1971]], 129ff. und [[Roebel 2012]], 97.</ref>
Peucers Dialekt war dem Tschechischen ähnlich genug, dass er eine tschechische Bibelübersetzung als eine Übersetzung in "unsere Sprache" (''nostra lingua'') bezeichnete.<ref>Vgl. [[Benz 1971]], 129ff. und [[Roebel 2012]], 97.</ref>
Immer wieder übernahm Peucer daher Übersetzungsarbeiten aus dem Slawischen für Philipp Melanchthon; zugleich fungierte er als Anlaufstelle für Besucher Wittenbergs aus dem slawischen Raum und kümmerte sich besonders um die aus slawischen Gebieten stammenden Studenten in Wittenberg.<ref>Vgl. [[Roebel 2012]], 96f.</ref>
Immer wieder übernahm Peucer daher Übersetzungsarbeiten aus dem Slawischen für Philipp Melanchthon; zugleich fungierte er in Wittenberg als Anlaufstelle für Besucher aus dem slawischen Raum und kümmerte sich besonders um die aus slawischen Gebieten stammenden Studenten in Wittenberg.<ref>Vgl. [[Roebel 2012]], 96f.</ref>
Somit war es wohl eher das Ergebnis eines gewissen Zugehörigkeitsgefühls denn theologischer Übereinstimmung, dass Peucer "während der ganzen Zeit seines Wittenberger Aufenthaltes als Beschützer der böhmischen Brüder aufgetreten und der ständige Fürsprecher ihrer verschiedenen kirchlichen, theologischen und auch persönlichen Anliegen gewesen ist, und daß ihn während der ganzen Zeit eine enge Freundschaft mit den verschiedenen Führern und geistigen Häuptern der Brüder verband".<ref>[[Benz 1971]], 133.</ref>
Somit war es wohl eher das Ergebnis eines gewissen Zugehörigkeitsgefühls denn theologischer Übereinstimmung, dass Peucer "während der ganzen Zeit seines Wittenberger Aufenthaltes als Beschützer der böhmischen Brüder aufgetreten und der ständige Fürsprecher ihrer verschiedenen kirchlichen, theologischen und auch persönlichen Anliegen gewesen ist, und daß ihn während der ganzen Zeit eine enge Freundschaft mit den verschiedenen Führern und geistigen Häuptern der Brüder verband".<ref>[[Benz 1971]], 133.</ref>


Joachim Camerarius selbst war mit den Böhmischen Brüdern spätestens 1540 in Berührung gekommen: Damals hatte die Unität ihren Bruder Matthias Erythraeus (Červenka) zu [[Erwähnte Person::Martin Bucer]] nach Straßburg entsandt.<ref>Zu den Beziehungen zwischen Martin Bucer und den Böhmischen Brüdern vgl. [[Molnár 1951]].</ref>
Joachim Camerarius selbst war mit den Böhmischen Brüdern spätestens 1540 in Kontakt gekommen: Damals hatte die Unität ihren Bruder Matthias Erythraeus (Červenka) zu [[Erwähnte Person::Martin Bucer]] nach Straßburg entsandt.<ref>Zu den Beziehungen zwischen Martin Bucer und den Böhmischen Brüdern vgl. [[Molnár 1951]].</ref>
Am dritten Tag des Aufenthalts wurde die Gesandtschaft von [[Erwähnte Person::Wolfgang Capito]] zu einem Essen eingeladen, bei dem auch mehrere andere Gelehrte zugegen waren. Unter diesen befanden sich neben Bucer und Capito selbst auch [[Erwähnte Person::Caspar Hedio]], [[Erwähnte Person::Johannes Sturm]], [[Erwähnte Person::Johannes Calvin]] und eben Joachim Camerarius.<ref>Vgl. Erythraeus' eigenen Bericht in [[Gindely 1859]], 37 (deutsche Übersetzung), 62 (tschechisches Original). Camerarius' Aufenthalt in Straßburg bezeugt ein [[OCEp 1019|Brief]] an Daniel Stiebar vom 10. Juni (vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 1019]]).</ref>
Am dritten Tag des Aufenthalts wurde die Gesandtschaft von [[Erwähnte Person::Wolfgang Capito]] zu einem Essen eingeladen, bei dem auch mehrere andere Gelehrte zugegen waren. Unter diesen befanden sich neben Bucer und Capito selbst auch [[Erwähnte Person::Caspar Hedio]], [[Erwähnte Person::Johannes Sturm]], [[Erwähnte Person::Johannes Calvin]] und eben Joachim Camerarius.<ref>Vgl. Erythraeus' eigenen Bericht in [[Gindely 1859]], 37 (deutsche Übersetzung), 62 (tschechisches Original). Camerarius' Aufenthalt in Straßburg bezeugt ein [[OCEp 1019|Brief]] an Daniel Stiebar vom 10. Juni (vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 1019]]).</ref>
1556 traf er zudem den Unitätspriester [[Erwähnte Person::Jan Blahoslav]], als dieser von [[Erwähnter Ort::Magdeburg]] über [[Erwähnter Ort::Leipzig]] nach Böhmen zurückreiste;<ref>Vgl. Blahoslavs Erinnerung an das Treffen in einem Brief an Camerarius vom 16.07.1571, ediert in [[Gindely 1859]], 321f. Vgl. auch [[Goll 1878]], 63, [https://melanchthon.hadw-bw.de/regesten.html MBW - Regesten online], Nr. 7845 (dat. 01.06.1556), [[Tschižewskij 1940]], 112 und [[Fritsch 2022]], 306.</ref>
1556 traf er zudem den Unitätspriester [[Erwähnte Person::Jan Blahoslav]], als dieser von [[Erwähnter Ort::Magdeburg]] über [[Erwähnter Ort::Leipzig]] nach Böhmen zurückreiste;<ref>Vgl. Blahoslavs Erinnerung an das Treffen in einem Brief an Camerarius vom 16.07.1571, ediert in [[Gindely 1859]], 321f. Vgl. auch [[Goll 1878]], 63, [https://melanchthon.hadw-bw.de/regesten.html MBW - Regesten online], Nr. 7845 (dat. 01.06.1556), [[Tschižewskij 1940]], 112 und [[Fritsch 2022]], 306.</ref>
ein weiteres Treffen mit diesem auf Camerarius' Rückreise von [[Erwähnter Ort::Wien]] im Jahr 1568 scheiterte.<ref>So Camerarius in einem Brief an [[Erwähnte Person::Isaiah Caepolla]] vom 25.07.1569 (vgl. [[OCEp 1426]]).</ref><br>
ein weiteres Treffen mit diesem auf Camerarius' Rückreise von [[Erwähnter Ort::Wien]] im Jahr 1568 scheiterte.<ref>So Camerarius in einem Brief an [[Erwähnte Person::Isaiah Caepolla]] vom 25.07.1569 (vgl. [[OCEp 1426]]).</ref><br>
[[Erwähnte Person::Isaiah Caepolla]], der ebenfalls den Böhmischen Brüdern angehörte, immatrikulierte sich am 23.06.1563 an der Universität Wittenberg,<ref>Vgl. [[Förstemann 1894]], 53.</ref>
[[Erwähnte Person::Isaiah Caepolla]], der ebenfalls den Böhmischen Brüdern angehörte, immatrikulierte sich am 23.06.1563 an der Universität Wittenberg,<ref>Vgl. [[Förstemann 1894]], 53.</ref>
wo Camerarius' Schwiegersohn [[Erwähnte Person::Esrom Rüdinger]] lehrte. Vermutlich lernte er während seines Studiums auch Camerarius kennen, mit dem er in der Folge brieflichen Kontakt hielt. Es ist einer dieser Briefe, der in gedruckter Form erhalten ist, in dem Camerarius seine Sympathie mit den Böhmischen Brüdern ausdrückt und bedauert, diese in ihrer schwierigen Lage nicht unterstützen zu können.<ref>Vgl. [[OCEp 1426]] (dat. 25.07.1569); Camerarius adressiert Caepolla in dem Schreiben als ''amicus''. Sein Sohn [[Joachim Camerarius II.|Joachim]] führte diesen Kontakt später fort (vgl. Caepollas Brief an diesen vom 11.09.1576 ( http://www.aerztebriefe.de/id/00009579).)</ref>
wo Camerarius' Schwiegersohn [[Erwähnte Person::Esrom Rüdinger]] lehrte. Vermutlich lernte er während seines Studiums auch Camerarius kennen, mit dem er in der Folge brieflichen Kontakt hielt. Es ist einer dieser - in gedruckter Form erhaltenen - Briefe, in dem Camerarius seine Sympathie mit den Böhmischen Brüdern ausdrückt und bedauert, diese in ihrer schwierigen Lage nicht unterstützen zu können.<ref>Vgl. [[OCEp 1426]] (dat. 25.07.1569); Camerarius adressiert Caepolla in dem Schreiben als ''amicus''. Sein Sohn [[Joachim Camerarius II.|Joachim]] führte diesen Kontakt später fort (vgl. Caepollas Brief an diesen vom 11.09.1576 ( http://www.aerztebriefe.de/id/00009579).)</ref>
Außerdem erfahren wir dort, dass Caepolla Camerarius Gesangbücher als Geschenk schickte und Camerarius selbst auch tatsächlich Lieder daraus sang.<ref>Es mag sich dabei um das 1566 gedruckte deutschsprachige Gesangbuch "Kirchengeseng" der Böhmischen Brüder gehandelt haben ([https://gateway-bayern.de/VD16+XL+117 VD16 XL 117]). Zu den Gesangbüchern der Unität schreibt [[Sladká 2022]], 231: "[Die] aufwendig ausgeschmückten Gesangbücher [der Böhmischen Brüder] wurden berühmt und erfuhren eine Verbreitung quer durch alle Konfessionskirchen; die Verwendung durch Katholiken, Lutheraner und Utraquisten ist in zeitgenössischen Quellen dokumentiert." Tatsächlich scheinen die Gesangbücher ein bedeutender Teil der Selbstinzenierung und "Propaganda" der Böhmischen Brüder gewesen zu sein (ebd., 233). Von Caepolla haben sich außerdem Korrekturbögen zu einem 1569 gedruckten Gesangbuch erhalten (vgl. [[Sladká 2022]], 250).</ref>
Außerdem erfahren wir dort, dass Caepolla Camerarius Gesangbücher als Geschenk schickte und Camerarius selbst auch tatsächlich Lieder daraus sang.<ref>Es mag sich dabei um das 1566 gedruckte deutschsprachige Gesangbuch "Kirchengeseng" der Böhmischen Brüder gehandelt haben ([https://gateway-bayern.de/VD16+XL+117 VD16 XL 117]). Zu den Gesangbüchern der Unität schreibt [[Sladká 2022]], 231: "[Die] aufwendig ausgeschmückten Gesangbücher [der Böhmischen Brüder] wurden berühmt und erfuhren eine Verbreitung quer durch alle Konfessionskirchen; die Verwendung durch Katholiken, Lutheraner und Utraquisten ist in zeitgenössischen Quellen dokumentiert." Tatsächlich scheinen die Gesangbücher ein bedeutender Teil der Selbstinzenierung und "Propaganda" der Böhmischen Brüder gewesen zu sein (ebd., 233). Von Caepolla haben sich außerdem Korrekturbögen zu einem 1569 gedruckten Gesangbuch erhalten (vgl. [[Sladká 2022]], 250).</ref>
Als Caepolla im August 1571 erneut nach Deutschland reiste, nutzte Blahoslav die Gelegenheit, um Briefe an Camerarius, Rüdinger und Caspar Peucer überbringen zu lassen;<ref>Datiert auf den 16.07.1571, Edition in [[Gindely 1859]], 321f.</ref>
Als Caepolla im August 1571 erneut nach Deutschland reiste, nutzte Blahoslav die Gelegenheit, um Briefe an Camerarius, Rüdinger und Caspar Peucer überbringen zu lassen;<ref>Datiert auf den 16.07.1571, Edition in [[Gindely 1859]], 321f.</ref>
in diesem rekurriert er ebenfalls auf Camerarius' positive Einstellung seiner Kirche gegenüber, von der er unter anderem über [[Erwähnte Person::Johannes Crato]] gehört habe.<ref>Zum Kontakt zwischen Crato und Blahoslav vgl. dessen Brief an Crato vom 17.08.1568 ( http://www.aerztebriefe.de/id/00034057). Daneben hatte Blahoslav auch regelmäßigen Kontakt zu [[Erwähnte Person::Caspar Peucer]] (vgl. http://www.aerztebriefe.de/).</ref>
in dem Schreiben an Camerarius rekurriert er ebenfalls auf dessen positive Einstellung seiner Kirche gegenüber, von der er unter anderem über [[Erwähnte Person::Johannes Crato]] gehört habe.<ref>Zum Kontakt zwischen Crato und Blahoslav vgl. dessen Brief an Crato vom 17.08.1568 ( http://www.aerztebriefe.de/id/00034057). Daneben hatte Blahoslav auch regelmäßigen Kontakt zu [[Erwähnte Person::Caspar Peucer]] (vgl. http://www.aerztebriefe.de/).</ref>


Eine Reihe an Zitaten verdeutlicht Camerarius' positive Einstellung gegenüber der Unität, die für ihn offenbar eine ursprüngliche, reinere Urkirche darstellten: Esrom Rüdinger sagte dem [[Erwähnte Person::Ludwig Camerarius II.|Camerarius' Enkel Ludwig]] später, Camerarius habe sich immer gewünscht, vor seinem Tod einmal mit den Böhmischen Brüdern in Tschechien das Abendmahl zelebrieren und ihren Glauben in Aktion sehen zu können.<ref>Ludwig Camerarius an Karl von Žerotín vom 01.02.1601 (ediert in [[Hrubý 1970]], 116-118): ''nempe vovere [Camerarium] ac precari solitum dicebat [sc. Esromus], ut antequam immutabili Dei aeterni voluntate et providentia migrandum esset ipsi ex hac vita, interesse ipsi liceret Fratrum in regionibus illis coetibus et cum communione ipsorum Christiana frui, tum disciplinae, quae inter illos vigeret, integritatem conspicere.''</ref>
Eine Reihe an Zitaten verdeutlicht Camerarius' positive Einstellung gegenüber der Unität, die für ihn offenbar eine ursprüngliche, reinere Urkirche darstellte: Esrom Rüdinger sagte dem [[Erwähnte Person::Ludwig Camerarius II.|Camerarius' Enkel Ludwig]] später, dessen Großvater habe sich immer gewünscht, vor seinem Tod einmal in Tschechien die christliche Gemeinschaft der Böhmischen Brüdern zu genießen und die Reinheit ihrer Lehre in der Praxis sehen zu können.<ref>Ludwig Camerarius an Karl von Žerotín vom 01.02.1601 (ediert in [[Hrubý 1970]], 116-118): ''nempe vovere [Camerarium] ac precari solitum dicebat [sc. Esromus], ut antequam immutabili Dei aeterni voluntate et providentia migrandum esset ipsi ex hac vita, interesse ipsi liceret Fratrum in regionibus illis coetibus et cum communione ipsorum Christiana frui, tum disciplinae, quae inter illos vigeret, integritatem conspicere.''</ref>
Im Stammbuch des Wenzel Placelius schrieb Camerarius nach dem Zeugnis des Johann Lasicius sogar, wenn es irgendwo auf der Welt die wahre Kirche Jesu gebe, dann bei den Böhmischen Brüdern.<ref>''Similiter praeclarus ille Joachimus Camerarius in Academia Lipsensi Graecae linguae Professor, scriptura ornans sua, more Germanis recepto, album amicorum Wenceslaii Placelii, nobilis Bohemi, nunc apud Fratres iudicis, huius sententiae verba in eo exaravit;'' Sicubi gentium nunc est vera Christi Ecclesia, certe apud Fratres Bohemicos est. ''Quod vir tantus haud temere pronunciavit: sed quia cum de ipsis historiam concinnare haberet in animo, scire prius eum oportuit, quales ii effent de quibus scripturus erat'' ([[Erwähntes Werk::Lasicius 1649]], 122).</ref>
Im Stammbuch des Wenzel Placelius schrieb Camerarius nach dem Zeugnis des Johann Lasicius sogar, wenn es irgendwo auf der Welt die wahre Kirche Jesu gebe, dann bei den Böhmischen Brüdern.<ref>''Similiter praeclarus ille Joachimus Camerarius in Academia Lipsensi Graecae linguae Professor, scriptura ornans sua, more Germanis recepto, album amicorum Wenceslaii Placelii, nobilis Bohemi, nunc apud Fratres iudicis, huius sententiae verba in eo exaravit;'' Sicubi gentium nunc est vera Christi Ecclesia, certe apud Fratres Bohemicos est. ''Quod vir tantus haud temere pronunciavit: sed quia cum de ipsis historiam concinnare haberet in animo, scire prius eum oportuit, quales ii effent de quibus scripturus erat'' ([[Erwähntes Werk::Lasicius 1649]], 122).</ref>
Und in seiner Geschichte der Böhmischen Brüder schreibt Camerarius selbst, wer bereit sei, genau hinzuschauen und die Wahrheit zu bekennen, der werde nicht leugnen können, das bei den Böhmischen Brüdern die Kirche Christi nicht nur in Wahrheit und in der Sache selbst, sondern auch dem äußeren Anschein nach offensichtlich erhalten sei und verwaltet und geführt werde; daher werde, wer die Böhmischen Brüder kritisiert, kaum dem Verdacht des Neides und der Verleumdung entgehen können (''Sane qui attendere animum voluerint faterique verum, ii negare non poterunt, quin apud eos Christi Ecclesia non solum in veritate et re ipsa, sed manifesta etiam specie, retenta administrataque et gesta sit; ut eos reprehendentes, vix effugere invidiae et obtrectationum suspicionem posse videantur''). Zudem lobt er die Unität für ihre christlichen Tugenden und moralische Integrität, da all die Laster, die die Protestanten unter sich entzweiten, bei jener nicht aufträten.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0949]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historica narratio, 1605]], 142f.</ref><br>
Und in seiner Geschichte der Böhmischen Brüder schreibt Camerarius selbst, wer bereit sei, genau hinzusehen und die Wahrheit zu bekennen, der werde nicht leugnen können, dass bei den Böhmischen Brüdern die Kirche Christi nicht nur in Wahrheit und in der Sache selbst, sondern auch in der äußeren Form offensichtlich erhalten sei und geleitet und geführt werde; daher werde jeder Kritiker der Böhmischen Brüder kaum dem Verdacht des Neides und der Verleumdung entgehen können (''Sane qui attendere animum voluerint faterique verum, ii negare non poterunt, quin apud eos Christi Ecclesia non solum in veritate et re ipsa, sed manifesta etiam specie, retenta administrataque et gesta sit; ut eos reprehendentes, vix effugere invidiae et obtrectationum suspicionem posse videantur''). Zudem lobt er die Unität für ihre christlichen Tugenden und moralische Integrität, da all die Laster, die die Protestanten unter sich entzweiten, bei jener nicht aufträten.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0949]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historica narratio, 1605]], 142f.</ref><br>
Dabei beruft sich Camerarius auf das positive Urteil Martin Luthers: So verweist er die Gegner der Unität auf das Bekenntnis, das kürzlich (in Rüdingers Übersetzung, s. [[#Joachim Camerarius, Esrom Rüdinger und die lateinische ''confessio'' der Böhmischen Brüder|'''den folgenden Abschnitt''']]) neu aufgelegt und seinerzeit bereits von Luther abgesegnet worden sei. Wer nach Luthers Vorwort noch immer an der Orthodoxie der Brüder zweifle, hinterfrage allzu viel; wer sie aber gar anklage, der sein ein schlechter Mensch. Zwar habe Luther den Glauben der Brüder zunächst abgelehnt, weil er (als Mönch) die Wahrheit nicht gekannt habe, habe sich aber 1532 bei einem Treffen überzeugen lassen.<ref>''... Martinus Lutherus, tale prooemium curavit proponendum, ut qui post illud testimonium accurate et firmis rationibus explicatum, de religionis Fratrum sincera integritate, et pura disciplina honestate, dubitare et quaerere amplius velit, nimis curiosus; qui vero accusare adhuc illos audeat, improbus ac malus sit. Fuit autem initio M. Lutherus inscius veritatis, et ipse Fratribus iniquior. A quibus missi ad eum anno Christi M. D. XXII. quidam, ad considerationem diligentiorem commoverunt animum huius, et tunc conciliata est illius ipsis benevolentia atque amicitia, assensioque et approbatio tam dogmatum quam rituum, quae defenderent, et quos servarent'' ([[Erwähntes Werk::OC 0949]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historica narratio, 1605]], 99).</ref>
Dabei beruft sich Camerarius auf das positive Urteil Martin Luthers: So verweist er die Gegner der Unität auf das Bekenntnis, das kürzlich (in Rüdingers Übersetzung, s. [[#Joachim Camerarius, Esrom Rüdinger und die lateinische ''confessio'' der Böhmischen Brüder|'''den folgenden Abschnitt''']]) neu aufgelegt und seinerzeit bereits von Luther abgesegnet worden sei. Wer nach Luthers Vorwort noch immer an der Orthodoxie der Brüder zweifle, hinterfrage allzu viel; wer sie aber gar anklage, der sei ein schlechter Mensch. Zwar habe Luther den Glauben der Brüder zunächst abgelehnt, weil er (als Mönch) die Wahrheit nicht gekannt habe, habe sich aber 1532 bei einem Treffen überzeugen lassen.<ref>''... Martinus Lutherus, tale prooemium curavit proponendum, ut qui post illud testimonium accurate et firmis rationibus explicatum, de religionis Fratrum sincera integritate, et pura disciplina honestate, dubitare et quaerere amplius velit, nimis curiosus; qui vero accusare adhuc illos audeat, improbus ac malus sit. Fuit autem initio M. Lutherus inscius veritatis, et ipse Fratribus iniquior. A quibus missi ad eum anno Christi M. D. XXII. quidam, ad considerationem diligentiorem commoverunt animum huius, et tunc conciliata est illius ipsis benevolentia atque amicitia, assensioque et approbatio tam dogmatum quam rituum, quae defenderent, et quos servarent'' ([[Erwähntes Werk::OC 0949]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historica narratio, 1605]], 99).</ref>
Was Luther seinerzeit gegen die Religion der Brüder gesagt oder geschrieben habe, habe er später in anderen Reden und Schriften wieder korrigiert. In der Folge habe Luther die Brüder bewundert und gelobt.<ref>''Sane quicquid [Lutherus] aliquando rumusculis dissipatis assentiens, contra Fratrum religionem, aut de eis criminose contra veritatem, dixit aut scripsit, id postea aliis sermonibus atque scriptis satis superque correxit. Constatque eum huius coetus admiratorem laudatoremque maximum fuisse'' ([[Erwähntes Werk::OC 0949]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historica narratio, 1605]], 127).</ref>
Was Luther seinerzeit gegen die Religion der Brüder gesagt oder geschrieben habe, habe er später in anderen Reden und Schriften wieder korrigiert. In der Folge sei Luther der größte Bewunderer und Fürsprecher der Brüder gewesen.<ref>''Sane quicquid [Lutherus] aliquando rumusculis dissipatis assentiens, contra Fratrum religionem, aut de eis criminose contra veritatem, dixit aut scripsit, id postea aliis sermonibus atque scriptis satis superque correxit. Constatque eum huius coetus admiratorem laudatoremque maximum fuisse'' ([[Erwähntes Werk::OC 0949]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historica narratio, 1605]], 127).</ref>
An anderer Stelle referiert Camerarius eine Aussage Luthers, die das Vorbild für seinen erwähnten Stammbucheintrag bei Wenzel Placelius gewesen sein mag.<ref>''Solos prope in orbe terrarum Fratres, cum puritate doctrinae, vigorem etiam disciplinae Christi apud se restituisse; Quae laus ut eis detur, et hoc in illis opus Domini praedicetur, rem ipsam cogere'' ([[Erwähntes Werk::OC 0949]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historica narratio, 1605]], 142).</ref>
An anderer Stelle referiert Camerarius eine Aussage Luthers, die das Vorbild für seinen erwähnten Stammbucheintrag bei Wenzel Placelius gewesen sein mag.<ref>''Solos prope in orbe terrarum Fratres, cum puritate doctrinae, vigorem etiam disciplinae Christi apud se restituisse; Quae laus ut eis detur, et hoc in illis opus Domini praedicetur, rem ipsam cogere'' ([[Erwähntes Werk::OC 0949]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historica narratio, 1605]], 142).</ref>


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Das Bekenntnis der Böhmischen Brüder wurde wiederholt überarbeitet, sodass die lateinische Version, die 1538 durch Luthers Vermittlung gedruckt worden war, bald veraltet war.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 451ff. für eine Übersicht.</ref>
Das Bekenntnis der Böhmischen Brüder wurde wiederholt überarbeitet, sodass die lateinische Version, die 1538 durch Luthers Vermittlung gedruckt worden war, bald veraltet war.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 451ff. für eine Übersicht.</ref>
Außerdem erfreute sie sich wegen des allzu unreinen Stils ohnehin nur geringer Beliebtheit, wie Isaiah Caepolla selbst berichtet.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 320. Vgl. auch [[Goll 1878]], 62: "Die Latinität der früheren Confessionen entsprach keineswegs den Ansprüchen des humanistisch gebildeten Zeitalters".</ref>
Außerdem erfreute sie sich wegen des allzu unreinen Stils ohnehin nur geringer Beliebtheit, wie Isaiah Caepolla selbst berichtet.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 320. Vgl. auch [[Goll 1878]], 62: "Die Latinität der früheren Confessionen entsprach keineswegs den Ansprüchen des humanistisch gebildeten Zeitalters".</ref>
Eine reine lateinische Übersetzung der Konfession benötigten die Brüder zudem auch, um deren Übereinstimmung mit der "Confessio Augustana" aufzeigen und so an der durch diese zugestandenen Religionsfreiheit teilhaben zu können.<ref>Vgl. [[Benz 1971]], 137. Vgl. dort auch zu dem Folgenden.</ref>
Eine reine lateinische Übersetzung der Konfession benötigten die Brüder zudem auch, um deren Übereinstimmung mit der "Confessio Augustana" aufzeigen und so an der durch diese zugestandenen Religionsfreiheit teilhaben zu können.<ref>Vgl. [[Benz 1971]], 137. Vgl. dort auch zum Folgenden.</ref>
Peter Herbert, der die aktuelle deutsche Version des Bekenntnisses von 1564 besorgt hatte,<ref>Zu ihm vgl. Meyer, Gerhard, "Herbert, Petrus" in: Neue Deutsche Biographie 8 (1969), S. 582 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119706032.html#ndbcontent.</ref>  
Peter Herbert, der die aktuelle deutsche Version des Bekenntnisses von 1564 besorgt hatte,<ref>Zu ihm vgl. Meyer, Gerhard: "Herbert, Petrus". In: Neue Deutsche Biographie 8 (1969), S. 582 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119706032.html#ndbcontent.</ref>  
war allerdings aufgrund anderer Beschäftigungen nicht bereit, auch die lateinische Neuübersetzung zu übernehmen. Senior Blahoslav plädierte daher für eine Übersetzung durch den Bruder Johannes Aeneas, der damals unter [[Erwähnte Person::Esrom Rüdinger]] in Wittenberg studierte. Dieser bat Rüdinger um eine Musterübersetzung einiger Abschnitte (wohl auf Basis des deutschen Textes<ref>Jedenfalls arbeitete Rüdinger später auf Basis der deutschen Version: ''Wittebergae eo tempore dum essem, familiaritate bonorum virorum et praecipuorum in academia usus sum, qui per occasionem saepe mecum loquebantur, esse ex re nostra, ut confessio Germanica Latine ederetur. Ipseque Esromus aliquoties miratus fuit, cur tam diu res differretur, atque aliquando inter conferendum mecum dixerat, se voluisse id officii nostris praestare, e Germanico in Latinum ut transferret, si per suas occupationes licuisset'' ([[Gindely 1859]], 320).</ref>), deren Stil er dann imitieren konnte. Rüdinger lieferte diese; seine Version fand großen Gefallen bei Blahoslav, wie Isaiah Caepolla berichtet: ''Esromiana cum vidisset Blahoslaus, admodum delectatus est versione illa, ut diceret, se nunquam vidisse tam propriam, quae minus discederet a textu Bohemico, et tamen Latinissima esset.''<ref>[[Gindely 1859]], 320.</ref>
war allerdings aufgrund anderer Beschäftigungen nicht bereit, auch die lateinische Neuübersetzung zu übernehmen. Senior Blahoslav plädierte daher für eine Übersetzung durch den Bruder Johannes Aeneas, der damals unter [[Erwähnte Person::Esrom Rüdinger]] in Wittenberg studierte. Dieser bat Rüdinger um eine Musterübersetzung einiger Abschnitte (wohl auf Basis des deutschen Textes<ref>Jedenfalls arbeitete Rüdinger später auf Basis der deutschen Version, wie aus Caepollas Bericht deutlich wird: ''Wittebergae eo tempore dum essem, familiaritate bonorum virorum et praecipuorum in academia usus sum, qui per occasionem saepe mecum loquebantur, esse ex re nostra, ut confessio Germanica Latine ederetur. Ipseque Esromus aliquoties miratus fuit, cur tam diu res differretur, atque aliquando inter conferendum mecum dixerat, se voluisse id officii nostris praestare, e Germanico in Latinum ut transferret, si per suas occupationes licuisset'' ([[Gindely 1859]], 320).</ref>), deren Stil er dann imitieren konnte. Rüdinger lieferte diese; seine Version fand großen Gefallen bei Blahoslav, wie Isaiah Caepolla berichtet: ''Esromiana cum vidisset Blahoslaus, admodum delectatus est versione illa, ut diceret, se nunquam vidisse tam propriam, quae minus discederet a textu Bohemico, et tamen Latinissima esset.''<ref>[[Gindely 1859]], 320.</ref>
Aeneas wurde bald nach Böhmen zurückberufen und fiel daher für die weitere Arbeit aus. Rüdinger ließ gegenüber Caepolla immer wieder verstehen, er würde gerne die vollständige Version aus dem Deutschen ins Lateinische übernehmen, wenn er nur die Zeit dazu hätte. Beide einigten sich, jeweils einige Abschnitte zu übersetzen, das Vorhaben scheiterte jedoch zunächst an Rüdingers anderen Beschäftigungen.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 320f. Vgl. auch [[Goll 1878]], 62.</ref><br>
Aeneas wurde bald nach Böhmen zurückberufen und fiel daher für die weitere Arbeit aus. Rüdinger ließ gegenüber Caepolla immer wieder verstehen, er würde gerne die vollständige Version aus dem Deutschen ins Lateinische übernehmen, wenn er nur die Zeit dazu hätte. Beide einigten sich, jeweils einige Abschnitte zu übersetzen, das Vorhaben scheiterte jedoch zunächst an Rüdingers anderen Beschäftigungen.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 320f. Vgl. auch [[Goll 1878]], 62.</ref><br>
Blahoslav ließ aber nicht locker und trug Caepolla auf, weiter mit Rüdinger zu verhandeln. Am 05.08.1571 traf Caepolla diesen und sprach erneut mit ihm über das Vorhaben. Rüdinger hatte anscheinend seinerseits bereits Camerarius auf das Thema angesprochen und diesen gebeten, die Übersetzung zu übernehmen. Camerarius habe sich jedoch angesichts seines Alters und seiner schlechten Gesundheit (→ [[Medizin (CamLex)#Nierensteine – eine Familienkrankheit|'''Medizin''']]) selbst nicht zu einer Übersetzung in der Lage gesehen und überdies angemerkt, sein lateinischer Schreibstil sei nicht mit dem des Bekenntnisses kompatibel.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 328: ''[Esromus] [r]eferebat et hoc de Camerario, quod dixerit genus suae orationis periodicum esse, in nostra vero confessione esse commaticum quiddam.''</ref>
Blahoslav ließ aber nicht nach und trug Caepolla auf, weiter mit Rüdinger zu verhandeln. Am 05.08.1571 traf Caepolla diesen und sprach erneut mit ihm über das Vorhaben. Rüdinger hatte anscheinend seinerseits bereits Camerarius auf das Thema angesprochen und diesen gebeten, die Übersetzung zu übernehmen. Camerarius habe sich jedoch angesichts seines Alters und seiner schlechten Gesundheit (→ [[Medizin (CamLex)#Nierensteine – eine Familienkrankheit|'''Medizin''']]) selbst nicht zu einer Übersetzung in der Lage gesehen und überdies angemerkt, sein lateinischer Schreibstil sei nicht mit dem des Bekenntnisses kompatibel.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 328: ''[Esromus] [r]eferebat et hoc de Camerario, quod dixerit genus suae orationis periodicum esse, in nostra vero confessione esse commaticum quiddam.''</ref>
Am 14. August besuchte Caepolla dann Camerarius in Leipzig und überbrachte Grüße von Blahoslav. Auch im persönlichen Gespräch lehnte Camerarius die Aufgabe der Übersetzung ab, versprach aber, jemanden zu finden, der sie übernehmen könne. Caepolla bat ihn daraufhin, Rüdinger zur Übersetzung zu bewegen.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 329f.</ref>
Am 14. August besuchte Caepolla dann Camerarius in Leipzig und überbrachte Grüße von Blahoslav. Auch im persönlichen Gespräch lehnte Camerarius die Übersetzung ab, versprach aber, jemanden zu finden, der sie übernehmen könne. Caepolla bat ihn daraufhin, Rüdinger zur Übersetzung zu bewegen.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 329f.</ref>
Dieser übernahm die Aufgabe denn auch tatsächlich, als Caepolla von Leipzig nach Wittenberg zurückkehrte, und zeigte sich dabei zu dessen großer Freude äußerst engagiert.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 330f. sowie Peucers eigene Aussage in seinem Brief an Blahoslav vom 01.10.1571 auf 334.</ref>
Dieser übernahm die Aufgabe denn auch tatsächlich, als Caepolla von Leipzig nach Wittenberg zurückkehrte, und zeigte sich dabei zu dessen großer Freude äußerst engagiert.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 330f. sowie Peucers Aussage in seinem Brief an Blahoslav vom 01.10.1571 auf 334.</ref>
Am 1. Oktober reiste Caepolla ein zweites Mal nach Leipzig und besuchte erneut Camerarius; wieder besprach man die Angelegenheiten der Unität. Über Dresden, wo gerade der "Consensus Dresdensis" beschlossen wurde,<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 332. Zum "Consensus" vgl. [[Mager 1999]] und [[Hasse 2000]], S. 111-119.</ref>
Am 1. Oktober reiste Caepolla ein zweites Mal nach Leipzig und besuchte erneut Camerarius; wieder besprach man die Angelegenheiten der Unität. Über Dresden, wo gerade der "Consensus Dresdensis" beschlossen wurde,<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 332. Zum "Consensus" vgl. [[Mager 1999]] und [[Hasse 2000]], S. 111-119.</ref>
kehrte er anschließend nach Böhmen zurück, wo er dem sterbenskranken Blahoslav erste Kapitel von Rüdingers Übersetzung präsentieren konnte. Außerdem überbrachte Caepolla neben Briefen von Peucer und Rüdinger ein Antwortschreiben des Camerarius auf Blahoslavs Brief, in dem Camerarius erneut seine Sympathie für die Unität sowie sein Bedauern bekundet, dieser nicht helfen zu können.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 331ff., Brieftext auf 332f.</ref>
kehrte er anschließend nach Böhmen zurück, wo er dem sterbenskranken Blahoslav erste Kapitel von Rüdingers Übersetzung präsentieren konnte. Außerdem überbrachte Caepolla neben Briefen von Peucer und Rüdinger ein Antwortschreiben des Camerarius auf Blahoslavs Brief, in dem Camerarius erneut seine Sympathie für die Unität sowie sein Bedauern bekundet, dieser nicht helfen zu können.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 331ff., Brieftext auf 332f.</ref>


Am 10.05.1572 brach Caepolla erneut nach Wittenberg auf, wo er am 23. desselben Monats ankam, um für Fertigstellung und nach Möglichkeit auch Druck von Esrom Rüdingers lateinischer Version des Bekenntnisses zu sorgen. Deren Fertigstellung gestaltete sich wegen Rüdingers anderer Beschäftigungen mühsam.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 338.</ref>
Am 10.05.1572 brach Caepolla erneut nach Wittenberg auf, wo er am 23. desselben Monats ankam, um für Fertigstellung und nach Möglichkeit auch Druck von Esrom Rüdingers lateinischer Version des Bekenntnisses zu sorgen. Deren Abschluss gestaltete sich jedoch wegen Rüdingers anderer Verpflichtungen mühsam.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 338.</ref>
Zugleich bemühte sich Caepolla um die Unterstützung der Wittenberger Theologen in Form eines öffentlichen ''Testimoniums''. Diese allerdings hatten Bedenken, da man sie am Hof bereits des Calvinismus verdächtige und ihnen klar gemacht habe, dass sie nichts ohne Zustimmung des Hofes publizieren sollten; zudem befürchtete man, dass, wenn man der Unität Unterstützung gewähren würde, andere Gruppen ebenfalls um solche ersuchen würden: Innerhalb von zwei Jahren seien schon 14 Bekenntnisse in Wittenberg vorgelegt worden; die Universität habe mit der Begründung abgelehnt, dass die "Confessio Augustana" als einziges genüge.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 338 und [[Benz 1971]], 137f.</ref><br>
Zugleich bemühte sich Caepolla um die Unterstützung der Wittenberger Theologen in Form eines öffentlichen ''Testimoniums''. Diese allerdings hatten Bedenken, da man sie am Hof bereits des Calvinismus verdächtige und ihnen klar gemacht habe, dass sie nichts ohne Zustimmung des Hofes publizieren sollten; zudem befürchtete man, dass, wenn man der Unität Unterstützung gewähren würde, andere Gruppen ebenfalls darum ersuchen würden: Innerhalb von zwei Jahren seien schon 14 Bekenntnisse in Wittenberg vorgelegt worden; die Universität habe alle mit der Begründung abgelehnt, dass die "Confessio Augustana" als einziges genüge.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 338 und [[Benz 1971]], 137f.</ref><br>
Auch Rüdinger selbst äußerte zuweilen inhaltliche Bedenken am Bekenntnis und änderte neben seiner Übersetzertätigkeit den Text teilweise auch inhaltlich ab, etwa wenn es um den Ritus der erneuten Taufe ging, den die Unität eine Weile praktiziert hatte.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 330, 338 und [[Benz 1971]], 138.</ref>
Auch Rüdinger selbst äußerte zuweilen inhaltliche Bedenken am Bekenntnis und änderte neben seiner Übersetzertätigkeit den Text teilweise auch inhaltlich ab, etwa wenn es um den Ritus der erneuten Taufe ging, den die Unität eine Weile praktiziert hatte.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 330, 338 und [[Benz 1971]], 138.</ref>
Am 11. August verließ Caepolla Wittenberg und reiste nach Böhmen zurück;<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 339.</ref>
Am 11. August verließ Caepolla Wittenberg und reiste nach Böhmen zurück;<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 339.</ref>
gegen Ende des Jahres machte er sich jedoch erneut auf den Weg ins Reich und kam am 01.01.1573 wieder in Leipzig und kurz darauf in Wittenberg an.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 341 und 346.</ref>
gegen Ende des Jahres machte er sich jedoch erneut auf den Weg ins Reich und kam am 01.01.1573 wieder in Leipzig und kurz darauf in Wittenberg an.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 341 und 346.</ref>
Dabei überbrachte er diverse Briefe an die Wittenberger Theologen, an Esrom Rüdinger und an Caspar Peucer, in denen die Brüder nun unter anderem ganz offiziell um die Druckerlaubnis für das Bekenntnis sowie ein ''Testimonium'' der theologischen Fakultät zugunsten der Brüder ersuchen.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 341ff.</ref>
Dabei überbrachte er diverse Briefe an die Wittenberger Theologen, an Esrom Rüdinger und an Caspar Peucer, in denen die Brüder nun unter anderem ganz offiziell die Druckerlaubnis für das Bekenntnis sowie ein ''Testimonium'' der theologischen Fakultät zugunsten der Brüder erbaten.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 341ff.</ref>
Vor der Weiterreise nach Wittenberg suchte er den Rat des Camerarius ([[#Die Genese des Geschichtswerks|'''s.u.''']]); dieser sah jedoch - zurecht, wie sich zeigte - keine Möglichkeit, von den Wittenbergern eine öffentliche Äußerung zu erhalten, und war lehnte auch selbst eine solche ab, da er fachlich nicht zuständig sei: Er würde nur die Wut ihrer Gegner auf sich selbst wie auch auf die Unität lenken.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 347. Wie an anderer Stelle Caspar Peucer (vgl. [[Benz 1971]], 138f. nach [[Gindely 1859]], 334 und 337) äußert sich Camerarius hier bitter über die Uneinigkeit der Protestanten. Gerade nach dem Tod [[Erwähnte Person::Johann Pfeffinger]]s sehe Camerarius schwarz: Dieser sei zwar nicht sehr gebildetet gewesen, habe jedoch mit sich Reden lassen und alleine durch seine Anwesenheit Hoffnung gemacht (''etsi non erat excellenter doctus, tamen suo loco utiliter et bene docebat et scribebat, et patiebatur sibi subiici et moneri. Habebam, inquit [sc. Camerarius] ipsum quasi in manibus et potuissem ipso viro de successu rei melius sperare''). Vgl. [[Gindely 1859]], 346f.</ref>
Vor der Weiterreise nach Wittenberg suchte Caepolla den Rat des Camerarius ([[#Die Genese des Geschichtswerks|'''s.u.''']]); dieser sah jedoch - zurecht, wie sich zeigte - keine Möglichkeit, von den Wittenbergern eine öffentliche Stellungnahme zu erhalten, und lehnte auch selbst eine solche ab, da er fachlich nicht zuständig sei: Er würde nur die Wut ihrer Gegner auf sich selbst wie auch auf die Unität lenken.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 347. Wie an anderer Stelle Caspar Peucer (vgl. [[Benz 1971]], 138f. nach [[Gindely 1859]], 334 und 337) äußert sich Camerarius hier laut Caepolla bitter über die Uneinigkeit der Protestanten. Gerade nach dem Tod [[Erwähnte Person::Johann Pfeffinger]]s habe Camerarius große Bedenken: Dieser sei zwar nicht sehr gebildet gewesen, habe sich jedoch gut steuern lassen, sodass die Erfolgsaussichten höher wären, wenn er noch lebte (''etsi non erat excellenter doctus, tamen suo loco utiliter et bene docebat et scribebat, et patiebatur sibi subiici et moneri. Habebam, inquit [sc. Camerarius] ipsum quasi in manibus et potuissem ipso viro de successu rei melius sperare''). Vgl. [[Gindely 1859]], 346f.</ref>
Schließlich wurde das Bekenntnis schließlich den Wittenberger Theologen zur Prüfung übergeben; der Theologe [[Erwähnte Person::Georg Maior]] präsentierte daraufhin einen alten Brief Luthers - dessen Echtheit Caepollas Bericht explizit in Frage stellt -, in dem Luther auf Distanz zu den Böhmischen Brüdern und namentlich ihrer Abendmahlslehre ging.<ref>Vgl. Gindely 1859, 348f.</ref>
Schließlich wurde das Bekenntnis schließlich den Wittenberger Theologen zur Prüfung übergeben; der Theologe [[Erwähnte Person::Georg Maior]] präsentierte daraufhin einen alten Brief Luthers - dessen Echtheit Caepollas Bericht explizit in Frage stellt -, in dem Luther auf Distanz zu den Böhmischen Brüdern und namentlich ihrer Abendmahlslehre ging.<ref>Vgl. Gindely 1859, 348f.</ref>
Aus privaten Gesprächen entnahm Caepolla zudem, dass die Theologen sich allgemein zurückhaltend zeigten, nicht etwa - entgegen seiner Befürchtung - aufgrund Maiors Protest, sondern aus Angst, die Druckerlaubnis zu verlieren, wenn sie etwas zum Druck zuließen, was dem Hof nicht gefiele.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 349.</ref>
Aus privaten Gesprächen entnahm Caepolla zudem, dass die Theologen sich allgemein zurückhaltend zeigten, nicht etwa - entgegen seiner Befürchtung - aufgrund Maiors Protest, sondern aus Angst, die Druckerlaubnis zu verlieren, wenn sie etwas zum Druck zuließen, was dem Hof nicht gefiele.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 349.</ref>
So antwortete der Zuständige für die Zensur [[Erwähnte Person::Caspar Cruciger d.J.]]<ref>Vgl. [[Hasse 2000]], 390.</ref>
So antwortete [[Erwähnte Person::Caspar Cruciger d.J.]], der für Fragen der Zensur zuständig war,<ref>Vgl. [[Hasse 2000]], 390.</ref>
denn auch am 30. Januar, er habe zwar persönlich nichts gegen den Druck, eine öffentliche Stellungnahme zugunsten der Unität sei jedoch nicht möglich, da man Wittenbergs Feinden keine Angriffsfläche bieten wolle. Die Entscheidung über die Druckerlaubnis aber stehe der Universität nicht frei, er empfehle jedoch den Druck in der Umgebung (etwa in Bautzen) auf Kosten und Risiko der Buchhändler.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 350.</ref>
denn auch am 30. Januar, er habe zwar persönlich nichts gegen den Druck, eine öffentliche Stellungnahme zugunsten der Unität sei jedoch nicht möglich, da man Wittenbergs Feinden keine Angriffsfläche bieten wolle. Die Entscheidung über die Druckerlaubnis aber stehe der Universität nicht frei, er empfehle stattdessen eine Drucklegung in der Umgebung (etwa in Bautzen) auf Kosten und Risiko der Buchhändler.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 350.</ref>
Auf Caepollas schriftlichen Protest hin<ref>Abgedruckt in [[Gindely 1859]], 351-355.</ref>
Auf Caepollas schriftlichen Protest hin<ref>Abgedruckt in [[Gindely 1859]], 351-355.</ref>
entschied man sich dann aber dennoch für den Druck in Wittenberg. Auf das öffentliche ''Testimonium'' verzichtete Caepolla von selbst, um die Wittenberger Theologen nicht zu gefährden;<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 355f.</ref>
entschied man sich dann aber dennoch für den Druck in Wittenberg. Auf das öffentliche ''Testimonium'' verzichtete Caepolla, um die Wittenberger Theologen nicht zu gefährden;<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 355f.</ref>
diese verfassten jedoch selbst privat einen Brief an die Böhmischen Brüder, in dem sie den Druck und die Akzeptanz der Unität bis in rituelle Einzelheiten bestätigten.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 356ff. Derselbe Brief fand dann Eingang in die Basler Edition des Bekenntnisses von 1575 (vgl. [https://gateway-bayern.de/VD16+C+4828 VD16 C 4828], 11ff.).</ref><br>
diese verfassten jedoch selbst privat einen Brief an die Böhmischen Brüder, in dem sie den Druck und die Akzeptanz der Unität bis in rituelle Einzelheiten bestätigten.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 356ff. Derselbe Brief fand dann Eingang in die Basler Edition des Bekenntnisses von 1575 (vgl. [https://gateway-bayern.de/VD16+C+4828 VD16 C 4828], 11ff.).</ref><br>
Dann ging alles recht schnell: Vom Beginn des Drucks zeugt ein Brief Esrom Rüdingers an Andreas Stephanus vom 06.02.1573;<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 359.</ref>
Dann ging alles recht schnell: Vom Beginn des Drucks zeugt ein Brief Esrom Rüdingers an Andreas Stephanus vom 06.02.1573;<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 359.</ref>
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=====Die Genese der "Historica Narratio"=====
=====Die Genese der "Historica Narratio"=====
Parallel zu den Arbeiten an der lateinischen ''confessio'' verfasste Camerarius ein [[OC 0949|Geschichtswerk über die Böhmischen Brüder]]. Die Arbeit daran war nicht vor 1568 abgeschlossen, wie eine Erwähnung von [[Erwähnte Person::Matthias Flacius|Flacius']] "[[Erwähntes Werk::Flacius, Confessio Valdensium, 1568|Confessio Valdensium]]" zeigt, vermutlich begann Camerarius allerdings erst deutlich später. Andererseits begann Camerarius definitiv vor dem Spätsommer 1572.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 343f. Vgl. auch [[Goll 1878]], 64.</ref>
Parallel zu den Arbeiten an der lateinischen ''confessio'' verfasste Camerarius ein [[OC 0949|Geschichtswerk über die Böhmischen Brüder]]. Die Arbeit daran war nicht vor 1568 abgeschlossen, wie eine enthaltene Erwähnung von [[Erwähnte Person::Matthias Flacius|Flacius']] "[[Erwähntes Werk::Flacius, Confessio Valdensium, 1568|Confessio Valdensium]]" zeigt, vermutlich begann Camerarius allerdings erst deutlich später, definitiv aber vor dem Spätsommer 1572.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 343f. Vgl. auch [[Goll 1878]], 64.</ref>
Über die Entstehungsumstände ist wenig explizit bekannt, einiges lässt sich aber aus den Berichten des [[Erwähnte Person::Isaiah Caepolla]] und seiner Korrespondenz mit Joachim Camerarius erschließen. Der Pole Johannes Lasicius (Jan Łasicki), der mit den Brüdern in seiner Heimat Polen, aber auch in Böhmen selbst in Kontakt gekommen war,<ref>Zu diesem vgl. [[Wotschke 1925]], [[Goll 1878]], 74ff., [[Havelka 2022]].</ref>  
Über die Entstehungsumstände ist wenig explizit bekannt, einiges lässt sich aber aus den Berichten des [[Erwähnte Person::Isaiah Caepolla]] und seiner Korrespondenz mit Joachim Camerarius erschließen. Der Pole Johannes Lasicius (Jan Łasicki), der mit den Brüdern in seiner Heimat Polen, aber auch in Böhmen selbst in Kontakt gekommen war,<ref>Zu diesem vgl. [[Wotschke 1925]], [[Goll 1878]], 74ff., [[Havelka 2022]].</ref>  
hatte bis 1568 von sich aus eine Geschichte der böhmischen Brüder "De origine et institutis fratrum Christianorum, qui sunt in Prussia, Polonia, Boemia et Moravia commentarius" verfasst.<ref>Zu dieser ersten Schrift des Lasicius vgl. [[Goll 1878]], 76ff., [[Havelka 2022]], 482f.</ref>
hatte bis 1568 von sich aus eine Geschichte der böhmischen Brüder mit dem Titel "De origine et institutis fratrum Christianorum, qui sunt in Prussia, Polonia, Boemia et Moravia commentarius" verfasst.<ref>Zu dieser ersten Schrift des Lasicius vgl. [[Goll 1878]], 76ff., [[Havelka 2022]], 482f.</ref>
Das Manuskript hatte er zunächst an [[Erwähnte Person::Théodore de Bèze]] zur Begutachtung geschickt, der es mit zwei Jahren Verzögerung am 01.03.1570 mit Verbesserungsvorschlägen an Lasicius zurückschickte und diesen insbesondere anwies, eine Antwort auf [[Erwähnte Person::Matthias Flacius]]' "[[Erwähntes Werk::Flacius, Confessio Valdensium, 1568|Confessio Valdensium]]" einzufügen und Anfeindungen so zuvorzukommen; wenn Lasicius das täte, wolle de Bèze gerne für den Druck des Werkes sorgen. Lasicius ließ seine Schrift zusammen mit Bezas Gutachten in der Folge wenig später dem Unitätsbruder Jan Lorenc zukommen und bot an, sie drucken zu lassen.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 379ff., [[Wotschke 1925]], 95f., [[Havelka 2022]], 483. Allgemein bestanden innerhalb der Brüderunität strenge Regelungen bezüglich Druckpublikationen: Sämtliche Druckschriften von Mitgliedern der Unität mussten zunächst vom Inneren Rat genehmigt werden. Dieses Kontrollbestreben erstreckte sich jedoch auch auf Werke von Nicht-Mitgliedern. Vgl. [[Sladká 2022]], 244f.</ref><br>
Das Manuskript hatte er zunächst an [[Erwähnte Person::Théodore de Bèze]] zur Begutachtung geschickt, der es mit zwei Jahren Verzögerung am 01.03.1570 mit Verbesserungsvorschlägen an Lasicius zurückschickte und diesen insbesondere anwies, eine Antwort auf [[Erwähnte Person::Matthias Flacius]]' "[[Erwähntes Werk::Flacius, Confessio Valdensium, 1568|Confessio Valdensium]]" einzufügen und Anfeindungen so zuvorzukommen; wenn Lasicius das täte, wolle de Bèze gerne für den Druck des Werkes sorgen. Lasicius ließ seine Schrift zusammen mit Bezas Gutachten wenig später dem Unitätsbruder Jan Lorenc zukommen und bot an, sie drucken zu lassen.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 379ff., [[Wotschke 1925]], 95f., [[Havelka 2022]], 483. Allgemein bestanden innerhalb der Brüderunität strenge Regelungen bezüglich Druckpublikationen: Sämtliche Druckschriften von Mitgliedern der Unität mussten zunächst vom Inneren Rat genehmigt werden. Dieses Kontrollbestreben erstreckte sich jedoch auch auf Werke von Nicht-Mitgliedern. Vgl. [[Sladká 2022]], 244f.</ref><br>
Vermutlich über diesen,<ref>So [[Havelka 2022]], 483.</ref>
Vermutlich über Lorenc,<ref>So [[Havelka 2022]], 483.</ref>
vielleicht auch später in einer überarbeiteten Version<ref>So [[Goll 1878]], 75.</ref>
vielleicht auch später in einer überarbeiteten Version<ref>So [[Goll 1878]], 75.</ref>
gelangte das Manuskript in die Hände [[Erwähnte Person::Jan Blahoslav]]s; dieser hatte einige Bemerkungen notiert und gab die Schrift [[Erwähnte Person::Isaiah Caepolla]] mit, als dieser im August 1571 nach Wittenberg reiste, mit dem Auftrag, er möge dort mit Lasicius konferieren.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 321.</ref>
gelangte das Manuskript in die Hände [[Erwähnte Person::Jan Blahoslav]]s; dieser hatte einige Bemerkungen notiert und gab die Schrift [[Erwähnte Person::Isaiah Caepolla]] mit, als dieser im August 1571 nach Wittenberg reiste, mit dem Auftrag, er möge dort mit Lasicius konferieren.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 321.</ref>
In einem Brief an Lasicius, den ebenfalls Caepolla überbrachte, fordert Blahoslav Lasicius auf, sein Unternehmen weiterzuführen und so die große Lücke zu schließen, die der Mangel an prounitärer Geschichtsschreibung darstelle; außerdem ließ er durch Caepolla weitere Quellen und historische Notizen überbringen<ref>Zu den neuen Quellen schreibt Jaroslav Goll: "Als Br. Isaias Cepola im Jahre 1571 nach Deutschland kam, befand sich ein historisches Werk des Blahoslav in seinen Händen. Cepola selbst bezeichnet dasselbe als ''istas Blahoslai nostri notas seu annales nostros''. Damit kann nur die Summa gemeint sein, da doch Peucer, dem Cepola diese Schrift lieh, das ''böhmische'' Werk, die jetzt allgemein dem Blahoslav zugeschriebene Geschichte der Brüder, nicht verstanden hätte." ([[Goll 1878]], 56; zu Blahoslavs "Summa" vgl. ebd., 53ff. (Edition auf 114-128), zur böhmischen Geschichte vgl. ebd., 56ff.). Diese Schlussweise ist offensichtlich falsch, da Peucer, wie [[#Der Kontakt zu den Böhmischen Brüdern|'''oben''']] erläutert, Tschechisch (oder "Böhmisch") sehr wohl lesen konnte; das Ergebnis des Schlusses kann jedoch zumindest halb so bestehen bleiben: Denn nicht nur Peucer, sondern auch Rüdinger bekam die ''Blahoslai nota[e] seu annales nostr[i]'' zu sehen (vgl. [[Gindely 1859]], 328f.); von Rüdinger sind nun aber definitiv keine Kenntnisse des Tschechischen - oder anderer slawischer Sprachen - bekannt (noch 1583 sagte Rüdinger selbst, er verstehe kein "Böhmisch", vgl. [[Ball 1898]], S. 91). Die allgemein Blahoslav zugeschriebene lateinische "Summa" war also wohl in der Tat unter den Notizen, die Caepolla überbrachte; allerdings - und daher ist das Ergebnis des Schlusses nur ''halb'' korrekt - berichtet Caepolla später, er im Frühsommer 1572 habe einige der Notizen aus dem Tschechischen ins Lateinische übersetzt (vgl. [[Gindely 1859]], 330). Es befanden sich also ''auch'', wenn auch nicht nur, tschechische Quellen unter diesen. Dabei mag es sich ggf. auch um eine auf Tschechisch verfasste Geschichte Blahoslavs handeln (vgl. [[Goll 1878]], 56ff., besonders aber 60f. zur Argumentation für die Existenz einer heute verlorenen Geschichte der Böhmischen Brüder von Blahoslavs Hand in unbekannter Sprache).</ref>
In einem Brief an Lasicius, den ebenfalls Caepolla überbrachte, fordert Blahoslav Lasicius auf, sein Unternehmen weiterzuführen und so die große Lücke zu schließen, die der Mangel an prounitärer Geschichtsschreibung darstelle; außerdem ließ er durch Caepolla weitere Quellen und historische Notizen überbringen<ref>Zu den neuen Quellen schreibt Jaroslav Goll: "Als Br. Isaias Cepola im Jahre 1571 nach Deutschland kam, befand sich ein historisches Werk des Blahoslav in seinen Händen. Cepola selbst bezeichnet dasselbe als ''istas Blahoslai nostri notas seu annales nostros''. Damit kann nur die Summa gemeint sein, da doch Peucer, dem Cepola diese Schrift lieh, das ''böhmische'' Werk, die jetzt allgemein dem Blahoslav zugeschriebene Geschichte der Brüder, nicht verstanden hätte." ([[Goll 1878]], 56; zu Blahoslavs "Summa" vgl. ebd., 53ff. (Edition auf 114-128), zur böhmischen Geschichte vgl. ebd., 56ff.). Diese Schlussweise ist offensichtlich falsch, da Peucer, wie [[#Der Kontakt zu den Böhmischen Brüdern|'''oben''']] erläutert, Tschechisch (oder "Böhmisch") sehr wohl lesen konnte; das Ergebnis des Schlusses kann jedoch zumindest halb so bestehen bleiben: Denn nicht nur Peucer, sondern auch Rüdinger bekam die ''Blahoslai nota[e] seu annales nostr[i]'' zu sehen (vgl. [[Gindely 1859]], 328f.); von Rüdinger sind nun aber definitiv keine Kenntnisse des Tschechischen - oder anderer slawischer Sprachen - bekannt (noch 1583 sagte Rüdinger selbst im Kontext seiner Tätigkeit in Ivančice, er verstehe kein "Böhmisch", vgl. [[Ball 1898]], S. 91). Die allgemein Blahoslav zugeschriebene lateinische "Summa" war also wohl in der Tat unter den Notizen, die Caepolla überbrachte; allerdings - und daher ist das Ergebnis des Schlusses nur ''halb'' korrekt - berichtet Caepolla später, er habe im Frühsommer 1572 einige der Notizen aus dem Tschechischen ins Lateinische übersetzt (vgl. [[Gindely 1859]], 330). Es befanden sich also ''auch'', wenn auch nicht nur, tschechische Quellen unter diesen. Dabei mag es sich ggf. auch um eine von Blahoslav auf Tschechisch verfasste Geschichte handeln (vgl. [[Goll 1878]], 56ff., besonders aber 60f. zur Argumentation für die Existenz einer heute verlorenen Geschichte der Böhmischen Brüder von Blahoslavs Hand in unbekannter Sprache).</ref>
und wies diesen an, Lasicius bei der Arbeit zu unterstützen.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 325-328. Vgl. auch [[Goll 1878]], 64.</ref>
und wies diesen an, Lasicius bei der Arbeit zu unterstützen.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 325-328. Vgl. auch [[Goll 1878]], 64.</ref>
Zunächst traf Caepolla Lasicius in Wittenberg jedoch nicht an; erst am 28. August kehrte dieser aus Polen zurück, sprach kurz mit Caepolla und versprach ihm dann, nach seiner Rückkehr aus Frankreich nach Mähren zu kommen und dort gemeinsam an seinem Werk arbeiten zu wollen.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 330.</ref>
Zunächst traf Caepolla Lasicius in Wittenberg jedoch nicht an; erst am 28. August kehrte dieser aus Polen zurück, sprach kurz mit Caepolla und versprach ihm dann, nach seiner Rückkehr aus Frankreich nach Mähren zu kommen und dort gemeinsam an seinem Werk arbeiten zu wollen.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 330.</ref>
So hatte Caepolla noch vor Lasicius' Ankunft aus Polen noch ausreichend Gelegenheit, sich mit Esrom Rüdinger und Caspar Peucer über Lasicius' Werk austauschen zu können. Beide fanden jedoch keinen Gefallen an der Schrift: Für Rüdinger war der Stil für das ernste Thema nicht angemessen; man habe das Gefühl, Lasicius könne nicht schreiben (''Apparere inde, non multum esse versatum hominem in scribendo'').<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 328.</ref>
So hatte Caepolla noch vor Lasicius' Ankunft aus Polen ausreichend Gelegenheit, sich mit Esrom Rüdinger und Caspar Peucer über Lasicius' Werk austauschen zu können. Beide fanden jedoch keinen Gefallen an der Schrift: Für Rüdinger war der Stil für das ernste Thema nicht angemessen; man habe das Gefühl, Lasicius könne nicht schreiben (''Apparere inde, non multum esse versatum hominem in scribendo'').<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 328.</ref>
Auch Peucer, der sich die Mühe machte, das Werk auf einer Schulvisitation komplett zu lesen, lobte im Anschluss Lasicius' Vorhaben, bemängelte jedoch den Stil (''placere sibi dicebat studium ipsius [sc. Lasicii], sed historicum stylum se desiderare in opere contexto'').<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 329.</ref>
Auch Peucer, der sich die Mühe machte, das Werk auf einer Schulvisitation komplett zu lesen, lobte im Anschluss Lasicius' Vorhaben, bemängelte jedoch den Stil (''placere sibi dicebat studium ipsius [sc. Lasicii], sed historicum stylum se desiderare in opere contexto'').<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 329.</ref>


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Vielmehr nahm Camerarius' Interesse für die Geschichte der Böhmischen Brüder vermutlich tatsächlich hier im August 1571 seinen Anfang: Bei Caepollas Besuch am 14.08.1571, bei dem er Camerarius auch den erwähnten Brief des Blahoslav überbrachte ([[#Der Kontakt zu den Böhmischen Brüdern|'''s.o.''']]) und mit Camerarius über die Pläne zur Übersetzung des Bekenntnisses sprach ([[#Esrom Rüdinger, Joachim Camerarius und die lateinische ''confessio'' der Böhmischen Brüder|'''s.o.''']]), zeigte sich dieser hochinteressiert an den Angelegenheiten der Unität, ihrer Geschichte und ihren Riten. Auf Caepollas genauere Erklärung einiger Rituale bekannte Camerarius, dass er diese nicht als Neuerungen der Brüder, sondern als Wiedereinführung von Riten sah, die schon in der frühen Kirche zelebriert worden seien (''dicebat ... nihil novi a nostris fieri, sed eundem ritum fuisse in veteri ecclesia, id quod videre est ex scriptis patrum'').<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 329.</ref>
Vielmehr nahm Camerarius' Interesse für die Geschichte der Böhmischen Brüder vermutlich tatsächlich hier im August 1571 seinen Anfang: Bei Caepollas Besuch am 14.08.1571, bei dem er Camerarius auch den erwähnten Brief des Blahoslav überbrachte ([[#Der Kontakt zu den Böhmischen Brüdern|'''s.o.''']]) und mit Camerarius über die Pläne zur Übersetzung des Bekenntnisses sprach ([[#Esrom Rüdinger, Joachim Camerarius und die lateinische ''confessio'' der Böhmischen Brüder|'''s.o.''']]), zeigte sich dieser hochinteressiert an den Angelegenheiten der Unität, ihrer Geschichte und ihren Riten. Auf Caepollas genauere Erklärung einiger Rituale bekannte Camerarius, dass er diese nicht als Neuerungen der Brüder, sondern als Wiedereinführung von Riten sah, die schon in der frühen Kirche zelebriert worden seien (''dicebat ... nihil novi a nostris fieri, sed eundem ritum fuisse in veteri ecclesia, id quod videre est ex scriptis patrum'').<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 329.</ref>
Auch bei Caepollas zweitem Besuch im Oktober tauschten sich beide wieder über die Brüder aus.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 331f.</ref><br>
Auch bei Caepollas zweitem Besuch im Oktober tauschten sich beide wieder über die Brüder aus.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 331f.</ref><br>
In seiner (undatierten) Antwort auf Blahoslavs Schreiben, die Caepolla im Oktober 1571 mit nach Tschechien nahm, bedauert Camerarius erneut, den Brüdern nicht recht helfen zu können, da er zu alt und zu krank sei und seine Autorität in Glaubenssachen allzu wenig wiege.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 331ff., Brieftext auf 332f.</ref>
In seiner (undatierten) Antwort auf Blahoslavs Schreiben, die Caepolla im Oktober 1571 mit nach Tschechien nahm, bedauert Camerarius erneut, den Brüdern nicht recht helfen zu können, da er zu alt und zu krank sei und seine Autorität in Glaubenssachen zu wenig Gewicht habe.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 331ff., Brieftext auf 332f.</ref>
Auch hier also noch keine Erwähnung des Vorhabens, ein Geschichtswerk zu verfassen, geschweige denn ein Versprechen, solches zu tun;<ref>Vgl. [[Goll 1878]], 64: Zu einem solchen habe Caepolla Camerarius bewogen.</ref>
Auch hier also noch keine Erwähnung des Vorhabens, ein Geschichtswerk zu verfassen, geschweige denn ein Versprechen, dies zu tun;<ref>Vgl. [[Goll 1878]], 64: Zu einem solchen habe Caepolla Camerarius bewogen.</ref>
doch das Interesse an der Geschichte der Unität war im Sommer 1571 offensichtlich bereits geboren. Über Rüdinger und Peucer hörte Camerarius zudem vermutlich von dem Versuch des Lasicius und erhielt eine erste Einschätzung von dessen Qualität; auch mit Lasicius selbst sprach er nach dessen Zeugnis im Sommer 1571 über die Geschichte der Unität.<ref>[[Lasicius 1649]], 122: ''Multis idem Camerarius de iisdem Fratribus mecum, praesente celebri illo Medico Gasparo Peucero, ... Lipsiae contulit, Anno 1971. cum tertio iter facerem in Galliam.''</ref>
doch das Interesse an der Geschichte der Unität war im Sommer 1571 offensichtlich bereits geweckt. Über Rüdinger und Peucer hörte Camerarius zudem vermutlich von dem Versuch des Lasicius und erhielt eine erste Einschätzung von dessen Qualität; auch mit Lasicius selbst sprach er nach dessen Zeugnis im Sommer 1571 über die Geschichte der Brüderschaft.<ref>[[Lasicius 1649]], 122: ''Multis idem Camerarius de iisdem Fratribus mecum, praesente celebri illo Medico Gasparo Peucero, ... Lipsiae contulit, Anno 1571. cum tertio iter facerem in Galliam.''</ref>
Vermutlich war dies für Camerarius letztlich der Anlass, sein Interesse für die Geschichte der Unität in schriftliche Form zu gießen.  
Vermutlich war dies für Camerarius letztlich der Anlass, sein Interesse am Thema zu verschriftlichen.


Auch der Inhalt des Geschichtswerks selbst legt die Vermutung nahe, dass Camerarius in der zweiten Hälfte des Jahres 1571 oder Anfang 1572 von der Planung zum aktiven Schreiben übergegangen war: Die "Historica Narratio" ist zweigeteilt; nach einer oberflächlichen Darstellung der Geschichte der Böhmischen Brüder kehrt die Erzählung nach einem zweiten Proöm an den Anfang zurück und beginnt detaillierter von Neuem.<ref>Vgl. auch [[Erwähntes Werk::OC 0949]].</ref>  
Auch der Inhalt des Geschichtswerks selbst legt die Vermutung nahe, dass Camerarius in der zweiten Hälfte des Jahres 1571 oder Anfang 1572 von der Planung zum aktiven Schreiben übergegangen war: Die "Historica Narratio" ist zweigeteilt; nach einer zunächst recht oberflächlichen Darstellung der Geschichte der Böhmischen Brüder kehrt die Erzählung nach einem zweiten Proöm an den Anfang zurück und beginnt detaillierter von Neuem.<ref>Vgl. auch [[Erwähntes Werk::OC 0949]].</ref>  
Jaroslav Goll erklärt dieses Phänomen dadurch, dass Camerarius von Caepolla neues Quellenmaterial erhalten und daraufhin von vorne begonnen habe;<ref>Vgl. [[Goll 1878]], 65.</ref>
Jaroslav Goll erklärt dieses Phänomen dadurch, dass Camerarius von Caepolla neues Quellenmaterial erhalten und daraufhin noch einmal neu angesetzt habe;<ref>Vgl. [[Goll 1878]], 65.</ref>
diese Erklärung ist plausibel und deckt sich zudem mit dem, was wir von Caepolla hören: Demnach wäre der erste Teil des Werks irgendwann nach Caepollas Abreise im Winter 1571/72 entstanden. Bei seinem nächstem Aufenthalt in Wittenberg zwischen dem 23.05. und dem 11.08.1572 nutzte Caepolla dann die Zeit, die Rüdinger mit der Übersetzung des Bekenntnisses verbrachte, um selbst einige historische Notizen aus dem Tschechischen ins Lateinische zu übertragen;<ref>Die Notizen hatte er ja bei sich behalten, nachdem Lasicius versprochen hatte, nach seiner Reise nach Frankreich nach Mähren zu kommen und Caepolla dort zu treffen (vgl. [[Gindely 1859]], 330). Lasicius verstand als gebürtiger Pole vermutlich Tschechisch zumindest bis zu einem gewissen Grad; daher war keine Übertragung ins Lateinische vonnöten gewesen, solange Lasicius alleine der Adressat gewesen war. Mit Camerarius' Auftritt änderte sich das nun.</ref>
diese Erklärung ist plausibel und deckt sich zudem mit dem, was wir von Caepolla hören: Demnach wäre der erste Teil des Werks irgendwann nach Caepollas Abreise im Winter 1571/72 entstanden. Bei seinem nächstem Aufenthalt in Wittenberg zwischen dem 23.05. und dem 11.08.1572 nutzte Caepolla dann die Zeit, die Rüdinger mit der Übersetzung des Bekenntnisses verbrachte, um selbst einige historische Notizen aus dem Tschechischen ins Lateinische zu übertragen;<ref>Die Notizen hatte er ja bei sich behalten, nachdem Lasicius versprochen hatte, nach seiner Rückkehr aus Frankreich nach Mähren zu kommen und Caepolla dort zu treffen (vgl. [[Gindely 1859]], 330). Lasicius verstand als gebürtiger Pole vermutlich Tschechisch zumindest bis zu einem gewissen Grad; daher war keine Übertragung ins Lateinische vonnöten gewesen, solange Lasicius alleine der Adressat gewesen war. Mit Camerarius' Auftreten änderte sich das nun.</ref>
im Rahmen zweier weiterer Besuche in diesem Zeitraum überbrachte er diese Übersetzungen an Camerarius nach Leipzig.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 339. Vgl. auch [[Goll 1878]], 64.</ref>
im Rahmen zweier weiterer Besuche in diesem Zeitraum übergab er diese Übersetzungen in Leipzig an Camerarius.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 339. Vgl. auch [[Goll 1878]], 64.</ref>
Dieser begann nach Erhalt des neuen umfangreichen Quellenmaterials von vorne, was die zweigeteilte Struktur der "Historica Narratio" erklärt.<ref>Vgl. auch [[Erwähntes Werk::OC 0949]].</ref><br>
Dieser begann nach Erhalt des neuen umfangreichen Quellenmaterials von vorne, was die zweigeteilte Struktur der "Historica Narratio" erklärt.<ref>Vgl. auch [[Erwähntes Werk::OC 0949]].</ref><br>
Bei seiner erneuten Reise nach Sachsen zum 01.01.1573 überbrachte Caepolla ein Schreiben des Andreas Stephanus, in dem dieser Camerarius - wie auch schon die Wittenberger - um ein ''Testimonium'' zugunsten der Brüder bittet und Camerarius bittet, soweit es Gesundheit und Beschäftigungen zulassen, sein Geschichtswerk fortzusetzen.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 343f.</ref>
Bei seiner erneuten Reise nach Sachsen an Neujahr 1573 überbrachte Caepolla ein Schreiben des Andreas Stephanus, in dem dieser bei Camerarius - wie auch schon bei den Wittenbergern - um ein ''Testimonium'' zugunsten der Brüder anfragt und ihn bittet, soweit es Gesundheit und Beschäftigungen zulassen, sein Geschichtswerk fortzusetzen.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 343f.</ref>
Wie die Wittenberger lehnte Camerarius ein öffentliches ''Testimonium'' ab ([[#Esrom Rüdinger, Joachim Camerarius und die lateinische ''confessio'' der Böhmischen Brüder|'''s.o.''']]), macht jedoch anderweitig Hoffnung: Er habe sich bereits in [[Erwähntes Werk::Flaminio, Epistolae, 1571|seiner Übersetzung der Flaminius-Briefe]] positiv über die Brüder geäußert<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::Flaminio, Epistolae, 1571]], Bl. I4r/v.</ref>  
Wie die Wittenberger lehnte Camerarius ein öffentliches ''Testimonium'' ab ([[#Esrom Rüdinger, Joachim Camerarius und die lateinische ''confessio'' der Böhmischen Brüder|'''s.o.''']]), machte jedoch anderweitig Hoffnung: Er habe sich bereits in [[Erwähntes Werk::Flaminio, Epistolae, 1571|seiner Übersetzung der Flaminio-Briefe]] positiv über die Brüder geäußert<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::Flaminio, Epistolae, 1571]], Bl. I4r/v.</ref>  
und er hoffe, ein noch umfangreicheres und bedeutenderes Werk zu hinterlassen: Eine klare Anspielung auf das im Entstehen begriffene Geschichtswerk.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 347.</ref>
und er hoffe, ein noch umfangreicheres und bedeutenderes Werk zu hinterlassen - eine klare Anspielung auf das im Entstehen begriffene Geschichtswerk.<ref>Vgl. [[Gindely 1859]], 347.</ref>
An diesem arbeitete Camerarius nun im Laufe des folgenden Jahres, er wartete aber offenbar noch auf weitere Unterstützung von Seiten der Unität. Am 13.05.1574 dann jedoch musste Esrom Rüdinger Caepolla mitteilen, es sei nun zu spät, da Camerarius gerade gestorben sei; er selbst befinde sich daher in tiefer Trauer, und es komme noch hinzu, dass einige Leute ihm - im Zuge der Kryptocalvinistenverfolgungen in Wittenberg - mit dem Exil drohten.<ref>''Historica vestra nimis diu distulistis, cum senex noster iam sit mortuus. Ego socero amisso non tantum in luctu sum gravissimo, sed sunt etiam, qui exilia nobis minantur'' (Gindely 1859, 363). Es ist unklar, ob und inwieweit - den Befürchtungen der Wittenberger entsprechend - die Arbeit an und die Druckerlaubnis das Bekenntnis der Böhmischen Brüder sich auf die Verfolgungen auswirkte.</ref>
An diesem arbeitete Camerarius nun im Laufe des folgenden Jahres, er wartete aber offenbar noch auf weitere Unterstützung von Seiten der Unität. Am 13.05.1574 jedoch musste Esrom Rüdinger Caepolla mitteilen, es sei nun zu spät, da Camerarius kürzlich verstorben sei; er selbst befinde sich daher in tiefer Trauer, und es komme noch hinzu, dass einige Leute ihm - im Zuge der Kryptocalvinistenverfolgungen in Wittenberg - mit dem Exil drohten.<ref>''Historica vestra nimis diu distulistis, cum senex noster iam sit mortuus. Ego socero amisso non tantum in luctu sum gravissimo, sed sunt etiam, qui exilia nobis minantur'' (Gindely 1859, 363). Es ist unklar, ob und inwieweit - den Befürchtungen der Wittenberger entsprechend - die Arbeit an und die Druckerlaubnis für das Bekenntnis der Böhmischen Brüder sich auf die Verfolgungen auswirkten.</ref>
In der Tat folgte Rüdinger bald darauf dem Ruf der Böhmischen Brüder nach [[Erwähnter Ort::Eibenschütz]] (Ivančice), um dort das Internat des Gymnasiums zu leiten, und kehrte erst 1588 nach [[Erwähnter Ort::Altdorf]] bei Nürnberg zurück.<ref>Vgl. [[Ball 1898]], S. 88-97, [[Fritsch 2022]], 306 und Siegfried, C., "Rudinger, Esrom" in: Allgemeine Deutsche Biographie 29 (1889), S. 470 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd117598690.html#adbcontent. Zur Rückkehr vgl. auch http://www.aerztebriefe.de/id/00041022.</ref>
In der Tat folgte Rüdinger bald darauf dem Ruf der Böhmischen Brüder nach [[Erwähnter Ort::Eibenschütz]] (Ivančice), um dort das Internat des Gymnasiums zu leiten. Er kehrte von dort erst 1588 nach [[Erwähnter Ort::Altdorf]] bei Nürnberg zurück.<ref>Vgl. [[Ball 1898]], S. 88-97, [[Fritsch 2022]], 306 und Siegfried, Carl G.A.: "Rudinger, Esrom". In: Allgemeine Deutsche Biographie 29 (1889), S. 470 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd117598690.html#adbcontent. Zur Rückkehr vgl. auch http://www.aerztebriefe.de/id/00041022.</ref>


=====Die Bewertung des Geschichtswerks=====
=====Die Bewertung des Geschichtswerks=====
So starb Camerarius, ohne der "Historica Narratio" den letzten Schliff gegeben zu haben; im Rahmen eines solchen wäre vermutlich auch die doppelte Erzählung zu einer einzigen vereint worden. Camerarius' Enkel [[Erwähnte Person::Ludwig Camerarius II.|Ludwig]] fand das handschriftliche Werk nach eigener Aussage im Jahr 1600 oder 1601 im Nachlass seines Vaters [[Erwähnte Person::Joachim Camerarius II.|Joachim Camerarius d.J.]] und beschloss auf die Bitten von Freunden hin, es zu drucken. Diese empfahlen auch, die mittlerweile kaum noch verfügbare lateinische "Confessio" in den Druckverbund einzugliedern. Dies wolle er jedoch nicht ohne die Erlaubnis der Unität tun, um deren Sache es immerhin gehe.<ref>Brief an Karl von Žerotín vom 01.02.1601 (ediert in [[Hrubý 1970]], 116-118). Zur Druckgeschichte vgl. auch Ludwig Camerarius' Widmungsbrief ([[Erwähntes Werk::Camerarius, Historica narratio, 1605]], Bl. **5r/v).</ref>  
So starb Camerarius, ohne der "Historica Narratio" den letzten Schliff gegeben zu haben; im Rahmen einer finalen Überarbeitung wäre vermutlich auch die doppelte Erzählung zu einer einzigen vereint worden. Camerarius' Enkel [[Erwähnte Person::Ludwig Camerarius II.|Ludwig]] fand das handschriftliche Werk nach eigener Aussage im Jahr 1600 oder 1601 im Nachlass seines Vaters [[Erwähnte Person::Joachim Camerarius II.|Joachim Camerarius d.J.]] und beschloss auf die Bitten von Freunden hin, es zu drucken. Diese empfahlen auch, die mittlerweile kaum noch verfügbare lateinische "Confessio" in den Druckverbund einzugliedern. Dies wollte er jedoch nicht ohne die Erlaubnis der Unität tun, um deren Sache es immerhin gehe.<ref>Brief an Karl von Žerotín vom 01.02.1601 (ediert in [[Hrubý 1970]], 116-118). Zur Druckgeschichte vgl. auch Ludwig Camerarius' Widmungsbrief ([[Erwähntes Werk::Camerarius, Historica narratio, 1605]], Bl. **5r/v).</ref>  
Das Werk ging letztlich - ohne die "Confessio", aber in Verbund mit diversen weiteren Schriften zu den Böhmischen Brüdern - 1605 in den Druck.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historica narratio, 1605]] und [[Goll 1878]], 64.</ref>
Das Werk kam letztlich - ohne die "Confessio", aber in Verbund mit diversen weiteren Schriften zu den Böhmischen Brüdern - 1605 in den Druck.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historica narratio, 1605]] und [[Goll 1878]], 64.</ref>
Auch von Ausgaben aus den Jahren 1615 und 1625 ist berichtet worden.<ref>Vgl. [[Beyreuther et al. 1980]], 52, [[Fritsch 2022]], 309.</ref><br>
Auch von Ausgaben aus den Jahren 1615 und 1625 ist berichtet worden, diese sind allerdings nicht mehr greifbar.<ref>Vgl. [[Beyreuther et al. 1980]], 52, [[Fritsch 2022]], 309.</ref><br>
Jaroslav Goll bezeichnet insbesondere die zweite, detailliertere Hälfte als "die erste wissenschaftliche Darstellung der älteren Brüdergeschichte (...). Sie wurde im 16. und 17. Jahrhunderte von keiner späteren Arbeit übertroffen und ist auch für uns, die wir auf ihre Quellen zurückgreifen können, nicht ohne Wert".<ref>[[Goll 1878]], 64.</ref>
Jaroslav Goll bezeichnet insbesondere die zweite, detailliertere Hälfte als "die erste wissenschaftliche Darstellung der älteren Brüdergeschichte (...). Sie wurde im 16. und 17. Jahrhunderte von keiner späteren Arbeit übertroffen und ist auch für uns, die wir auf ihre Quellen zurückgreifen können, nicht ohne Wert".<ref>[[Goll 1878]], 64.</ref>
Auch Alfred Eckert sieht die "Historica Narratio" als "wertvolle Quelle zur Erforschung der Geschichte der Brüdergemeinde".<ref>Vgl. [[Beyreuther et al. 1980]], 46.</ref>
Auch Alfred Eckert sieht die "Historica Narratio" als "wertvolle Quelle zur Erforschung der Geschichte der Brüdergemeinde".<ref>Vgl. [[Beyreuther et al. 1980]], 46.</ref>
Zugleich sei das Werk von antiken Vorbildern - in Bezug auf "unnötige" Exkurse - und der typischen Apologetik der unitären Geschichtsschreibung geprägt.<ref>Vgl. [[Goll 1878]], 64.</ref>
Zugleich sei das Werk von antiken Vorbildern - in Bezug auf "unnötige" Exkurse - und der typischen Apologetik der unitären Geschichtsschreibung geprägt.<ref>Vgl. [[Goll 1878]], 64.</ref>
In der Tat äußert sich Camerarius zu Beginn des Werks geradezu programmatisch zu dem Ziel der "Historica narratio": Zu viele Lügen und Unwahrheiten seien im Laufe der Zeit über die Böhmischen Brüder verbreitet worden und beeinflussten die Urteilsbildung der Menschen. Er wolle nun die wahre Geschichte der Unität verkünden und so dem Leser ein angemessenes Urteil darüber erlauben, ob man sich bei den Brüdern von der wahren Lehre entfernt habe oder ob sie im Gegenteil diese aus gleichsam babylonischer Verwirrung wiederhergestellt hätten.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0949]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historica narratio, 1605]], 6f.</ref>
In der Tat äußert sich Camerarius zu Beginn des Werks geradezu programmatisch zu dem Ziel der "Historica narratio": Zu viele Lügen und Unwahrheiten seien im Laufe der Zeit über die Böhmischen Brüder verbreitet worden und beeinflussten die Urteilsbildung der Menschen. Er wolle nun die wahre Geschichte der Unität verkünden und so dem Leser ein angemessenes Urteil darüber erlauben, ob man sich bei den Brüdern von der wahren Lehre entfernt habe oder ob sie im Gegenteil diese aus gleichsam babylonischer Verwirrung wiederhergestellt hätten.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0949]], [[Erwähntes Werk::Camerarius, Historica narratio, 1605]], 6f.</ref>
Die apologetische Note verstärken die Textbeigaben, die gezielt ausgefwählt wurden, um den Zusammenhang zwischen Hussiten und den Böhmischen Brüdern zu belegen und die Verbindung zu Waldensern und Albigensern zu widerlegen.<ref>Vgl. [[Beyreuther et al. 1980]], 52f.</ref>
Die apologetische Note verstärken die Textbeigaben, die gezielt ausgewählt wurden, um die Verbindung zwischen Hussiten und Böhmischen Brüdern zu belegen und die zu Waldensern und Albigensern zu widerlegen.<ref>Vgl. [[Beyreuther et al. 1980]], 52f.</ref>
Indem er die Böhmischen Brüder nicht von den Taboriten unterscheide, begehe Camerarius laut Goll allerdings einen ähnlichen Fehler, wie er Flacius in dessen Vermischung von Waldensern und Unität vorgeworfen habe.<ref>Vgl. [[Goll 1878]], 65.</ref>
Indem er die Böhmischen Brüder nicht von den Taboriten unterscheide, begehe Camerarius laut Goll allerdings einen ähnlichen Fehler, wie er Flacius in dessen Vermischung von Waldensern und Unität vorgeworfen habe.<ref>Vgl. [[Goll 1878]], 65.</ref>
Die Blahoslav zugeschriebene "Summa"<ref>Vgl. [[Goll 1878]], 53.</ref>
Die Blahoslav zugeschriebene "Summa"<ref>Vgl. [[Goll 1878]], 53.</ref>
habe Camerarius vollständig übernommen, wenn auch teilweise sprachlich überarbeitet, und anschließend inhaltlich erweitert.<ref>Vgl. [[Goll 1878]], 65ff.</ref>
habe Camerarius vollständig übernommen, wenn auch teilweise sprachlich überarbeitet, und anschließend inhaltlich erweitert.<ref>Vgl. [[Goll 1878]], 65ff.</ref>


Johann Lasicius, den die Brüder ursprünglich hatten unterstützen wollen, überarbeitete nach Erhalt des zusätzlichen Materials 1571 seine angefangene Geschichte der Böhmischen Brüder gründlich und erweiterte sie innerhalb über einer Dekade zu acht Büchern.<ref>Vgl. [[Goll 1878]], 75, [[Havelka 2022]], 483.</ref>
Johann Lasicius, den die Brüder ursprünglich hatten unterstützen wollen, überarbeitete nach Erhalt des zusätzlichen Materials 1571 seine angefangene Geschichte der Böhmischen Brüder gründlich und erweiterte sie über eine Dekade lang zu acht Büchern.<ref>Vgl. [[Goll 1878]], 75, [[Havelka 2022]], 483.</ref>
An diesen arbeitete er zunächst bis 1585 und stützte sich dabei auch - in handschriftlicher Form - auf das Werk des Camerarius<ref>Vgl. [[Goll 1878]], 74 und 78, dort auch Anm. 2.</ref>.
An diesen arbeitete er zunächst bis 1585 und stützte sich dabei auch - in handschriftlicher Form - auf das Werk des Camerarius.<ref>Vgl. [[Goll 1878]], 74 und 78, dort auch Anm. 2.</ref>
Dann schickte er seine Schrift erneut zur Begutachtung an die Brüder, "deren Reaktion allerdings auch diesmal ausweichend war. 1592 beschloss die Unität, nicht länger auf die Nachfragen von Lasitius zu reagieren".<ref>[[Havelka 2022]], 483.</ref>
Dann schickte er seine Schrift erneut zur Begutachtung an die Brüder, "deren Reaktion allerdings auch diesmal ausweichend war. 1592 beschloss die Unität, nicht länger auf die Nachfragen von Lasitius zu reagieren"<ref>[[Havelka 2022]], 483.</ref>.
Lasicius unternahm daraufhin eine weitere Überarbeitung mit neuen Materialien, die der polnische Senior der Brüder Simeon Theophil Turnowski ihm zur Verfügung stellte. Mit seinem Schreiben vom 12.01.1599 widmete er es Karl von Žerotín in der Hoffnung, dass dieser das Werk zum Druck bringen würde. Dazu kam es jedoch zu Lasicius' Lebzeiten nicht mehr;<ref>Vgl. [[Goll 1878]], 75f., [[Wotschke 1925]], 95, [[Kurze 1975]] 53f., [[Havelka 2022]], 483f.</ref>
Lasicius unternahm daraufhin eine weitere Überarbeitung mit neuen Materialien, die der polnische Senior der Brüder Simeon Theophil Turnowski ihm zur Verfügung stellte. Mit seinem Schreiben vom 12.01.1599 widmete er es Karl von Žerotín in der Hoffnung, dass dieser das Werk zum Druck bringen würde. Dazu kam es jedoch zu Lasicius' Lebzeiten nicht mehr;<ref>Vgl. [[Goll 1878]], 75f., [[Wotschke 1925]], 95, [[Kurze 1975]] 53f., [[Havelka 2022]], 483f.</ref>
"Karl der Ältere von Žerotín brachte der ''Historia'' offenkundig kein größeres Interesse entgegen."<ref>[[Havelka 2022]], 487.</ref>
"Karl der Ältere von Žerotín brachte der ''Historia'' offenkundig kein größeres Interesse entgegen"<ref>[[Havelka 2022]], 487.</ref>.
Auch Jaroslav Golls Urteil über Lasicius' Werk fällt hart aus: "Weitschweifigkeit, ja Schwatzhaftigkeit könnte man [Lasicius] zum Vorwurf machen. Je weiter die Arbeit fortschreitet, desto wertloser wird sie."<ref>[[Goll 1878]], 78f.</ref>
Auch Jaroslav Golls Urteil über Lasicius' Werk fällt hart aus: "Weitschweifigkeit, ja Schwatzhaftigkeit könnte man [Lasicius] zum Vorwurf machen. Je weiter die Arbeit fortschreitet, desto wertloser wird sie"<ref>[[Goll 1878]], 78f.</ref>.
Das Manuskript verschwand in Archiven, ohne allerdings vollständig vergessen zu werden,<ref>Vgl. [[Havelka 2022]], 487ff.: Zumindest Johannes Laetus (Veselský) und Andrzej Węgierski hatten Zugriff auf das Werk und verwendeten es in ihren eigenen kirchenhistorischen Darstellungen. Über Węgierski kamen vermutlich Laetus an Auszüge und das Manuskript schließlich in den Besitz von Comenius.</ref>
Das Manuskript verschwand in Archiven, ohne allerdings vollständig vergessen zu werden,<ref>Vgl. [[Havelka 2022]], 487ff.: Zumindest Johannes Laetus (Veselský) und Andrzej Węgierski hatten Zugriff auf das Werk und verwendeten es in ihren eigenen kirchenhistorischen Darstellungen. Über Węgierski kam vermutlich Laetus an Auszüge und das Manuskript schließlich in den Besitz von Comenius.</ref>
bis es an [[Erwähnte Person::Johann Amos Comenius]] kam, der 1649 das achte Buch mitsamt Auszügen aus den anderen Büchern und Inhaltsverzeichnissen zu diesen drucken ließ.<ref>Vgl. [[Goll 1878]], 76 und [https://kxp.k10plus.de/DB=1.28/CMD?ACT=SRCHA&IKT=8079&TRM=%2712:116849B%27 VD17 12:116849B] (= [[Lasicius 1649]]). Zu einer Edition von 1660 aus Amsterdam vgl. http://www.wbc.poznan.pl/dlibra/docmetadata?id=335034. Vgl. ausführlich [[Havelka 2022]], 491.</ref>  
bis es an [[Erwähnte Person::Johann Amos Comenius]] kam, der 1649 das achte Buch mitsamt Auszügen aus den anderen Büchern und Inhaltsverzeichnissen zu diesen drucken ließ.<ref>Vgl. [[Goll 1878]], 76 und [https://kxp.k10plus.de/DB=1.28/CMD?ACT=SRCHA&IKT=8079&TRM=%2712:116849B%27 VD17 12:116849B] (= [[Lasicius 1649]]). Zu einer Edition von 1660 aus Amsterdam vgl. http://www.wbc.poznan.pl/dlibra/docmetadata?id=335034. Vgl. ausführlich [[Havelka 2022]], 491.</ref>  
Vermutlich dachte er es als eine Art Sittenspiegel, um den Böhmischen Brüdern seiner Zeit, ein Jahr nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs, vorzuhalten, wie weit man sich bereits von den Idealen der Frühzeit entfernt hatte, vergleicht Lasicius die Unität seiner Zeit doch noch mit den urchristlichen Gemeinden des Epheserbriefs.<ref>Vgl. [[Havelka 2022]], 496.</ref>  
Vermutlich dachte er es als eine Art Sittenspiegel, um den Böhmischen Brüdern seiner Zeit, ein Jahr nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs, vorzuhalten, wie weit man sich bereits von den Idealen der Frühzeit entfernt hatte, vergleicht Lasicius die Unität seiner Zeit doch noch mit den urchristlichen Gemeinden des Epheserbriefs.<ref>Vgl. [[Havelka 2022]], 496.</ref>  
Das ursprüngliche Manuskript verbrannte vermutlich 1656 in Lissa, wohin Comenius es mitgenommen hatte.<ref>Vgl. [[Havelka 2022]], 484.</ref>
Das ursprüngliche Manuskript verbrannte vermutlich 1656 in Lissa, wohin Comenius es mitgenommen hatte.<ref>Vgl. [[Havelka 2022]], 484.</ref>
Einige Abschriften von Teilen des Werks haben sich erhalten, außerdem Exzerpte des Comenius.<ref>Erhalten sind die Bücher 1-4 und 6, wobei einige Paragraphen von Buch 4 als Buch 5 gezählt werden. Vgl. genauer [[Havelka 2022]], 484f., dort auch mit Kapitelüberschriften und Inhaltsangabe. Zu Comenius' Exzerpten vgl. ebd., 491.</ref>
Einige Abschriften von Teilen des Werks haben sich erhalten, außerdem Exzerpte des Comenius.<ref>Erhalten sind die Bücher 1-4 und 6, wobei einige Paragraphen von Buch 4 als Buch 5 gezählt werden. Vgl. genauer [[Havelka 2022]], 484f., dort auch mit Kapitelüberschriften und Inhaltsangaben. Zu Comenius' Exzerpten vgl. ebd., 491.</ref>
Lasicius' erstes, kürzeres Werk blieb in Auszügen zumindest bis 1925 in verschiedenen Archiven erhalten.<ref>Vgl. [[Goll 1878]], 76f. und [[Wotschke 1925]], 96.</ref>
Lasicius' erstes, kürzeres Werk blieb in Auszügen zumindest bis 1925 in verschiedenen Archiven erhalten.<ref>Vgl. [[Goll 1878]], 76f. und [[Wotschke 1925]], 96.</ref>


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===Systematische Theologie und theologische Positionen des Camerarius===
===Systematische Theologie und theologische Positionen des Camerarius===
Das lange Leben des Camerarius weist in theologischer Hinsicht sicherlich einige Brüche auf. Die Hinwendung zur Reformation ist dabei zwar biographisch nachvollziehbar, mangels Zeugnissen aus der Zeit davor jedoch schwer nachzuweisen. Weitere Veränderungen aufzuzeigen kann gelingen, indem man seine Positionen zu bestimmten theologischen Fragen an verschiedenen Zeitpunkten vergleicht, sofern er sie klar äußert. Vorsicht ist dagegen geboten bei Aussagen Außenstehender, die ihn (oft polemisch) bestimmten Denkrichtungen zuordnen, so wie [[Erwähnte Person::Jakob Andreae]] ihn etwa als Haupt der Leipziger Calvinisten bezeichnet.<ref>Brief-ID 20922, in: Theologenbriefwechsel im Südwesten des Reichs in der Frühen Neuzeit (1550-1620). Verfügbar unter: https://thbw.hadw-bw.de/brief/20922. Zugriff am 16.2.2024.</ref> Seine Freundschaft zu Melanchthon legt es nahe, in ihm einen [[Erwähnte Körperschaft::Philippisten]] zu nennen;<ref>So [[Schubert 2013]], S. 49.</ref> jedoch ist dieser Begriff mangels klarer Definition<ref>Zur Problematik vgl. [[Koch 1986]] und [[Ludwig 2009]], S. 8-16.</ref> weder eindeutig noch aussagekräftig. Beide entwickelten gemeinsam die Lehre von den "Adiaphora": Dabei handelte es sich überwiegend um Zeremonien und Äußerlichkeiten, die als nicht heilsnotwendig erachtet wurden und bei denen man Zugeständnisse machen könne, wie dem Tragen des Chorrocks.<ref>Camerarius bekennt sich seinem [[Erwähntes Werk::OC 1036|Gutachten für Kurfürst August]], Abschnitt 9, klar dazu, an den entsprechenden Verhandlungen beteiligt gewesen zu sein. Vgl. auch [[Engel 2014]].</ref> Was die beiden Freunde<ref>Zur Freundschaft vgl. u.a. [[Rhein 2024]].</ref> verbindet, ist auf jeden Fall die Irenik: So lobt [[Erwähnte Person::Johannes Sturm]] Camerarius in einem Hodoeporicon<ref>[[Camerarius, Disputatio de precibus (Druck), 1560]], Bl. A7r/v.</ref>: ''De religione ita disserit et quidem de magnis controversiis: ut in nullum ordinem sit acerbus, in nullum horum iniquus, et tamen gravis vitiorum reprehensor: et falsae doctrinae acer castigator et superstitionis emendator vehemens.''<ref>Übersetzt von Vinzenz Gottlieb: Zur Religion und auch zu den großen theologischen Zwistigkeiten äußerte er sich in der Weise, dass er gegen keine Gruppierung roh oder ungerecht agierte und dennoch schwerwiegende Missstände bemängelte: Er tadelte falsche Lehren streng und ging energisch gegen Aberglauben vor.</ref> Camerarius macht kein Hehl daraus, dass er kein Theologe ist (siehe ↑ [[Theologie (CamLex)#Historische Theologie|Abschnitt zur Kirchengeschichtsschreibung]]). Seine Überzeugungen gewinnt er aus der Heiligen Schrift, vor allem aus den Paulus-Briefen, und aus der Lektüre der Kirchenschriftsteller. Das Übergewicht der verwendeten griechischen Autoren gegenüber den lateinischen ist dabei auffällig: Die "Kappadokischen Väter" und [[Erwähnte Person::Johannes Chrysostomos]] rezipiert er sehr häufig. Gegenüber westlichen Kirchenvätern wie [[Erwähnte Person::Aurelius Augustinus]] und [[Erwähnte Person::Hieronymus (Kirchenvater)]], die allenfalls gelegentlich herangezogen werden, werden selbst byzantinische Autoren wie [[Erwähnte Person::Theophylactus]] wesentlich häufiger genannt. Ob hier das gewohnte Misstrauen gegenüber Rom zum Ausdruck kommt oder ob Camerarius eine Notwendigkeit sieht, Inhalte der griechischen Texte der Öffentlichkeit besser zugänglich zu machen, ist noch ein ungelöstes Rätsel.<ref>Für quantitative Untersuchungen dieser Frage empfehlen wir die Nutzung der Volltextsuche.</ref> Selbst auf heidnische Philosophen wie [[Erwähnte Person::Platon]] greift er zurück, wenn sie seinen Zielen dienen.<ref>Z.B. im [[Erwähntes Werk::OC 0894|Geleitbrief zur Homiliensammlung]], [[Camerarius, Ὁμιλίαι (Druck), 1573]], S. 17: Es sei schwierig, den Schöpfer der Welt zu finden, und wenn es gelinge, dann darüber zu sprechen. So sage Platon in den Exzerpten des Hermes Trismegistos.</ref> Seine umfangreiche Rezeption der Antike charakterisiert ihn als Humanisten, der ''ad fontes'' ging, an den theologischen Debatten seiner Zeit nur sehr zurückhaltend teilnahm und manche Entwicklungen sogar komplett ignorierte.<ref>So suggeriert es sein Schweigen in vielen Streitfragen. Man beachte das spärliche Auftreten des Camerarius in der Datenbank "Controversia et Confessio".</ref>  
Das lange Leben des Camerarius weist in theologischer Hinsicht naturgemäß einige Brüche auf. Die Hinwendung zur Reformation lässt sich durch einige biographische Erlebnisse belegen: Die [[Erwähnte Körperschaft::Sodalität (Erfurt)|Erfurter Sodalitas]] oder den Umzug nach [[Erwähnter Ort::Wittenberg]] 1521. Später erfolgende Positionsverschiebungen lassen sich aufspüren, indem man Camerarius' Äußerungen zu bestimmten theologischen Fragen an verschiedenen Zeitpunkten vergleicht -, sofern er sieoffen kommuniziert. Vorsicht ist dagegen geboten bei Aussagen Dritter, die ihn (oft polemisch) bestimmten theologischen Lagern zuordnen, so wie [[Erwähnte Person::Jakob Andreae]] ihn etwa als Haupt der Leipziger Calvinisten bezeichnet.<ref>Brief-ID 20922, in: Theologenbriefwechsel im Südwesten des Reichs in der Frühen Neuzeit (1550-1620). Verfügbar unter: https://thbw.hadw-bw.de/brief/20922. Zugriff am 16.2.2024.</ref> Seine Freundschaft zu Melanchthon legt es nahe, ihn einen [[Erwähnte Körperschaft::Philippisten]] zu nennen;<ref>So [[Schubert 2013]], S. 49.</ref> jedoch ist dieser Begriff mangels klarer Definition<ref>Zur Problematik vgl. [[Koch 1986]] und [[Ludwig 2009]], S. 8-16.</ref> weder eindeutig noch aussagekräftig. Beide entwickelten und vertraten gemeinsam die Lehre von den "Adiaphora": Bei diesen handelte es sich überwiegend um Zeremonien und Äußerlichkeiten, die als nicht heilsnotwendig erachtet wurden und bei denen Zugeständnisse möglich waren, wie dem Tragen des Chorrocks.<ref>Camerarius bekennt sich in seinem [[Erwähntes Werk::OC 1036|Gutachten für Kurfürst August]], Abschnitt 9, klar dazu, an den entsprechenden Verhandlungen beteiligt gewesen zu sein. Vgl. auch [[Engel 2014]].</ref> Was die beiden Freunde<ref>Zur engen Freundschaft der beiden vgl. u.a. [[Rhein 2024]].</ref> grundsätzlich verbindet, ist ihre irenische Haltung: So lobt [[Erwähnte Person::Johannes Sturm]] Camerarius in einem Hodoeporicon<ref>[[Camerarius, Disputatio de precibus (Druck), 1560]], Bl. A7r/v.</ref>: ''De religione ita disserit et quidem de magnis controversiis: ut in nullum ordinem sit acerbus, in nullum horum iniquus, et tamen gravis vitiorum reprehensor: et falsae doctrinae acer castigator et superstitionis emendator vehemens.''<ref>Übersetzt von Vinzenz Gottlieb: Zur Religion und auch zu den großen theologischen Zwistigkeiten äußerte er sich in der Weise, dass er gegen keine Gruppierung roh oder ungerecht agierte und dennoch schwerwiegende Missstände bemängelte: Er tadelte falsche Lehren streng und ging energisch gegen Aberglauben vor.</ref> Camerarius macht kein Hehl daraus, dass er kein Theologe ist (siehe ↑ [[Theologie (CamLex)#Historische Theologie|Abschnitt zur Kirchengeschichtsschreibung]]). Seine Überzeugungen gewinnt er aus der Heiligen Schrift, vor allem aus den Paulus-Briefen, und aus der Lektüre der Kirchenschriftsteller. Das Übergewicht der verwendeten griechischen Autoren gegenüber den lateinischen ist dabei auffällig: Die "Kappadokischen Väter" und [[Erwähnte Person::Johannes Chrysostomos]] rezipiert er sehr häufig. Gegenüber westlichen Kirchenvätern wie [[Erwähnte Person::Aurelius Augustinus]] und [[Erwähnte Person::Hieronymus (Kirchenvater)]], die allenfalls gelegentlich herangezogen werden, werden selbst byzantinische Autoren wie [[Erwähnte Person::Theophylactus]] wesentlich häufiger genannt. Ob hier das gewohnte Misstrauen gegenüber Rom zum Ausdruck kommt oder ob Camerarius eine Notwendigkeit sieht, Inhalte der griechischen Texte der Öffentlichkeit besser zugänglich zu machen, ist noch ungeklärt.<ref>Für quantitative Untersuchungen dieser Frage empfehlen wir die Nutzung der Volltextsuche.</ref> Selbst auf pagane Philosophen wie [[Erwähnte Person::Platon]] greift er zurück, wenn sie seinen Zielen dienen.<ref>Z.B. im [[Erwähntes Werk::OC 0894|Geleitbrief zur Homiliensammlung]], [[Camerarius, Ὁμιλίαι (Druck), 1573]], S. 17: Es sei schwierig, den Schöpfer der Welt zu finden, und wenn es gelinge, dann darüber zu sprechen. So sage Platon in den Exzerpten des Hermes Trismegistos.</ref> Seine umfangreiche Rezeption der Antike charakterisiert ihn als Humanisten, der ''ad fontes'' ging, an den theologischen Debatten seiner Zeit nur sehr zurückhaltend teilnahm und manche Entwicklungen sogar gänzlich ignorierte.<ref>So suggeriert es sein Schweigen in vielen Streitfragen. Man beachte die spärlichen Belege für Camerarius in der Datenbank [https://www.controversia-et-confessio.de/ "Controversia et Confessio"].</ref>  


====Bekenntnisse im Gutachten====
====Bekenntnisse im Gutachten====
Neben den katechetischen Werken erhält man die deutlichsten Aussagen über das persönliche Glaubensleben des Camerarius aus einem [[Erwähntes Werk::Camerarius, Bedencken den Wimmarischen buchs halbenn, 1559|Gutachten]] vom 15.2.1559. Darin nimmt er im Auftrag von [[Auftraggeber::August (Sachsen)|Kurfürst August]] Stellung zum [[Erwähntes Werk::Weimarer Konfutationsbuch 1559]], an dessen Aufbau (Einteilung in neun Kapitel) er sich orientiert. Eine Edition seiner Schrift ist ihm Rahmen dieses Projekts erfolgt: [[Erwähntes Werk::OC 1036|Camerarius, Bedencken den Wimmarischen buchs halbenn, 1559]]. Camerarius bekennt sich unter anderem zur Gewissensfreiheit und zur Trinität (1. Abschnitt) und nimmt Stellung zur Abendmahlsfrage (5. Abschnitt, Bl. 29r/v): "Es seie bey dem nachtmal deß Herrn, oder Sacrament des leibs vnd bluets Iesu Christi, Er der Herr selbst, des das nachtmal ist, gegenwertig, vnd werde aldo entpfangen, in austeilung des brots der leib Christi, vnd austeilung des Kelchs das blut Christi, warhafftig, vnd nitt erdichter weiße, dieweil geschrieben stehet ausdrucklich, Das ist mein leibe, das ist mein bluethe (...) Das im nachtmal des Herrn entfangen werde, nitt gemeine brothe vnd wein, sunder ein solche broth vnd wein, Welchs ist die gemeinschafft des leibs vnd bluets Christi, nitt fleischlicher, sinnlicher entpfindlicher weysse, oder das brott vnd wein verschwinde, sunder wie der Herr weisse vnd wille, der diesser geistlichen speisse niessung verordnet, vnd die geschaffet hathe".<ref>Hier wird eine klare Absage an die katholische Transsubstantiationslehre deutlich. Es ist noch zu untersuchen, wie sich das Abendmahlsverständnis im innerprotestantischen Konflikt verorten lässt. In anderen Schriften versucht Camerarius den Spagat zwischen lutherischer und reformierter Abendmahlslehre, so in der [[Erwähntes Werk::OC 0579|Katechesis]], S. 383, wo er die wahrhaftige Gegenwart Christi und gleichzeitig den Symbolcharakter betont (Übersetzung: [[Seckt 1888]], S. 20): "Wie der Gottessohn Mensch geworden, im Fleische gelitten, vom Tode erstanden, aufgefahren ist gen Himmel und zur Rechten sitzt des allmächtigen Vaters wahrhaft und wörtlich, ohne jede Allegorie und ohne Sinnbild (räumlich unbegrenzt und durch Menschengedanken nicht zu umfassen), aber so, daß es ein Geschöpf nicht zu verstehen, eines Menschen Wort nicht zu sagen, Menschenverstand nicht zu begreifen vermag, - so wird Leib und Blut Christi, nach der Einsetzung des Herrn, in der Gemeinde wahrhaft und wirklich ausgeteilt. Der gottselige Glaube allein versteht das Geschehende, das menschlichem Wissen verschlossen bleibt. - Das Abendmahl aber besiegelt die göttliche Liebe und Gnade. Wir feiern es zum Gedächtnis des Geheimnisses der Erlösung durch das Blut Christi, der Sündenvergebung und unserer dauernden Gemeinschaft mit Jesus Christus, unserm Herrn. Indem wir seinen Leib essen, werden wir mit Christo in einem Leibe vereinigt (...); wir werden im Glauben gestärkt, indem wir das Blut in seiner Gemeinde trinken. (...) Endlich ist das Herrenmahl auch ein σύμβολον καὶ σημεῑον φανερόν, ein Merkmal und Zeichen des übereinstimmenden Glaubens der Christen".</ref> Camerarius äußert sich zur Rechtfertigungslehre (6. Abschnitt)<ref>Zur Rechtfertigungslehre bezieht C. gelegentlich (nicht immer absichtlich) Positionen, die lutherischem Denken fern stehen, ja an die Werkgerechtigkeit erinnern: Vgl. [[Stählin 1936]], S. 59. Das bezieht sich vor allem auf die [[Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Werk), 1566|"Historia Jesu"]], S. 2, und die [[Camerarius, Querela Martini Luteri (Werk), 1554|"Querela Luteri"]], S. 32 (''Nescio sane ... si in Ecclesia Christi necessitas bonorum operum praedicari non debeat.''). Im Gutachten stellt er sich vor [[Georg Maior]], indem er ihn vor dem Vorfwurf verteidigt, er predige die Werkgerechtigkeit. Er weist aber auch darauf hin, dass gute Werke im Himmel und auf Erden ihre Belohnung erhalten.</ref> und verteidigt adiaphoristische Positionen (9. Abschnitt), die er seit 1545 zusammen mit [[Georg III. (Anhalt-Plötzkau)]] und [[Philipp Melanchthon]] vertreten habe.<ref>Das bezieht sich, wie der Hinweis auf 1545 zeigt, auf die [[Leipzig]]er Bartholomäuskonferenz, an der Camerarius teilgenommen hatte: Vgl. [[Forschungsliteratur::Wartenberg 1988]], S. 207-209.</ref> Anklänge der vier protestantischen Prinzipien ''sola scriptura, sola gratio, sola fide, solus Christus'' finden sich ebenso. Camerarius führt die theologische Autorität eines [[Erwähnte Person::Georg III. (Anhalt-Plötzkau)|Georg von Anhalt]] (9. Abschnitt) und eines Melanchthon ins Feld, dessen Schriften sogar [[Erwähnte Person::Martin Luther]] gelobt habe (6. Abschnitt)<ref>Hier ist die Position zur Willensfreiheit angesprochen. Bereits in den diesbezüglichen Streit zwischen Luther und [[Erasmus von Rotterdam]] hatte Camerarius 1524/25 vermittelnd einzugreifen versucht.</ref>.
Abgesehen den katechetischen Werken enthält ein auf den 15. Februar 1559 datiertes [[Erwähntes Werk::Camerarius, Bedencken den Wimmarischen buchs halbenn, 1559|Gutachten]] die deutlichsten Aussagen über die theologische Ausrichtung des Camerarius. Im Auftrag von [[Auftraggeber::August (Sachsen)|Kurfürst August]] nimmt er darin Stellung zum [[Erwähntes Werk::Weimarer Konfutationsbuch 1559]], an dessen Aufbau (Einteilung in neun Kapitel) er sich orientiert. Eine Edition des Schriftstücks ist im Rahmen dieses Projekts erfolgt: [[Erwähntes Werk::OC 1036|Camerarius, Bedencken den Wimmarischen buchs halbenn, 1559]]. Camerarius bekennt sich unter anderem zur Gewissensfreiheit und zur Trinität (1. Abschnitt) und nimmt Stellung zur Abendmahlsfrage (5. Abschnitt, Bl. 29r/v): "Es seie bey dem nachtmal deß Herrn, oder Sacrament des leibs vnd bluets Iesu Christi, Er der Herr selbst, des das nachtmal ist, gegenwertig, vnd werde aldo entpfangen, in austeilung des brots der leib Christi, vnd austeilung des Kelchs das blut Christi, warhafftig, vnd nitt erdichter weiße, dieweil geschrieben stehet ausdrucklich, Das ist mein leibe, das ist mein bluethe (...) Das im nachtmal des Herrn entfangen werde, nitt gemeine brothe vnd wein, sunder ein solche broth vnd wein, Welchs ist die gemeinschafft des leibs vnd bluets Christi, nitt fleischlicher, sinnlicher entpfindlicher weysse, oder das brott vnd wein verschwinde, sunder wie der Herr weisse vnd wille, der diesser geistlichen speisse niessung verordnet, vnd die geschaffet hathe".<ref>Eine klare Absage an die katholische Transsubstantiationslehre. Es ist noch zu untersuchen, wie sich das Abendmahlsverständnis im innerprotestantischen Konflikt verorten lässt. In anderen Schriften versucht Camerarius den Spagat zwischen lutherischer und reformierter Abendmahlslehre, so in der [[Erwähntes Werk::OC 0579|Katechesis]], S. 383, wo er die wahrhaftige Gegenwart Christi und gleichzeitig den Symbolcharakter betont (Übersetzung: [[Seckt 1888]], S. 20): "Wie der Gottessohn Mensch geworden, im Fleische gelitten, vom Tode erstanden, aufgefahren ist gen Himmel und zur Rechten sitzt des allmächtigen Vaters wahrhaft und wörtlich, ohne jede Allegorie und ohne Sinnbild (räumlich unbegrenzt und durch Menschengedanken nicht zu umfassen), aber so, daß es ein Geschöpf nicht zu verstehen, eines Menschen Wort nicht zu sagen, Menschenverstand nicht zu begreifen vermag, - so wird Leib und Blut Christi, nach der Einsetzung des Herrn, in der Gemeinde wahrhaft und wirklich ausgeteilt. Der gottselige Glaube allein versteht das Geschehende, das menschlichem Wissen verschlossen bleibt. - Das Abendmahl aber besiegelt die göttliche Liebe und Gnade. Wir feiern es zum Gedächtnis des Geheimnisses der Erlösung durch das Blut Christi, der Sündenvergebung und unserer dauernden Gemeinschaft mit Jesus Christus, unserm Herrn. Indem wir seinen Leib essen, werden wir mit Christo in einem Leibe vereinigt (...); wir werden im Glauben gestärkt, indem wir das Blut in seiner Gemeinde trinken. (...) Endlich ist das Herrenmahl auch ein σύμβολον καὶ σημεῑον φανερόν, ein Merkmal und Zeichen des übereinstimmenden Glaubens der Christen".</ref> Camerarius äußert sich zur Rechtfertigungslehre (6. Abschnitt)<ref>Zur Rechtfertigungslehre bezieht C. gelegentlich (nicht immer absichtlich) Positionen, die lutherischem Denken fern stehen, ja an die Werkgerechtigkeit erinnern: Vgl. [[Stählin 1936]], S. 59. Dies vor allem in der [[Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Werk), 1566|"Historia Jesu"]], S. 2, und in der [[Camerarius, Querela Martini Luteri (Werk), 1554|"Querela Luteri"]], S. 32 (''Nescio sane ... si in Ecclesia Christi necessitas bonorum operum praedicari non debeat.''). Im Gutachten stellt er sich vor [[Georg Maior]]und verteidigt ihn gegen den Vorwurf, er predige die Werkgerechtigkeit. Er weist aber auch darauf hin, dass gute Werke im Himmel und auf Erden ihre Belohnung erhalten.</ref> und verteidigt adiaphoristische Positionen (9. Abschnitt), die er - so seine Worte - seit 1545 zusammen mit [[Georg III. (Anhalt-Plötzkau)]] und [[Philipp Melanchthon]] vertreten habe.<ref>Das bezieht sich, wie der Hinweis auf 1545 zeigt, auf die [[Leipzig]]er Bartholomäuskonferenz, an der Camerarius teilgenommen hatte: Vgl. [[Forschungsliteratur::Wartenberg 1988]], S. 207-209.</ref> Anklänge der vier protestantischen Prinzipien ''sola scriptura, sola gratia, sola fide, solus Christus'' finden sich ebenso. Camerarius führt die theologische Autorität eines [[Erwähnte Person::Georg III. (Anhalt-Plötzkau)|Georg von Anhalt]] (9. Abschnitt) und eines Melanchthon ins Feld, dessen Schriften sogar [[Erwähnte Person::Martin Luther]] gelobt habe (6. Abschnitt)<ref>Hier ist die Position zur Willensfreiheit angesprochen. Bereits in den diesbezüglichen Streit zwischen Luther und [[Erasmus von Rotterdam]] hatte Camerarius 1524/25 vermittelnd einzugreifen versucht.</ref>.


Deutlich verworfen werden u.a. die Lehren [[Erwähnte Person::Michael Servetus|Servets]] und [[Erwähnte Person::Caspar Schwenckfeld|Schwenckfelds]] (1. Abschnitt), der Antinomismus, die Lehre der Wiedertäufer (4. Abschnitt) sowie weitere Lehrmeinungen. Die Lehren von [[Erwähnte Person::Andreas Osiander|Osiander]] und [[Erwähnte Person::Francesco Stancari|Stancari]] teilt C. zwar nicht, verwirft sie aber auch nicht. Hierbei verweist er auf das Gutachten [[Erwähnte Person::Philipp Melanchthon]]s aus [[Erwähnter Ort::Nürnberg]] von 1555, das auch Camerarius unterschrieben hat und worin Osianders Lehre klar verworfen wird.<ref>Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=7591 MBW Regesten, Nr. 7591].</ref> Auffällig ist, dass Camerarius im Jahr 1559 den osiandrischen Positionen gleichgültiger gegenübersteht als noch 1555. Er nimmt aber Stellung gegen das Papsttum (9. Abschnitt). Starke Kritik übt er an [[Erwähnte Person::Matthias Flacius]] Illyricus und [[Erwähnte Person::Nikolaus Gallus]] (jeweils 9. Abschnitt).<ref>Diese ungewohnt heftige Positionierung gegen Flacianer findet man bereits in der "Querela Luteri" und im "Onar hypar".</ref> Zum Majorismus vermeidet er eine klare Stellungnahme (8. Abschnitt).
Deutlich verworfen werden u.a. die Lehren [[Erwähnte Person::Michael Servetus|Servets]] und [[Erwähnte Person::Caspar Schwenckfeld|Schwenckfelds]] (1. Abschnitt), der Antinomismus, die Lehre der Wiedertäufer (4. Abschnitt) sowie weitere Lehrmeinungen. Die Lehren von [[Erwähnte Person::Andreas Osiander|Osiander]] und [[Erwähnte Person::Francesco Stancari|Stancari]] teilt C. zwar nicht, verwirft sie aber auch nicht. Hierbei verweist er auf das Gutachten [[Erwähnte Person::Philipp Melanchthon]]s aus [[Erwähnter Ort::Nürnberg]] von 1555, das er selbst auch unterschrieben hat und worin Osianders Lehre klar verworfen wird.<ref>Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=7591 MBW Regesten, Nr. 7591].</ref> Auffällig ist, dass Camerarius im Jahr 1559 den osiandrischen Positionen neutraler gegenübersteht als noch 1555. Er nimmt aber Stellung gegen das Papsttum (9. Abschnitt). Starke Kritik übt er an [[Erwähnte Person::Matthias Flacius]] Illyricus und [[Erwähnte Person::Nikolaus Gallus]] (jeweils 9. Abschnitt).<ref>Diese ungewohnt heftige Positionierung gegen Flacianer findet man bereits in der "Querela Luteri" und im "Onar hypar".</ref> Zum Majorismus vermeidet er eine klare Stellungnahme (8. Abschnitt).


Es liegt in der Natur des Gutachtens, dass andere Themen ausgespart bleiben. Die betreffende Kontroverse ist innerprotestantisch. So kann zwar in manchen Punkten C.' Übereinstimmung mit Melanchthon und Georg von Anhalt festgestellt werden. Konfliktfelder zwischen Katholiken und Protestanten bleiben dagegen weitgehend außen vor, zum Beispiel Fragen der Kirchenorganisation, in denen Georg sich zu Lebzeiten im Sinne eines Episkopalismus positioniert hatte, werden aber nicht angerissen.<ref>Zu Georgs stark katholisch geprägtem Kirchenverständnis vgl. [[Sander 2008]] sowie [[Wartenberg 1988]] passim.</ref> Somit kann C.' Haltung dazu nicht durch diesen Text geklärt werden.<ref>Dazu [[Stählin 1936]], S. 54f.: Auch dort findet man aber nur Negativbeispiele. So habe Camerarius den Zustand der alten (römischen) Kirche abgelehnt und Irrwege immer wieder benannt.</ref>
Da es sich um eine innerprotestantische Kontroverse handelt, bleiben im Gutachten theologische Fragen ausgespart, die Konfliktfelder zwischen Protestanten berühren. So kann zwar in manchen Punkten C.' Übereinstimmung mit Melanchthon und Georg von Anhalt festgestellt werden: Aber Fragen etwas der Kirchenorganisation, in denen Georg sich zu Lebzeiten im Sinne eines Episkopalismus positioniert hatte, werden nicht angerissen.<ref>Zu Georgs stark katholisch geprägtem Kirchenverständnis vgl. [[Sander 2008]] sowie [[Wartenberg 1988]] passim.</ref> C.' Haltung dazu kann somit nicht durch diesen Text geklärt werden.<ref>Dazu [[Stählin 1936]], S. 54f.: Auch dort wird aber nur erwähnt, was Camerarius nicht wollte. So habe Camerarius den Zustand der alten (römischen) Kirche abgelehnt und Irrwege immer wieder benannt. Einen positiven Gegenentwurf des Camerarius sucht man vergebens.</ref>


Ansonsten finden sich theologische Positionen vereinzelt in Werken und Briefen, z.B. in den [[Erwähntes Werk::OC 0455|"Capita pietatis"]], der [[Erwähntes Werk::OC 0579|"Catechesis"]], [[Erwähntes Werk::OC 0459|"De invocatione sanctorum"]] und der [[Erwähntes Werk::OCEp 1468|"Theodoret-Einleitung"]].<ref>In der "Catechesis" aus dem Jahr 1552 ist bemerkenswert, dass C. einige reformierte (zur Abendmahlslehre) und katholische Positionen (Heiligenverehrung, Zölibat) ablehnt, sich jedoch für die Einheit der Kirche einsetzt. Dies passt zu seinen Einigungsbemühungen in der Interimsfrage und der "Confessio Saxonica". Siehe auch [[Schultheiß 2024]], S. 198-200.</ref> Sein konsensorientiertes Denken zeigt sich immer wieder in einzelnen Briefen, so in einem [[Erwähntes Werk::OCEp 1190|Brief an Crato]], in dem er seine Rolle im Streit um [[Erwähnte Person::Victorinus Strigel]] kritisch reflektiert.<ref>Diese Rolle bleibt nach außen aber undurchsichtig. Zum Hintergrund: Wegen des Vorwurfs calvinischer Theologie hatte Superintendent [[Johann Pfeffinger]] ein Lehrverbot für Strigel durchsetzen lassen: [https://thbw.hadw-bw.de/brief/19326], [https://thbw.hadw-bw.de/brief/33488] und Jacobi, Carl Ludwig: Neue Beyträge von Alten und Neuen Theologischen Sachen, Büchern, Urkunden, Controversien, Anmerkungen, Vorschlägen etc.: zum Wachsthum der Theologischen Gelehrsamkeit, wie auch der Alten und Neuen Kirchen- und Gelehrten-Geschichte etc. ... mitgetheilet: auf das Jahr 1753, S. 459-471[https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10785322?page=458,459].</ref> Auch [[Erwähntes Werk::OC 0444|eine Universitätsrede von 1544]] und die posthum herausgegebene Schrift [[Erwähntes Werk::OC 0943|De dissidio in religione]] offenbaren seine Standpunkte.<ref>"De dissidio in religione" wurde von [[Erwähnte Person::Théodore de Bèze]] herausgegeben ohne Nennung des Verfassers, als der Camerarius vermutet wird. Ein Beweis dieser These könnte viele seiner Positionen unterstreichen.</ref> Scheinbar konträr zu Camerarius' vielgerühmter Irenik steht die Aussage in [[Erwähntes Werk::OCEp 0512|einem Brief an Karlowitz]], lieber zu sterben als die (evangelische) Wahrheit zu verraten. Einige Gutachten verfasste er gemeinsam mit anderen Theologen.<ref>Dabei sind in erster Linie Gutachten Kooperationen mit Melanchthon und anderen Wittenberger Theologen gemeint. Zu Wittenberger Gemeinschaftsgutachten vgl. [[Kohnle 2002]]. Dort wird allerdings die Rolle des Camerarius nur marginal behandelt. Zu beachten ist, dass Camerarius gerade mit der Leipziger Theologischen Fakultät viel kooperiert hat. Aber auch da agierte er eher im Hintergrund, so dass seine genaue Rolle dabei kaum erforscht ist. In anderen Fällen wurde er qua Amt tätig: Im Sommersemester 1544 wurde er von der Regierung konsultiert, gemeinsam mit Leipziger Theologen, unter anderem für eine Stellungnahme zur kölnischen Ordination. Wahrscheinlich sind hiermit die Reformationsversuche des Erzbischofs Hermann von Wied gemeint: Vgl. [[Zarncke 1859]], S. 218 und 240.</ref> Hier ist es schwieriger, Camerarius' eigene Position zu erkennen. Zur Problematik der Kanonisierung christlicher Schriften zeigt sich in der [[Erwähntes Werk::OC 0762|"Historia Iesu Christi"]] starke, aber reflektierte Affinität zu einzelnen Kirchenschriftstellern: Nur Schriften über Jesus seien als Grundlage für kirchliche Lehrmeinung geeignet und man müsse spätere Quellen stets auf die Übereinstimmung mit Jesus Christus prüfen.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], S. 87: ''Ecclesiasticam doctrinam atque disciplinam instaurari, et vitia corrigi, et emendari pravitatem, secundum a filio De Domino nostro Iesu Christi declarata prophetica, et praeconii Euangelici apostolica scripta''. Siehe auch [[Gindhart/Hamm 2024]], S. 42f.</ref> Hierin verdeutlicht sich die bereits in Schriften der 1540er Jahre ausgesprochene Ablehnung des Papsttums ebenso wie die (im Gutachten ausgesparte) Verwerfung der Heiligenverehrung: Verehrung dürfe nur der Trinitität erwiesen werden, aber nicht den Heiligen und auch nicht der Jungfrau Maria. So argumentiert C. bereits 1545 in [[Erwähntes Werk::OC 0459|"De invocatione sanctorum"]], lobt aber die Apostel andernorts als Vorbilder.<ref>In [[Erwähntes Werk::OC 0634]] und [[Erwähntes Werk::OC 0635]] sowie [[Erwähntes Werk::OC 0761|den Apostelviten]].</ref> Das hält aber Camerarius nicht davon ab, dort auf apostolische und patristische Schriften zurückzugreifen, wo die Heilige Schrift unklar ist oder bestimmte Themen nicht behandelt.
Ansonsten finden sich theologische Positionierungen vereinzelt in Werken und Briefen, z.B. in den [[Erwähntes Werk::OC 0455|"Capita pietatis"]], der [[Erwähntes Werk::OC 0579|"Catechesis"]], [[Erwähntes Werk::OC 0459|"De invocatione sanctorum"]] und der [[Erwähntes Werk::OCEp 1468|"Theodoret-Einleitung"]].<ref>Es ist bemerkenswert, dass C. in der "Catechesis" aus dem Jahr 1552 einige reformierte (zur Abendmahlslehre) und katholische Positionen (Heiligenverehrung, Zölibat) ablehnt, sich jedoch für die Einheit der Kirche einsetzt. Dies passt zu seinen Einigungsbemühungen in der Interimsfrage und der "Confessio Saxonica". Siehe auch [[Schultheiß 2024]], S. 198-200.</ref> Sein konsensorientiertes Denken zeigt sich immer wieder in einzelnen Briefen, so in einem [[Erwähntes Werk::OCEp 1190|Brief an Crato]] vom 11.4.1567, in dem er seine Rolle im Streit um [[Erwähnte Person::Victorinus Strigel]] kritisch reflektiert.<ref>Diese Rolle bleibt nach außen aber undurchsichtig. Zum Hintergrund: Wegen des Vorwurfs calvinischer Theologie hatte Superintendent [[Johann Pfeffinger]] ein Lehrverbot für Strigel durchsetzen lassen: Vgl. Brief-ID 19326, in: Theologenbriefwechsel im Südwesten des Reichs in der Frühen Neuzeit (1550-1620). Verfügbar unter: https://thbw.hadw-bw.de/brief/19326. Zugriff am 5.2.2025, Brief-ID 33488, in: Theologenbriefwechsel im Südwesten des Reichs in der Frühen Neuzeit (1550-1620). Verfügbar unter: https://thbw.hadw-bw.de/brief/33488. Zugriff am 5.2.2025. und Jacobi, Carl Ludwig: Neue Beyträge von Alten und Neuen Theologischen Sachen, Büchern, Urkunden, Controversien, Anmerkungen, Vorschlägen etc.: zum Wachsthum der Theologischen Gelehrsamkeit, wie auch der Alten und Neuen Kirchen- und Gelehrten-Geschichte etc. ... mitgetheilet: [https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10785322?page=458,459 auf das Jahr 1753, S. 459-471].</ref> Auch [[Erwähntes Werk::OC 0444|eine Universitätsrede von 1544]] und die posthum herausgegebene Schrift [[Erwähntes Werk::OC 0943|De dissidio in religione]] offenbaren seine Standpunkte.<ref>"De dissidio in religione" wurde von [[Erwähnte Person::Théodore de Bèze]] herausgegeben ohne Nennung des Verfassers, als der Camerarius vermutet wird. Ein Beweis dieser These könnte viele seiner Positionen unterstreichen.</ref> Scheinbar konträr zu Camerarius' vielgerühmter Irenik steht die Aussage in [[Erwähntes Werk::OCEp 0512|einem Brief an Karlowitz]] aus dem Sommer 1546, lieber zu sterben als die (evangelische) Wahrheit zu verraten. Einige Gutachten verfasste er gemeinsam mit anderen Theologen.<ref>Dabei sind in erster Linie Gutachten in Kooperation mit Melanchthon und anderen Wittenberger Theologen gemeint. Zu Wittenberger Gemeinschaftsgutachten vgl. [[Kohnle 2002]]. Dort wird allerdings die Rolle des Camerarius nur marginal behandelt. Zu beachten ist, dass Camerarius gerade mit der Leipziger Theologischen Fakultät viel kooperiert hat. Aber auch da agierte er eher im Hintergrund, so dass seine genaue Rolle kaum erforscht ist. In anderen Fällen wurde er qua Amt tätig: Im Sommersemester 1544 wurde er von der Regierung konsultiert, gemeinsam mit Leipziger Theologen, unter anderem für eine Stellungnahme zur kölnischen Ordination. Wahrscheinlich sind hiermit die Reformationsversuche des Erzbischofs Hermann von Wied gemeint: Vgl. [[Zarncke 1859]], S. 218 und 240.</ref> Hier ist es schwieriger, Camerarius' eigene Position zu erkennen. Zur Problematik der Kanonisierung christlicher Schriften zeigt sich in der [[Erwähntes Werk::OC 0762|"Historia Iesu Christi"]] starke, aber reflektierte Affinität zu einzelnen Kirchenschriftstellern: Nur Schriften über Jesus seien als Grundlage für kirchliche Lehrmeinung geeignet und man müsse spätere Quellen stets auf die Übereinstimmung mit Jesus Christus prüfen.<ref>Mit anderen Worten: Jesus Christus sei der Maßstab christlicher Lehre, und seinen in der Heiligen Schrift geoffenbarten Worten gebühre der Vorrang vor anderen Traditionen. Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762|"Historia Iesu Christi"]], S. 87: ''Ecclesiasticam doctrinam atque disciplinam instaurari, et vitia corrigi, et emendari pravitatem, secundum a filio De Domino nostro Iesu Christi declarata prophetica, et praeconii Euangelici apostolica scripta''. Siehe auch [[Gindhart/Hamm 2024]], S. 42f.</ref> In dieser Haltung verdeutlicht sich die bereits in Schriften der 1540er Jahre ausgesprochene Ablehnung des Papsttums ebenso wie die (im Gutachten ausgesparte) Verwerfung der Heiligenverehrung: Verehrung dürfe nur der Trinitität erwiesen werden, aber nicht den Heiligen und auch nicht der Jungfrau Maria. So argumentiert C. bereits 1545 in [[Erwähntes Werk::OC 0459|"De invocatione sanctorum"]], lobt aber die Apostel andernorts als Vorbilder.<ref>In [[Erwähntes Werk::OC 0634|"De Sancto Petro et Paulo Apostolis"]] und dem [[Erwähntes Werk::OC 0635|"Hymnus de Sancto Laurentio"]] sowie [[Erwähntes Werk::OC 0761|den Apostelviten]]. Vgl. [[OC 0459]], [[Camerarius, De invocatione sanctorum (gr., Druck), 1545]], Bl. Cr: ὁ δὲ πατὴρ καὶ ὑιὸς καὶ ἅγιον πνεῦμα προσκυνείσθω, τὴν μαρίαν μηδεὶς προσκυνείτω.</ref>


('''Vinzenz Gottlieb''')
('''Vinzenz Gottlieb''')


====Trinitätslehre====
====Trinitätslehre====
An verschiedenen Stellen äußert Camerarius sich zur Trinität, so in einer [[Erwähntes Werk::OC 0900|Übepredigt zum Trinitatissonntag]].<ref>Vgl. [[OC 0900]], [[Camerarius, Ὁμιλίαι (Druck), 1573]], S. 208-212.</ref> Zahlreiche Aussagen macht er auch in der [[Erwähntes Werk::OC 0762|Historia Iesu Christi]], darunter zur gottmenschlichen Natur Jesu: Vgl. ↓ [[Theologie (CamLex)#Christologie]].<br>
An verschiedenen Stellen äußert Camerarius sich zur Trinität, so auch in einer zu didaktischen Zwecken verfassten [[Erwähntes Werk::OC 0900|Predigt zum Trinitatissonntag]].<ref>Vgl. [[OC 0900]], [[Camerarius, Ὁμιλίαι (Druck), 1573]], S. 208-212.</ref> Zahlreiche Aussagen macht er auch in der [[Erwähntes Werk::OC 0762|"Historia Iesu Christi"]], darunter zur gottmenschlichen Natur Jesu: Vgl. ↓ [[Theologie (CamLex)#Christologie|Christologie]].<br>
Camerarius gibt [[Erwähntes Werk::OC 1036|im Gutachten an Kurfürst August]] zu, sich nicht mit den Schriften des (Antitrinitariers) Miguel Servetus beschäftigt zu haben. Er bekennt sich aber eindeutig zur Trinität, nämlich einem göttlichen Wesen bzw. einer göttlichen Natur in drei Eigenschaften oder Personen, nämlich dem Vater als Schöpfer des Himmels und der Erd, dem eingeborenen Sohn, der Mensch geworden ist, und dem Heiligen Geist: "Es seie ein Einigs, Ewigs, Vnzerteiltes Gottlichs wesen, oder Götliche Natur, in drey vnterschiedenen eigenschafften oder personen, deß Vatters schopfers himels vnd erden, Deß Eingebornen suns, welcher mensch ist worden, Vnd hat Gottes Zorn versunet, Vnnd deß Hailigen geists, der Christlichen Kirchen tröster vnd beystand".<ref>Vgl. [[OC 1036]], Abschnitt 1. Ähnlich schreibt er auch in der Katechesis: [[OC 0579]], [[Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1552]], S. 294.</ref><br>
Camerarius gibt [[Erwähntes Werk::OC 1036|im Gutachten an Kurfürst August]] zu, sich nicht mit den Schriften des (Antitrinitariers) Miguel Servet beschäftigt zu haben. Er bekennt sich aber eindeutig zur Trinität, nämlich einem göttlichen Wesen bzw. einer göttlichen Natur in drei Eigenschaften oder Personen, nämlich dem Vater als Schöpfer des Himmels und der Erde, dem eingeborenen Sohn, der Mensch geworden ist, und dem Heiligen Geist: "Es seie ein Einigs, Ewigs, Vnzerteiltes Gottlichs wesen, oder Götliche Natur, in drey vnterschiedenen eigenschafften oder personen, deß Vatters schopfers himels vnd erden, Deß Eingebornen suns, welcher mensch ist worden, Vnd hat Gottes Zorn versunet, Vnnd deß Hailigen geists, der Christlichen Kirchen tröster vnd beystand".<ref>Vgl. [[OC 1036]], Abschnitt 1. Ähnlich schreibt er auch in der "Katechesis": [[OC 0579]], [[Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1552]], S. 294.</ref><br>


Die in [[OC 0579|der griechischen Katechesis]] dargelegte Trinitätslehre fand auch den Beifall des [[Erwähnte Person::Philipp Melanchthon]].<ref>Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=6276 MBW Nr. 6276.3].</ref> Camerarius bekennt sich darin zum Apostolischen und zum Nicäno-Konstantinopolitanischen Credo sowie zum Athanasischen Glaubensbekenntnis. Bei letzterem bezweifelt er allerdings die Identität des Verfassers.<ref>[[Seckt 1888]], S. 17: [[Erwähntes Werk::OC 0579|Katechesis]], S. 296f.: εἰ μὲν οὖν ἀθανάσιος περὶ οὗ πολὺς τοῖς ἐκκλησιαστικοῖς ξυγγραφεῦσι λόγος, συνέθηκέ τε καὶ ἐξέδωκε τὸ ἀμοιβαῖον σύμβολον, ὡς νῦν ᾄδεται, οὐκ ἔχω εἰπεῖν, ἀπὸ δὲ τεκμηρίων τινῶν ὑπονοήσειεν ἄντις νεώτερον εἶναι τοῦτο ἢ καθ'ἡλικίαν ἐκείνην, καἰ ἐκτεθῆναι παρὰ τοῖς δυτικοῖς μάλιστα. φανερὸν δὲ ἐξ ὧν ἐπέστειλε λιβερίῳ τω τῆς παλαιᾶς ῥώμης ἐπισκόπῳ ὁ ἀθανάσιος, καὶ ἐξ ἄλλων τινῶν ξυγγραμμάτων αὐτου, ὅτι ἐνίοτε ἀδιορίστως οὐσίας, καὶ οὐκ ἀγνοοῦμεν ὅτι ταῦτα τἀ ὀνόματα ὑπὸ γρηγορίου καὶ βασιλείου πρῶτον διεσαφηνίσθη ἐξερμηνευόμενα, διδασκόντων τὴν μὲν οὐσίαν τὸ κοινὸν τῆς θεότητος ἐμφαίνειν, τὴν δὲ ὑπόστασιν, ἤγουν πρόσωπον, ὡς ἐκάλεσαν οἱ δυτικοὶ, τὸ ἰδιάζον. Übersetzung: "Ob nun Athanasius ... das im Wechselgesang zu singende Glaubensbekenntnis zusammengestellt und verbreitet hat, kann ich nicht sagen; aufgrund verschiedener Merkmale kann man vermuten, dass es jünger ist als jene Zeit, und im Westen entstanden. Offensichtlich schickte Athanasius dem Liberius, dem Bischof des alten Roms, Auszüge daraus und aus einigen anderen seiner Schriften, weil die "Ousia" nicht bestimmt ist, und wir wissen sicher, dass diese Begriffe von Gregor und Basilius zuerst definiert wurden, die lehrten, dass die "Ousia" das Gemeinsame der Gottheit zeigt, die Hypostase dagegen, oder ''persona'', wie die Westler sagen, das Eigentümliche ("idiazon")."</ref> Diese Zweifel, historisch und sprachgeschichtlich durchaus fundiert, genügten schon, um ihm als Untergrabung der kanonischen Autorität des "Quicumque" ausgelegt zu werden.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0878]], [[Camerarius, Notatio figurarum sermonis in libris quatuor evangeliorum (Druck), 1572]], Bl. A7r/v.</ref> An anderen Stellen sind solche Vorwürfe gegen ihn bisher nicht belegt. Mit diesen Aussagen hatte er sich auf gefährliches Terrain begeben, denn auch die damals umstrittene Bewegungen der Antitrinitarier und der Tritheisten lehnte das Athanasische Credo ab. Seine Zweifel hätten ihnen dabei Argumente liefern können. Unter den Lutheranern seiner Zeit stand Camerarius in Deutschland mit dieser Meinung wohl allein: Sein Leipziger Kollege [[Erwähnte Person::Alexander Alesius]] sah es als erwiesen an, dass Athanasius auch der Urheber dieses Glaubensbekenntnisses war.<ref>[[Dingel/Daugirdas 2013]], S. 163, Anm. 126.</ref> Auch [[Erwähnte Person::Andreas Hyperius]], [[Erwähnte Person::Jakob Schegk]] und [[Erwähnte Person::Jakob Andreae]] stritten vehement für das Athanasianische Glaubensbekenntnis und gegen antitrinitarische Positionen.<ref>Vgl. [[Dingel/Daugirdas 2013]], S. 10-15.</ref>  In England allerdings äußerte John Jewel einige Jahre später ähnliche Zweifel.<ref>John Jewel, The Defense of the Apology of the Church of England [https://www.google.de/books/edition/The_Parker_Society_Works_of_John_Jewel_b/oBHqRVDuGEYC?hl=de&gbpv=0 The Parker Society...: Works of John Jewel, bp of Salisbury. (1848). Vereinigtes Königreich: Printed at the University Press.], III,254: "the Creed called ''Quicunque vult'', written, as some think, by Athanasius, as some others, by Eusebius Vercellensis".</ref> An ihn knüpft auch Gerhard Johann Voss<ref>Vgl. [https://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10832060-4 Dissertationes tres De tribus Symbolis..., Amsterdam 1642], S. 55.</ref> in einer weitaus tiefgründigeren Untersuchung an, ohne jedoch Camerarius zu erwähnen. Auf der anderen Seite, so berichtet Gilbert Génébrard 1569,<ref>Vgl. [https://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10170848-3], S. 179.</ref> hatte [[Erwähnte Person::Valentino Gentile]] Zweifel am "Quiqumque" gehegt: Athanasius habe das Symbolum Niceni verfälscht.<ref>Vgl. [https://books.google.de/books?id=v3wpKTvp7UQC&printsec=frontcover&source=gbs_ge_summary_r&cad=0#v=onepage&q&f=false] S. 31; Zu Gentile vgl. [[Trechsel 1844]], S. 316-390 und 471-479.</ref> Gentile wurde 1566 wegen seiner tritheistischen Anschauungen in Bern hingerichtet.<ref>Génébrard ediert einen griechischen Text, der dem des Camerarius sehr ähnlich ist, aber in Details abweicht. Er verweist (S. 188) auf seine Quelle: einen Brief des Dionysius (Zannetinus), Episcopus Zienensis et Firmensis an Lazare de Baïf aus dem Jahr 1533. Es handelt sich offensichtlich um die Handschrift [[Erwähnte Körperschaft::Paris, BNF]], grec. 1305. Vgl. [https://theses.hal.science/tel-04540335 Rincel 2022], S. 365-367 sowie ähnliche Editionen: Von Nicolaus Brylling aus Basel und von [[Erwähnte Person::Henri Estienne]] (1565: beide Editionen wurden nicht gefunden).</ref> Ist hier Camerarius zwischen die Fronten eines handfesten theologischen Streit geraten? Nach bisheriger Kenntnis ist Camerarius der erste, der die Autorschaft aus philologischen Gründen anzweifelt, ohne aber den Inhalt zu beanstanden. Wegen der starken Kritik entfernte bzw. entschärfte er aber den entsprechenden Abschnitt in der [[Erwähntes Werk::OC 0726|lateinischen Version von 1563]].<ref>Vgl. ebda. S. 258 und [[Kelly 1964]], S. 3 und [[Drecoll 2007]].</ref> Der heutige Forschungsstand steht aber auf derselben Seite wie Camerarius: Das "Quicumque" gilt als jünger und die Entstehung im Westen hält man für erwiesen.<ref>Vgl. [[Kelly 1964]], S. 109-114.</ref>
Die in [[OC 0579|der griechischen Katechesis (1552)]] dargelegte Trinitätslehre fand auch den Beifall von [[Erwähnte Person::Philipp Melanchthon]].<ref>Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=6276 MBW Nr. 6276.3].</ref> Camerarius bekennt sich darin zum Apostolischen und zum Nicäno-Konstantinopolitanischen Credo sowie zum Athanasischen Glaubensbekenntnis. Bei letzterem bezweifelt er allerdings die Identität des Verfassers.<ref>[[Seckt 1888]], S. 17: [[Erwähntes Werk::OC 0579|Katechesis]], S. 296f.: εἰ μὲν οὖν ἀθανάσιος ... συνέθηκέ τε καὶ ἐξέδωκε τὸ ἀμοιβαῖον σύμβολον, ὡς νῦν ᾄδεται, οὐκ ἔχω εἰπεῖν, ἀπὸ δὲ τεκμηρίων τινῶν ὑπονοήσειεν ἄντις νεώτερον εἶναι τοῦτο ἢ καθ'ἡλικίαν ἐκείνην, καἰ ἐκτεθῆναι παρὰ τοῖς δυτικοῖς μάλιστα. φανερὸν δὲ ἐξ ὧν ἐπέστειλε λιβερίῳ τω τῆς παλαιᾶς ῥώμης ἐπισκόπῳ ὁ ἀθανάσιος, καὶ ἐξ ἄλλων τινῶν ξυγγραμμάτων αὐτου, ὅτι ἐνίοτε ἀδιορίστως οὐσίας, καὶ οὐκ ἀγνοοῦμεν ὅτι ταῦτα τἀ ὀνόματα ὑπὸ γρηγορίου καὶ βασιλείου πρῶτον διεσαφηνίσθη ἐξερμηνευόμενα, διδασκόντων τὴν μὲν οὐσίαν τὸ κοινὸν τῆς θεότητος ἐμφαίνειν, τὴν δὲ ὑπόστασιν, ἤγουν πρόσωπον, ὡς ἐκάλεσαν οἱ δυτικοὶ, τὸ ἰδιάζον. Übersetzung: "Ob nun Athanasius ... das im Wechselgesang zu singende Glaubensbekenntnis zusammengestellt und verbreitet hat, kann ich nicht sagen; aufgrund verschiedener Merkmale kann man vermuten, dass es jünger ist als jene Zeit, und im Westen entstanden. Offensichtlich schickte Athanasius dem Liberius, dem Bischof des alten Roms, Auszüge daraus und aus einigen anderen seiner Schriften, weil die "Ousia" nicht bestimmt ist, und wir wissen sicher, dass diese Begriffe von Gregor und Basilius zuerst definiert wurden, die lehrten, dass die "Ousia" das Gemeinsame der Gottheit zeigt, die Hypostase dagegen, oder ''persona'', wie die Westler sagen, das Eigentümliche ("idiazon")." Zur Verfasserfrage vgl. [[Drecoll 2007]].</ref> Diese Zweifel, historisch und sprachgeschichtlich durchaus fundiert, genügten schon, um ihn, so Camerarius in der "Notatio figurarum" (1572) an den Leser, einer Untergrabung der kanonischen Autorität des "Quicumque" zu bezichtigen.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0878]], [[Camerarius, Notatio figurarum sermonis in libris quatuor evangeliorum (Druck), 1572]], Bl. A7r/v.</ref> An anderen Stellen sind solche Vorwürfe gegen ihn bisher nicht belegt. Mit dieser kritischen Stellungnahme hatte er sich auf gefährliches Terrain begeben, denn die damals umstrittenen Bewegungen der Antitrinitarier und der Tritheisten lehnten das Athanasische Credo ab. Seine Zweifel an der Autorschaft hätten ihnen dabei weitere Argumente liefern können. Unter den Lutheranern seiner Zeit stand Camerarius in Deutschland mit dieser Meinung wohl allein: Auch sein Leipziger Kollege [[Erwähnte Person::Alexander Alesius]] sah es als erwiesen an, dass Athanasius der Urheber dieses Glaubensbekenntnisses war.<ref>[[Dingel/Daugirdas 2013]], S. 163, Anm. 126. Ansonsten stimmte Alesius oft mit Camerarius überein: Vgl. [[Erwähntes Werk::Alesius, Assertio doctrinae, 1564]], Bl. C2v sowie [[Siegmund-Schultze 2005]].</ref> Auch [[Erwähnte Person::Andreas Hyperius]], [[Erwähnte Person::Jakob Schegk]] und [[Erwähnte Person::Jakob Andreae]] stritten vehement für das Athanasianische Glaubensbekenntnis und gegen antitrinitarische Positionen.<ref>Vgl. [[Dingel/Daugirdas 2013]], S. 10-15.</ref>  In England allerdings äußerte John Jewel einige Jahre später ähnliche Zweifel.<ref>John Jewel, The Defense of the Apology of the Church of England [https://www.google.de/books/edition/The_Parker_Society_Works_of_John_Jewel_b/oBHqRVDuGEYC?hl=de&gbpv=0 The Parker Society...: Works of John Jewel, bp of Salisbury. (1848). Vereinigtes Königreich: Printed at the University Press.], III,254: "the Creed called ''Quicunque vult'', written, as some think, by Athanasius, as some others, by Eusebius Vercellensis".</ref> An ihn knüpft auch Gerhard Johann Voss<ref>Vgl. [https://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10832060-4 Dissertationes tres De tribus Symbolis..., Amsterdam 1642], S. 55.</ref> in einer weitaus tiefgründigeren Untersuchung an, ohne jedoch Camerarius zu erwähnen. Auf der anderen Seite, so berichtet Gilbert Génébrard 1569,<ref>Vgl. [https://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10170848-3 Génébrard, De Sancta Trinitate ..., Paris 1569], S. 179.</ref> hatte [[Erwähnte Person::Valentino Gentile]] Zweifel am "Quicumque" gesät mit der Behauptung, Athanasius habe das "Symbolum Niceni" verfälscht.<ref>Vgl. [https://books.google.de/books?id=v3wpKTvp7UQC&printsec=frontcover&source=gbs_ge_summary_r&cad=0#v=onepage&q&f=false Benedictus Aretius, Valentini Gentilis iusto capitis supplicio Bernae affecti brevis historia ..., Genf 1567], S. 31; zu Gentile vgl. [[Trechsel 1844]], S. 316-390 und 471-479.</ref> Gentile wurde 1566 wegen seiner tritheistischen Anschauungen in Bern hingerichtet. Ist hier Camerarius zwischen die Fronten eines handfesten theologischen Streits geraten? Nach bisheriger Kenntnis ist Camerarius der erste, der die Autorschaft aus philologischen Gründen anzweifelt, ohne aber den Inhalt zu beanstanden. Wegen der starken Kritik, so schreibt er selbst, entfernte bzw. entschärfte er aber den entsprechenden Abschnitt in der [[Erwähntes Werk::OC 0726|lateinischen Version von 1563]].<ref>Vgl. [[OC 0726]], S. 258 und [[Kelly 1964]], S. 3.</ref> Die heutige Forschung steht aber auf derselben Seite wie Camerarius: Das "Quicumque" gilt als jünger und die Entstehung im Westen hält man für erwiesen.<ref>Vgl. [[Kelly 1964]], S. 109-114.</ref>


Es war nicht zu ermitteln, wann und von welcher Seite die Vorwürfe gegen den Philologen entstanden: Möglicherweise war es erst die 2. Auflage, die Camerarius den Vorwurf mangelnder Rechtgläubigkeit einbrachte, denn darin ist der besagte Abschnitt in gekürzter Fassung noch enthalten: Camerarius strich lediglich den Hinweis darauf, dass Athanasius den Text an Liberius geschickt habe. Dadurch könnten die Zweifel an der Autorschaft noch größer erscheinen. Das Erscheinen des zweiten Ausgabe fiel in die Zeit, als der Streit zwischen Trinitarismus und Tritheismus besonders heftig tobte. Daher kann sie den Konflikt zusätzlich angeheizt haben. Um sich gegen jeden Vorwurf der Irrlehre zu verteidigen, betonte Camerarius im Jahr 1572 seinen Glauben: ''Nullam scio ego spem salutis concipi firmam posse, extra Catholicam et Orthodoxam Christi Iesu Ecclesiam. In qua sola est vera Dei aeterni veneratio, et cognitio veritatis, et consensus in hac est sancti Spiritus Magistri ducis ad omnem veritatem, maximum et summum beneficium atque donum.''<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0878]], [[Camerarius, Notatio figurarum sermonis in libris quatuor evangeliorum (Druck), 1572]], Bl. A7r. Übersetzung: Ich weißt, dass man keine sichere Hoffnung auf Rettung außerhalb der katholischen und orthodoxen Kirche Jesu Christi setzen kann. In ihr allein ist die wahre Anbetung des ewigen Gottes und die Erkenntnis der Wahrheit und sie hat die Zustimmung des Heiligen Geistes, der unser Lehrer ist und uns zur gesamten Wahrheit, zur größten und höchstens Wohltat und Gabe führt.</ref> Eine Schwierigkeit ist dabei noch gar nicht betrachtet worden: Im Athanasianum wird die ''processio'' des Heiligen Geistes aus Vater und Sohn festgehalten.<ref>Vgl. [[Kelly 1964]], S. 19, Vers 23: ''Spiritus sanctus a Patre et Filio, non factus nec creatus nec genitus sed procedens.''</ref> Camerarius äußert sich nicht gesondert dazu. Seine andernorts beschriebene Ablehnung des "Filioque" (↓ [[Theologie (CamLex)#Pneumatologie]]) würde allerdings auch inhaltliche Bedenken rechtfertigen.<br>
Es war nicht zu ermitteln, wann und von welcher Seite die Vorwürfe gegen den Philologen entstanden: Möglicherweise war es erst [[Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1562|die 2. Auflage (1562)]], die Camerarius den Vorwurf mangelnder Rechtgläubigkeit einbrachte: Darin ist der besagte Abschnitt noch enthalten, jedoch der Hinweis darauf getilgt, dass Athanasius den Text an Liberius geschickt habe. Dadurch könnten die Zweifel an der Autorschaft noch größer erscheinen. Die Publikation des zweiten Auflage fiel in die Zeit, als der Streit zwischen Trinitarismus und Tritheismus besonders heftig tobte. Daher kann sie den Konflikt zusätzlich angeheizt haben. Um sich gegen jeden Vorwurf der Irrlehre zu verteidigen, betonte Camerarius im Jahr 1572 seinen rechten Glauben: ''Nullam scio ego spem salutis concipi firmam posse, extra Catholicam et Orthodoxam Christi Iesu Ecclesiam. In qua sola est vera Dei aeterni veneratio, et cognitio veritatis, et consensus in hac est sancti Spiritus Magistri ducis ad omnem veritatem, maximum et summum beneficium atque donum.''<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0878]], [[Camerarius, Notatio figurarum sermonis in libris quatuor evangeliorum (Druck), 1572]], Bl. A7r. Übersetzung: Ich weiß, dass man keine sichere Hoffnung auf Rettung außerhalb der allumfassenden und rechtgläubigen Kirche Jesu Christi setzen kann. In ihr allein ist die wahre Anbetung des ewigen Gottes und die Erkenntnis der Wahrheit und sie hat die Zustimmung des Heiligen Geistes, der unser Lehrer ist und uns zur gesamten Wahrheit, zur größten und höchstens Wohltat und Gabe führt.</ref> Camerarius verschweigt dabei freilich ein Problem, das ihn umgetrieben haben dürfte: Im Athanasianum wird die ''processio'' des Heiligen Geistes aus Vater und Sohn festgehalten, also die "Filioque"-Formel befürwortet.<ref>Vgl. [[Kelly 1964]], S. 19, Vers 23: ''Spiritus sanctus a Patre et Filio, non factus nec creatus nec genitus sed procedens.''</ref> Camerarius äußert sich zwar nicht gesondert in dieser Hinsicht, seine unten beschriebene Ablehnung des "Filioque" würde allerdings auch inhaltliche Bedenken rechtfertigen.<br>


Zur Beschreibung der Trinität greift Camerarius auf verschiedene gebräuchliche griechische und lateinische Termini zurück. Zu den Begriffen οὐσία und ὑπόστασις und deren Übersetzung durch ''essentia'' sowie ''substantia'' hat Camerarius im Rahmen der [[Theodoret, Res Ecclesiasticae, 1536|die Theodoret-Ausgabe]] einen Traktat verfasst.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0194]], [[Theodoret, Res Ecclesiasticae, 1536]], S. 171-173: ''Sunt autem Graecae ὀυσία et ὑπόστασις, quas convertimus Essentia ac substantia, neutra quidem admodum Latina, sed quibus tamen Graecae, ne ipsae quidem admodum hac quidem significatione probatae, reddi viderent.'' Außerdem unterscheidet er die Begriffe Substantia, Persona, Character, Individuum und Proprium. Die Gottheit sei eine ''natura'' oder ''essentia'', enthalte aber die drei ''substantiae'' (Vater, Sohn und Heiliger Geist) und drei ''personae'' bzw. ''characteres''.</ref> Der Traktat lehnt sich eng an den dahinter (in Camerarius' Übersetzung) abgedruckten Brief [[Basilius der Große|des Basilius]] über den Unterschied der Begriffe Essenz und Substanz an. Dies entspricht auch der Botschaft des Gutachtens (siehe oben).  
Für Camerarius war die Dreieinigkeit aus Vater, Sohn und Heiligem Geist verehrungswürdig. Dies kommt auch in einem [[OC 0655|Hymnus an die Dreifaltigkeit]] zum Ausdruck.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0655|Camerarius, Disputatio de precibus (Druck), 1560]], S. 187: Πάνσεπτος τριὰς ἣν καὶ προσκυνέουσιν ἅπαντα.</ref> Zu ihrer Beschreibung greift er auf verschiedene gebräuchliche griechische und lateinische Termini zurück. Zu den Begriffen οὐσία und ὑπόστασις und deren Übersetzung durch ''essentia'' sowie ''substantia'' hat Camerarius im Rahmen der [[Theodoret, Res Ecclesiasticae, 1536|die Theodoret-Ausgabe]] eine kurze Abhandlung verfasst.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0194]], [[Theodoret, Res Ecclesiasticae, 1536]], S. 171-173: ''Sunt autem Graecae ὀυσία et ὑπόστασις, quas convertimus Essentia ac substantia, neutra quidem admodum Latina, sed quibus tamen Graecae, ne ipsae quidem admodum hac quidem significatione probatae, reddi viderent.'' Außerdem unterscheidet er die Begriffe Substantia, Persona, Character, Individuum und Proprium. Die Gottheit sei eine ''natura'' oder ''essentia'', enthalte aber die drei ''substantiae'' (Vater, Sohn und Heiliger Geist) und drei ''personae'' bzw. ''characteres''.</ref> Der Traktat lehnt sich eng an den dahinter (in Camerarius' Übersetzung) abgedruckten Brief [[Basilius der Große|des Basilius]] über den Unterschied der Begriffe Essenz und Substanz an. Dies entspricht auch der Botschaft des Gutachtens (siehe oben).  


Leicht anders wählt er die Begriffe in der "Katechesis" und gibt οὐσία mit ''substantia'' und ὑπόστασις mit ''persona'' wieder.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0579]], [[Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1552]], S. 303 sowie [[Erwähntes Werk::OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 263f.</ref> Gott sei eins, ungeteilt in Natur und Essenz, aber in einer Dreiheit der Hypostasen oder Personen, die gewisse Unterschiede haben.<ref>[[OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 347f.: ''Unum quidem illum natura ac essentia omnino indivisum, sed quem contemplamur in trinitate hypostaseon seu personarum, secundum harum differentias. ... Essentiam quidem vocamus naturae communitatem, quodque est in hac uniforme et indiscretum, secundum quod unum, solum, aeternum, principio carentem Deum agnoscimus et adorantes colimus, secundum verbum ipsius. Sed hypostaseos nomen, vult secernere differentias quasdam earum, quae dicuntur personae, in quibus est illud unum, vel, Quae sunt una Deitas, per quas ineffabili modo et incompraehenso ostenditur numen divinum quale sit: Unum nimirum secundum essentiam, quod nos tamen contemplemur in tribus differentiis: non ficte neque imaginatione cogitandi, sed reipsa et vere subsistentes.'' Vgl. [[OC 0579]], [[Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1552]], S. 403.</ref>
Anders wählt er die Begriffe in der "Katechesis" und gibt οὐσία mit ''substantia'' und ὑπόστασις mit ''persona'' wieder.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0579]], [[Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1552]], S. 303 sowie [[Erwähntes Werk::OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 263f.</ref> Gott sei eins, ungeteilt in Natur und Essenz, aber in einer Dreiheit der Hypostasen oder Personen, die gewisse Unterschiede haben.<ref>[[OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 347f.: ''Unum quidem illum natura ac essentia omnino indivisum, sed quem contemplamur in trinitate hypostaseon seu personarum, secundum harum differentias. ... Essentiam quidem vocamus naturae communitatem, quodque est in hac uniforme et indiscretum, secundum quod unum, solum, aeternum, principio carentem Deum agnoscimus et adorantes colimus, secundum verbum ipsius. Sed hypostaseos nomen, vult secernere differentias quasdam earum, quae dicuntur personae, in quibus est illud unum, vel, Quae sunt una Deitas, per quas ineffabili modo et incompraehenso ostenditur numen divinum quale sit: Unum nimirum secundum essentiam, quod nos tamen contemplemur in tribus differentiis: non ficte neque imaginatione cogitandi, sed reipsa et vere subsistentes.'' Vgl. [[OC 0579]], [[Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1552]], S. 403.</ref>


Eine Erklärung zu diesen (und anderen) Begriffen gibt Camerarius in griechischer Sprache als Anhang zur "Disputatio de Precibus".<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0670]], [[Camerarius, Disputatio de precibus (Druck), 1560]], S. 257: Οὐσία, τὸ ὂν καθ'ἑαυτό, ἢ, τῶν ὄντων ἑκάστου ἑνοειδὴς κατάστασις. ἢ ὕπαρξις τοῦ ἁπλῶς καθ'ἑαυτὸ, καὶ μὴ ἐν ὑποκειμένῳ ἑτέρῳ ὄντος. ἢ πρᾶγμα αὐθύπαρκτον μηδενὸς ἑτέρου δεόμενον πρὸς σύστασιν. Φύσις, οὐσία κοινὴ ἰδιωματικῶν ὑποστάσεων ὧν αὐτὴ περιέχει. Υπόστασις, τὸ καθ'ἑαυτὸ ἰδιοσυστάτως ὑφιστάμενον, ἢ τὸ ἴδιον παρὰ τὸ κοινόν, ἢ ἰδιότης ὑπὸ τὴν φύσιν ὑφισταμένη.</ref>
Eine Erklärung zu diesen (und anderen) Begriffen gibt Camerarius in griechischer Sprache als Anhang zur "Disputatio de Precibus".<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0670]], [[Camerarius, Disputatio de precibus (Druck), 1560]], S. 257: Οὐσία, τὸ ὂν καθ' ἑαυτό, ἢ, τῶν ὄντων ἑκάστου ἑνοειδὴς κατάστασις. ἢ ὕπαρξις τοῦ ἁπλῶς καθ'ἑαυτὸ, καὶ μὴ ἐν ὑποκειμένῳ ἑτέρῳ ὄντος. ἢ πρᾶγμα αὐθύπαρκτον μηδενὸς ἑτέρου δεόμενον πρὸς σύστασιν. Φύσις, οὐσία κοινὴ ἰδιωματικῶν ὑποστάσεων ὧν αὐτὴ περιέχει. Υπόστασις, τὸ καθ'ἑαυτὸ ἰδιοσυστάτως ὑφιστάμενον, ἢ τὸ ἴδιον παρὰ τὸ κοινόν, ἢ ἰδιότης ὑπὸ τὴν φύσιν ὑφισταμένη.</ref>


Auch zu Gott Vater äußert sich Camerarius gelegentlich. So sieht er ihn als ''principium'' aller Dinge, selbst ohne Anfang, nicht geboren, Erschaffer des Himmels und der Erde und Schöpfer aller Dinge, die erschaffen wurden.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 349: ''Deum patrem primum principium esse universorum, ipsum principio carentem, ingenitum, factorem celi et terrae, et creatorem universorum, quaecunque sane creata sunt.''</ref> Auch in Gebeten finden sich einige Beschreibungen Gottes: So erscheint er als mächtiger Herrscher und Schöpfer, aber auch als gütig und mitfühlend.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0728]], [[Camerarius, Votum seu Preces (Druck), 1563]], Bl. A7r: ''Sancte potens, aeterne Deus, Deus optime et idem Maxime, iuste, sed et mitis, miserisque benigne, invicte, omnipotens.''</ref> Gott Vater erscheint oft in Bezug auf den Sohn, indem er als "Vater unseres Herrn Jesus Christus" bezeichnet wird.<ref>Häufig erscheint dieses Motiv in den Gedenkreden auf Kurfürst Moritz, z.B. [[Camerarius, Orationes funebres, 1569]], S. 57 und 155.</ref>
Auch zu Gott Vater äußert sich Camerarius gelegentlich. So sieht er ihn als ''principium'' aller Dinge, selbst ohne Anfang, nicht geboren, Erschaffer des Himmels und der Erde und Schöpfer aller Dinge, die erschaffen wurden.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 349: ''Deum patrem primum principium esse universorum, ipsum principio carentem, ingenitum, factorem celi et terrae, et creatorem universorum, quaecunque sane creata sunt.''</ref> In Gebeten erscheint er als mächtiger Herrscher und Schöpfer, aber auch als gütig und mitfühlend,<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0728]], [[Camerarius, Votum seu Preces (Druck), 1563]], Bl. A7r: ''Sancte potens, aeterne Deus, Deus optime et idem Maxime, iuste, sed et mitis, miserisque benigne, invicte, omnipotens.''</ref> oft in Bezug auf den Sohn als "Vater unseres Herrn Jesus Christus".<ref>Häufig erscheint dieses Motiv in den Gedenkreden auf Kurfürst Moritz, z.B. [[Camerarius, Orationes funebres, 1569]], S. 57 und 155.</ref>


Abweichend von fast allen Angehörigen der westlichen Kirchen stellt Camerarius fest, dass der Heilige Geist allein aus dem Vater hervorgehe; das "Filioque" fehlt bei ihm.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0576]], [[Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1552]], S. 292f.: ἐκ τοῦ πατρὸς ἐκπορευόμενον, καὶ ἐκ τοῦ ὑιοῦ λαμβανόμενον. a.a. O., S. 404: τὸ δὲ ἅγιον πνεῦμα ἐκπορευόμενον ἐκ τοῦ πατρὸς. Zum "Filioque" vgl. Gemeinhardt, Peter: Die Filioque-Kontroverse zwischen Ost- und Westkirche im Frühmittelalter. Berlin u.a. 2002.</ref> Diese Position entspricht dem Glaubensbekenntnis der östlichen Kirchen. Es wäre zwar bei der griechischen "Katechesis" denkbar, dass Camerarius das "Filioque" im Sinne der Ökumene für die griechischsprachigen Christen, die ja auch eine Zielgruppe der Katechesis waren, weggelassen hat; allerdings enthält auch die lateinische Ausgabe kein "Filioque".<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 349: ''Spiritum autem sanctum egredi ex patre, secundum scripturas, cum nihilo secus etiam filii ille spiritus sit, ut confessionis veritas hoc constituat: Quod spiritus sanctus personam suam habeat ex patre et a filio. Non genitus neque factus aut creatus, sed egrediens ex Deo, unde omnis sanctificatio pervenit ad Ecclesiam Christi.'' Ebenso a.a.O. S. 255: ''ex patre egrediens, et qui accipitur ex filio''.</ref> Sinngemäß sagt Camerarius, dass der Heilige Geist aus dem Vater hervorgeht, aber die Hypostasis/''persona'' vom Vater und vom Sohn bzw. nur vom Sohn hat.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 271: ''Egredi autem ex patre secundum oracula divina, et consistere seu habere personam suam per filium sancti patres tradiderunt.'' Er bezieht sich dabei auf [[Erwähnte Person::Basilius der Große|Basilius]].</ref> Eine kritische Auseinandersetzung mit dem "Filioque" findet man auch noch bei [[Erwähnte Person::Erasmus von Rotterdam]] in der [https://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10389402-6 "Explicatio in Symbolum apostolorum et Decalogum" 1646], S. 144f. sowie in den Anmerkungen zum 1. Korintherbrief.<ref>Vgl. Erasmus-Gesamtausgabe Vol. V.I, S. 269-271 sowie Vol. VI.VIII, S. 162f.</ref> Er unterscheidet eine "missio temporaria" und eine "aeterna processio". Camerarius schlägt eine ähnliche Richtung ein. Er zitiert allerdings nicht Erasmus, sondern griechische Schriftsteller wie [[Erwähnte Person::Theophylactus]].<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0879]], [[Camerarius, Notatio figurarum sermonis in libris quatuor evangeliorum (Druck), 1572]], S. 288.</ref>
Abweichend von fast allen Angehörigen der westlichen Kirchen stellt Camerarius fest, dass der Heilige Geist allein aus dem Vater hervorgehe; das "Filioque" fehlt bei ihm.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0576]], [[Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1552]], S. 292f.: ἐκ τοῦ πατρὸς ἐκπορευόμενον, καὶ ἐκ τοῦ ὑιοῦ λαμβανόμενον. a.a. O., S. 404: τὸ δὲ ἅγιον πνεῦμα ἐκπορευόμενον ἐκ τοῦ πατρὸς. Zum "Filioque" vgl. Gemeinhardt, Peter: Die Filioque-Kontroverse zwischen Ost- und Westkirche im Frühmittelalter. Berlin u.a. 2002.</ref> Diese Position entspricht dem Glaubensbekenntnis der östlichen Kirchen. Es wäre zwar bei der griechischen "Katechesis" denkbar, dass Camerarius das "Filioque" im Sinne der Ökumene für die griechischsprachigen Christen, die ja auch eine Zielgruppe der Schrift waren, weggelassen hat; allerdings enthält auch die lateinische Ausgabe kein "Filioque".<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 349: ''Spiritum autem sanctum egredi ex patre, secundum scripturas, cum nihilo secus etiam filii ille spiritus sit, ut confessionis veritas hoc constituat: Quod spiritus sanctus personam suam habeat ex patre et a filio. Non genitus neque factus aut creatus, sed egrediens ex Deo, unde omnis sanctificatio pervenit ad Ecclesiam Christi.'' Ebenso a.a.O. S. 255: ''ex patre egrediens, et qui accipitur ex filio''.</ref> Sinngemäß sagt Camerarius, dass der Heilige Geist aus dem Vater hervorgeht, aber die Hypostasis/''persona'' vom Vater und vom Sohn bzw. nur vom Sohn hat.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 271: ''Egredi autem ex patre secundum oracula divina, et consistere seu habere personam suam per filium sancti patres tradiderunt.'' Er bezieht sich dabei auf [[Erwähnte Person::Basilius der Große|Basilius]].</ref> Eine kritische Auseinandersetzung mit dem "Filioque" findet man auch noch bei [[Erwähnte Person::Erasmus von Rotterdam]] in der Erklärung zu den Glaubensbekenntnissen<ref>[https://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10389402-6 "Explicatio in Symbolum apostolorum et Decalogum" 1646], S. 144f.</ref> sowie in den Anmerkungen zum 1. Korintherbrief.<ref>Vgl. Erasmus-Gesamtausgabe Vol. V.I, S. 269-271 sowie Vol. VI.VIII, S. 162f.</ref> Er unterscheidet eine "missio temporaria" und eine "aeterna processio". Camerarius schlägt eine ähnliche Richtung ein. Er zitiert allerdings nicht Erasmus, sondern griechische Schriftsteller wie [[Erwähnte Person::Theophylactus]].<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0879]], [[Camerarius, Notatio figurarum sermonis in libris quatuor evangeliorum (Druck), 1572]], S. 288.</ref>
 
Zum Stellenwert der Trinität bei Camerarius ist festzuhalten, dass ihm die Dreieinigkeit aus Vater, Sohn und Heiligem Geist verehrungswürdig war. Dies kommt auch in einem [[OC 0655|Hymnus an die Dreifaltigkeit]] zum Ausdruck.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0655|Camerarius, Disputatio de precibus (Druck), 1560]], S. 187: Πάνσεπτος τριὰς ἣν καὶ προσκυνέουσιν ἅπαντα.</ref> Verehrung komme aber nicht den Heiligen und auch nicht der Jungfrau Maria zu. So argumentiert bereits 1545 in seiner griechischen Schrift "De invocatione sanctorum".<ref>[[OC 0459]], [[Camerarius, De invocatione sanctorum (gr., Druck), 1545]], Bl. Cr: ὁ δὲ πατὴρ καὶ ὑιὸς καὶ ἅγιον πνεῦμα προσκυνείσθω, τὴν μαρίαν μηδεὶς προσκυνείτω.</ref>


('''Vinzenz Gottlieb''')
('''Vinzenz Gottlieb''')


====Christologie====
====Christologie====
Camerarius orientiert sich in der Christologie an den Inhalten des Apostolischen und des Nicäno-Konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnisses. An einigen Stellen gibt er sie mit anderen Worten wieder: Der Sohn wurde von Gott geboren, nicht geschaffen oder gemacht. Er ist Mittler zwischen Gott und den Menschen, ist Mensch geworden,<ref>[[OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 267: Er sei vollständig Mensch geworden, mit Verstand, Seele und Leib, aber ohne Sünde.</ref> nahm Fleisch an ohne Sünde aus der Gottesgebärerin (θεότοκος/''Deipara'') Maria, hat gelitten und für die Menschen den Tod auf sich genommen, ist auferstanden und wurde in den Himmel aufgenommen und wird wiederkommen, um Lebende und Tote zu richten. Er ist der Retter und Erlöser.<ref>[[OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 549 (sic! eigentlich 349): ''Sed filium nulla temporis origine ex patre nasci, non creatum neque factum, verbum seu sermonem in una persona, per quem omnia facta sunt, quaecunque dunt facta. Qui se medium interponit semper inter Deum et homines, qui homo est factus, assumta carne sine peccato vere ex Deipara virgine Maria, Qui passus est, et pro nobis mortem pertulit, resurrexit, asumtus est in celum, et sedet e dextris Dei patris, venturus ad iudicium de vivis et mortuis, salvator et redemtor noster Dominus Iesus Christus.''</ref>
Camerarius orientiert sich in der Christologie an den Inhalten des Apostolischen und des Nicäno-Konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnisses. An einigen Stellen der "Catechesis" gibt er sie mit anderen Worten wieder: Der Sohn wurde vor der Zeit von Gott geboren, nicht geschaffen oder gemacht. Er ist Mittler zwischen Gott und den Menschen, ist Mensch geworden,<ref>[[OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 267: Er sei vollständig Mensch geworden, mit Verstand, Seele und Leib, aber ohne Sünde.</ref> nahm Fleisch an ohne Sünde aus der Gottesgebärerin Maria, hat gelitten und für die Menschen den Tod auf sich genommen, ist auferstanden und wurde in den Himmel aufgenommen und wird wiederkommen, um Lebende und Tote zu richten. Er ist der Retter und Erlöser.<ref>[[OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 549 (sic! eigentlich 349): ''Sed filium nulla temporis origine ex patre nasci, non creatum neque factum, verbum seu sermonem in una persona, per quem omnia facta sunt, quaecunque sunt facta. Qui se medium interponit semper inter Deum et homines, qui homo est factus, assumta carne sine peccato vere ex Deipara virgine Maria, Qui passus est, et pro nobis mortem pertulit, resurrexit, asumtus est in celum, et sedet e dextris Dei patris, venturus ad iudicium de vivis et mortuis, salvator et redemtor noster Dominus Iesus Christus.''</ref>


Camerarius bekennt, dass Gottes Sohn "das ewig personlich Wort" sei, und die Heilige Schrift "sey das wort so Gott geredet".<ref>[[Erwähntes Werk::OC 1036]] (Gutachten für Kurfürst August), Abschnitt 2: "Vnnd bekenne das allein Gottes sune, das Ewig personlich Wort, vnnd das die hailig schrifft sey das wort so Gott geredet, vnd gesprochen vnd also geoffenbart alles so von seinem Gottlichem wesen, vnd willen den menschen zuwissen von nöthen, Welche läre auch diße vnterscheid vermischet oder felschett, die halt ich fur vnrecht vnd verfurisch."</ref> Somit bestehe also ein Unterschied zwischen ewigen Wort und dem geoffenbarten Wort, ein Teil des Wortes bleibe den Menschen verborgen. <ref>Vgl. [[OC 0724]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 48-52 zu filius und Verbum.</ref>
Camerarius bekennt, dass Gottes Sohn "das ewig personlich Wort" sei, und die Heilige Schrift "sey das wort so Gott geredet".<ref>[[Erwähntes Werk::OC 1036]] (Gutachten für Kurfürst August), Abschnitt 2: "Vnnd bekenne das allein Gottes sune, das Ewig personlich Wort, vnnd das die hailig schrifft sey das wort so Gott geredet, vnd gesprochen vnd also geoffenbart alles so von seinem Gottlichem wesen, vnd willen den menschen zuwissen von nöthen, Welche läre auch diße vnterscheid vermischet oder felschett, die halt ich fur vnrecht vnd verfurisch".</ref> Somit bestehe also ein Unterschied zwischen dem ewigen Wort und dem geoffenbarten Wort, ein Teil des Wortes bleibe den Menschen verborgen. <ref>Vgl. [[OC 0724]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 48-52 zu ''filius'' und ''verbum''.</ref>


Aussagen zur gottmenschlichen Natur Jesu tätigt Camerarius auch in der [[Erwähntes Werk::OC 0762|Historia Iesu Christi]].<ref>Siehe ↑ '''[[Theologie (CamLex)#Theologie - Christologische Inhalte|"Historia Iesu Christi"]]'''.</ref> Christus und Gott seien wesensgleich (ὁμοούσιος); Jesus sei von der Jungfrau Maria geboren, jedoch von Gott vor Anbeginn der Zeit gezeugt worden.<ref>Vgl. [[OC 0762]], [[Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], S. 4.</ref> Somit ist Christus zeitlos (ἄχρονος) und ohne Anfang (ἄναρχος) in der Zeit, hat jedoch seinen Anfang im Vater (ἀρχὴν, ''id est,'' αἰτίαν γενέσεως ''habens'') und ist zugleich ewig (ἀειγενής).<ref>Vgl. ebda. S. 6.</ref>
Aussagen zur gottmenschlichen Natur Jesu tätigt Camerarius auch in der [[Erwähntes Werk::OC 0762|"Historia Iesu Christi"]].<ref>Siehe ↑ '''[[Theologie (CamLex)#Theologie - Christologische Inhalte|Theologie - Christologische Inhalte]]'''.</ref> Christus und Gott seien wesensgleich (ὁμοούσιος); Jesus sei von der Jungfrau Maria geboren, jedoch von Gott vor Anbeginn der Zeit gezeugt worden.<ref>Vgl. [[OC 0762]], [[Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], S. 4.</ref> Somit ist Christus zeitlos (ἄχρονος) und ohne Anfang (ἄναρχος) in der Zeit, hat jedoch seinen Anfang im Vater (ἀρχὴν, ''id est,'' αἰτίαν γενέσεως ''habens'') und ist zugleich ewig (ἀειγενής).<ref>Vgl. ebd. S. 6.</ref>


Die Mutter Jesu, Maria, bezeichnet Camerarius als Gottesgebärerin, θεότοκος bzw. ''Deipara'';<ref>So schreibt C. im Rahmen eines Glaubensbekenntnisses: [[OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 349: ''assumta carne sine peccato vero ex Deipara virgine Maria''; [[OC 0579]], [[Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1552]], S. 404: ἐκ τοῦ θεοτόκου παρθένου μαρίας.</ref> dagegen wird Jesus in den "Capita pietatis" (V. 93) als θειότοκος bezeichnet, also als gottgeboren. Das soll zeigen, dass Maria selbst nicht verehrt werden soll, und verdeutlicht eine Diskrepanz zu altkirchlichen Positionen.<ref>Vgl. [[Walter 2017]], S. 39f. und [[Seckt 1888]], S. 18.</ref> Camerarius verweist auf [[Epiphanios von Salamis]] und dessen [[Epiphanios von Salamis, Contra Antidicomaritas|Schrift gegen die Antidikomarianiten]], ohne aber dessen Position vollständig zu übernehmen.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 82f.: ''Atque haud scio an de toto hoc genere praeclarissime ille autor haec scripserit, in disputatione contra eos, quos Antidicomatitas''(!) ''appellat, quasi disceptatores de sanctitate virginis Mariae'.'</ref> Die Jungfräulichkeit Mariens wird aber nicht in Frage gestellt: Sie sei keusch und rein auf ewig.<ref>[[OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 308: ''casta et pura permanens semper''.</ref>
Die Mutter Jesu, Maria, bezeichnet Camerarius als Gottesgebärerin und Jungfrau, θεότοκος πάρθενος bzw. ''Deipara virgo'';<ref>So schreibt C. im Rahmen eines Glaubensbekenntnisses: [[OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 349: ''assumta carne sine peccato vero ex Deipara virgine Maria''; [[OC 0579]], [[Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1552]], S. 404: ἐκ τοῦ θεοτόκου παρθένου μαρίας.</ref> dagegen wird Jesus in den "Capita pietatis" (V. 93) als θειότοκος bezeichnet, also als gottgeboren. Das soll zeigen, dass Maria selbst nicht verehrt werden soll, und verdeutlicht eine Diskrepanz zu altkirchlichen Positionen.<ref>Vgl. [[Walter 2017]], S. 39f. und [[Seckt 1888]], S. 18.</ref> Camerarius verweist auf [[Epiphanios von Salamis]] und dessen [[Epiphanios von Salamis, Contra Antidicomaritas|Schrift gegen die Antidikomarianiten]], ohne aber dessen Position vollständig zu übernehmen.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], 82f.: ''Atque haud scio an de toto hoc genere praeclarissime ille autor haec scripserit, in disputatione contra eos, quos Antidicomatitas''(!) ''appellat, quasi disceptatores de sanctitate virginis Mariae''.</ref> Die Jungfräulichkeit Mariens wird aber nicht in Frage gestellt: Sie sei keusch und rein auf ewig.<ref>[[OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 308: ''casta et pura permanens semper''.</ref>


Auch in seinem [[Erwähntes Werk::OC 0573|Geschichtswerk zum Konzil von Nizäa]] thematisiert er alte Streitigkeiten um christologische Inhalte. Die arianische Lehre von der Wesensähnlichkeit (zwischen Vater und Sohn) wird verworfen und die Wesensgleichheit betont, vor dem Hintergrund antiker Konzilien.<ref>[[OC 0573]], [[Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552]], S. 112-125.</ref>
Auch in seinem [[Erwähntes Werk::OC 0573|Geschichtswerk zum Konzil von Nizäa]] thematisiert er alte Streitigkeiten um christologische Inhalte. Die arianische Lehre von der Wesensähnlichkeit (zwischen Vater und Sohn) wird verworfen und die Wesensgleichheit betont, vor dem Hintergrund antiker Konzilien.<ref>[[OC 0573]], [[Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552]], S. 112-125.</ref>


Eng verbunden ist die Christologie mit der Lehre von der Rechtfertigung: Camerarius glaubt, lutherischer Lehre entsprechend, dass durch das Verdienst Christi die Menschen erlöst werden, entsprechend dem "Solus Christus"-Prinzip.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 1036]], Abschnitte 6 und 8.</ref> Weitere Aussagen zu Christus in heilsgeschichtlicher Hinsicht finden sich auch in zahlreichen Hymnen: <ref>→ Schlagwort [[Hymnus]]</ref> So wird Christus als Sieger über den Tod und als Erlöser (''salvator'') dargestellt.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0574]], [[Fabricius, De historia et meditatione mortis Christi, 1552]], S. 67f.; [[Erwähntes Werk::OC 0310]], [[Camerarius, Ἐπιγράμματα, 1538]], S. 123f. sowie [[Erwähntes Werk::OC 0322]], [[Camerarius, Ἐπιγράμματα, 1538]], S. 124-127.</ref>
Eng verbunden ist die Christologie mit der Lehre von der Rechtfertigung: Camerarius glaubt, lutherischer Lehre entsprechend, dass durch das Verdienst Christi die Menschen erlöst werden, entsprechend dem "Solus Christus"-Prinzip.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 1036]], Abschnitte 6 und 8.</ref> Weitere Aussagen zu Christus in heilsgeschichtlicher Hinsicht finden sich auch in zahlreichen Hymnen:<ref>→ Schlagwort [[Hymnus]].</ref> So wird Christus als Sieger über den Tod und als Erlöser (''salvator'') dargestellt.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0574]], [[Fabricius, De historia et meditatione mortis Christi, 1552]], S. 67f.; [[Erwähntes Werk::OC 0310]], [[Camerarius, Ἐπιγράμματα, 1538]], S. 123f. sowie [[Erwähntes Werk::OC 0322]], [[Camerarius, Ἐπιγράμματα, 1538]], S. 124-127.</ref>


Das Menschsein Jesu betont Camerarius derart, dass er ihn, unter Berufung auf Nikephoros, äußerlich beschreibt: Größe ca. 1,60 m, Haar leicht blond mit Ansätzen zur Lockenbildung, dunkle Augenbrauen. Augen hell mit einem Stich ins Gelbe. Gerade Nase. Barthaare nicht sehr dicht und blond, langes Haupthaar, da nie geschoren. Den Hals etwas zurückgebeugt, so dass seine Statur nicht ganz aufrecht war. Hautfarbe dunkelgelb, das Gesicht nicht ganz rund, die Miene würdevoll und mild.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], S. 74. Offensichtlich vermengt Camerarius hier den Patriarchen [[Erwähnte Person::Nikephoros I. (Patriarch)]] und den Geschichtsschreiber [[Erwähnte Person::Nikephoros Kallistu Xanthopulos]], bei dem diese Beschreibung steht: [[Migne, PG]], 145, col. 748f.</ref> Vgl. auch ↑ [[Theologie (CamLex)#Theologie - Christologische Inhalte|Abschnitt zur Christologie in der "Historia Iesu Christi"]].
Das Menschsein Jesu betont Camerarius derart, dass er ihn, unter Berufung auf Nikephoros, äußerlich beschreibt: Größe ca. 1,60 m, Haar leicht blond mit Ansätzen zur Lockenbildung, dunkle Augenbrauen. Augen hell mit einem Stich ins Gelbe. Gerade Nase. Barthaare nicht sehr dicht und blond, langes Haupthaar, da nie geschoren. Den Hals etwas zurückgebeugt, so dass seine Statur nicht ganz aufrecht war. Hautfarbe dunkelgelb, das Gesicht nicht ganz rund, die Miene würdevoll und mild.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0762]], [[Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], S. 74. Offensichtlich vermengt Camerarius hier den Patriarchen [[Erwähnte Person::Nikephoros I. (Patriarch)|Nikephoros]] und den Geschichtsschreiber [[Erwähnte Person::Nikephoros Kallistu Xanthopulos]], bei dem diese Beschreibung steht: [[Migne, PG]], 145, col. 748f.</ref> Vgl. auch ↑ [[Theologie (CamLex)#Theologie - Christologische Inhalte|Abschnitt zur Christologie in der "Historia Iesu Christi"]].


('''Vinzenz Gottlieb''')
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====Soteriologie und Rechtfertigungslehre====
====Soteriologie und Rechtfertigungslehre====
Zur Frage der Erlösung und der Rechtfertigung der Christen gegenüber Gott, einem Kernbereich reformatorischer Theologie, äußert sich Camerarius häufig: Niemand gefalle Gott durch seine sterblichen Werke.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0455]], [[Camerarius, Capita pietatis, 1545]], V. 119f., vgl. [[Walter 2017]], S. 40. Vgl. auch [[OC 0425]], [[Camerarius, Synodica, 1543]],  Bl. D4r-v: ''Propter merita non propria sed aliena domini nostri Iesu Christi, iustificatis fide non operibus suis. promittitur enim diuinitus omnibus credentibus in Christum remissio peccatorum, salus & uita sempiterna, quae accipi aliter quam fide non possunt.''</ref> Im Sinne von Luthers ''sola fide''-Prinzip stellt Camerarius in seinen katechetischen Schriften fest, dass Menschen durch den Glauben gerechtfertigt werden: ''Diximus fide nos iustificari.''<ref>[[OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 231. Vgl. auch [[OC 0906]].</ref> und ''Sola fide nos iustificari. Non enim certe desolatam et desertam, in qua nihil honesti et boni sit fidem commendamus, sed constituimus veritatis aeternae salutare dogma: Quod sola fide et nullo alio habitu, nulla facultate, nullo conatu accipiatur donum Dei, iusticia in remissione peccatorum propter Christum Iesum.''<ref>[[OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 233.</ref> Hiermit schließt er explizit alle anderen Wege zum Heil aus. Auch ist er der Auffassung, es hätte auf dem Regensburger Religionsgespräch (1541) eine Übereinstimmung bei der Rechtfertigung durch Glauben und bei den guten Werken gegeben – jedenfalls äußert er 1543 die Hoffnung, dass die lutherische Position sich durchsetzen könne.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0431]], [[Camerarius, Synodica, 1543]], Bl. B2r: ''De iustificatione seu de ea doctrina, quae dicit homines consequi remissionem peccatorum propter Christum fide, non propter dignitatem, item de bonis operibus Ratisbonae facta est conciliatio. Et non dubito prudentes omnes et timentes Deum, agnoscere eam sententiam quae in ecclesiis, quas Luteranas appellant, traditur, veram et utilem esse pietati.''</ref><br>
Zur Frage der Erlösung und der Rechtfertigung der Christen gegenüber Gott, einem Kernbereich reformatorischer Theologie, äußert sich Camerarius häufig: Niemand gefalle Gott durch seine sterblichen Werke.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0455]], [[Camerarius, Capita pietatis, 1545]], V. 119f., vgl. [[Walter 2017]], S. 40. Vgl. auch [[OC 0425]], [[Camerarius, Synodica, 1543]],  Bl. D4r-v: ''Propter merita non propria sed aliena domini nostri Iesu Christi, iustificatis fide non operibus suis. promittitur enim diuinitus omnibus credentibus in Christum remissio peccatorum, salus & uita sempiterna, quae accipi aliter quam fide non possunt.''</ref> Im Sinne von Luthers ''sola fide''-Prinzip stellt Camerarius in seinen katechetischen Schriften fest, dass Menschen durch den Glauben gerechtfertigt werden: ''Diximus fide nos iustificari.''<ref>[[OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 231. Vgl. auch [[OC 0906]].</ref> und ''Sola fide nos iustificari. Non enim certe desolatam et desertam, in qua nihil honesti et boni sit fidem commendamus, sed constituimus veritatis aeternae salutare dogma: Quod sola fide et nullo alio habitu, nulla facultate, nullo conatu accipiatur donum Dei, iusticia in remissione peccatorum propter Christum Iesum.''<ref>[[OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 233.</ref> Hiermit schließt er explizit alle anderen Wege zum Heil aus. Auch ist er der Auffassung, es hätte auf dem Regensburger Religionsgespräch (1541) eine Übereinstimmung bei der Rechtfertigung durch Glauben und bei den guten Werken gegeben – jedenfalls äußert er 1543 die Hoffnung, dass die lutherische Position sich durchsetzen könne.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0431]], [[Camerarius, Synodica, 1543]], Bl. B2r: ''De iustificatione seu de ea doctrina, quae dicit homines consequi remissionem peccatorum propter Christum fide, non propter dignitatem, item de bonis operibus Ratisbonae facta est conciliatio. Et non dubito prudentes omnes et timentes Deum, agnoscere eam sententiam quae in ecclesiis, quas Luteranas appellant, traditur, veram et utilem esse pietati.''</ref><br>
Camerarius bezeichnet auch gegenüber Kurfürst [[Erwähnte Person::August (Sachsen)]] "allein den verdienst Iesu Christi" als Weg zur Seligkeit und Gerechtigkeit und bekennt sich so zum ''solus Christus''-Prinzip.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 1036|Gutachten]], Abschnitt 8: "allein den verdienst Iesu Christi des einigen Suns Gottes, welcher vnser einiger mittler, erlöser vnd seligmacher ist, fur vnser sund gestorben, aufferstanden zw vnser gerechtigkeit, Vnnd sitzet zu der gerechten hand Gottes, verbietett, vertrietett, erlöset, bringt zwm ewigen heyle, immerdar vnd ohn vnterlaße, alle die ihenigen so an inen glauben, vnd sein wort annemen vnd halten nach Gottes bevelh".</ref> Man findet bei Camerarius aber immer wieder Hinweise darauf, dass er gute Werke nicht völlig ablehnt: Menschen könnten sich das Himmelreich durch gute Werke nicht verdienen, erhielten aber dort eine Belohnung für gute Werke.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 1036|Gutachten]], Abschnitt 6; '''so auch [[OC 0726|Catechesis]], S. 47-54 und 54-69 zum Lohn für gute Werke und Strafe für böse.''' Vgl. [[Müller 2000]], S. 207; ähnlich Melanchthon und Valentin Wagner; vgl. [[Seckt 1888]], S. 17.</ref> In Bezug auf die Lehre [[Erwähnte Person::Georg Maior|Georg Majors]] übt sich C. in Zurückhaltung, da er den Sachverhalt zu wenig kenne und man Major persönlich hören müsse; er verteidigt ihn aber vor dem Vorwurf, er setze Christi Verdienst und menschliche Werke gleich.<br>
Camerarius bezeichnet auch gegenüber Kurfürst [[Erwähnte Person::August (Sachsen)]] "allein den verdienst Iesu Christi" als Weg zur Seligkeit und Gerechtigkeit und bekennt sich so zum ''solus Christus''-Prinzip.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 1036|Gutachten]], Abschnitt 8: "allein den verdienst Iesu Christi des einigen Suns Gottes, welcher vnser einiger mittler, erlöser vnd seligmacher ist, fur vnser sund gestorben, aufferstanden zw vnser gerechtigkeit, Vnnd sitzet zu der gerechten hand Gottes, verbietett, vertrietett, erlöset, bringt zwm ewigen heyle, immerdar vnd ohn vnterlaße, alle die ihenigen so an inen glauben, vnd sein wort annemen vnd halten nach Gottes bevelh".</ref> Man findet bei Camerarius aber immer wieder Hinweise darauf, dass er gute Werke nicht völlig ablehnt: Menschen könnten sich das Himmelreich durch gute Werke nicht verdienen, erhielten aber dort eine Belohnung für dieselben.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 1036|Gutachten]], Abschnitt 6; so auch [[OC 0726|Catechesis]], S. 47-54 und 54-69 zum Lohn für gute Werke und Strafe für böse. Vgl. [[Müller 2000]], S. 207; ähnlich Melanchthon und Valentin Wagner; vgl. [[Seckt 1888]], S. 17.</ref> In Bezug auf die Lehre [[Erwähnte Person::Georg Maior|Georg Majors]] übt sich C. in Zurückhaltung, da er den Sachverhalt zu wenig kenne und man Major persönlich hören müsse; er verteidigt ihn aber vor dem Vorwurf, er setze Christi Verdienst und menschliche Werke gleich.<br>


Aufrufe zu guten Werken finden sich auch in der [[Camerarius, Querela Martini Luteri (Werk), 1554|"Querela Luteri"]], wo Camerarius der Traumgestalt Martin Luthers die Aussage in den Mund legt, dass gute Werke besser als schlechte seien.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0596]], [[Camerarius, Querela Martini Luteri (Druck), 1554]], S. 32: ''Nescio sane ... si in Ecclesia Christi necessitas bonorum operum praedicari non debeat ... Ergo erunt aut bona, aut non bona: quorum utrum docendum sit, me autore obscurum non est.''</ref> Der hier verzweifelt wirkende Reformator hinterfragt den Sinn aller seiner Schriften mit Ausnahme von [[Erwähntes Werk::Luther, De servo arbitrio, 1525|"De servo arbitrio"]].<ref>Vgl. [[OC 0596]], [[Camerarius, Querela Martini Luteri (Druck), 1554]], S. 29f.: ''Optavi ego aliquando omnia mea scripta intercidere, et unum modo libellum durare, quo cum Erasmo Roterodamo de arbitrio voluntatis humanae disputavi.'' In der Kontroverse zwischen Martin Luther und Erasmus von Rotterdam um den freien Willen hatte Camerarius wohl geglaubt, die beiden lägen nahe beieinander. So hatte er den Reformator motiviert, eine Erwiderung auf "De libero arbitrio" zu verfassen, was den Konflikt aber verschärfte und so zur gegenseitigen Entfremdung der beiden Konfliktparteien beitrug. Vgl. ↑ [[Theologie (CamLex)#Die frühen Jahre bis 1526]].</ref> Somit verdeutlicht Camerarius seine Übereinstimmung mit Luther im Bereich der Willensfreiheit. Die literarische Inanspruchnahme des Wittenbergers blieb allerdings nicht unwidersprochen: Camerarius provozierte damit eine Fülle an Gegenschriften.<ref>Vgl. [[Camerarius et al., Querela Martini Luteri et al., 1555]].</ref> Ansätze einer Verteidigung der Werkgerechtigkeit glaubt Friedrich Stählin auch in der "Historia Iesu Christi" zu finden.<ref>[[Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Werk), 1566|"Historia Jesu"]], [[Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], S. 2: ''hoc enim non modo utilitatem nobis sed plane salutem allaturum, aliis qui legissent gratum acceptumque futurum esse.'' Vgl. [[Stählin 1936]], S. 59.</ref> Hier ist aber zu hinterfragen, ob Stählins Interpretation des Wortes ''salus'' als Seelenheil wirklich zutrifft. Besser scheint mir eine Übersetzung als irdisches Glück. Die Voranstellung von ''plane'' verdeutlicht, dass man die Formulierung nicht wörtlich nehmen darf. Jedenfalls reichen die Argumente nicht aus, um Camerarius einen "Verstoß gegen die Rechtfertigungslehre" zu unterstellen. Deutlicher wird Camerarius in der "Catechesis", aber auch hier ohne Bruch mit Luthers Position: Man dürfe sich nicht dem Müßiggang hingeben und die durch Christus geschaffene Freiheit missbrauchen.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 235: ''Unde iam accidit ut doctrinae huic maledicatur , quasi talis sit quae evertat et prohibeat utilitatem bonorum operum, et accommodetur populariter ad vulgus, quod omnes fere ad remissionem et desidiam declinent, et fugiant virtutum labores et exercitationes. Minime vero se res ad hunc modum habet.</ref> Hier spricht auch der Praktiker, der ein geregeltes irdisches Zusammenleben im Sinn hat und befürchtet, eine völlige Absage an gute Werke könne in die Anarchie führen. Damit bewegt sich Camerarius in die Richtung der seinerzeit heftig angegriffenen Position [[Erwähnte Person::Georg Maior|Georg Majors]].<ref>Vgl. Der Majoristische Streit in seinen historischen und theologischen Zusammenhängen. In: Politik und Bekenntnis. Die Reaktionen auf das Interim von 1548. Hg. v. Irene Dingel und Günther Wartenberg. Leipzig 2006, S. 231-247, hier S. 240.</ref> Ähnliche Gedanken und Bedenken finden sich auch bei dem reformkatholischen Herzog [[Erwähnte Person::Georg (Sachsen)|Georg von Sachsen]], der "evangelische Freiheit und Rechtfertigung allein aus dem Glauben" für eine "Einladung zu Sittenlosigkeit und Laxheit, ja als Verführung zum Ausbruch aus der kirchlichen Ordnung" hielt.<ref>[[Volkmar 2008]], S. 183.</ref> Camerarius aber weist anhand zahlreicher neutestamentlicher Stellen nach, dass gläubige Christen sich aus freien Stücken für ein tugendhaftes Leben und gute Werke entscheiden.<ref>Vgl. [[OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 235-238. Zitierte Stellen sind u.a. Eph 2,10 und 4,17, Joh 15,1f. und 2 Petr 1,8-10 sowie [[Gregor von Nazianz]] ([[Migne, PG]] 35,427,39-428,2). Zum gottgefälligen Handeln vgl. auch [[Erwähntes Werk::OC 0748|Camerarius, Responsio, 1564]].</ref>
Aufrufe zu guten Werken finden sich auch in der [[Camerarius, Querela Martini Luteri (Werk), 1554|"Querela Luteri"]], wo Camerarius der Traumgestalt Martin Luthers die Aussage in den Mund legt, dass gute Werke besser als schlechte seien.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0596]], [[Camerarius, Querela Martini Luteri (Druck), 1554]], S. 32: ''Nescio sane ... si in Ecclesia Christi necessitas bonorum operum praedicari non debeat ... Ergo erunt aut bona, aut non bona: quorum utrum docendum sit, me autore obscurum non est.''</ref> Der hier verzweifelt wirkende Reformator hinterfragt den Sinn aller seiner Schriften mit Ausnahme von [[Erwähntes Werk::Luther, De servo arbitrio, 1525|"De servo arbitrio"]].<ref>Vgl. [[OC 0596]], [[Camerarius, Querela Martini Luteri (Druck), 1554]], S. 29f.: ''Optavi ego aliquando omnia mea scripta intercidere, et unum modo libellum durare, quo cum Erasmo Roterodamo de arbitrio voluntatis humanae disputavi.'' In der Kontroverse zwischen Martin Luther und Erasmus von Rotterdam um den freien Willen hatte Camerarius wohl geglaubt, die beiden lägen nahe beieinander. So hatte er den Reformator motiviert, eine Erwiderung auf "De libero arbitrio" zu verfassen, was den Konflikt aber verschärfte und so zur gegenseitigen Entfremdung der beiden Konfliktparteien beitrug. Vgl. ↑ [[Theologie (CamLex)#Die frühen Jahre bis 1526|Die frühen Jahre bis 1526]].</ref> Somit verdeutlicht Camerarius seine Übereinstimmung mit Luther im Bereich der Willensfreiheit. Die literarische Inanspruchnahme des Wittenbergers blieb allerdings nicht unwidersprochen: Camerarius provozierte eine Fülle an Gegenschriften.<ref>Vgl. [[Camerarius et al., Querela Martini Luteri et al., 1555]].</ref> Ansätze einer Verteidigung der Werkgerechtigkeit glaubt Friedrich Stählin auch in der "Historia Iesu Christi" zu finden.<ref>[[Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Werk), 1566|"Historia Jesu"]], [[Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], S. 2: ''hoc enim non modo utilitatem nobis sed plane salutem allaturum, aliis qui legissent gratum acceptumque futurum esse.'' Vgl. [[Stählin 1936]], S. 59.</ref> Hier ist aber zu hinterfragen, ob Stählins Interpretation des Wortes ''salus'' als Seelenheil wirklich zutrifft. Besser scheint mir eine Übersetzung als irdisches Glück. Die Voranstellung von ''plane'' verdeutlicht, dass man die Formulierung nicht wörtlich nehmen darf. Jedenfalls reichen die Argumente nicht aus, um Camerarius einen "Verstoß gegen die Rechtfertigungslehre" zu unterstellen. Deutlicher wird Camerarius in der "Catechesis", aber auch hier ohne Bruch mit Luthers Position: Man dürfe sich nicht dem Müßiggang hingeben und die durch Christus geschaffene Freiheit missbrauchen.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 235: ''Unde iam accidit ut doctrinae huic maledicatur , quasi talis sit quae evertat et prohibeat utilitatem bonorum operum, et accommodetur populariter ad vulgus, quod omnes fere ad remissionem et desidiam declinent, et fugiant virtutum labores et exercitationes. Minime vero se res ad hunc modum habet.</ref> Hier spricht auch der Praktiker, der ein geregeltes irdisches Zusammenleben im Sinn hat und befürchtet, eine völlige Absage an gute Werke könne in die Anarchie führen. Damit bewegt sich Camerarius in die Richtung der seinerzeit heftig angegriffenen Position [[Erwähnte Person::Georg Maior|Georg Majors]].<ref>Vgl. Irene Dingel, Der Majoristische Streit in seinen historischen und theologischen Zusammenhängen. In: Politik und Bekenntnis. Die Reaktionen auf das Interim von 1548. Hg. v. Irene Dingel und Günther Wartenberg. Leipzig 2006, S. 231-247, hier S. 240.</ref> Ähnliche Gedanken und Bedenken finden sich auch bei dem reformkatholischen Herzog [[Erwähnte Person::Georg (Sachsen)|Georg von Sachsen]], der "evangelische Freiheit und Rechtfertigung allein aus dem Glauben" als "Einladung zu Sittenlosigkeit und Laxheit, ja als Verführung zum Ausbruch aus der kirchlichen Ordnung" betrachtete.<ref>[[Volkmar 2008]], S. 183.</ref> Camerarius weist anhand zahlreicher neutestamentlicher Stellen nach, dass gläubige Christen sich aus freien Stücken für ein tugendhaftes Leben und gute Werke entscheiden.<ref>Vgl. [[OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 235-238. Zitierte Stellen sind u.a. Eph 2,10 und 4,17, Joh 15,1f. und 2 Petr 1,8-10 sowie [[Gregor von Nazianz]] ([[Migne, PG]] 35,427,39-428,2). Zum gottgefälligen Handeln vgl. auch [[Erwähntes Werk::OC 0748|Camerarius, Responsio, 1564]].</ref>


Ein Abschnitt der „Katechesis“ widmet sich der Frage, ob gute Werke belohnt werden. Das bejaht Camerarius: Menschen könnten das Gesetz nicht aus eigener Kraft erfüllen, weil ihre Versuche fehlerhaft seien. Aber durch den Glauben an den Sohn würden sie Freunde Gottes, dem ihre Werke gefallen und der sie belohne.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0724]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 54f.</ref> Allerdings fügt er auch Beispiele antiker Dichter an, wonach nicht immer gute Werke belohnt und schlechte bestraft werden. Zudem gebe Gott manchmal auch denen, die es nicht verdienten, aus Gnade.<ref>A.a.O., S. 62.</ref>
Ein Abschnitt der „Katechesis“ widmet sich der Frage, ob gute Werke belohnt werden. Dies bejaht Camerarius: Menschen könnten das Gesetz nicht aus eigener Kraft erfüllen, weil ihre Versuche limitiert und damit fehlerbehaftet seien. Aber durch den Glauben an den Sohn würden sie Freunde Gottes, dem ihre Werke gefallen und der sie belohne.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0724]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 54f.</ref> Allerdings fügt er auch Beispiele antiker Dichter an, wonach nicht immer gute Werke belohnt und schlechte bestraft werden. Zudem gebe Gott manchmal auch denen aus Gnade, die es nicht verdienten.<ref>Ebd., S. 62.</ref>
Auch in der Lehrdichtung „Capita pietatis“ verkündet Camerarius, dass niemand Gott durch gute Werke gefalle, er aber die unterstütze, die ihm folgen wollen, und ihnen Glauben schenke.<ref> V. 94-98, [[OC 0455]]: σέ δ‘αὖ ὅδε πάντα διδάξει<br>Ἄττα σὲ χρὴ πράττειν, βροτέων γὰρ κὔδανεν ἔργων,<br>Οὐδείς πω κτίστη πάντων, ὃσα δῇτ‘ ἐγένοντο,<br>ἁλλ‘ ὅδ‘ ἑοῖ πισύνους καὶ ἐφέλκει καὶ μεταπλάττει, <br>Εἰς κραδίην, ὃν πνεῦμα βαλὼν, θεῖόνθ‘ ἅγιόντε. [[OC 0481]]: ''te vero ille omnia docebit<br> Quaecunque te oportet facere, humanis enim placuit ab operibus <br>Nemo umquam conditori omnium quaecumque facta sunt, <br>Verum ipse sibi obsequentes et attrahit et refingit, <br>In cor suum spiritum immittens divinumque sanctumque''.</ref> Wenig später verheißt er himmlischen Lohn für gute und Höllenstrafen für böse Menschen. Er geht aber nicht darauf ein, wie diese Kategorisierung zustande kommt und ob sie sich auf die Werke der Menschen stützt.<ref>A.a.O., 136f. Δύσσεται ἐκ νεκρῶν ζωὸς κακὸς ἠδὲ καὶ ἐσθλός.<br>Ἐσθλ‘ ἱν‘ ἐγερθέντες βίον ἄφθορον αἰὲν ἔχωσι. ''Subiturus est de mortuis vivus tam malus quam bonus.<br> Boni ut excitati vitam incorruptam semper habeant, 140 Τούσδε κακοὺς νὺξ κυκλώσει ἔρεβός τε σκότος τε. At malos nox circumdabit erebusque caligoque.''</ref>
Auch in der Lehrdichtung „Capita pietatis“ verkündet Camerarius, dass niemand Gott durch gute Werke gefalle, er aber die unterstütze, die ihm folgen wollen, und ihnen Glauben schenke.<ref> V. 94-98, [[OC 0455]]: σέ δ‘αὖ ὅδε πάντα διδάξει<br>Ἄττα σὲ χρὴ πράττειν, βροτέων γὰρ κὔδανεν ἔργων,<br>Οὐδείς πω κτίστη πάντων, ὃσα δῇτ‘ ἐγένοντο,<br>ἁλλ‘ ὅδ‘ ἑοῖ πισύνους καὶ ἐφέλκει καὶ μεταπλάττει, <br>Εἰς κραδίην, ὃν πνεῦμα βαλὼν, θεῖόνθ‘ ἅγιόντε. [[OC 0481]]: ''te vero ille omnia docebit<br> Quaecunque te oportet facere, humanis enim placuit ab operibus <br>Nemo umquam conditori omnium quaecumque facta sunt, <br>Verum ipse sibi obsequentes et attrahit et refingit, <br>In cor suum spiritum immittens divinumque sanctumque''.</ref> Wenig später verheißt er himmlischen Lohn für gute und Höllenstrafen für böse Menschen. Er geht aber nicht darauf ein, wie diese Kategorisierung zustande kommt und ob sie sich auf die Werke der Menschen stützt.<ref>A.a.O., 136f. Δύσσεται ἐκ νεκρῶν ζωὸς κακὸς ἠδὲ καὶ ἐσθλός.<br>Ἐσθλ‘ ἱν‘ ἐγερθέντες βίον ἄφθορον αἰὲν ἔχωσι. ''Subiturus est de mortuis vivus tam malus quam bonus.<br> Boni ut excitati vitam incorruptam semper habeant, 140 Τούσδε κακοὺς νὺξ κυκλώσει ἔρεβός τε σκότος τε. At malos nox circumdabit erebusque caligoque.''</ref>


Die Rechtfertigung ist in der "Katechesis" ein wichtiges Thema.<ref>[[OC 0579]], [[Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1552]], S. 253-269; [[OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 221-235.</ref> Camerarius bezeichnet sie dort durch das Verb δικαιωθῆναι bzw. ''iustificari'', also durch Passiv-Formen, die unterstreichen, dass die Gläubigen nicht selbst daran mitwirken. Er betont dabei, dass die Menschen allein durch Glauben und aufgrund der Gnade Gottes gerettet werden. Dabei argumentiert er nahe am Text des Neuen Testaments, vor allem mittels der Paulusbriefe. Zentrale Stellen sind Röm 3,23f. und 28<ref>[[OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 223: ''Omnes peccaverunt et deficiuntur gloria Dei, iustificanturque gratis eiusdem gratia, per redemtionem quae fit in Christo Iesu. ... fide iustificari hominem sine operibus legis.''</ref> sowie Eph 2,8.<ref>Ebda.: ''Gratia estis salvati per fidem, idque non ex vobis, Dei donum est, non ex operibus.'' Die Abhängigkeit der Menschen von göttlicher Gnade verdeutlicht Camerarius auch in [[Erwähntes Werk::OC 0663]].</ref> Hier wird deutlich, wie wichtig Glaube und Gnade für die Erlösung sind. In der griechischen Version der Catechesis sind die Zitate oft wörtlich aus dem griechischen Bibeltext entnommen. Zur "sola gratia"-Formel greift Camerarius auch auf [[Erwähnte Person::Theophylactus]] zurück.<ref>[[OC 0900]], [[Camerarius, Ὁμιλίαι (Druck), 1573]], S. 353f.: ''Nam, in convivium, inquit Theophylactus, ingressio sit absque discrimine: Sumus enim vocati '''sola gratia''' cuncti tam boni quam mali, sed ingressorum postea vita non caret inquisitione.'' Zu "sola fide" und "sola gratia" vgl. auch [[Gindhart/Hamm 2024]], S. 36.</ref>  
Die Rechtfertigung ist in der "Katechesis" ein wichtiges Thema.<ref>[[OC 0579]], [[Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1552]], S. 253-269; [[OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 221-235.</ref> Camerarius bezeichnet sie dort durch das Verb δικαιωθῆναι bzw. ''iustificari'', also durch Passiv-Formen, die unterstreichen, dass die Gläubigen nicht selbst daran mitwirken. Er betont dabei, dass die Menschen allein durch Glauben und aufgrund der Gnade Gottes gerettet werden. Dabei argumentiert er nahe am Text des Neuen Testaments, vor allem mittels der Paulusbriefe. Zentrale Stellen sind Röm 3,23f. und 28<ref>[[OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 223: ''Omnes peccaverunt et deficiuntur gloria Dei, iustificanturque gratis eiusdem gratia, per redemtionem quae fit in Christo Iesu. ... fide iustificari hominem sine operibus legis.''</ref> sowie Eph 2,8<ref>Ebd.: ''Gratia estis salvati per fidem, idque non ex vobis, Dei donum est, non ex operibus.'' Die Abhängigkeit der Menschen von göttlicher Gnade verdeutlicht Camerarius auch in [[Erwähntes Werk::OC 0663]].</ref>. Hier wird deutlich, wie wichtig Glaube und Gnade für die Erlösung sind. In der griechischen Version der "Katechesis" sind die Zitate oft wörtlich aus dem griechischen Bibeltext entnommen. Zur "sola gratia"-Formel greift Camerarius auch auf [[Erwähnte Person::Theophylactus]] zurück.<ref>[[OC 0900]], [[Camerarius, Ὁμιλίαι (Druck), 1573]], S. 353f.: ''Nam, in convivium, inquit Theophylactus, ingressio sit absque discrimine: Sumus enim vocati '''sola gratia''' cuncti tam boni quam mali, sed ingressorum postea vita non caret inquisitione.'' Zu "sola fide" und "sola gratia" vgl. auch [[Gindhart/Hamm 2024]], S. 36.</ref>  


Nicht unwichtig für die Rechtfertigung ist auch die Frage nach der [[Willensfreiheit]], die für Camerarius nur eingeschränkt gegeben ist und aus Gottes Gnade entsprieße. Dazu bekennt er im Gutachten: "der mensch seie in aignen naturlichen krefften verderbt verblentet vnd vnärtig zw aller gerechtigkeit so vor Gott gilt, Do aber das heil vnd licht in die welt kumbt, vnnd wirdet Reuhe buesse, vnd vergebung der sunden vmb Christi Iesu Verdienst wegen, gepredigt, Vnd ist in diessen predigten der heylig Geist thetig, do wirdett den menschen, irem verstand vnd willen, durch Gottes genade gewalt gegeben, dem licht zuuolgen, welche aus irer sundlichen art sunst in der finsternuß bleiben muesten, Vnd doch niemant zw der seligkeit wider seinen willen getrieben noch gedrungen".<ref>[[Erwähntes Werk::OC 1036]], Abschnitt 6.</ref> Durch den Heiligen Geist und durch Christi Verdienst hätten also die Menschen die Möglichkeit, sich für oder gegen die Seligkeit zu entscheiden. Etwas anders dargestellt wird dies in der „Katechesis“: Der erste Mensch habe einen freien Willen gehabt, doch seit dem Sündenfall entferne er sich immer weiter von Gott.<ref>[[Seckt 1888]], S. 14; [[OC 0579]], [[Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1552]], S. 274-285 und [[OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 238-248.</ref> Hier argumentiert Camerarius aber stark philosophisch und zitiert auch vorchristliche Schriftsteller wie [[Platon]], [[Pindar]] und [[Sokrates]]. Ferner setzt er sich [[Erwähntes Werk::OC 0938|in einer Disputation]] und einem [[Aristoteles, Ethica Nicomachea, 1578|Kommentar]] mit [[Erwähnte Person::Aristoteles]]' Nikomachischer Ethik auseinander,<ref>Vgl. [[Kößling 2003a]], S. 298f.</ref> und auch in den [[Camerarius, Norica (Werk), 1532|"Norica"]] steht die Frage im Mittelpunkt, wie sehr der Mensch einen freien Willen besitzt und wie stark er determiniert wird.
Nicht unwichtig für die Rechtfertigung ist auch die Frage nach der [[Willensfreiheit]], die für Camerarius nur eingeschränkt gegeben ist und aus Gottes Gnade entsprieße. Dazu bekennt er im Gutachten: "der mensch seie in aignen naturlichen krefften verderbt verblentet vnd vnärtig zw aller gerechtigkeit so vor Gott gilt, Do aber das heil vnd licht in die welt kumbt, vnnd wirdet Reuhe buesse, vnd vergebung der sunden vmb Christi Iesu Verdienst wegen, gepredigt, Vnd ist in diessen predigten der heylig Geist thetig, do wirdett den menschen, irem verstand vnd willen, durch Gottes genade gewalt gegeben, dem licht zuuolgen, welche aus irer sundlichen art sunst in der finsternuß bleiben muesten, Vnd doch niemant zw der seligkeit wider seinen willen getrieben noch gedrungen".<ref>[[Erwähntes Werk::OC 1036]], Abschnitt 6.</ref> Durch den Heiligen Geist und durch Christi Verdienst hätten also die Menschen die Möglichkeit, sich für oder gegen die Seligkeit zu entscheiden. Etwas anders dargestellt wird dies in der „Katechesis“: Der erste Mensch habe einen freien Willen gehabt, doch seit dem Sündenfall entferne er sich immer weiter von Gott.<ref>[[Seckt 1888]], S. 14; [[OC 0579]], [[Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1552]], S. 274-285 und [[OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 238-248.</ref> Hier argumentiert Camerarius stark philosophisch und zitiert auch vorchristliche Schriftsteller wie [[Platon]], [[Pindar]] und [[Sokrates]]. Ferner setzt er sich [[Erwähntes Werk::OC 0938|in einer Disputation]] und einem [[Aristoteles, Ethica Nicomachea, 1578|Kommentar]] mit [[Erwähnte Person::Aristoteles]]' Nikomachischer Ethik auseinander,<ref>Vgl. [[Kößling 2003a]], S. 298f.</ref> und auch in den [[Camerarius, Norica (Werk), 1532|"Norica"]] steht die Frage im Mittelpunkt, in welchem Maß der Mensch einen freien Willen besitzt und wie stark er determiniert wird.


('''Vinzenz Gottlieb''')
('''Vinzenz Gottlieb''')


====Sakramentenlehre und Abendmahl====
====Sakramentenlehre und Abendmahl====
Sein Verständnis von Sakramenten (μυστήρια, ''sacramenta'') legt Camerarius umfangreich in der Katechesis dar.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0579]], S. 369-407; [[Erwähntes Werk::OC 0726]], S. 317-353.</ref> In erster Linie gehören für ihn nur Abendmahl und Taufe dazu. Man könne aber auch die Schlüsselgewalt in Hinblick auf Handauflegung und Absolution der Sünden ein Sakrament nennen.<ref>[[OC 0579]], S. 406: τὸ βάπτισμα καὶ δεῖπνον κυριακόν. προσθείη δ' ἂν τούτοις τὶς ... καὶ τὴν κλειδουχίαν, ὅσον τὲ πρὸς τὴν χειρεπιθεισίαν καὶ τὴν ἀπόλυσιν ἀνήκει τῶν μετανοούντων. [[OC 0726]], S. 352f.''Baptisma et Coena Dominica. Adiungere tamen his possit aliquis ... etiam clavium potestatem, quatenus illa quidem ad impositionem manuum et absolutionem pertinet paenitentem''. </ref> Deren Durchführung sei allen Gläubigen zugesprochen, nicht nur einer Institution.<ref>Vgl. [[Kunkler 1998]], S. 266f., [[Walter 2017]], S. 40.</ref> Sogar an zweiter Stelle der Sakramente erscheint die Schlüsselgewalt in den "Capita pietatis",<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0455]], V. 164-170, als δύναμις κλειδοῦχος bzw. [[Erwähntes Werk::OC 0481]] als ''potestas clavigera''.</ref> ebenso in der vermutlich von Camerarius verfassten Schrift [[Erwähntes Werk::OC 0943|De dissidio in religione]] unter der Bezeichnung ''Clavium sacramentum''.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0943]], [[Camerarius, De dissidio in religione, 1595]], S. 16. Die Schrift wurde von [[Erwähnte Person::Théodore de Bèze]] ohne Autorennennung publiziert.</ref>  Als Sakrament wird sie auch in der Apologie der Confessio Augustana bezeichnet.<ref>Im 13. Artikel: Vgl. Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Göttingen 1967, S. 292: ''Vere igitur sunt sacramenta baptismus, coena Domini, absolutio, quae est sacramentum poenitentiae. ''</ref> Anders ist dies in den Schmalkaldischen Artikeln: Dort werden die Begriffe Schlüsselgewalt und Absolution gleichgesetzt, allerdings ohne den Charakter eines Sakraments zu erhalten.<ref>Vgl. Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Göttingen 1967, S. 453: ''absolutio et virtus clavium“. Dass Camerarius sich hier stärker an der „Apologie“ orientiert, zu deren Entstehung er beigetragen hat (vgl. [[Peters 2014]] und [[Peters 2014a]], S. 226-228), kann nicht verwundern.</ref> Der für sie von Camerarius benutzte griechische Begriff κλειδουχία ist sehr selten: Belegt ist er noch bei den byzantinischen Schriftstellern Euthymius Zigabenus ([[Migne, PG]], 129,468,25) und Nikolaus Muzalon, während das Adjektiv κλειδοῦχος in antiken und mittelalterlichen griechischen Texten häufiger auftritt.<ref>Eine Recherche mit dem "Thesaurus linguae graecae" ergab ca. 40 Treffer.</ref><br>
Sein Verständnis von Sakramenten (μυστήρια, ''sacramenta'') legt Camerarius umfangreich in der Katechesis dar.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0579]], S. 369-407; [[Erwähntes Werk::OC 0726]], S. 317-353.</ref> In erster Linie gehören für ihn nur Abendmahl und Taufe dazu. Man könne aber auch die Schlüsselgewalt in Hinblick auf Handauflegung und Absolution der Sünden ein Sakrament nennen.<ref>[[OC 0579]], S. 406: τὸ βάπτισμα καὶ δεῖπνον κυριακόν. προσθείη δ' ἂν τούτοις τὶς ... καὶ τὴν κλειδουχίαν, ὅσον τὲ πρὸς τὴν χειρεπιθεισίαν καὶ τὴν ἀπόλυσιν ἀνήκει τῶν μετανοούντων. [[OC 0726]], S. 352f.''Baptisma et Coena Dominica. Adiungere tamen his possit aliquis ... etiam clavium potestatem, quatenus illa quidem ad impositionem manuum et absolutionem pertinet paenitentem''. </ref> Deren Durchführung sei allen Gläubigen zugesprochen, nicht nur einer Institution.<ref>Vgl. [[Kunkler 1998]], S. 266f., [[Walter 2017]], S. 40.</ref> Sogar an zweiter Stelle der Sakramente erscheint die Schlüsselgewalt in den "Capita pietatis",<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0455]], V. 164-170, als δύναμις κλειδοῦχος bzw. [[Erwähntes Werk::OC 0481]] als ''potestas clavigera''.</ref> ebenso in der vermutlich von Camerarius verfassten Schrift [[Erwähntes Werk::OC 0943|"De dissidio in religione"]] unter der Bezeichnung ''clavium sacramentum''.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0943]], [[Camerarius, De dissidio in religione, 1595]], S. 16. Die Schrift wurde von [[Erwähnte Person::Théodore de Bèze]] ohne Autorennennung publiziert.</ref>  Als Sakrament wird sie auch in der Apologie der Confessio Augustana bezeichnet.<ref>Im 13. Artikel: Vgl. Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Göttingen 1967, S. 292: ''Vere igitur sunt sacramenta baptismus, coena Domini, absolutio, quae est sacramentum poenitentiae. ''</ref> Anders ist dies in den Schmalkaldischen Artikeln: Dort werden die Begriffe Schlüsselgewalt und Absolution gleichgesetzt, allerdings ohne den Charakter eines Sakraments zu erhalten.<ref>Vgl. Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Göttingen 1967, S. 453: ''absolutio et virtus clavium''. Dass Camerarius sich hier stärker an der „Apologie“ orientiert, zu deren Entstehung er beigetragen hat (vgl. [[Peters 2014]] und [[Peters 2014a]], S. 226-228), kann nicht verwundern.</ref> Der für sie von Camerarius benutzte griechische Begriff κλειδουχία ist sehr selten: Belegt ist er noch bei den byzantinischen Schriftstellern Euthymius Zigabenus<ref>[[Migne, PG]] 129, col. 468,25</ref> und Nikolaus Muzalon, während das Adjektiv κλειδοῦχος in antiken und mittelalterlichen griechischen Texten häufiger auftritt.<ref>Eine Recherche im "Thesaurus Linguae Graecae" ergab ca. 40 Treffer.</ref><br>


Zur Taufe ist Camerarius der Auffassung, dass sie nur einmal erfolgen kann. Er lehnt daher die Wiedertaufe ab.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 1036]], Bl. 29r. </ref> Ausführlicher äußert er sich in der „Catechesis“:<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 321-324.</ref> Taufe von Kindern sei zulässig. Es sei göttlicher Auftrag, die Völker zu taufen im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Die Taufe, bezeichnet als ''baptisma'' oder λουτρόν, ''lavacrum'', sei ein Zeichen (''sigillum'') für den Glauben und Gottes Gnade. Sie sei Grundlage für die kirchliche Gemeinschaft, außerhalb derer niemand gerettet werden könne.<ref>Ebda. S. 324.</ref>
Bezüglich Taufe ist Camerarius der Auffassung, dass sie nur einmal erfolgen kann. Er lehnt daher die Wiedertaufe ab.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 1036]], Bl. 29r. </ref> Ausführlicher äußert er sich in der "Catechesis":<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 321-324.</ref> Taufe von Kindern sei zulässig. Es sei göttlicher Auftrag, die Völker zu taufen im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Die Taufe, bezeichnet als ''baptisma'' oder λουτρόν, ''lavacrum'', sei ein Zeichen (''sigillum'') für den Glauben und Gottes Gnade. Sie sei Grundlage für die kirchliche Gemeinschaft, außerhalb derer niemand gerettet werden könne.<ref>Ebd. S. 324.</ref>


Im [[OC 1036|Gutachten von 1559]] (Abschnitt 5) beruft sich Camerarius bezüglich des Abendmahls auf Melanchthon, [[Erwähnte Person::Epiphanios von Salamis]], [[Erwähnte Person::Johannes Chrysostomos]], [[Erwähnte Person::Theodoret]], [[Erwähnte Person::Johannes von Damaskus]] und [[Erwähnte Person::Theophylactus]]. Mit den Schriften der genannten Autoren hat er sich intensiv befasst. Da es sich hier, abgesehen vom Erstgenannten, sämtlich um griechische Schriftsteller handelt und man nicht davon ausgehen kann, dass der Adressat des Gutachtens, [[August (Sachsen)|Kurfürst August]], ihre Werke gelesen hatte, dürfte es sich um "Namedropping" handeln. Camerarius nutzt dies, um seiner Position Autorität zu verleihen. Weiter bekennt er: "Es seie bey dem nachtmal deß Herrn, oder Sacrament des leibs vnd bluets Iesu Christi, Er der Herr selbst, des das nachtmal ist, gegenwertig, vnd werde aldo entpfangen, in austeilung des brots der leib Christi, vnd austeilung des Kelchs das blut Christi, warhafftig, vnd nitt erdichter weiße, dieweil geschrieben stehet ausdrucklich, Das ist mein leibe, das ist mein bluethe", und man empfange beim Abendmahl "nitt gemeine brothe vnd wein, sunder ein solche broth vnd wein, Welchs ist die gemeinschafft des leibs vnd bluets Christi, nitt fleischlicher, sinnlicher entpfindlicher weysse, oder das brott vnd wein verschwinde, sunder wie der Herr weisse vnd wille, der diesser geistlichen speisse niessung verordnet, vnd die geschaffet hathe". Das Betonen der Gemeinschaft ist ein Bekenntnis gegen die Transsubstantiationslehre der katholischen Kirche. Die hier anklingende Wichtigkeit des Laienkelchs hat Camerarius auch in einem früheren Text verdeutlicht: In der Ekloge "Querela sive Agelaeus εἰς ποτηριοκλέπτην" wird der Diebstahl eines Bechers mit der Ablehnung des Laienkelchs durch die römische Kirche verglichen.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0377]]. Vgl. [[Mundt 2004]], S. 226f.</ref> Auch in den „Synodica“ äußert er sich ähnlich: Sakramente müssten ernst genommen werden, und man müsse sich bei ihnen an Gottes Wort halten, das eindeutig sei. Entsprechend befürwortet er den Laienkelch und lehnt Privatmessen ab.<ref>Erwähntes Werk::[[OC 0431]], [[Camerarius, Synodica, 1543]], Bl. B8r: "In ecclesia usum sacramentorum quam sinceriss. extare par est. In quo nihil aliud quam apertum et simplex verbum Dei sequendum. Ergo nec poculum domini prohbendum laicis, nec missae privatae tolerandae etiam hoc nomine sunt. "</ref>
Im [[OC 1036|Gutachten von 1559]] (Abschnitt 5) beruft sich Camerarius bezüglich des Abendmahls auf Melanchthon, [[Erwähnte Person::Epiphanios von Salamis]], [[Erwähnte Person::Johannes Chrysostomos]], [[Erwähnte Person::Theodoret]], [[Erwähnte Person::Johannes von Damaskus]] und [[Erwähnte Person::Theophylactus]]. Mit den Schriften der genannten Autoren hat er sich intensiv befasst. Da es sich hier, abgesehen vom Erstgenannten, sämtlich um griechische Schriftsteller handelt und man nicht davon ausgehen kann, dass der Adressat des Gutachtens, [[August (Sachsen)|Kurfürst August]], ihre Werke gelesen hatte, dürfte es sich um "Namedropping" handeln. Camerarius nutzt dies, um seiner Position Autorität zu verleihen. Weiter bekennt er: "Es seie bey dem nachtmal deß Herrn, oder Sacrament des leibs vnd bluets Iesu Christi, Er der Herr selbst, des das nachtmal ist, gegenwertig, vnd werde aldo entpfangen, in austeilung des brots der leib Christi, vnd austeilung des Kelchs das blut Christi, warhafftig, vnd nitt erdichter weiße, dieweil geschrieben stehet ausdrucklich, Das ist mein leibe, das ist mein bluethe", und man empfange beim Abendmahl "nitt gemeine brothe vnd wein, sunder ein solche broth vnd wein, Welchs ist die gemeinschafft des leibs vnd bluets Christi, nitt fleischlicher, sinnlicher entpfindlicher weysse, oder das brott vnd wein verschwinde, sunder wie der Herr weisse vnd wille, der diesser geistlichen speisse niessung verordnet, vnd die geschaffet hathe". Das Betonen der Abendmahlsgemeinschaft ist ein Bekenntnis gegen die Transsubstantiationslehre der katholischen Kirche. Die hier anklingende Wichtigkeit des Laienkelchs hat Camerarius auch in einem früheren Text verdeutlicht: In der Ekloge "Querela sive Agelaeus εἰς ποτηριοκλέπτην" wird der Diebstahl eines Bechers mit der Ablehnung des Laienkelchs durch die römische Kirche verglichen.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0377]]. Vgl. [[Mundt 2004]], S. 226f.</ref> Auch in den "Synodica" (1543) äußert er sich ähnlich: Sakramente müssten ernst genommen werden, und man müsse sich bei ihnen an Gottes Wort halten, das eindeutig sei. Entsprechend befürwortet er den Laienkelch und lehnt Privatmessen ab.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0431]], [[Camerarius, Synodica, 1543]], Bl. B8r: ''In ecclesia usum sacramentorum quam sinceriss. extare par est. In quo nihil aliud quam apertum et simplex verbum Dei sequendum. Ergo nec poculum domini prohibendum laicis, nec missae privatae tolerandae etiam hoc nomine sunt.''</ref>


Zum Abendmahl verschweigt bzw. verleugnet Camerarius die vorliegenden Lehrunterschiede im reformatorischen Lager: So seien Evangelium und Paulusbriefe eindeutig und es könne keinen Streit darüber geben:<ref>Vgl. [[Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1552]], S. 378 und [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 324f. Teilübersetzung: [[Seckt 1888]], S. 20.</ref> Beiderlei Gestalten seien im Abendmahl notwendig. Brot und Wein betrachtet C. als wahren Leib und wahres Blut Christi, ohne dass sie ihre äußere Gestalt verlören. Gleichzeitig bezeichnet er ihren Empfang auch als Zeichen (σύμβολον καὶ σημεῖον φανερόν),<ref>Vgl. [[Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1552]], S. 383.</ref> und so zeigen sich auch Züge calvinischer Theologie.<ref>Lat. ''ista nota et hoc signum manifestum per confessionem in fide Christianorum.'' Auch betont er die ''communicatio'' beim Abendmahl: ''Nam poculum quod benedicimus ... nunquid communicatio sanguinis Christi est? Panem quem frangimus nunquid communicatio corporis Christi est?'' [[OC 0726]], S. 328f.</ref> Hierbei beruft er sich auf den Apostel [[Erwähnte Person::Paulus]]. Auf diese ''communicatio'' kommt er auch bei der Behandlung der apostolischen Schriften zu sprechen, besonders bei der Kommentierung der Stelle Apostelgeschichte 2,42. Er betont dort die Bedeutung der Gemeinschaft beim Brechen des Brotes.<ref>[[Erwähntes Werk:: OC 0872]], [[Camerarius, Notatio figurarum orationis in apostolicis scriptis (Druck), 1572]], S. 220: καὶ τῇ κλάσει τοῦ ἄρτου. κοινωνία ''nihil aliud significat quam communicationem & societatem. In libris Latinis est: Et communicatione fractionis panis. Id esset:'' καὶ τῇ κοινωνίᾳ τῆς κλάσεως τοῦ ἄρτου. ''Acceperunt autem hoc aliqui de vsurpatione instituti a Christo sacramenti corporis & sanguinis ipsius: Cum Hebraica phrasi frangi panem, significet distributionem & vsum cibi.'' Auch in einer [[Erwähntes Werk::OC 0425|Schrift zum Konzil von Trient]] übersetzt Camerarius Aussagen des Evangeliums aus einer Schrift Melanchthons zum Abendmahl.</ref>  
Bezüglich des Abendmahls verschweigt bzw. verleugnet Camerarius die im reformatorischen Lager vorliegenden Lehrunterschiede: Die Aussagen im Evangelium und in den Paulusbriefen seien eindeutig und es könne keinen Streit darüber geben:<ref>Vgl. [[Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1552]], S. 378 und [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 324f. Teilübersetzung: [[Seckt 1888]], S. 20.</ref> Es sei notwendig, das Abendmahl in beiderlei Gestalt zu empfangen. Brot und Wein betrachtet C. als wahren Leib und wahres Blut Christi. Gleichzeitig bezeichnet er ihren Empfang auch als Zeichen (σύμβολον καὶ σημεῖον φανερόν),<ref>Vgl. [[Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1552]], S. 383.</ref> womit sich auch Züge calvinischer Theologie offenbaren.<ref>Vgl. hierzu die lat. "Catechesis": ''ista nota et hoc signum manifestum per confessionem in fide Christianorum.'' Auch betont er die ''communicatio'' beim Abendmahl: ''Nam poculum quod benedicimus ... nunquid communicatio sanguinis Christi est? Panem quem frangimus nunquid communicatio corporis Christi est?'' [[OC 0726]], S. 328f.</ref> Hierbei beruft er sich auf den Apostel [[Erwähnte Person::Paulus]]. Auf die ''communicatio'' beim Abendmahl kommt er auch bei der Behandlung der apostolischen Schriften zu sprechen, besonders bei der Kommentierung der Stelle Apostelgeschichte 2,42. Er betont dort die Bedeutung der Gemeinschaft beim Brechen des Brotes.<ref>[[Erwähntes Werk:: OC 0872]], [[Camerarius, Notatio figurarum orationis in apostolicis scriptis (Druck), 1572]], S. 220: καὶ τῇ κλάσει τοῦ ἄρτου. κοινωνία ''nihil aliud significat quam communicationem & societatem. In libris Latinis est: Et communicatione fractionis panis. Id esset:'' καὶ τῇ κοινωνίᾳ τῆς κλάσεως τοῦ ἄρτου. ''Acceperunt autem hoc aliqui de usurpatione instituti a Christo sacramenti corporis & sanguinis ipsius: Cum Hebraica phrasi frangi panem, significet distributionem & usum cibi.'' Auch in einer [[Erwähntes Werk::OC 0425|Schrift zum Konzil von Trient]] übersetzt Camerarius aus einer Schrift Melanchthons Aussagen des Evangeliums zum Abendmahl.</ref>  
Auch einen falschen Gebrauch des Abendmahls bemängelt Camerarius: So würde Gregor von Nazianz, der die Entweihung der Altäre durch Arianer kritisiert hat, es sogar schlimmer finden, dass Christen den Leib Christi täglich hinunterschlingen.<ref>[[OC 0431]], [[Camerarius, Συνοδικά, 1543]], Bl. C7v-8r: ''Non profecto illam nefariam super altari saltationem unius adolescentis impuri, deploraret, sed detestaretur cotidianam istam ingluuiem, heu mihi horresco referens, celestis panis. & execrandam impuritatem qua altaria sordescunt, & iam religione consecratam impietatem extremam, quae a multis milibus ad eam conductis uili pecuniola excercetur. Praedictum est fore ut porcis aliquando obijciatur panis mysticus. Si uere aliqua barbaries hoc fecerit, immane id quidem, sed quid in illo deterius quam hac cotidiana distractione, cum a toties milibus porcinis faucibus hominum immundicia fatentium & impietate gloriantium, corpus Christi corripitur. '' Das bezieht sich auf die Schrift gegen die Arianer, [[Migne, PG]] 36, col. 217.</ref> Die Bezeichnung „panis mysticus“ für das Abendmahl nutzt Camerarius sonst nur selten, u.a. in einem griechisch-lateinischen Glossar: [[Erwähntes Werk::OC 0553]], [[Camerarius, Commentarii utriusque linguae, 1551]], Sp. 310: ''Manibus insuper'' θλῶμεν, ''et'' κλῶμέν τι, ''id est frangimus. Et panis mysticus est corpus Christi'', τὸ ὑπὲρ ἡμῶν κλώμενον. ''Et'' θλάσις, θλάσμα: κλᾶσις, κλάσμα, ''fragmen.
Auch einen falschen Gebrauch des Abendmahls bemängelt Camerarius: So würde Gregor von Nazianz es sogar schlimmer als die von ihm kritisierte Entweihung der Altäre durch Arianer finden, wenn Christen den Leib Christi täglich hinunterschlingen.<ref>[[OC 0431]], [[Camerarius, Συνοδικά, 1543]], Bl. C7v-8r: ''Non profecto illam nefariam super altari saltationem unius adolescentis impuri, deploraret, sed detestaretur cotidianam istam ingluuiem, heu mihi horresco referens, celestis panis. & execrandam impuritatem qua altaria sordescunt, & iam religione consecratam impietatem extremam, quae a multis milibus ad eam conductis uili pecuniola excercetur. Praedictum est fore ut porcis aliquando obijciatur panis mysticus. Si uere aliqua barbaries hoc fecerit, immane id quidem, sed quid in illo deterius quam hac cotidiana distractione, cum a toties milibus porcinis faucibus hominum immundicia fatentium & impietate gloriantium, corpus Christi corripitur. '' Das bezieht sich auf die Schrift gegen die Arianer, [[Migne, PG]] 36, col. 217.</ref> Die Bezeichnung "panis mysticus" für das Abendmahl, die an obiger Stelle begegnet, nutzt Camerarius sonst nur selten, u.a. in einem griechisch-lateinischen Glossar: ''Manibus insuper'' θλῶμεν, ''et'' κλῶμέν τι, ''id est frangimus. Et panis mysticus est corpus Christi'', τὸ ὑπὲρ ἡμῶν κλώμενον. ''Et'' θλάσις, θλάσμα: κλᾶσις, κλάσμα, ''fragmen.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0553]], [[Camerarius, Commentarii utriusque linguae, 1551]], Sp. 310.</ref>


Zur "Manducatio indignorum" sagt Camerarius, dass auch Unwürdige das Abendmahl empfangen können, allerdings zu ihrem eigenen Gericht.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0579]], S. 384 (ὁ γὰρ ἐσθίων καὶ πίνων ἀναξίως, κρῖμα ἑαυτῷ ἐσθίει καὶ πίνει, μὴ διακρίνων τὸ σῶμα τοῦ κυρίου) und [[OC 0726]], S. 329 (''Nam comedens et bibens indigne, iudicium sibiipse comedit et bibit, non descernens corpus Domini''). Dieser Gedanke findet sich sowohl in der Apologie zur Confessio Augustana 11,62 als auch in der Konkordienformel VII,7 sowie VII,16. Die Stellen berufen sich auf 1 Kor 11 u.ö. </ref> Über einen weiteren Streitpunkt verschiedener reformatorischer Gruppierungen, die "Manducatio impiorum", also die Frage, ob auch Nichtgläubige Leib und Blut Christi im Abendmahl zu sich nehmen, erfahren wir nichts.
Bezüglich der "Manducatio indignorum" sagt Camerarius, dass auch Unwürdige das Abendmahl empfangen können, allerdings würden sie dadurch selbst das göttliche Gericht auf sich ziehen.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0579]], S. 384 (ὁ γὰρ ἐσθίων καὶ πίνων ἀναξίως, κρῖμα ἑαυτῷ ἐσθίει καὶ πίνει, μὴ διακρίνων τὸ σῶμα τοῦ κυρίου) und [[OC 0726]], S. 329 (''Nam comedens et bibens indigne, iudicium sibiipse comedit et bibit, non descernens corpus Domini''). Dieser Gedanke findet sich sowohl in der Apologie zur Confessio Augustana 11,62 als auch in der Konkordienformel VII,7 sowie VII,16. Die Stellen berufen sich auf 1 Kor 11 u.ö. </ref> Über einen weiteren Streitpunkt verschiedener reformatorischer Gruppierungen, die "Manducatio impiorum", also die Frage, ob auch Nichtgläubige Leib und Blut Christi im Abendmahl zu sich nehmen, erfahren wir nichts.


Nicht unwidersprochen blieb Camerarius' passivische Übersetzung von Apostelgeschichte 3,21: [[Erwähnte Person::Nikolaus Selnecker]] brachte sie in seiner Schrift "[[Selnecker, Commonefactio de verbis Actorum, 1571|Commonefactio]]", Bl A6r/v mit sakramentierischen Positionen in Verbindung, nach denen Christus im Himmel festgehalten werde, im Sinne einer "corporalis locatio".<ref>Vgl. [[Dingel 2008]], S. 308f. und 316f.</ref> Die problematische Stelle lautet ἀναληφθεὶς εἰς οὐρανόν bzw. ''assumptus in coelum''.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0579]], [[Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1552]], S. 379f. [[Erwähntes Werk::OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 326.</ref> Nach dieser Behauptung könne Christus aber leiblich nicht im Abendmahl sein, schließt Selnecker. Den Namen des Camerarius erwähnt er nicht, doch die griechischen und lateinischen Zitate lassen sich eindeutig der „Catechesis“ zuordnen. Gegen Selneckers rein passivische Auslegung des griechischen δέξασθαι argumentiert Camerarius‘ Schwiegersohn [[Erwähnte Person::Esrom Rüdinger]] in einer [https://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb00029899-5  Disputationsschrift] philologisch.<ref>Vgl. [[Hund 2006]], S. 249-251.</ref> Die strittige Formulierung ''Christo coelo capi'', die Selnecker bemängelt hatte, findet sich aber bei Camerarius gar nicht.
Nicht unwidersprochen blieb Camerarius' passivische Wiedergabe von Apostelgeschichte 3,21 (ὃν δεῖ οὐρανὸν μὲν δέξασθαι): Er paraphrasiert die Stelle durch ἀναληφθεὶς εἰς οὐρανόν bzw. ''assumptus in coelum''.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0579]], [[Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1552]], S. 379f. [[Erwähntes Werk::OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 326.</ref> [[Erwähnte Person::Nikolaus Selnecker]] brachte dies in seiner Schrift [[Selnecker, Commonefactio de verbis Actorum, 1571|"Commonefactio" (1571)]], Bl A6r/v mit sakramentierischen Positionen in Verbindung, nach denen Christus sich nur im Himmel aufhalte und dort im Sinne einer "corporalis locatio" festgehalten.<ref>Vgl. [[Dingel 2008]], S. 308f. und 316f.</ref> Nach dieser Annahme könne Christus aber leiblich nicht im Abendmahl präsent sein, schließt Selnecker. Den Namen des Camerarius erwähnt er nicht, doch die griechischen und lateinischen Zitate lassen sich eindeutig der "Katechesis" zuordnen. Selnecker deutet dabei das griechische δέξασθαι rein passivisch im Sinne von ''Christum coelo capi''. Gegen diese Auslegung argumentiert Camerarius‘ Schwiegersohn [[Erwähnte Person::Esrom Rüdinger]] in einer [https://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb00029899-5  Disputationsschrift (1571)] philologisch.<ref>Vgl. [[Hund 2006]], S. 249-251.</ref> Diese strittige Formulierung, die Selnecker bemängelt hatte, verwendet Camerarius aber gar nicht.
Der späte Melanchthon (ab 1557) hatte die Himmelfahrt Christi wörtlich verstanden und geschlussfolgert, dass die menschliche Natur Christi nur im Himmel sein könne. Allgegenwärtig und damit auch auf Erden anwesend sei nur die göttliche Natur.<ref>Vgl. [[Hund 2006]], S. 89f.</ref> Bemerkenswert ist, dass die von Selnecker bemängelte Camerarius-Schrift in griechischer Sprache bereits 1552 erschien war und somit vor anderen Autoren, die an dieser Stelle ebenfalls das Passiv verwendeten: [[Erwähnte Person::Théodore de Bèze]], Melanchthon und der [[Erwähntes Werk::Pezel, Wittenberger Katechismus, 1571|Wittenberger Katechismus]].<ref>Vgl. [[Hasse 2000]], S. 96-98.</ref> Möglicherweise bezog sich Camerarius auf Selneckers Kritik, als er 1572 die entsprechende Stelle wortreich kommentierte und seine Formulierung verteidigte. Er greift dabei auf Argumente des Theophylactus zurück.<ref>(Kommentar zu Apg 3,21) [[Erwähntes Werk::OC 0872]], [[Camerarius, Notatio figurarum orationis in apostolicis scriptis (Druck), 1572]], S. 227f.: ἀναληφθεὶς γὰρ ὁ χριστὸς εἰς οὐρανοὺς, μένει ἐκεῖ ἕως τῆς τοῦ κόσμου συντελείας, ἐλευσόμενος τότε μετὰ δυνάμεως, ἀποκαταστάντων πάντων λοιπὸν, ὧν προεθέσπισαν οἱ προφῆται, ἤτοι ὅταν τὸ τέλος ἐνστῇ, καὶ παύσηται τὰ αἰθητὰ, τότε ὁ χριστὸς ἔσται τῶν οὐρανῶν ὑψηλότερος. ''Id est: Assumtus enim Christus in coelum, manet illic, ad consummationem usque mundi huius, aduenturus tunc cum potentia, restitutis de caetero omnibus, quae Prophetarum oraculis praedicta sunt. Sive, ubi finis iam aderit, et cessaverint sensibus exposita, tunc ipse Christus coelis erit sublimior. Haec leguntur in Theophylacteis. ... Sed quomodo dicit? Quem oportet coelum capere siue accipere, siue, vt Latinus vetus interpres, suscipere. An nondum illud acceperat? Immo admodum. Cur igitur non dixit: Quem coelum accepit? Quae autem ibi sequuntur in libris editis, ἀδιανόητα sunt, vel mendosa vel mutila, quemadmodum suspicor. Itaque indicata sententia secundum alibi in sacris litteris dicta, & hoc etiam loco satis euidens, teneatur: Oportuisse ita fieri, vt Christus reciperetur siue acciperetur siue assumeretur in coelum, vbi maneret tanquam in propria sede, vsque ad finem huius Mundi, & rerum omnium instaurationem.''</ref>
Der späte Melanchthon (ab 1557) hatte allerdings die Himmelfahrt Christi wörtlich verstanden und geschlussfolgert, dass die menschliche Natur Christi nur im Himmel sein könne. Allgegenwärtig und damit auch auf Erden anwesend sei demnach nur die göttliche Natur.<ref>Vgl. [[Hund 2006]], S. 89f.</ref> Bemerkenswert ist, dass die von Selnecker kritisch zitierte Camerarius-Schrift in griechischer Sprache bereits 1552 erschienen war und somit vor den Werken anderer Autoren, die an dieser Stelle ebenfalls das Passiv verwendeten: [[Erwähnte Person::Théodore de Bèze]], Melanchthon und der [[Erwähntes Werk::Pezel, Wittenberger Katechismus, 1571|Wittenberger Katechismus]].<ref>Vgl. [[Hasse 2000]], S. 96-98.</ref> Möglicherweise bezog sich Camerarius auf Selneckers Kritik, als er 1572 die entsprechende Stelle wortreich kommentierte und seine Formulierung verteidigte. Er greift dabei auf Argumente des Theophylactus zurück.<ref>(Kommentar zu Apg 3,21) [[Erwähntes Werk::OC 0872]], [[Camerarius, Notatio figurarum orationis in apostolicis scriptis (Druck), 1572]], S. 227f.: ἀναληφθεὶς γὰρ ὁ χριστὸς εἰς οὐρανοὺς, μένει ἐκεῖ ἕως τῆς τοῦ κόσμου συντελείας, ἐλευσόμενος τότε μετὰ δυνάμεως, ἀποκαταστάντων πάντων λοιπὸν, ὧν προεθέσπισαν οἱ προφῆται, ἤτοι ὅταν τὸ τέλος ἐνστῇ, καὶ παύσηται τὰ αἰθητὰ, τότε ὁ χριστὸς ἔσται τῶν οὐρανῶν ὑψηλότερος. ''Id est: Assumtus enim Christus in coelum, manet illic, ad consummationem usque mundi huius, aduenturus tunc cum potentia, restitutis de caetero omnibus, quae Prophetarum oraculis praedicta sunt. Sive, ubi finis iam aderit, et cessaverint sensibus exposita, tunc ipse Christus coelis erit sublimior. Haec leguntur in Theophylacteis. ... Sed quomodo dicit? Quem oportet coelum capere siue accipere, siue, ut Latinus vetus interpres, suscipere. An nondum illud acceperat? Immo admodum. Cur igitur non dixit: Quem coelum accepit? Quae autem ibi sequuntur in libris editis, ἀδιανόητα sunt, vel mendosa vel mutila, quemadmodum suspicor. Itaque indicata sententia secundum alibi in sacris litteris dicta, & hoc etiam loco satis euidens, teneatur: Oportuisse ita fieri, ut Christus reciperetur siue acciperetur siue assumeretur in coelum, ubi maneret tanquam in propria sede, usque ad finem huius Mundi, & rerum omnium instaurationem.''</ref>


('''Vinzenz Gottlieb''')
('''Vinzenz Gottlieb''')


====Ekklesiologie====
====Ekklesiologie====
Für Camerarius zeigt sich die Kirche als Gemeinschaft derer, die im Glauben an Christus übereinstimmen. Ohne diese Gemeinschaft könne niemand erlöst werden.<ref>[[OC 0726|Catechesis]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 324: ''quod extra communionem nemo salvus fiat'' und [[Erwähntes Werk::OC 0878]], [[Camerarius, Notatio figurarum sermonis in libris quatuor evangeliorum (Druck), 1572]], Bl. a7r: ''Nullam scio ego spem salutis concipi firmam posse, extra Catholicam et Orthodoxam Christi Iesu Ecclesiam.''</ref> Grundlage dafür sei die Taufe. Die Gläubigen seien die Glieder der Kirche, das Haupt aber sei Christus,<ref>[[OC 0579]], [[Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1552]], S. 405; [[OC 0726|Catechesis]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 350f.: ''Quid appellatis Ecclesiam Christi? Coetum confidentium fidem in Christum. Qui evocati generali veritatis et Evangelii praeconio, cum remissione peccatorum et renovatione sanctificationeque spirituali congregantur in communione tam sanae doctrinae, quam status legitimi, et vitae pure degendae in hoc Mundo. ... Quia cum mansit Ecclesia Christi, quotquot vere sunt huius tanquam unius corporis membra, eos sanctos esse, et carentes culpa necesse est, in fide Iesu Christi, qui etiam caput est corporis illius.''</ref> nicht der Papst. Dieser sei nur ein Aufseher und ein durch Einvernehmen der Bischöfe gewählter Vorsitzender.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0431]], [[Camerarius, Synodica, 1543]], Bl. B7v-B8r: "Papam placet esse caput ecclesiae. Hoc falsum est, nam Paulus diserte dicit Christum esse caput ecclesiae. Sed esse quendam inspectorem et praesidem constitutum consensu episcoporum ferri fortasse non possit modo, sed utile etiam futurum sit.''</ref> Sein Amt sei das eines Fischers, nicht eines Kriegsherrn. Das wird begründet mit dem Beispiel des [[Erwähnte Person::Simon Petrus]], dem Christus verbot, das Schwert zu ziehen, obwohl er es nicht zum eigenen Vorteil einsetzte.<ref>[[OC 0431]], [[Camerarius, Synodica, 1543]], C6r-v.</ref>
Für Camerarius zeigt sich die Kirche als Gemeinschaft all derer, die im Glauben an Christus übereinstimmen. Ohne diese Gemeinschaft könne niemand erlöst werden.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 324: ''quod extra communionem nemo salvus fiat'' und [[Erwähntes Werk::OC 0878]], [[Camerarius, Notatio figurarum sermonis in libris quatuor evangeliorum (Druck), 1572]], Bl. a7r: ''Nullam scio ego spem salutis concipi firmam posse, extra Catholicam et Orthodoxam Christi Iesu Ecclesiam.''</ref> Grundlage dafür sei die Taufe. Die Gläubigen seien die Glieder der Kirche, das Haupt aber sei Christus,<ref>[[OC 0579]], [[Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1552]], S. 405; [[OC 0726|Catechesis]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 350f.: ''Quid appellatis Ecclesiam Christi? Coetum confidentium fidem in Christum. Qui evocati generali veritatis et Evangelii praeconio, cum remissione peccatorum et renovatione sanctificationeque spirituali congregantur in communione tam sanae doctrinae, quam status legitimi, et vitae pure degendae in hoc Mundo. ... Quia cum mansit Ecclesia Christi, quotquot vere sunt huius tanquam unius corporis membra, eos sanctos esse, et carentes culpa necesse est, in fide Iesu Christi, qui etiam caput est corporis illius.''</ref> nicht der Papst. Dieser sei nur ein Aufseher und ein durch Einvernehmen der Bischöfe gewählter Vorsitzender.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0431]], [[Camerarius, Synodica, 1543]], Bl. B7v-B8r: "Papam placet esse caput ecclesiae. Hoc falsum est, nam Paulus diserte dicit Christum esse caput ecclesiae. Sed esse quendam inspectorem et praesidem constitutum consensu episcoporum ferri fortasse non possit modo, sed utile etiam futurum sit.''</ref> Sein Amt sei das eines Fischers, nicht eines Kriegsherrn. Das wird begründet mit dem Beispiel des [[Erwähnte Person::Simon Petrus]], dem Christus verbot, das Schwert zu ziehen, obwohl er es nicht zum eigenen Vorteil einsetzte.<ref>[[OC 0431]], [[Camerarius, Synodica, 1543]], C6r-v.</ref>


Deutlich erklärt C. seine Auffassung der Kirche auch im Brief an den zur katholischen Kirche zurückgekehrten [[Briefpartner::Veit Amerbach]]:<ref>12.4.1548, in [[Mieg 1702]], II, S. 48-60, hier S. 49.</ref> Es gebe nur eine christliche Gemeinschaft, in die er hineingeboren sei und in der er sich immer noch befinde.<ref>Siehe auch [[Kunkler 1998]], S. 270.</ref> C. vertritt die Ansicht, dass die Reformatoren keine „Neugläubigen“ sind, sondern die alte Kirche wiederherstellen. Der Brief liest sich auch als Abrechnung mit den Missständen der römischen Kirche: Kirchliche Hierarchien, Messopfer, Heiligenkult und Verbot des Laienkelchs werden verurteilt. Große Bedeutung misst Camerarius hier der Wahrheit (des Evangeliums) bei; 24 Jahre später wird er ihre Bedeutung gegenüber der Liebe zurückstellen.<ref>Das Wort "veritas" ist 14 mal im Brief an Amerbach enthalten. Vgl. auch den späten Kommentar [[Erwähntes Werk::OC 1038]].</ref>
Deutlich erklärt C. seine ekklesiologische Auffassung auch im Brief an den zur katholischen Kirche zurückgekehrten [[Briefpartner::Veit Amerbach]]:<ref>Dat. 12.4.1548, in [[Mieg 1702]], II, S. 48-60, hier S. 49.</ref> Es gebe nur eine christliche Gemeinschaft, in die er hineingeboren sei und in der er sich immer noch befinde.<ref>Siehe auch [[Kunkler 1998]], S. 270.</ref> C. vertritt die Ansicht, dass die Reformatoren keine „Neugläubigen“ sind, sondern vielmehr die alte Kirche wiederherstellen. Der Brief liest sich auch als Abrechnung mit den Missständen in der römischen Kirche: Kirchliche Hierarchien, Messopfer, Heiligenkult und Verbot des Laienkelchs werden verurteilt. Große Bedeutung misst Camerarius hier der Wahrheit (des Evangeliums) bei; 24 Jahre später wird er ihre Bedeutung gegenüber der Liebe zurückstellen.<ref>Das Wort "veritas" ist 14 mal im Brief an Amerbach enthalten. Vgl. auch den späten Kommentar [[Erwähntes Werk::OC 1038]].</ref>
Die römische Kirche, so lässt Camerarius wiederholt durchblicken, sei auf einen falschen Weg geraten, was "entweder auf Irrtum oder bewußter Täuschung oder auf beidem beruhe".<ref>[[Stählin 1936]], S. 55, als Übersetzung von[[Erwähntes Werk::OC 0775|Vita Melanchthonis]], [[Camerarius, De Philippi Melanchthonis ortu, 1566]], S. 221.</ref> Entgegen aller Aussagen, es gebe nur eine Kirche, stehen die Beteuerungen in den „Synodica“, wo zwischen der Lehre des Evangeliums und der der „Papisten“ unterschieden wird. Hier klingt der Vorwurf des Schismas an.
Die römische Kirche, so lässt Camerarius wiederholt durchblicken, sei auf einen falschen Weg geraten, was "entweder auf Irrtum oder bewußter Täuschung oder auf beidem beruhe".<ref>[[Stählin 1936]], S. 55, als Übersetzung von [[Erwähntes Werk::OC 0775]], [[Camerarius, De Philippi Melanchthonis ortu, 1566]], S. 221.</ref> Entgegen aller Aussagen, es gebe nur eine Kirche, stehen die Beteuerungen in den „Synodica“, wo zwischen der Lehre des Evangeliums und der der „Papisten“ unterschieden wird. Hier klingt der Vorwurf des Schismas an.
Den Vorrang des Papstes unter Berufung auf den Apostel [[Simon Petrus|Petrus]] verwirft Camerarius in der [[Erwähntes Werk::OC 0761|Expositio de Apostolis]].<ref>Vgl. [[Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], S. 106: ''De instituto a Petro quadraginta dierum ieunio ... itemque collocata sede principatus in urbe Roma, a nobis neque decet neque omnino fortasse debet disputari.''</ref> Im [[Erwähntes Werk::OC 1036|Gutachten an Kf. August]] wird er noch deutlicher und spricht gar von der "gottlosen läre deß Babstumbs".<ref>[[OC 1036]], Bl. 35r.</ref>  
Den Vorrang des Papstes unter Berufung auf den Apostel [[Simon Petrus|Petrus]] verwirft Camerarius in der [[Erwähntes Werk::OC 0761|"Expositio de Apostolis"]].<ref>Vgl. [[Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566]], S. 106: ''De instituto a Petro quadraginta dierum ieunio ... itemque collocata sede principatus in urbe Roma, a nobis neque decet neque omnino fortasse debet disputari.''</ref> Im [[Erwähntes Werk::OC 1036|Gutachten an Kf. August]] wird er noch deutlicher und spricht gar von der "gottlosen läre deß Babstumbs".<ref>[[OC 1036]], Bl. 35r.</ref>  
Ein Verbot der Ehe für Priester und andere Menschen lehnt Camerarius ab.<ref>[[OC 0431]], [[Camerarius, Synodica, 1543]], Bl. B8r: "Coniugium neque sacerdotibus, neque ullis aliis prohiberi debet, sed qui non continent contrahant matrimonium in domino."</ref>
Ein Verbot der Ehe für Priester und andere Personen lehnt Camerarius ab.<ref>[[OC 0431]], [[Camerarius, Synodica, 1543]], Bl. B8r: "Coniugium neque sacerdotibus, neque ullis aliis prohiberi debet, sed qui non continent contrahant matrimonium in domino."</ref>


In seiner Konzilienschrift, die auch der Vorbereitung des Tridentinums diente (vgl. ↑ [[Theologie (CamLex)#Nicäa und Trient - Das Werk im zeitlichen Kontext|Nicäa und Trient]]), misst Camerarius den Konzilien eine hohe Bedeutung bei. Auch die Betonung der Rolle der römischen Kaiser dürfte seine Hoffnungen auf Kaiser [[Erwähnte Person::Karl V. (HRR)]] widerspiegeln: So lobt er das Engagement [[Erwähnte Person::Konstantin der Große|Konstantins des Großen]]<ref>''Certe ut laudandum hac etiam in parte est studium Imperatoris Constantini, qui id quod et ante distraxisset rem Ecclesiasticam, et in posterum ansam separationis praebere posset, e medio tollendum esse statuerit'': [[Erwähntes Werk::OC 0573]], [[Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552]], S. 129f.</ref> und zitiert (in Übersetzung) aus dessen Brief an die Konzilsväter. Nach Aussage Konstantins entspreche ein Beschluss von 300 Bischöfen dem Willen Gottes.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0573]], [[Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552]], S. 128: ''Quod enim trecentis placuit Episcopis, nihil aliud est, quam Dei sententia, maxime cum Spiritus sanctus talium, et tantorum virorum animis incubans, lucem divinae voluntatis protulerit.'' Die griechische Vorlage, aus der Camerarius übersetzt, findet sich bei [[Erwähnte Person::Socrates Scholasticus]] und [[Athanasius der Große|Athanasius]], "De decretis Nicaenae synodi".</ref> Darin kann man ein Bekenntnis zum Konziliarismus sehen.
In seiner Konzilienschrift, die auch der Vorbereitung des Tridentinums diente (vgl. ↑ [[Theologie (CamLex)#Nicäa und Trient - Das Werk im zeitlichen Kontext|Nicäa und Trient]]), misst Camerarius den Konzilien eine hohe Bedeutung bei. Auch die Betonung der Rolle der römischen Kaiser dürfte seine Hoffnungen auf Kaiser [[Erwähnte Person::Karl V. (HRR)]] widerspiegeln: So lobt er das Engagement [[Erwähnte Person::Konstantin der Große|Konstantins des Großen]]<ref>''Certe ut laudandum hac etiam in parte est studium Imperatoris Constantini, qui id quod et ante distraxisset rem Ecclesiasticam, et in posterum ansam separationis praebere posset, e medio tollendum esse statuerit'': [[Erwähntes Werk::OC 0573]], [[Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552]], S. 129f.</ref> und zitiert (in Übersetzung) aus dessen Brief an die Konzilsväter. Nach Aussage Konstantins entspreche ein Beschluss von 300 Bischöfen dem Willen Gottes.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0573]], [[Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552]], S. 128: ''Quod enim trecentis placuit Episcopis, nihil aliud est, quam Dei sententia, maxime cum Spiritus sanctus talium, et tantorum virorum animis incubans, lucem divinae voluntatis protulerit.'' Die griechische Vorlage, aus der Camerarius übersetzt, findet sich bei [[Erwähnte Person::Socrates Scholasticus]] und [[Athanasius der Große|Athanasius]], "De decretis Nicaenae synodi".</ref> Darin kann man ein Bekenntnis zum Konziliarismus sehen.


Die Reformation betrachtet Camerarius als notwendig, auch wenn er die Kirchenspaltung bedauert. Verantwortlich dafür sei aber nicht Luther, sondern die vorreformatorische Kirche.<ref>Eine Zusammenfassung von C.' Ekklesiologie in den biographischen Schriften bietet [[Stählin 1936]], S. 54-57.Zur Ablehnung der kirchlichen Hierarchie vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0943]].</ref>  Generell wird das Papsttum häufiger kritisiert, bis hin zum Vorwurf, die weltliche Macht gestohlen zu haben.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0827]], [[Camerarius, Orationes funebres, 1569]], S. 103.</ref> Deutlich wird Camerarius auch in Bezug auf kirchliche Führungspositionen: Wer der Kirche Gottes vorstehen, aber nicht das Amt ausüben wolle, nämlich die Wahrheit zu lehren, verursache ein Schisma.<ref>[[OC 0900]], [[Camerarius, Ὁμιλίαι (Druck), 1573]], S. 60: φοβηθήτωσαν ... καὶ οἱ ἐν τῇ τοῦ χριστοῦ ἐκκλησίᾳ μεγαλαυχοῦντες ὡς υἱοὶ τῶν ἁγίων, ἐκλεκτόντε καὶ ἱερατικὸν γένος.</ref> Ein weiteres Beispiel scharfzüngiger Kritik an falschem Amtsverständnis bringt Camerarius in einem [[Erwähntes Werk::OC 0081|Epitaph]] auf [[Erwähnte Person::Julius II. (Papst)|Papst Julius II.]], der als Kriegstreiber und Wendehals charakterisiert wird, wofür er sehr lange vor dem Himmelstor warten müsse – sicher eine Anspielung auf den „Julius exclusus“ des [[Erasmus von Rotterdam]]. Die antirömischen Polemiken häufen sich im Vorfeld des Konzils von Trient: Dahinter kann der Versuch stehen, alle Deutschen (vor allem Fürsten und Bischöfe) gegen den Papst zu vereinen. Auch Kaiser [[Erwähnte Person::Karl V. (HRR)]] ist ein Hoffnungsträger, zumindest bis zum Schmalkaldischen Krieg. Nach Kriegsausbruch gibt es kaum mehr polemische Auseinandersetzungen mit der Papstkirche bei Camerarius: Aus politischen Gründen (Interim) war es zunächst nicht opportun. Camerarius fand sich mit Melanchthon und Georg von Anhalt in einer Position wieder, wo zwischen politischen Sachzwängen (Forderung des Kaisers nach Umsetzung des Interims) und dem Gewissen (d.h. dem Bekenntnis zur „evangelischen Wahrheit“) laviert werden musste.  
Die Reformation betrachtet Camerarius als notwendig, auch wenn er die Kirchenspaltung bedauert. Verantwortlich dafür sei aber nicht Luther, sondern die vorreformatorische Kirche.<ref>Eine Zusammenfassung von C.' Ekklesiologie in den biographischen Schriften bietet [[Stählin 1936]], S. 54-57.Zur Ablehnung der kirchlichen Hierarchie vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0943]].</ref>  Generell wird das Papsttum häufiger kritisiert, bis hin zum Vorwurf, die weltliche Macht gestohlen zu haben.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0827]], [[Camerarius, Orationes funebres, 1569]], S. 103.</ref> Deutlich wird Camerarius auch in Bezug auf kirchliche Führungspositionen: Wer der Kirche Gottes vorstehen, aber nicht das Amt ausüben wolle, nämlich die Wahrheit zu lehren, verursache ein Schisma.<ref>[[OC 0900]], [[Camerarius, Ὁμιλίαι (Druck), 1573]], S. 60: φοβηθήτωσαν ... καὶ οἱ ἐν τῇ τοῦ χριστοῦ ἐκκλησίᾳ μεγαλαυχοῦντες ὡς υἱοὶ τῶν ἁγίων, ἐκλεκτόντε καὶ ἱερατικὸν γένος.</ref> Ein weiteres Beispiel scharfzüngiger Kritik an falschem Amtsverständnis bringt Camerarius in einem [[Erwähntes Werk::OC 0081|Epitaph]] auf [[Erwähnte Person::Julius II. (Papst)|Papst Julius II.]], der als Kriegstreiber und Wendehals charakterisiert wird, wofür er sehr lange vor dem Himmelstor warten müsse – sicher eine Anspielung auf den „Iulius exclusus“ des [[Erasmus von Rotterdam]]. Die antirömischen Polemiken häufen sich im Vorfeld des Konzils von Trient: Dahinter kann der Versuch stehen, alle Deutschen (vor allem Fürsten und Bischöfe) gegen den Papst zu vereinen. Auch Kaiser [[Erwähnte Person::Karl V. (HRR)]] ist ein Hoffnungsträger, zumindest bis zum Schmalkaldischen Krieg. Nach Kriegsausbruch gibt es kaum mehr polemische Auseinandersetzungen mit der Papstkirche bei Camerarius: Aus politischen Gründen (Interim) war es zunächst nicht opportun. Camerarius fand sich mit Melanchthon und Georg von Anhalt in einer Position wieder, wo zwischen politischen Sachzwängen (Forderung des Kaisers nach Umsetzung des Interims) und dem Gewissen (d.h. dem Bekenntnis zur „evangelischen Wahrheit“) laviert werden musste.  
Nach dem Fürstenaufstand, der mit dem Passauer Vertrag und dem folgenden Augsburger Religionsfrieden erstmals Religionsfreiheit für Protestanten ermöglichte, waren die Gräben klar genug abgesteckt. Somit war für Camerarius (und Melanchthon) kein Anlass mehr gegeben, gegen die katholische Seite polemisch zu werden, zumal der neue Kurfürst [[August (Sachsen)]] an der Beibehaltung des Friedens und einem guten Verhältnis zu den Habsburgern interessiert war. Die folgenden Auseinandersetzungen innerhalb des reformatorischen Lagers, resultierend aus den Positionen im Interimistischen Streit, waren für Camerarius eine große Enttäuschung. In einer [[Erwähntes Werk::OC 1038|kommentierten Ausgabe]] eines Lutherbriefs betont Camerarius noch im Jahr 1572 den Vorrang der Liebe vor der Wahrheit, vor allem vor dem Buchstaben des Gesetzes, und warnt vor Ehrgeiz und übermäßiger Betonung der kirchlichen Regeln.
Nach dem Fürstenaufstand, der mit dem Passauer Vertrag und dem folgenden Augsburger Religionsfrieden erstmals Religionsfreiheit für Protestanten ermöglichte, waren die Gräben klar genug abgesteckt. Somit war für Camerarius (und Melanchthon) kein Anlass mehr gegeben, gegen die katholische Seite polemisch zu werden, zumal der neue Kurfürst [[August (Sachsen)]] an der Beibehaltung des Friedens und einem guten Verhältnis zu den Habsburgern interessiert war. Die folgenden Auseinandersetzungen innerhalb des reformatorischen Lagers, resultierend aus den Positionen im Interimistischen Streit, waren für Camerarius eine große Enttäuschung. In einer [[Erwähntes Werk::OC 1038|kommentierten Ausgabe]] eines Lutherbriefs betont Camerarius noch im Jahr 1572 den Vorrang der Liebe vor der Wahrheit, vor allem vor dem Buchstaben des Gesetzes, und warnt vor Ehrgeiz und übermäßiger Betonung der kirchlichen Regeln.


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==="Praktische Theologie und Pädagogik"===
==="Praktische Theologie und Pädagogik"===
==== Vorbemerkungen ====
==== Vorbemerkungen ====
Eine enge thematische Verzahnung bei Camerarius bewirkt, dass sich Pädagogik, Philologie und Theologie nicht immer strikt trennen lassen: So betont er wiederholt, das oberste Ziel des Unterrichts sei die religiöse Ausbildung, den Weg dorthin bilde aber die Philologie.<ref>Dazu Baier, Thomas, in: Helleno(ger)mania (in Vorbereitung), S. 17: "Sprache hat als Verständigungsmittel eine dienende Funktion, ist die ''ancilla'' des Inhalts. Erasmus und Camerarius haben jedoch auch ihre gestaltende Fertigkeit zur vollen Wirkung entfaltet, ihr mithin eine königliche Funktion zugewiesen im Sinne einer ''philologia regina''." Vgl. auch [[Kunkler 2000]], S. 203-206. Auch schreibt Camerarius im [[Erwähntes Werk::OCEp 1473|Widmungsbrief]] seiner [[Plautus, Comoediae sex, 1549|Plautus-Edition]]: ''Manemus in sententia studia utriusque linguae excolenda esse, et esse hanc viam ad scientiam & veritatem, quibus & cultus Dei & hominum communitas continetur ac durat'' (A7v).</ref> Insofern hat dieses Projekt die pädagogischen und die katechetischen Schriften zusammengefasst. Diese Konstruktion erscheint uns deshalb berechtigt, weil man von systematischer Pädagogik im Sinne einer Wissenschaft erst mit Comenius zu sprechen pflegt<ref>So [[Kunkler 2003]], S. 162.</ref> – bei Camerarius findet man allerdings erste Vorläufer. Einen Versuch, die Pädagogik des Camerarius als eigenes System zu etablieren, hat Stephan Kunkler unternommen, wobei der Begriff der ''doctrina'' (Lehre) eine zentrale Stellung einnimmt.<ref>Vgl. [[Kunkler 2000]], S. 143-146 und [[Kunkler 2003]], S. 263-267.</ref> Ein Manko seiner Arbeiten ist allerdings, dass er die Theologie des Camerarius unter Aussparung von dessen katechetischem Hauptwerk, der Katechesis, betrachtet.<ref>[[Kunkler 1998]], S. 262f. Zu anderen Schwächen von Kunklers Arbeiten vgl. [[Mundt 2002]].</ref> So haben wir dieses Teilgebiet als "Praktische Theologie und Pädagogik" bezeichnet – im Wissen, dass der Begriff anachronistisch ist: Erst seit dem 19. Jahrhundert gilt Praktische Theologie als wissenschaftliche Disziplin. Daher ist unser Titel nicht als Fachbegriff zu verstehen, sondern als Umschreibung. Einige Aspekte praktischer Theologie konnten hier nicht berücksichtigt werden, insbesondere der Umgang mit dem Tod, das Sprechen über Verstorbene und der Trost der Hinterbliebenen. Hierzu sei unter anderem verwiesen auf die Schlagworte [[Todesfurcht]], [[Konsolationsliteratur]], [[Trostgedicht]] und [[Nachruf]].<ref>Aspekte des Todes bei Camerarius behandelt Vinzenz Gottlieb in seiner entstehenden Dissertation zu den [[Erwähntes Werk::Camerarius, Orationes funebres, 1569|Leichen- und Gedenkreden]] auf Kurfürst [[Erwähnte Person::Moritz (Sachsen)]].</ref>
Bei Camerarius zeigen sich Pädagogik, Philologie und Theologie eng miteinander verknüpft: So betont er wiederholt, das oberste Ziel des Unterrichts sei die religiöse Ausbildung, den Weg zur Erkenntnis der christlichen Wahrheit und zur rechten Gottesverehrung bilde aber die Philologie.<ref>Dazu Baier, Thomas, in: Helleno(ger)mania (in Vorbereitung), S. 17: "Sprache hat als Verständigungsmittel eine dienende Funktion, ist die ''ancilla'' des Inhalts. Erasmus und Camerarius haben jedoch auch ihre gestaltende Fertigkeit zur vollen Wirkung entfaltet, ihr mithin eine königliche Funktion zugewiesen im Sinne einer ''philologia regina''." Vgl. auch [[Kunkler 2000]], S. 203-206. Auch schreibt Camerarius im [[Erwähntes Werk::OCEp 1473|Widmungsbrief]] seiner [[Plautus, Comoediae sex, 1549|Plautus-Edition]]: ''Manemus in sententia studia utriusque linguae excolenda esse, et esse hanc viam ad scientiam & veritatem, quibus & cultus Dei & hominum communitas continetur ac durat'' (A7v).</ref> Insofern behandelt das folgende Kapitel die pädagogischen und die katechetischen Schriften zusammen. Berechtigt erscheint dies auch deshalb, weil man von systematischer Pädagogik im Sinne einer Wissenschaft erst mit Comenius zu sprechen pflegt<ref>So [[Kunkler 2003]], S. 162.</ref> – bei Camerarius findet man allerdings erste Vorläufer einer pädagogischen Theorie. Einen Versuch, die Pädagogik des Camerarius als eigenes System zu fassen, hat Stephan Kunkler unternommen, wobei der Begriff der ''doctrina'' (Lehre) eine zentrale Stellung einnimmt.<ref>Vgl. [[Kunkler 2000]], S. 143-146 und [[Kunkler 2003]], S. 263-267.</ref> Allerdings betrachtet Kunkler die Theologie des Camerarius unter Aussparung von dessen katechetischem Hauptwerk, der Katechesis.<ref>[[Kunkler 1998]], S. 262f. Zu Kritik an Kunklers Arbeiten vgl. [[Mundt 2002]].</ref> Im Wissen, dass der disziplinäre Begriff „Praktische Theologie“ erst seit dem 19. Jahrhundert existiert, wird er an dieser Stelle vorterminologisch u.a. als Umschreibung für religiöse Erziehung und den Einsatz der Religion im Bildungswesen benutzt. Einige Aspekte praktischer Theologie konnten hier nicht berücksichtigt werden, insbesondere der Umgang mit dem Tod, das Sprechen über Verstorbene und der Trost der Hinterbliebenen. Hierzu sei unter anderem verwiesen auf die Schlagworte [[Todesfurcht]], [[Konsolationsliteratur]], [[Trostgedicht]] und [[Nachruf]] (mit den Unterkategorien [[Epicedium]], [[Epitaphium]] und [[Nachruf (Prosa)]]).<ref>Einige dieser Aspekte behandelt Vinzenz Gottlieb in seiner entstehenden Dissertation zu den [[Erwähntes Werk::Camerarius, Orationes funebres, 1569|Leichen- und Gedenkreden]] auf Kurfürst [[Erwähnte Person::Moritz (Sachsen)]].</ref>
 
Obwohl die Theologie und die Gotteserkenntnis bei Camerarius das oberste Ziel der Bildung sind, bildet die Philologie das Mittel seiner Wahl, um zum Ziel zu gelangen. So finden sich schon in seinen frühesten philologischen Schriften pädagogische Gedanken auch ohne theologische Bezugnahme, wie im [[Erwähntes Werk::OC 0001|Lukian-Prooem]]. Solche Werke erscheinen nicht bei der Theologie, sondern könnten auf einer Lexikonseite "Philologie" erscheinen.


==== Katechismen ====
==== Katechismen ====
Zu den wichtigsten pädagogischen Texten bei Camerarius gehören die Katechismen, die zur Anwendung in Schulen, teilweise vielleicht auch in Universitäten bestimmt waren.<ref>Zur Geschichte der Katechismen in Sachsen vgl. [[Reu 1911]] I/2,1. Abdruck mitteldeutscher Katechismen in [[Reu 1911]] I/2. Katechismen des Spätmittelalters hat [[Leppin 2023]] untersucht.</ref> Üblicherweise behandeln sie die Zehn Gebote (Dekalog), das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis.<ref>Vgl. [[Schultz 1890]], S. 5, unter Berufung auf ein Visitationsprotokoll von 1528.</ref> Wir legen den Begriff etwas weiter aus und behandeln die katechetischen Schriften des Camerarius in chronologischer Reihenfolge. Ein intertextueller Vergleich steht noch aus, wäre aber notwendig, um den je eigenen Zweck zu bestimmen.
Zu den wichtigsten pädagogischen Texten bei Camerarius gehören die Katechismen, die in Schulen, teilweise vielleicht auch in Universitäten im Unterricht Verwendung fanden.<ref>Zur Geschichte der Katechismen in Sachsen vgl. [[Reu 1911]] I/2,1. Abdruck mitteldeutscher Katechismen in [[Reu 1911]] I/2. Katechismen des Spätmittelalters hat [[Leppin 2023]] untersucht.</ref> Üblicherweise behandeln sie die Zehn Gebote (Dekalog), das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis.<ref>Vgl. [[Schultz 1890]], S. 5, unter Berufung auf ein Visitationsprotokoll von 1528.</ref> Im Folgenden wird dieser Begriff etwas weiter ausgelegt und werden die katechetischen Schriften des Camerarius in chronologischer Reihenfolge besprochen. Ein Vergleich der einzelnen Texte steht noch aus, wäre aber notwendig, um den je eigenen Zweck zu bestimmen.


Camerarius hat einige Katechismen verfasst; der erste erschien unter dem Titel [[Erwähntes Werk::OC 0007|„Capita sacrosanctae fidei“]], gedruckt in Melanchthons [[Melanchthon, Institutio puerilis literarum Graecarum, 1525|„Institutio puerilis“]], und wurde früher dem „Präzeptor Germaniae“ zugeschrieben. [[Walter 2017|Jochen Walter]] hat aufgezeigt, dass dieses Werk höchstwahrscheinlich von Camerarius stammt, und begründet dies durch Übereinstimmungen mit den [[Erwähntes Werk::OC 0455|Κεφάλαια Χριστιανισμοῦ]] von 1545.<ref>In einem [https://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10989034-1 Exemplar der BSB] sind auf dem Frontispiz alle Namen getilgt (Camerarius, Melanchthon, Nicolaus Gerbel und der Drucker Johannes Setzer). Gustav Kawerau (vgl. [[Schultz 1890]], S. 7) zählt dieses Werk nicht zu den Katechismen, sondern zu den Schullesebüchern.</ref>  
Camerarius hat einige Katechismen verfasst; der erste erschien unter dem Titel [[Erwähntes Werk::OC 0007|„Capita sacrosanctae fidei“]], gedruckt in Melanchthons [[Melanchthon, Institutio puerilis literarum Graecarum, 1525|„Institutio puerilis“ (1525)]], und wurde früher dem „Praeceptor Germaniae“ zugeschrieben. [[Walter 2017|Jochen Walter]] hat aufgezeigt, dass dieses Werk höchstwahrscheinlich von Camerarius stammt, und begründet dies durch Übereinstimmungen mit den [[Erwähntes Werk::OC 0455|"Κεφάλαια Χριστιανισμοῦ"]] von 1545.<ref>In einem [https://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10989034-1 Exemplar der "Institutio puerilis" in der BSB] sind auf dem Frontispiz alle Namen getilgt (Camerarius, Melanchthon, Nicolaus Gerbel und der Drucker Johannes Setzer). Gustav Kawerau (vgl. [[Schultz 1890]], S. 7) zählt dieses Werk nicht zu den Katechismen, sondern zu den Schullesebüchern.</ref>  
Während Luthers kleiner Katechismus einfache Anweisungen an (weniger gebildete) Pädagogen/Hausväter gibt, bietet die Katechesis des Camerarius längere (wissenschaftliche) Traktate für den gebildeteren Lehrer bzw. Schüler.<ref>So auch [[Kunkler 1998]], S. 262; vgl. Th. Baier, Gräzist (noch nicht veröffentlicht).</ref> Das zeigt sich schon an der Wahl von Griechisch als Sprache gegenüber der Wahl des Deutschen bzw. Lateinischen bei Luther und anderen Autoren. Möglicherweise handelt es sich um den ersten aus der Reformation hervorgegangenen griechischen Katechismus: Die Texte dienen so neben der theologischen Bildung durch den Inhalt auch der besseren Erlernung der Sprache.<ref>Die Bedeutung des Griechischen zeigt Cam. auch in seiner [[Erwähntes Werk:: OC 0580|Einleitung zur Katechesis]] auf.</ref> Die CPERC (Capita pietatis) sind direkt an die Schüler gerichtet. Die Wahl einer dichterischen Sprache, die sich teils an [[Erwähnte Person::Homer]], teils auch an andere dichterische Formen anlehnt, ist sicher bewusst getroffen worden.<ref>So [[Walter 2017]], S. 34-36.</ref>
Während Luthers kleiner Katechismus einfache Anweisungen an (weniger gebildete) Pädagogen/Hausväter gibt, bietet die griechische [[Erwähntes Werk::OC 0579|"Katechesis" (1552)]] des Camerarius längere (gelehrte) Abschnitte für den gebildeteren Lehrer bzw. die Schüler.<ref>So auch [[Kunkler 1998]], S. 262; vgl. Th. Baier, Gräzist (noch nicht veröffentlicht).</ref> Die relative Exklusivität offenbart sich schon an der Wahl des Griechischen anstelle des Deutschen bzw. Lateinischen bei Luther und anderen Autoren. Möglicherweise handelt es sich um den ersten aus der Reformation hervorgegangenen griechischen Katechismus. Er verfolgt ein zweifaches Ziel: Die Vermittlung religiöser Grundlehren und die Einübung der griechischen Sprache.<ref>Die Bedeutung des Griechischen zeigt Cam. auch in seiner [[Erwähntes Werk:: OC 0580|Einleitung zur "Katechesis"]] auf.</ref> Die in griechischen Hexametern verfassten "Capita pietatis" sind direkt an die Schüler gerichtet. Die Wahl einer dichterischen Sprache, die sich teils an die Epen [[Erwähnte Person::Homer]]s, teils auch an andere dichterische Formen anlehnt, ist sicher bewusst im Sinne einer poetischen Schulung getroffen worden.<ref>So [[Walter 2017]], S. 34-36.</ref>


Die Zahl evangelischer Katechismen der Reformationszeit ist kaum zu überschauen.<ref>Neben Martin Luthers Kleinem und Großem Katechismus sei hier auf verwiesen auf Ferdinand Cohrs (Hrsg.): Die evangelischen Katechismusversuche vor Luthers Enchiridion. 5 Bde., Berlin 1900-1907, Nachdruck Hildesheim/New York 1978[https://archive.org/details/dieevangelische00cohrgoog/page/n66/mode/2up?view=theater][https://archive.org/details/dieevangelische02cohrgoog/page/54/mode/2up?view=theater] und [[Reu 1911]].</ref> Sie miteinander zu vergleichen kann hier nicht geleistet werden. Doch ein Blick in einige evangelische Schulordnungen soll zeigen, wo die Benutzung von Katechismen ausdrücklich gefordert wird: Bereits in [[Luther, An die Ratherren aller Städte deutsches Lands, 1524|Luthers Ratsherrenschrift]] finden sich Anforderungen an die religiöse Erziehung und schulische Bildung der Jugend. Hierbei wird die Verantwortung für (religiöse) Bildung den Städten auferlegt. So begannen diese schon vor den Landesfürsten mit eigenständigen Bildungsreformen und Neugründungen von Schulen. Die unter Melanchthons Mitwirkung entstandene Ordnung der [[Erwähnter Ort::Eisleben]]er Schule des [[Erwähnte Person::Johannes Agricola]]<ref>Die [[Erwähnter Ort::Magdeburg]]er Stadtschule (seit 1524) ist die möglicherweise "erste protestantische Schulgründung"; die Eislebener, im Frühjahr 1525 begründet, hat "die älteste gedruckte Schulordnung des neuen Kirchenwesens ([[Paulsen 1919]], S. 276f.).</ref> von 1525 sieht die Behandlung der Pädologie des [[Erwähnte Person::Petrus Mosellanus]][http://data.onb.ac.at/rep/1097F195] für das erste Lehrjahr vor. Ob man diese als Katechismus bezeichnen kann, darüber lässt sich streiten: So erscheinen in den Dialogen nur vereinzelt religiöse Themen. Christliche Schriften sieht die Ordnung erst fürs dritte Lehrjahr vor: Dann sind das Vaterunser, das Apostolische Glaubensbekenntnis, die Zehn Gebote, einige Psalmen und verschiedene Schriftstellen zu lernen.<ref>''Et universae scholae interpretabitur praeceptor aut unum ex Euangelistis aut aliquam Pauli epistolam aut Solomonis gnomas. Id fiet simplicissime, ne adsuefiant ad rixandum adulescentes, sed ut religionem quam purissimam addiscant et a simulatione pietatis possint discernere, ut ad timorem dei, ad fidem, postremo ad bonos mores inuitentur. Et ut acuatur cura discendorum sacrorum in pueris, non sufficiet his multa praelegisse. Sed cogentur ediscere orationem dominicam, Symbolum Apostolorum, Decalogum, lectissimos Psalmos et certos alios locos scripturae, que ne e memoria excidant, exiget tanquam pensum diei Dominici praeceptor, ut recenseantur ordine memoriter.'' Vgl. [[Hartfelder 1892]], S. 3 und 5f.</ref>  
Die Zahl evangelischer Katechismen der Reformationszeit ist kaum zu überschauen.<ref>Neben Martin Luthers Kleinem und Großem Katechismus sei verwiesen auf die Sammlung in [https://archive.org/details/dieevangelische00cohrgoog Ferdinand Cohrs (Hrsg.): Die evangelischen Katechismusversuche vor Luthers Enchiridion. 5 Bde., Berlin 1900-1907, Nachdruck Hildesheim/New York 1978] und [[Reu 1911]].</ref> Sie miteinander zu vergleichen kann hier nicht geleistet werden. Doch ein Blick in einige evangelische Schulordnungen soll zeigen, wo die Benutzung von Katechismen ausdrücklich gefordert wird: Bereits in [[Luther, An die Ratherren aller Städte deutsches Lands, 1524|Luthers Ratsherrenschrift]] finden sich Anforderungen an die religiöse Erziehung und schulische Bildung der Jugend. Hierbei wird die Verantwortung für (religiöse) Bildung den Städten auferlegt. So begannen diese schon vor den Landesfürsten mit eigenständigen Bildungsreformen und Neugründungen von Schulen. Die unter Melanchthons Mitwirkung entstandene Ordnung der [[Erwähnter Ort::Eisleben]]er Schule des [[Erwähnte Person::Johannes Agricola]]<ref>Die [[Erwähnter Ort::Magdeburg]]er Stadtschule (seit 1524) ist die möglicherweise "erste protestantische Schulgründung"; die Eislebener, im Frühjahr 1525 begründet, hat "die älteste gedruckte Schulordnung des neuen Kirchenwesens" ([[Paulsen 1919]], S. 276f.).</ref> von 1525 sieht die Behandlung der [http://data.onb.ac.at/rep/1097F195 Pädologie] des [[Erwähnte Person::Petrus Mosellanus]] für das erste Lehrjahr vor. Ob man diese als Katechismus bezeichnen kann, ist diskutabel: So erscheinen in den Dialogen nur vereinzelt religiöse Themen. Christliche Schriften sieht die Ordnung erst für das dritte Lehrjahr vor: Dann sind das Vaterunser, das Apostolische Glaubensbekenntnis, die Zehn Gebote, einige Psalmen und verschiedene Schriftstellen zu lernen.<ref>''Et universae scholae interpretabitur praeceptor aut unum ex Euangelistis aut aliquam Pauli epistolam aut Solomonis gnomas. Id fiet simplicissime, ne adsuefiant ad rixandum adulescentes, sed ut religionem quam purissimam addiscant et a simulatione pietatis possint discernere, ut ad timorem dei, ad fidem, postremo ad bonos mores inuitentur. Et ut acuatur cura discendorum sacrorum in pueris, non sufficiet his multa praelegisse. Sed cogentur ediscere orationem dominicam, Symbolum Apostolorum, Decalogum, lectissimos Psalmos et certos alios locos scripturae, que ne e memoria excidant, exiget tanquam pensum diei Dominici praeceptor, ut recenseantur ordine memoriter.'' Vgl. [[Hartfelder 1892]], S. 3 und 5f.</ref>  
   
   
Die Ordnung der [[Erwähnte Körperschaft::Egidiengymnasium (Nürnberg)|Höheren Schule zu Nürnberg]], der Camerarius von 1526 bis 1535 vorstand, enthielt auch Vorgaben zur katechetischen Unterweisung: So sollten die einzelnen Schüler bereits in den Grammatikschulen einmal am Tag den Dekalog, das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis aufsagen. Auch eine Auslegung dieser Texte sollte ihnen gegeben werden, und sie sollten einige Psalmen rezitieren lernen.<ref>''Unus dies singulis hebdomadis est in tractationem elementorum religionis collocandus, ubi praeceptor audiat ordine singulos discipulos recitantes Decalogum, orationem dominicam, symbolum Apostolorum, nam haec pueris effluunt ex animis, nisi saepe recitare cogas. Est et enarratio puerilis addenda, quam praeceptores saepe reposcant a pueris. Subinde etiam Psalmi planiores, et qui summam religionis continent, proponantur ediscendi, ut una cum literarum elementis doctrina Christiana teneris animis inseratur.'' [[Hartfelder 1892]], S. 9f.; deutsche Übersetzung in [[Heerwagen 1860]], S. 28f.</ref> Lateinische Lehrbücher dieses Inhalts existierten bereits. Für höhere Klassen ist an die Verwendung der "Capita sacrosanctae fidei" zu denken, die aufgrund der anspruchsvollen griechischen Sprache zur Wiederholung des Inhalts und zum Erlernen der griechischen Dichtersprache geeignet war.<ref>Ähnlich wie die "Capita pietatis" von 1545: Vgl. [[Walter 2017]], S. 40-42.</ref> Auch in späteren Schulordnungen von Nürnberg und Altdorf nahm die religiöse Unterweisung einen wichtigen Platz ein.<ref>Vgl. [[Saubert 1673]], Bl. C4v-D1v und [[Saubert 1633]], Bl. F3r-G1r: Hier wird auch Luthers Katechismus in deutscher und lateinischer Sprache erwähnt.</ref>Die Nürnberger Schulordnung weckte bald auch das Interesse des [[Erwähnter Ort::Breslau]]er Lehrers [[Erwähnte Person::Johannes Metzler]], der Camerarius [[Erwähntes Werk::OCEp 0302|in einem Brief]] um deren Zusendung bat. Es ist aber nicht klar, ob sie Einfluss auf die Schulordnung des Breslauer Gymnasiums hatte.<ref>Vgl. [[Bauch 1898]], S. 72.</ref><br>
Die Ordnung der [[Erwähnte Körperschaft::Egidiengymnasium (Nürnberg)|Oberen Schule zu Nürnberg]], der Camerarius von 1526 bis 1535 vorstand, enthielt auch Vorgaben zur katechetischen Unterweisung: So sollten die einzelnen Schüler bereits in den Grammatikschulen einmal am Tag den Dekalog, das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis aufsagen. Auch eine Auslegung dieser Texte sollte ihnen gegeben werden, und sie sollten einige Psalmen rezitieren lernen.<ref>''Unus dies singulis hebdomadis est in tractationem elementorum religionis collocandus, ubi praeceptor audiat ordine singulos discipulos recitantes Decalogum, orationem dominicam, symbolum Apostolorum, nam haec pueris effluunt ex animis, nisi saepe recitare cogas. Est et enarratio puerilis addenda, quam praeceptores saepe reposcant a pueris. Subinde etiam Psalmi planiores, et qui summam religionis continent, proponantur ediscendi, ut una cum literarum elementis doctrina Christiana teneris animis inseratur.'' [[Hartfelder 1892]], S. 9f.; deutsche Übersetzung in [[Heerwagen 1860]], S. 28f.</ref> Lateinische Lehrbücher dieses Inhalts existierten bereits. Für höhere Klassen ist an die Verwendung der [[Erwähntes Werk::OC 0007|"Capita sacrosanctae fidei"]] (siehe unten) zu denken, die zur Wiederholung des Inhalts und zum Erlernen der griechischen Dichtersprache geeignet waren.<ref>Ähnlich wie die "Capita pietatis" von 1545: Vgl. [[Walter 2017]], S. 40-42.</ref> Auch in späteren Schulordnungen von Nürnberg und Altdorf nahm die religiöse Unterweisung einen wichtigen Platz ein.<ref>Vgl. [[Saubert 1673]], Bl. C4v-D1v und [[Saubert 1633]], Bl. F3r-G1r: Hier wird auch Luthers Katechismus in deutscher und lateinischer Sprache erwähnt.</ref> Die Nürnberger Schulordnung weckte bald auch das Interesse des [[Erwähnter Ort::Breslau]]er Lehrers [[Erwähnte Person::Johannes Metzler]], der Camerarius [[Erwähntes Werk::OCEp 0302|in einem Brief (1526)]] um deren Zusendung bat. Es ist aber nicht klar, ob sie Einfluss auf die Schulordnung des Breslauer Gymnasiums hatte.<ref>Vgl. [[Bauch 1898]], S. 72.</ref><br>
Die Bedeutung der Schulen für die Erlernung christlicher Werte und der biblischen Sprachen betont auch Luther in seiner [[Erwähntes Werk::Luther, An die Ratherren aller Städte deutsches Lands, 1524|Ratsherrenschrift]], Bl. D3r/v: Man brauche die Bibel nicht nur in Deutsch, sondern auch in Latein, Griechisch und Hebräisch. Das Vorhandensein gut ausgebildeter Lehrer und guter Bücher hebt er als Desiderat hervor. Luther betonte auch die Bedeutung des Musikunterrichts. Entsprechend war auch im Lehrplan des Egidiengymnasiums täglich eine Stunde Musik vorgesehen. Dieses Fach füllte wohl der Komponist [[Erwähnte Person::Wilhelm Breitengraser]] aus.<ref>Vgl. [[Krause 1879]], Bd. II, S. 50f., neben [[Burkard 2003]], S. 158, Anm. 88.</ref> Von Camerarius selbst sind allerding kaum musikalische Aktivitäten oder Kompetenzen bekannt.<ref>Vgl. McDonald 2013, S. 629, und McDonald 2012, S. 100, Anm. 82. In [[Erwähntes Werk::OCEp 1426]] sagt Camerarius, dass er selbst gesungen hat.</ref> Ein erst kürzlich entdeckter musikhistorischer Traktat ([[Erwähntes Werk::OC 1037|"In musicae laudem"]]) berichtet von der Bedeutung der Musik in der Kulturgeschichte seit dem mythischen Griechenland. Ähnliche Gedanken schreibt Camerarius auch in der [[Erwähntes Werk::OC 0828|Rede zum 7. Todestag]] des [[Erwähnte Person::Moritz (Sachsen)|Kurfürsten Moritz]], wonach Achill das Harfenspiel von Chiron gelernt habe, um seine Emotionen zu kontrollieren.<ref>Vgl. [[Camerarius, Oratio funebris anniversariae memoriae causa de principe Mauricio (1560), 1569]], S. 135.</ref> Besondere Bedeutung erlangte schließlich Camerarius' Gebet [[Erwähntes Werk::OC 0597|"In tenebris"]], das oft vertont wurde und möglicherweise die Vorlage für [[Erwähnte Person::Paul Eber]]s deutsche Dichtung "Wenn wir in höchsten Nöten sein" bildet, die ins Evangelische Kirchengesangbuch aufgenommen wurde.  
Die Bedeutung der Schulen für die Erlernung christlicher Werte und der biblischen Sprachen betont auch Luther in seiner [[Erwähntes Werk::Luther, An die Ratherren aller Städte deutsches Lands, 1524|Ratsherrenschrift]] (Bl. D3r/v): Man brauche die Bibel nicht nur in Deutsch, sondern auch in Latein, Griechisch und Hebräisch. Das Vorhandensein gut ausgebildeter Lehrer und guter Bücher hebt er als Desiderat hervor. Luther betonte auch die Bedeutung des Musikunterrichts. Entsprechend war auch im Lehrplan der Nürnberger Oberen Schule täglich eine Stunde Musik vorgesehen. Dieses Fach füllte wohl der Komponist [[Erwähnte Person::Wilhelm Breitengraser]] aus.<ref>Vgl. [[Krause 1879]], Bd. II, S. 50f., neben [[Burkard 2003]], S. 158, Anm. 88.</ref> Von Camerarius selbst sind allerding kaum musikalische Aktivitäten oder Kompetenzen bekannt.<ref>Vgl. Grantley McDonald, Notes on the sources and reception of Senfl's Harmoniae, in: Stefan Gasch / Sonja Tröster (Hgg.), Senfl-Studien 2, Tutzing 2013, S. 623-633, hier S. 629, und Grantley McDonald, The Metrical Harmoniae of Wolfgang Gräfinger and Ludwig Senfl, in: Stefan Gasch / Birgit Lodes / Sonja Tröster (Hgg.), Senfl-Studien 1, Tutzing 2012, S. 69-148, hier S. 100, Anm. 82. In [[Erwähntes Werk::OCEp 1426]] schreibt Camerarius, dass er selbst geistliche Gesänge gesungen habe.</ref> Eine erst kürzlich entdeckte musikhistorische Abhandlung ([[Erwähntes Werk::OC 1037|"In musicae laudem"]]), von Camerarius als Vorwort zu einem Stimmbuch der [[Erwähnte Körperschaft::Fürstenschule (Meißen)|Fürstenschule Meißen]] verfasst, umreißt die Bedeutung der Musik in der Kulturgeschichte seit dem mythischen Griechenland. Ähnliches schreibt Camerarius auch in der [[Erwähntes Werk::OC 0828|Rede zum 7. Todestag]] von [[Erwähnte Person::Moritz (Sachsen)|Kurfürst Moritz]], wonach Achill das Harfenspiel von Chiron gelernt habe, um seine Emotionen zu kontrollieren.<ref>Vgl. [[Camerarius, Oratio funebris anniversariae memoriae causa de principe Mauricio (1560), 1569]], S. 135.</ref> Besondere Bedeutung erlangte schließlich Camerarius' Versgebet [[Erwähntes Werk::OC 0597|"In tenebris"]], das oft vertont wurde und möglicherweise die Vorlage für [[Erwähnte Person::Paul Eber]]s deutsche Dichtung "Wenn wir in höchsten Nöten sein" bildet, die ins Evangelische Kirchengesangbuch aufgenommen wurde.  


===== Die Capita sacrosanctae fidei von 1524 und die Capita pietatis von 1545 =====
===== Die Capita sacrosanctae fidei (1524) und die Capita pietatis (1545) =====
Die [[Erwähntes Werk::OC 0007|Capita sacrosanctae fidei]] (CSF) sind Teil eines von Melanchthon herausgegebenen Lehrwerks, der [[Erwähntes Werk::Melanchthon, Institutio puerilis literarum Graecarum, 1525|Institutio puerilis]], das schon fünf Jahre vor [[Martin Luther]]s Großem und Kleinem Katechismus (ab 1529) entstand und sich von diesen sich auch in der Wahl der Sprache unterscheidet: Während Luther seine Katechismen in Deutsch abfasste und auch lateinische Versionen drucken ließ, existiert die "Institutio puerilis" nur als Werk in teils lateinischer, teils griechischer Sprache mit deutschen Einsprengseln (und einem hebräischen Teil). All diese Schriften sind als Leitfaden für Lehrkräfte konzipiert<ref>Kleiner Katechismus: ''für die gemeine Pfarrherrn und Prediger/pro parochis et concionatoribus''; im Großen Katechismus werden gelegentlich Hausväter erwähnt.</ref> und zum Selbstlernen eher ungeeignet.
Die griechischen [[Erwähntes Werk::OC 0007|Capita sacrosanctae fidei]] (CSF) sind Teil eines von Melanchthon herausgegebenen Lehrwerks, der [[Erwähntes Werk::Melanchthon, Institutio puerilis literarum Graecarum, 1525|Institutio puerilis (1525)]], das schon fünf Jahre vor [[Martin Luther]]s Großem und Kleinem Katechismus (ab 1529) entstand und sich von diesen auch in der Wahl der Sprache unterscheidet: Während Luther seine Katechismen in Deutsch abfasste und auch lateinische Versionen drucken ließ, existiert die "Institutio puerilis" nur als Werk in teils lateinischer, teils griechischer Sprache mit deutschen Einsprengseln (und einem hebräischen Teil). All diese Schriften sind als Leitfaden für Lehrkräfte, Hausväter und Pfarrer konzipiert<ref>Kleiner Katechismus: ''für die gemeine Pfarrherrn und Prediger/pro parochis et concionatoribus''; im Großen Katechismus werden gelegentlich Hausväter erwähnt.</ref> und zum Selbstlernen eher ungeeignet.


Im Anhang befindet sich eine hebräische Grammatik des Wittenberger Hebraisten [[Erwähnte Person::Matthäus Aurogallus]], die weitgehend wörtlich mit dessen „Compendium hebreae chaldeaeque grammatices“[http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10184079-3] aus dem selben Jahr übereinstimmt. Das Compendium enthält zusätzlich einen Abschnitt über hebräische Zahlen, ein Kapitel über Unterschiede der hebräischen und chaldäischen/aramäischen Sprache sowie Briefe und hebräische Texte. Durch dieses Buch hatte auch Camerarius Gelegenheit, mit der hebräischen Sprache in Kontakt zu kommen. Über seine Kenntnisse dieser Sprache ist kaum etwas bekannt; allerdings zeigt er sie in der [[Camerarius, Sententiae Jesu Siracidae, 1551|Jesus-Sirach-Ausgabe 1551]].<ref>Dort S. 13f., 136f. 146, 160, 172,179, 198 und 203.</ref>
Im Anhang der "Institutio" befindet sich eine hebräische Grammatik des Wittenberger Hebraisten [[Erwähnte Person::Matthäus Aurogallus]], die weitgehend wörtlich mit dessen [http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10184079-3 „Compendium Hebreae Chaldeaeque grammatices“] aus dem selben Jahr übereinstimmt. Das Compendium enthält zusätzlich einen Abschnitt über hebräische Zahlen, ein Kapitel über Unterschiede der hebräischen und chaldäischen/aramäischen Sprache sowie Briefe und hebräische Texte. Durch dieses Buch hatte auch Camerarius Gelegenheit, mit der hebräischen Sprache in Kontakt zu kommen. Über seine Kenntnisse dieser Sprache ist kaum etwas bekannt; allerdings zeigt er sie in der [[Camerarius, Sententiae Jesu Siracidae, 1551|Jesus-Sirach-Ausgabe 1551]].<ref>Dort S. 13f., 136f. 146, 160, 172,179, 198 und 203.</ref>


[[Walter 2017|Jochen Walter]] hat überzeugend dargelegt, dass die CSF von Camerarius verfasst und 1545 in den [[Erwähntes Werk::OC 0455|Κεφάλαια Χριστιανισμοῦ]] in erweiterter Form erneut herausgegeben wurden: So gibt es versweise wörtliche Übereinstimmungen, aber der Umfang der Κεφάλαια ist mit 222 gegenüber 131 Versen erheblich größer. Das Griechisch der Capita weist sprachliche Besonderheiten auf, die teils der homerischen Dichtersprache, teils der Bukolik und anderen Gattungen entstammen.<ref>Vgl. [[Walter 2017]], S. 26ff. und 34ff.</ref> Auch hier kommt das Prinzip des Camerarius zum Tragen, sprachliche und inhaltliche Lernziele miteinander zu verbinden. Der sprachliche Aspekt erweist sich auch an anderen Werken des Drucks: So ist ein Gedicht Martin Luthers über das Buch Salomo (wohl die Weisheit Salomons) enthalten, das Cam. in lateinischer und griechischer Übersetzung (versifiziert) präsentiert. Einen Hinweis auf die Zielgruppe gibt das Gedicht des [[Erwähnte Person::Johann Stigel]] (C5r-C8v) mit einer Widmung an [[Erwähnte Person::Philipp Camerarius]]: Dieser war damals ca. 8 Jahre alt und wurde noch privat unterrichtet.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 1475|Brief an Joh. Malleolus von 1544]].</ref> Man wird an eine Verwendung in den 1543 gegründeten Fürstenschulen [[Schulpforta]] und [[Meißen]] denken. Dafür spricht, dass die 1. Auflage schnell ausverkauft war und Cam. im Folgejahr [[Camerarius, Capita pietatis, 1546|eine 2. drucken ließ]], ergänzt um eine [[Erwähntes Werk::OC 0481|lateinische Übersetzung]] der "Capita".<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 1445]].</ref> Die  Ansicht ist synoptisch (griechischer Text auf dem Verso, lateinischer Text auf dem gegenüberliegenden Recto, mit versgenauer Entsprechung); Übersetzung ist "ausgangssprachenorientiert und versucht, bis in die Wortstellung hinein den griechischen Text abzubilden."<ref>[[Walter 2017]], S. 30.</ref> Das Missverhältnis zwischen einem eher trivialen Inhalt und der anspruchsvollen Dichtersprache lässt darauf schließen, dass Camerarius hier einen Primat der philologischen gegenüber der theologischen Bildung verfolgt hat: Die sprachlichen Kenntnisse sollten von den bereits bekannten Inhalten profitieren.<ref>Vgl. [[Walter 2017]], S. 41f.</ref> Eine weitere lateinische Übersetzung nahm [[Erwähnte Person::Johannes Fux]] vor, der die Κεφάλαια in elegische Distichen übersetzte. Er fügte sie ein in [[Fux, Ioel propheta, 1553|ein eigenes Lehrbuch]], das auch Versifikationen von einigen der kleinen Propheten sowie einen weiteren Katechismus enthält. Von Fux' Übersetzung existiert [[Camerarius, Capita pietatis, 1555a|ein Nachdruck]] in Kombination mit anderen Versifikationen des Übersetzers. Damit hielten die "Capita" auch in ein katholisches Lehrbuch Einzug.
[[Walter 2017|Jochen Walter]] hat überzeugend dargelegt, dass die CSF von Camerarius verfasst und 1545 unter dem Titel [[Erwähntes Werk::OC 0455|Κεφάλαια Χριστιανισμοῦ]] in erweiterter Form erneut herausgegeben wurden: So gibt es versweise wörtliche Übereinstimmungen, aber der Umfang der Κεφάλαια ist mit 222 gegenüber 131 Versen erheblich größer. Das Griechisch der Κεφάλαια weist sprachliche Besonderheiten auf, die teils der homerischen Dichtersprache, teils der Bukolik und anderen Gattungen entstammen.<ref>Vgl. [[Walter 2017]], S. 26ff. und 34ff.</ref> Auch hier kommt das Prinzip des Camerarius zum Tragen, sprachliche und inhaltliche Lernziele miteinander zu verbinden. Diese Synergie erweist sich auch an anderen Werken des [[Camerarius, Capita pietatis, 1545|1545 unter dem Namen "Capita pietatis" erschienenen Drucks]]: So ist ein deutschsprachiges Gedicht Martin Luthers über das Buch Salomo (wohl die Weisheit Salomons) enthalten, das Camerarius im Anschluss in je einer lateinischen und griechischen Übersetzung (versifiziert) präsentiert. Einen Hinweis auf die Zielgruppe des Kompendiums gibt das ebenfalls beigefügte Gedicht des [[Erwähnte Person::Johann Stigel]] (C5r-C8v) mit einer Widmung an [[Erwähnte Person::Philipp Camerarius]] (dieser war damals ca. 8 Jahre alt und wurde noch privat unterrichtet<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 1475|Camerarius' Widmung der "Fabulae Aesopicae" an Johann Malleolus von 1544]].</ref>). Man wird konkret an eine Verwendung in den 1543 gegründeten Fürstenschulen [[Schulpforta]] und [[Meißen]] denken können. Für die schulische Verankerung spricht, dass die 1. Auflage schnell ausverkauft war und Camerarius im Folgejahr eine 2. Auflage drucken ließ ([[Camerarius, Capita pietatis, 1546]]), ergänzt um eine selbst verfasste [[Erwähntes Werk::OC 0481|lateinische Übersetzung]] der "Κεφάλαια".<ref>Die Notwendigkeit der Neuauflage begründet Camerarius im [[Erwähntes Werk::OCEp 1445|Widmungsbrief an Georg III. von Anhalt]].</ref> Die  Ansicht ist synoptisch (griechischer Text auf dem Verso, lateinischer Text auf dem gegenüberliegenden Recto, mit versgenauer Entsprechung); die Übersetzung ist "ausgangssprachenorientiert und versucht, bis in die Wortstellung hinein den griechischen Text abzubilden"<ref>[[Walter 2017]], S. 30.</ref>. Das Missverhältnis zwischen einem bereits früher erlernten Inhalt und der anspruchsvollen griechischen Dichtersprache lässt darauf schließen, dass Camerarius hier einen Primat der philologischen gegenüber der theologischen Bildung verfolgt hat: Die bekannten Inhalte sollten die sprachlichen Forschritte erleichtern und die lateinische Version sollte das Verständnis des griechischen Textes zusätzlich sicherstellen.<ref>Vgl. [[Walter 2017]], S. 41f.</ref> Eine weitere lateinische Übersetzung nahm [[Erwähnte Person::Johannes Fux]] vor, der die "Κεφάλαια" in elegische Distichen übersetzte. Er fügte sie ein in [[Fux, Ioel propheta, 1553|ein eigenes Lehrbuch]], das auch Versifikationen von einigen der kleinen Propheten sowie einen weiteren Katechismus enthält. Von Fux' Übersetzung existiert [[Camerarius, Capita pietatis, 1555a|ein Nachdruck]] in Kombination mit anderen Versifikationen des Übersetzers. Damit hielten die "Capita" auch in ein katholisches Lehrbuch Einzug.


Möglicherweise besteht ein Zusammenhang zur 1550 entstandenen griechischen Κατήχησις des Siebenbürger Sachsen [[Erwähnte Person::Valentin Wagner]], mit dem Cam. in Freundschaft verbunden war.<ref>Vgl. [[Groß 1929]], 2. Stück: Valentin Wagners Katechesis, S. 3-5.</ref>
Möglicherweise besteht ein Zusammenhang zur 1550 entstandenen griechischen "Κατήχησις" des Siebenbürger Sachsen [[Erwähnte Person::Valentin Wagner]], mit dem Camerarius in Freundschaft verbunden war.<ref>Vgl. [[Groß 1929]], 2. Stück: Valentin Wagners Katechesis, S. 3-5.</ref>


===== Praecepta vitae puerilis 1536 =====
===== Die "Praecepta vitae puerilis" (1536) =====
Ein [[Camerarius, Praecepta vitae puerilis (Druck), 1536|1536 in Tübingen entstandener Druck]] vereint mehrere Erziehungsratgeber: In den [[Erwähntes Werk::OC 0188|"Praecepta vitae puerilis"]] gibt C. ganz praktische Ratschläge zur Erziehung. Im Mittelpunkt steht dabei die sittliche Unterweisung. Camerarius beschreibt und begründet zunächst verschiedene Erziehungsziele, um anschließend den Heranwachsenden konkrete Handlungsmaximen an die Hand zu geben. Die gleichen Inhalte transportiert das beigefügte Gedicht [[Erwähntes Werk::OC 0187|"Praecepta honestatis atque decoris puerilis"]]. Auf spielerisches Lernen zielt der Dialog [[Erwähntes Werk::OC 0185|"De gymnasiis"]]. Darin wird die Bedeutung von Sport und Spiel dargelegt. Als Widmungsbrief ist ein Schreiben des jungen Studenten [[Christoph Coler (Sohn)]] an seinen Bruder beigegeben, in dem der Lehrer gelobt wird, also Camerarius.<ref>[[Schultheiß 2017]], S. 205 sieht diese fiktive Urheberschaft "als Teil einer Publikationsstrategie", um "Camerarius durch die lobenden Äußerungen eines eigenen Studenten als Pädagogen zu profilieren": Der eigentliche Autor ist natürlich Camerarius selbst.</ref> Der Bezug zu seinem Tätigkeitsfeld [[Erwähnter Ort::Tübingen]] wird deutlich. Die Einbeziehung der [[Erwähnter Ort::Nürnberg]]er Patrizierfamilie Coler zielt vielleicht auch darauf ab, weitere Söhne der Stadt an die einzige protestantische Universität Süddeutschlands locken.<ref>Zum Anstieg der Zahl fränkischer Studenten in [[Erwähnte Körperschaft::Universität (Tübingen)|Tübingen]] siehe das Kapitel "Tätigkeit in Tübingen (1535-1541)".</ref><br>
Ein von Camerarius [[Camerarius, Praecepta vitae puerilis (Druck), 1536|1536 in Tübingen herausgegebener Druck]] vereint mehrere Erziehungsratgeber: In den [[Erwähntes Werk::OC 0188|"Praecepta vitae puerilis"]] werden ganz praktische Ratschläge erteilt. Im Mittelpunkt steht dabei die sittliche Unterweisung. Camerarius beschreibt und begründet zunächst verschiedene Erziehungsziele, um anschließend den Heranwachsenden konkrete Handlungsmaximen an die Hand zu geben. Die gleichen Inhalte transportiert das beigefügte Gedicht [[Erwähntes Werk::OC 0187|"Praecepta honestatis atque decoris puerilis"]]. Auf spielerisches Lernen zielt der Dialog [[Erwähntes Werk::OC 0185|"De gymnasiis"]]. Darin wird die Bedeutung von Sport und Spiel dargelegt. Als Widmungsbrief ist ein Schreiben des jungen Studenten [[Christoph Coler (Sohn)]] an seinen Bruder beigegeben, in dem der Lehrer gelobt wird - also Camerarius.<ref>[[Schultheiß 2017]], S. 205 sieht die Einbeziehung des Briefes, "der durchaus auf einem echten beruhen kann", "als Teil einer Publikationsstrategie", um "Camerarius durch die lobenden Äußerungen eines eigenen Studenten als Pädagogen zu profilieren": Der eigentliche Autor ist natürlich Camerarius selbst.</ref> Der Bezug zu seinem Tätigkeitsfeld [[Erwähnter Ort::Tübingen]] wird deutlich. Die Einbeziehung der [[Erwähnter Ort::Nürnberg]]er Patrizierfamilie Coler zielt vielleicht auch darauf ab, weitere Söhne der Stadt an die einzige protestantische Universität Süddeutschlands zu locken.<ref>Zum Anstieg der Zahl fränkischer Studenten in [[Erwähnte Körperschaft::Universität (Tübingen)|Tübingen]] siehe das Kapitel ↑ [[Theologie_(CamLex)#Tätigkeit_in_Tübingen_(1535-1541)|Tätigkeit in Tübingen (1535-1541)]].</ref><br>


Die "praecepta" wurden im 16. Jahrhundert noch häufiger aufgelegt, vor allem ab 1544 in [[Leipzig]] mit den [[Camerarius, Praecepta morum ac vitae, 1544]]. Als Grund dafür gesteht Camerarius den von ihm wahrgenommenen Sittenverfall ein, der ihn in Angst um die Zukunft versetze.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::Camerarius an Megel, 23.05.1544]]: ''Nam tanta dissolutio vitae ac morum nunc passim existit, ut saepe quid denique futurum sit, vehementer metuam''.</ref> Er wolle durch die Ausbildung des Verstandes dagegenhalten und die Urteilsfähigkeit stärken: Dies sei auch für Erwachsene noch möglich, wenn man es in der Kindheit vernachlässigt habe. Hierzu bedient er sich auch antiker Weisheitslehren: Das lateinische [[Erwähntes Werk::OC 0439|Spiel der sieben Weisen]] ist vielen Ausgaben beigefügt. Statt konkreter Handlungsanweisungen werden hier sentenzenhaft Maximen der Lebensführung vermittelt. Das Werk hatte großen Erfolg und wurde mehrmals in die Volkssprache übertragen.<ref>Vgl. [[Hubrath 2003]].</ref> Ein weiterer Dialog, der [[Camerarius, Dialogus de vita decente aetatem puerilem et al., 1563|ab 1563 mehrmals gedruckt wird]], behandelt das gute Benehmen bei Heranwachsenden und rezipiert auch die "Capita pietatis". Die Bedeutung von speziellen Regeln zur gottgefälligen Erziehung der Kinder wird hier dargelegt.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0712]].</ref>
Die "Praecepta" wurden im 16. Jahrhundert noch häufiger aufgelegt, vor allem ab 1544 in [[Leipzig]] zusammen mit den [[Camerarius, Praecepta morum ac vitae, 1544|"Praecepta morum ac vitae"]]. Als Grund dafür nennt Camerarius den prekären Sittenverfall, der in ihm Angst vor der Zukunft auslöse.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::Camerarius an Megel, 23.05.1544]]: ''Nam tanta dissolutio vitae ac morum nunc passim existit, ut saepe quid denique futurum sit, vehementer metuam''.</ref> Er wolle diesem Verfall durch die Ausbildung des Verstandes begegnen und die Urteilsfähigkeit stärken: Dies sei auch bei Erwachsenen noch möglich, wenn man es in der Kindheit vernachlässigt habe. Hierzu bedient er sich auch antiker Weisheitslehren: Das lateinische [[Erwähntes Werk::OC 0439|Spiel der sieben Weisen]] ist vielen Ausgaben beigefügt. Statt konkreter Handlungsanweisungen werden hier sentenzenhaft Maximen der Lebensführung vermittelt. Das Werk hatte großen Erfolg und wurde mehrmals in die Volkssprache übertragen.<ref>Vgl. [[Hubrath 2003]].</ref> [[Camerarius, Dialogus de vita decente aetatem puerilem et al., 1563|Ein weiterer Dialog]], der ab 1563 mehrmals gedruckt wird, behandelt das gute Benehmen bei Heranwachsenden und rezipiert auch die "Capita pietatis". Die Bedeutung von speziellen Regeln zur gottgefälligen Erziehung der Kinder wird hier dargelegt.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0712]].</ref>


===== Capita Christianismi (Puerilis doctrina) 1538 =====
===== Die "Capita Christianismi" / "Puerilis doctrina de Christiana vita" (1538) =====
Ein [[Camerarius, Capita Christianismi, 1538|weiterer Katechismus]] erschien im Jahr 1538 im Druck: [[Johannes Brenz]] schreibt aber im Vorwort, dass [[Erwähntes Werk::OC 0216|dieser Katechismus]] bereits in [[Tübingen]] vorher in Verwendung gewesen ist. Er sorge nun dafür, dass er auch der Öffentlichkeit zur Verfügung stehe. Enthalten sind Ausführungen zum Dekalog, zu Sakramenten und Gebeten. Der Katechismus ist lange Zeit der Autorschaft des Theologen [[Erwähnte Person::Thomas Lindner]] zugeschrieben worden, weil von diesem ein einleitendes Gedicht enthalten ist. Inzwischen ist die überwiegende Forschungsmeinung, dass Camerarius die Schrift verfasst hat.<ref>Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=2018 MBW Nr. 2018.3]. Camerarius war in Tübingen auch für das Pädagogium zuständig (vgl. [[Schultheiß 2017]], S. 205 und [[Hofmann 1982]], S. 15).</ref>
Ein [[Camerarius, Capita Christianismi, 1538|weiterer Katechismus]] erschien im Jahr 1538 im Druck: [[Johannes Brenz]] schreibt in seinem Vorwort, dass [[Erwähntes Werk::OC 0216|dieser Katechismus]] bereits in [[Tübingen]] vorher in Verwendung gewesen sei. Er sorge nun dafür, dass er auch der Öffentlichkeit zur Verfügung stehe. Enthalten sind Ausführungen zum Dekalog, zu Sakramenten und Gebeten. Der Katechismus ist lange Zeit dem Theologen [[Erwähnte Person::Thomas Lindner]] zugeschrieben worden, weil von diesem ein einleitendes Gedicht enthalten ist. Inzwischen ist die überwiegende Forschungsmeinung, dass Camerarius die Schrift verfasst hat.<ref>Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=2018 MBW Nr. 2018.3]. Camerarius war in Tübingen auch für das Pädagogium zuständig (vgl. [[Schultheiß 2017]], S. 205 und [[Hofmann 1982]], S. 15).</ref>


Der damalige Freiberger Lehrer [[Erwähnte Person::Adam Siber]] berichtete im Mai 1541, dass er bei [[Erwähnte Person::Wolfgang Meurer]] ein Buch mit dem Titel "Institutio doctrinae puerilis" gesehen habe, und bittet um dessen Zusendung.<ref>Vgl. [https://www.aerztebriefe.de/id/00006831 www.aerztebriefe.de/id/00006831] und [https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/62101/449].</ref> Möglicherweise handelt es sich um die Schrift des Camerarius.
Der damalige Freiberger Lehrer [[Erwähnte Person::Adam Siber]] berichtete im Mai 1541, dass er bei [[Erwähnte Person::Wolfgang Meurer]] ein Buch mit dem Titel "Institutio doctrinae puerilis" gesehen habe, und bittet um dessen Zusendung.<ref>Vgl. [https://www.aerztebriefe.de/id/00006831 www.aerztebriefe.de/id/00006831] und [https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/62101/449 Brief Sieber an Meurer, 28.5.1541].</ref> Möglicherweise handelt es sich um die Schrift des Camerarius.<ref>Es ist immerhin möglich, dass stattdessen [[Melanchthon, Institutio puerilis literarum Graecarum, 1525]] gemeint ist.</ref>


===== Die Confessio Augustana graece =====
===== Eine (unpublizierte) "Confessio Augustana Graeca" =====
Camerarius hatte bereits beim Augsburger Reichstag 1530 seinen Freund Melanchthon unterstützt, indem er eine Mitschrift von der Verlesung der Confessio Augustana anfertigte.<ref>Vgl. [[Peters 2014a]], S. 230–236 und [[Gindhart/Hamm 2024]], S. 20 m. Anm. 59.</ref> Auch später noch beschäftigte er sich mit der Bekenntnisschrift: In einem Brief von 1547<ref>[https://melanchthon.hadw-bw.de/regesten.html?reg_nr=4870 MBW - Regesten online], Nr. 4870.4.</ref> äußert Melanchthon seine Freude darüber, dass C. die Confessio Augustana ins Griechische übersetzte. Von diesem Werk hat sich aber außer diesem Brief keine Spur mehr gefunden. Es ist eher unwahrscheinlich, dass sie mit der Schrift identisch ist, die der [[Erwähnter Ort::Halle (Saale)|hallische]] Schulrektor [[Erwähnte Person::Paul Dolscius]] (mit Melanchthons Mitwirkung)<ref>Vgl. [[Benz 1971]], [[Wenz 2010]], S. 199-219. Zu den griechischen Katechismen der Reformatoren vgl. [[Flogaus 2015]].</ref> 1559 herausgegeben hat. Gegen Mitwirkung des Camerarius spricht, dass es sich offensichtlich um eine Übersetzung der Confessio Augustana Invariata handelte, während C. und Melanchthon die Variata bevorzugten.<br> Aufgrund dieser Anhaltspunkte wurde gemutmaßt, dass die Übersetzung ins Griechische nur geplant war, aber nie durchgeführt wurde.<ref>Vgl. Kretschmar, Georg: Die Confessio Augustana graeca. In: Kirche im Osten 20 (1977), S. 11-39, hier S. 16.</ref>
Camerarius hatte bereits beim Augsburger Reichstag 1530 seinen Freund Melanchthon unterstützt, indem er eine Mitschrift von der Verlesung der Confessio Augustana anfertigte.<ref>Vgl. [[Peters 2014a]], S. 230–236 und [[Gindhart/Hamm 2024]], S. 20 m. Anm. 59.</ref> Auch später noch beschäftigte er sich mit der Bekenntnisschrift: In einem Brief von 1547<ref>[https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=4870 MBW - Regesten online], Nr. 4870.4.</ref> äußert Melanchthon seine Freude darüber, dass C. die "Confessio Augustana" ins Griechische übersetze. Von diesem Werk hat sich aber außer diesem Briefzeugnus keine weitere Spur gefunden. Es ist eher unwahrscheinlich, dass sie mit der Version identisch ist, die der [[Erwähnter Ort::Halle (Saale)|hallische]] Schulrektor [[Erwähnte Person::Paul Dolscius]] (mit Melanchthons Mitwirkung)<ref>Vgl. [[Benz 1971]], [[Wenz 2010]], S. 199-219. Zu den griechischen Katechismen der Reformatoren vgl. [[Flogaus 2015]].</ref> 1559 herausgegeben hat. Gegen Beteiligung von Camerarius spricht, dass es sich offensichtlich um eine Übersetzung der "Confessio Augustana Invariata" handelte, während C. und Melanchthon die "Variata" bevorzugten.<br> Deswegen wird angenommen, dass die Übersetzung ins Griechische nur geplant war, aber nie durchgeführt wurde.<ref>Vgl. Kretschmar, Georg: Die Confessio Augustana graeca. In: Kirche im Osten 20 (1977), S. 11-39, hier S. 16.</ref>


===== Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ 1552 =====
===== Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ 1552 =====
Nach den [[Erwähntes Werk::OC 0455|Κεφάλαια Χριστιανισμοῦ]] erstellte Camerarius 1552 mit der [[Erwähntes Werk::OC 0579|Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ]] einen kompletten Katechismus in griechischer Sprache, den man als sein pädagogisches Hauptwerk bezeichnen kann. Hier ist sein Ziel nicht die sprachliche Bildung seiner Schüler, sondern die Verbreitung der Glaubenslehre.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0582]].</ref> Man hat daraus gefolgert, dass er eine Wiederherstellung der Kircheneinheit mit den griechischen Christen im Sinn hatte.<ref>Vgl. [[Reu 1911]], Bd. 2.1, S. 96; vgl. Baier, Helleno(ger)mania (in Vorbereitung), S. 5.</ref> Die [[Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1562|2. Auflage von 1562]] unterscheidet sich nur unmerklich von der ersten. 1563 publizierte Camerarius zudem eine [[Erwähntes Werk::Camerarius, Catechesis, 1563|lateinische Ausgabe]]. Während die griechische mit originalen Formulierungen der Kirchenväter arbeitete und deren Stil nachahmte, hatte die lateinische das Ziel, in Deutschland verstanden zu werden.<ref>Bl. §8v. Allerdings unterlässt Camerarius in der lateinischen Ausgabe den Hinweis auf seinen Zweifel an Alter und Autorschaft des Athanasianischen Glaubensbekenntnisses, der ihm Kritik eingetragen hatte. In der 2. griechischen Auflage dagegen wird der Zweifel aufrechterhalten.</ref>  
Nach den [[Erwähntes Werk::OC 0455|"Κεφάλαια Χριστιανισμοῦ"]] erstellte Camerarius 1552 mit der [[Erwähntes Werk::OC 0579|"Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ"]] einen kompletten Katechismus in griechischer Sprache, den man als sein pädagogisches Hauptwerk bezeichnen kann. Hier ist sein Ziel nicht die sprachliche Bildung seiner Schüler, sondern die Verbreitung der Glaubenslehre.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 0582]].</ref> Man hat daraus gefolgert, dass er eine Wiederherstellung der Kircheneinheit mit den griechischen Christen im Sinn hatte.<ref>Vgl. [[Reu 1911]], Bd. 2.1, S. 96; vgl. Baier, Helleno(ger)mania (in Vorbereitung), S. 5.</ref> Die [[Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1562|2. Auflage von 1562]] unterscheidet sich nur unmerklich von der ersten. 1563 publizierte Camerarius zudem eine [[Erwähntes Werk::Camerarius, Catechesis, 1563|lateinische Ausgabe]]. Während die griechische mit originalen Formulierungen der Kirchenväter arbeitete und deren Stil nachahmte, hatte die lateinische das Ziel, in Deutschland verstanden zu werden.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::Camerarius, Catechesis, 1563]], Bl. §8v. Allerdings unterlässt Camerarius in der lateinischen Ausgabe den Hinweis auf seinen Zweifel bezüglich Alter und Autorschaft des Athanasianischen Glaubensbekenntnisses, der ihm Kritik eingetragen hatte. In der 2. griechischen Auflage dagegen wird der Zweifel aufrechterhalten.</ref>  


Vom Aufbau und Inhalt her gibt es kaum Unterschiede der verschiedenen Ausgaben: Der 1. Teil enthält die Definition des christlichen Katechismus und einen Abschnitt über Sünden und Gesetz (mit ausführlicher Behandlung des Dekalogs);<ref>Zum Inhalt vgl. [[Seckt 1888]], S. 14-16.</ref> im 2. Teil werden das Glaubensbekenntnis, das Evangelium, die christliche Kirche (''catholica Ecclesia'') und die Sakramente besprochen. Hier erfolgt eine Darstellung dogmatischer Inhalte: Das Apostolische, Nikäokonstantinopolitanische und Athanasische Glaubensbekenntnis werden zitiert und erklärt. Dabei werden auch die Glaubensbekenntnisse weiterer Kirchenschriftsteller zitiert, namentlich Epiphanius und Basilius.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 251-258. Die Darstellung zitiert und erklärt die Inhalte, ausgehend von der historischen Entstehung. Dabei werden auch antike Häresien behandelt. Zum Inhalt des 2. Teils der "Katechesis" vgl. [[Seckt 1888]], S. 16-21.</ref> Der 3. Teil behandelt das Gebet;<ref> Zum Inhalt vgl. [[Seckt 1888]], S. 21. Vgl. [[Schultheiß 2024]], S. 201-201.</ref> den 4. Teil bildet ein erneuter Abdruck der [[Erwähntes Werk::OC 0455|"Capita pietatis"/"Κεφάλαια Χριστιανισμοῦ"]].  
Bezüglich Aufbau und Inhalt gibt es kaum Unterschiede in den verschiedenen Ausgaben: Der 1. Teil enthält die Definition des christlichen Katechismus und einen Abschnitt über Sünden und Gesetz (mit ausführlicher Behandlung des Dekalogs);<ref>Zum Inhalt vgl. [[Seckt 1888]], S. 14-16.</ref> im 2. Teil werden das Glaubensbekenntnis, das Evangelium, die christliche Kirche (''catholica Ecclesia'') und die Sakramente besprochen. Hier erfolgt eine Darstellung dogmatischer Inhalte: Das Apostolische, Nikäokonstantinopolitanische und Athanasische Glaubensbekenntnis werden angeführt und erklärt. Dabei werden auch die Glaubensbekenntnisse weiterer Kirchenschriftsteller zitiert, namentlich die des Epiphanius und des Basilius.<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0726]], [[Camerarius, Catechesis, 1563]], S. 251-258. Die Darstellung zitiert und erklärt die Inhalte, ausgehend von der historischen Entstehung. Dabei werden auch antike Häresien behandelt. Zum Inhalt des 2. Teils der "Katechesis" vgl. [[Seckt 1888]], S. 16-21.</ref> Der 3. Teil behandelt das Gebet;<ref>Zum Inhalt vgl. [[Seckt 1888]], S. 21. Vgl. [[Schultheiß 2024]], S. 201-203.</ref> den 4. Teil bildet ein erneuter Abdruck der [[Erwähntes Werk::OC 0455|"Capita pietatis"/"Κεφάλαια Χριστιανισμοῦ"]].  
Beeinflusst wurde das Werk möglicherweise durch [[Erwähnte Person::Valentin Wagner]]s 1550 erschienenen griechischen Katechismus.<ref>Vgl. [[Müller 2000]], S. 36f. und 206 sowie [[Groß 1929]], Teil II, S. 5.</ref> Mit diesem siebenbürgischen Theologen stand er in engem Kontakt.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 0898]] und [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=7084 MBW Nr. 7084].</ref> Allerdings erfolgten die persönlichen Zusammentreffen erst im Jahr 1554 und beide Werke zeigen eigenständigen Charakter. Andreas Müller hat beide miteinander verglichen und weist auf deutliche Unterschiede in inhaltlicher wie formaler Hinsicht hin.<ref>[[Müller 2000]], S. 204-210.</ref>
Beeinflusst wurde das Werk möglicherweise durch [[Erwähnte Person::Valentin Wagner]]s 1550 erschienenen griechischen Katechismus.<ref>Vgl. [[Müller 2000]], S. 36f. und 206 sowie [[Groß 1929]], Teil II, S. 5.</ref> Mit dem siebenbürgischen Theologen stand Camerarius in engem Kontakt.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 0898]] und [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=7084 MBW Nr. 7084].</ref> Allerdings erfolgten die persönlichen Zusammentreffen erst im Jahr 1554 und beide Werke zeigen eigenständigen Charakter. Andreas Müller hat diese miteinander verglichen und weist auf deutliche Unterschiede in inhaltlicher wie formaler Hinsicht hin.<ref>[[Müller 2000]], S. 204-210.</ref>


Die Katechesis des Camerarius gehörte zu den wirkmächtigsten griechischen Schriften dieser Art und gilt wegen seiner Verbreitung im griechischen Kulturraum vielleicht als der "bedeutendste griechisch geschriebene Text der Reformationszeit".<ref>[[Müller 2000]], S. 204. Vgl. auch Müller, Andreas: Protestantische Drucke des 16. Jahrhunderts auf dem Berg Athos, in: Ostkirchliche Studien 47 (1998), S. 124-138. Druckexemplare gibt es u.a. im Katharinenkloster auf dem Sinai, in Vatopedi, 2. Stock der Bibliothek Nr. 2998 (unter falschem Namen und Titel); Iviron, Sig. A 276 (unvollständig und schlecht erhalten); Athen, Gennadius-Bibliothek. Alle Angaben (nicht überprüft) laut [[Müller 2000]], S. 204.</ref> Auch in Sachsen wurde der Katechismus (in beiden Sprachen) noch 1571 in Universitäten,<ref>Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=6307 MBW Nr. 6307.3].</ref> Kirchen und Schulen verwendet.<ref>So schreibt [[Erwähnte Person::Nikolaus Selnecker]]  in seiner  "Commonefactio" (1571): ''Nobis catechismi verba, quae in ecclesiis et scholis Misnicarum regionum et aliis multis in locis adhuc Dei beneficio sonant, loco confeßionis esse debent'' und zitiert anschließend aus der griechischen (S. 379f. und 384) sowie der lateinischen (S. 325f. und 327) Catechesis: Vgl. [[Dingel 2008]], S. 316. Dies geht einher mit Kritik an Camerarius: Dieser hatte eine Bibelstelle (Apostelgeschichte 3,21) passivisch übersetzt und somit zu Selneckers Missfallen Anklänge an Melanchthons späte Abendmahlslehre erkennbar werden lassen. Vgl. ↑ [[Theologie (CamLex)#Sakramentenlehre|Systematische Theologie]].</ref>
Die "Katechesis" des Camerarius gehörte zu den wirkmächtigsten griechischen Schriften dieser Art und gilt wegen ihrer Verbreitung im griechischen Kulturraum vielleicht als der "bedeutendste griechisch geschriebene Text der Reformationszeit".<ref>[[Müller 2000]], S. 204. Vgl. auch Müller, Andreas: Protestantische Drucke des 16. Jahrhunderts auf dem Berg Athos, in: Ostkirchliche Studien 47 (1998), S. 124-138. Druckexemplare gibt es u.a. im Katharinenkloster auf dem Sinai, in Vatopedi, 2. Stock der Bibliothek Nr. 2998 (unter falschem Namen und Titel); Iviron, Sig. A 276 (unvollständig und schlecht erhalten); Athen, Gennadius-Bibliothek. Alle Angaben (nicht überprüft) laut [[Müller 2000]], S. 204.</ref> Auch in Sachsen wurde der Katechismus (in beiden Sprachen) noch 1571 in Universitäten,<ref>Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=6307 MBW Nr. 6307.3].</ref> Kirchen und Schulen verwendet.<ref>So schreibt [[Erwähnte Person::Nikolaus Selnecker]]  in seiner  "Commonefactio" (1571): ''Nobis catechismi verba, quae in ecclesiis et scholis Misnicarum regionum et aliis multis in locis adhuc Dei beneficio sonant, loco confeßionis esse debent'' und zitiert anschließend aus der griechischen (S. 379f. und 384) sowie der lateinischen (S. 325f. und 327) "Katechesis": Vgl. [[Dingel 2008]], S. 316. Dies geht einher mit Kritik an Camerarius: Dieser hatte eine Bibelstelle (Apostelgeschichte 3,21) passivisch übersetzt und somit zu Selneckers Missfallen Anklänge an Melanchthons späte Abendmahlslehre erkennbar werden lassen. Vgl. ↑ [[Theologie (CamLex)#Sakramentenlehre|Systematische Theologie]].</ref>


===== Der Wittenberger Katechismus =====
===== Der Wittenberger Katechismus =====
In Kursachsen war aber auch der Katechismus des Melanchthonschülers [[Erwähnte Person::David Chyträus]] in zahlreichen Auflagen verbreitet. Die Auflagen von [[Erwähntes Werk::Chyträus, Catechesis, 1568|1568 (Leipzig)]] und [[Erwähntes Werk::Chyträus, Catechesis, 1569|1569 (Wittenberg)]] stießen wegen einiger "flacianischer" Stellen auf Ablehnung: Die Schulvisitatoren, darunter auch Camerarius, beschlossen die Ersetzung durch ein eigenes Werk.<ref>Vgl. [[Hasse 2000]], S. 87: Chyträus sei in den Punkten der "Communicatio idiomatum" und des freien Willens von Melanchthon abgewichen.</ref> Der Katechismus wurde ersetzt durch den von [[Erwähnte Person::Christoph Pezel]] anonym erstellten [[Erwähntes Werk::Pezel, Wittenberger Katechismus, 1571|Wittenberger Katechismus]]. Zwar unterzeichneten die Vertreter der Theologischen Fakultät Wittenberg dessen "Praefatio", doch durch das Verschweigen des Verfassers kam der Verdacht auf, es handle sich um eine calvinistische Schrift. Es ist nicht klar, welchen Anteil Camerarius an Erstellung und Verbreitung dieser Schrift hatte. Durch ein Schreiben bestätigte er aber dem Hofprediger [[Erwähnte Person::Christian Schütz]], dass Leipziger und Wittenberger Theologen den Wittenberger Katechismus einmütig unterstützten. Der Theologieprofessor [[Erwähnte Person::Johann Pfeffinger]] schloss sich dem Brief an,<ref>Vgl. [[Dresden, HStA]], 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 10312/01: Wittenberger Katechismus und andere Religionshändel; Innentitel: "Schriften über den von der Theologischen Fakultät zu Wittenberg begriffenen und im Druck gefertigten lateinischen und deutschen Katechismus, was durch denselben, wie auch andere Schriften, für Religionsstreit erregt", Bl. 19f.: Schreiben vom 27.8.1571; [[Calinich 1866]], S. 71f.; [[Hasse 2000]], S. 94 m. Anm. 112.</ref> der jedoch im Jahr 1574 ungewollt zu bedeutenden religionspolitischen Veränderungen in Sachsen beitragen sollte, die zum Sturz, zur Verhaftung oder Ausweisung vieler Melanchthon-Schüler führten. Camerarius entging diesem Schicksal durch seinen Tod im April desselben Jahres.<br>
In Kursachsen war aber auch der Katechismus des Melanchthonschülers [[Erwähnte Person::David Chyträus]] in zahlreichen Auflagen verbreitet. Die Auflagen von [[Erwähntes Werk::Chyträus, Catechesis, 1568|1568 (Leipzig)]] und [[Erwähntes Werk::Chyträus, Catechesis, 1569|1569 (Wittenberg)]] stießen wegen einiger "flacianischer" Stellen auf Ablehnung: Die Schulvisitatoren, darunter auch Camerarius, beschlossen die Ersetzung durch ein eigenes Werk.<ref>Vgl. [[Hasse 2000]], S. 87: Chyträus sei in den Punkten der "Communicatio idiomatum" und des freien Willens von Melanchthon abgewichen.</ref> Der Katechismus wurde substituiert durch den von [[Erwähnte Person::Christoph Pezel]] anonym erstellten [[Erwähntes Werk::Pezel, Wittenberger Katechismus, 1571|Wittenberger Katechismus]]. Zwar unterzeichneten die Vertreter der Wittenberger Theologischen Fakultät dessen "Praefatio", doch durch das Verschweigen des Verfassers kam der Verdacht auf, es handle sich um eine calvinistische Schrift. Es ist nicht klar, welchen Anteil Camerarius an Erstellung und Verbreitung dieser Schrift hatte. Durch ein Schreiben bestätigte er aber dem Hofprediger [[Erwähnte Person::Christian Schütz]], dass Leipziger und Wittenberger Theologen den Wittenberger Katechismus einmütig unterstützten. Der Theologieprofessor [[Erwähnte Person::Johann Pfeffinger]] schloss sich dem Brief an,<ref>Vgl. [[Dresden, HStA]], 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 10312/01: Wittenberger Katechismus und andere Religionshändel; Innentitel: "Schriften über den von der Theologischen Fakultät zu Wittenberg begriffenen und im Druck gefertigten lateinischen und deutschen Katechismus, was durch denselben, wie auch andere Schriften, für Religionsstreit erregt", Bl. 19f.: Schreiben vom 27.8.1571; [[Calinich 1866]], S. 71f.; [[Hasse 2000]], S. 94 m. Anm. 112.</ref> der jedoch im Jahr 1574 ungewollt zu bedeutenden religionspolitischen Veränderungen in Sachsen beitragen sollte, die zum Sturz, zur Verhaftung oder Ausweisung vieler Melanchthon-Schüler führten. Camerarius entging diesem Schicksal möglicherweise nur durch seinen Tod im April desselben Jahres.<br>
('''Vinzenz Gottlieb''')
('''Vinzenz Gottlieb''')


==== Homiletisches ====
==== Homiletisches ====
Einige von Camerarius gehaltene Reden haben beinahe Predigtcharakter, so die [[Erwähntes Werk::OC 0829|Weihnachtsansprache]] zum Tod des Kurprinzen [[Erwähnte Person::Alexander (Sachsen)]] 1565, die an der [[Erwähnte Körperschaft::Universität (Leipzig)]] gehalten wurde. Auch die [[Erwähntes Werk::OC 0615|Rede zum Tod]] des Leipziger Theologen und Hebraisten [[Nachruf auf::Bernhard Ziegler]] enthält Elemente einer Predigt, wie zahlreiche Zitate aus den Paulinischen Briefen. Camerarius gab sie zusammen mit [[Erwähntes Werk::OC 0613|den Predigten]] seines Freundes [[Erwähnte Person::Georg III. (Anhalt-Plötzkau)]] bald nach dessen Tod heraus. Aus ihnen zieht Camerarius verschiedene Lehren und skizziert eine Art Theorie der Predigt. Von Bedeutung ist die richtige Wahl des Stoffes, der auf die Betroffenen und ihre Lebenswelt abgestimmt sein sollte. Bei anderen Gelegenheiten sprach Camerarius selbst in Kirchen, doch sind seine Leichenreden auf [[Nachruf auf::Eberhard I. (Württemberg)|Eberhard im Bart]]<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0202]].</ref> und [[Nachruf auf::Moritz (Sachsen)|Kurfürst Moritz]]<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0587]].</ref> in Humanistenmanier verfasst, so dass sie eher dem Bereich der Rhetorik als der Homiletik zuzurechnen sind. Sie laden zur Nachahmung der Vorbilder ein und bedienen einige christliche Topoi: Im Zentrum steht das christliche Sterben, das an die Tradition der ''ars moriendi'' angelehnt ist. Unter den gerühmten Tugenden spielt die ''pietas'' eine wichtige Rolle. Neun weitere Reden zu Jahresfeiern von Moritzens Tod verfasste Camerarius bis 1569, die von anderen Rednern vorgetragen wurden.<ref>[[Camerarius, Orationes funebres, 1569]].</ref> In ihnen liegt der Schwerpunkt mehr auf dem Ruhm des Herrschers und seiner Memoria. Nicht immer ist es möglich, eine scharfe Trennungslinie zwischen Predigt und humanistischer Rede zu ziehen. Einem ganz anderen Zweck, nämlich der sprachlichen Übung und der religiösen Unterweisung für die (bereits erwachsenen) Camerarius-Söhne, diente [[Erwähntes Werk::OC 0900|eine Predigtsammlung]]<ref>Vgl. Vorwort des [[Erwähnte Person::Ludwig Camerarius]], ebda. S. 2: ''quasi homiliae compositae fuere, simul ad linguae graecae, simul ad simplicis ac purae veritatis celestis cognitionem conciliandam fratribus meis natu maioribus''.</ref> zu Evangelientexten. Da sie in griechischer Sprache (mit lateinischer Übersetzung) verfasst sind, ist kein Gebrauch im Gottesdienst vorgesehen gewesen. Die Publikation erfolgte erst 1573 durch [[Ludwig Camerarius]].<br>
Einige von Camerarius gehaltene Reden haben beinahe Predigtcharakter, so die [[Erwähntes Werk::OC 0829|Weihnachtsansprache]] zum Tod des Kurprinzen [[Erwähnte Person::Alexander (Sachsen)]] 1565, die an der [[Erwähnte Körperschaft::Universität (Leipzig)]] gehalten wurde. Auch die [[Erwähntes Werk::OC 0615|Rede zum Tod]] des Leipziger Theologen und Hebraisten [[Nachruf auf::Bernhard Ziegler]] enthält Elemente einer Predigt, so etwa zahlreiche Zitate aus den Paulinischen Briefen. Camerarius gab sie zusammen mit [[Erwähntes Werk::OC 0613|den Predigten]] seines Freundes [[Erwähnte Person::Georg III. (Anhalt-Plötzkau)]] bald nach dessen Tod heraus. Aus diesen zieht Camerarius verschiedene Lehren und skizziert eine Art Theorie der Predigt. Bei anderen Gelegenheiten sprach Camerarius selbst in Kirchen, doch sind seine Leichenreden auf [[Nachruf auf::Eberhard I. (Württemberg)|Eberhard im Bart]]<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0202]].</ref> und [[Nachruf auf::Moritz (Sachsen)|Kurfürst Moritz]]<ref>[[Erwähntes Werk::OC 0587]].</ref> in Humanistenmanier verfasst, so dass sie eher dem Bereich der Rhetorik als der Homiletik zuzurechnen sind. Sie laden zur Nachahmung der Vorbilder ein und bedienen einige christliche Topoi: Im Zentrum steht das christliche Sterben, das an die Tradition der ''ars moriendi'' angelehnt ist. Unter den gerühmten Tugenden spielt die ''pietas'' eine wichtige Rolle. Neun weitere Reden zu Jahresfeiern von Moritzens Tod verfasste Camerarius bis 1569, die von anderen Rednern vorgetragen wurden.<ref>[[Camerarius, Orationes funebres, 1569]].</ref> In ihnen liegt der Schwerpunkt mehr auf dem Ruhm des Herrschers und seiner Memoria. Nicht immer ist es möglich, eine scharfe Trennlinie zwischen Predigt und humanistischer Rede zu ziehen. Einem ganz anderen Zweck, nämlich der sprachlichen Übung und der religiösen Unterweisung für die (bereits erwachsenen) Camerarius-Söhne, diente [[Erwähntes Werk::OC 0900|eine Predigtsammlung]]<ref>Vgl. Vorwort des [[Erwähnte Person::Ludwig Camerarius]], [[Camerarius, Ὁμιλίαι (Druck), 1573]], S. 2: ''quasi homiliae compositae fuere, simul ad linguae graecae, simul ad simplicis ac purae veritatis celestis cognitionem conciliandam fratribus meis natu maioribus''.</ref> zu Evangelientexten. Da sie in griechischer Sprache (mit lateinischer Übersetzung) verfasst sind, ist kein Gebrauch im Gottesdienst vorgesehen gewesen. Die Publikation erfolgte erst 1573 durch [[Ludwig Camerarius]].<br>
('''Vinzenz Gottlieb''')
('''Vinzenz Gottlieb''')
==== Polemisches ====
Camerarius wirkt normalerweise wie ein sehr konstruktiver und irenischer Mensch. Bei einigen wenigen Gelegenheiten aber zeigte er durchaus seine Zähne. Den Hintergrund bilden, abgesehen von persönlichen Angriffen auf ihn,<ref>Dazu zählen vor allem [[Erwähnte Person::Erasmus von Rotterdam]] (vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 0111]], [[Heerwagen 1868]], S. 18-20) und der Bamberger Bischof [[Erwähnte Person::Weigand von Redwitz]], der den Kammermeistern seit dem [[Bamberger Bürgeraufstand (1525)]] feindlich gesinnt war: Seit der Inhaftierung von C.' Bruder [[Erwähnte Person::Hieronymus Camerarius]] stellte er eine solche Bedrohung für die Familie dar, dass Camerarius sich sogar einen kaiserlichen Schutzbrief für seine bedrohten bambergischen Lehen ausstellen ließ (vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 0512]] und [[Woitkowitz 2003]], S. 89f., 142,148).</ref> vor allem theologisch motivierte Kontroversen. Konkret involviert war er in den Adiaphoristischen Streit und die Auseinandersetzungen um Andreas Osiander. In den Antitrinitarischen Streit rutschte er eher unfreiwillig hinein: So bekennt er, dass eine seiner Aussagen in antitrinitarischem Sinne missverstanden worden sei.<ref>Vgl. [[OC 0878]]. Er hatte sich kritisch zur Autorschaft des Athanasianischen Glaubensbekenntnisses geäußert, was ihm als Infragestellung des Inhalts ausgelegt wurde. Vgl. ↑ [[Theologie (CamLex)#Trinitätslehre]]</ref> Gegen solche Auslegung verwahrt er sich und macht seine Position wiederholt deutlich durch Positionierung gegen Antitrinitarier, Wiedertäufer und Schwenckfeldianer.<ref>Vgl. [[Erwähntes Werk::OC 1036]].</ref> In der Abendmahlsfrage bekennt er sich zwar klar zum Laienkelch, vermeidet aber in der Regel Aussagen, die ihn im Abendmahlsstreit zwischen lutherischem und calvinistischem Lager zu deutlich auf eine bestimmte Parteinahme festlegen würden.


Als Kind seiner Zeit thematisiert Camerarius oft die Gefahr durch äußere Feinde. Insbesondere die Bedrohung durch türkische Heere in Ungarn erscheint in zahlreichen Briefen (vgl. Schlagwort "Türkenkriege/Türkengefahr") und auch einige Werke beschäftigen sich mit diesem Thema. In einer suasorischen Rede ([[Erwähntes Werk::OC 0412|Oratio senatoria de bello Turcico]]) fordert Camerarius ein einiges Zusammenstehen der Fürsten gegen die Gefahr, auch über Konfessionsgrenzen hinweg. Diese Denkschrift widmete er [[Widmungsempfänger::Eberhard von der Tann]], einem sächsisch-ernestinischen Rat, der im Schmalkaldischen Bund eine bedeutende Stellung einnahm. Somit war Camerarius daran gelegen, gerade auf protestantischer Seite die (religiöse) Verständigungsbereitschaft zu fördern. Die Rede erschien im Frühjahr 1542, bevor Herzog [[Erwähnte Person::Moritz (Sachsen)]] auf den Kriegszug nach Ungarn aufbrach.
==== Pädagogische Praxis bei Camerarius ====
 
Neben der Erziehungs- und Bildungstheorie in seinen Schriften soll nun auch die Erziehungspraxis des Camerarius im häuslichen, schulischen und universitären Bereich betrachtet werden. Wenig ist bisher bekannt zur häuslichen Erziehung seiner Kinder.<ref>Fest steht, dass er zumindest den Söhnen eine gute Ausbildung angedeihen ließ: Alle fünf absolvierten erfolgreich ein Studium und hatten beruflichen Erfolg. Ihr Vater bezog sie in seine wissenschaftlichen Projekte mit ein und ermöglichte ihnen prominente Anstellungen, wobei vor allem [[Erwähnte Person::Johannes Camerarius II.]] in fürstlichen Diensten und [[Erwähnte Person::Joachim Camerarius II.]] als Nürnberger Stadtarzt davon profitiert haben. Drei der Töchter heirateten bedeutende Akademiker. Über die Führung einer eigenen privaten Burse wie im Hause Martins Luthers ist nichts bekannt, doch hat er zumindest [[Erwähnte Person::Hieronymus Baumgartner d.J.|den Sohn seines Freundes Baumgartner]] als Studenten in seinem Haus beherbergt (das lässt sich aus [[Erwähntes Werk::OCEp 0677]] und [[Erwähntes Werk::OCEp 0679]] schließen).</ref> Seine Söhne förderte er auch außerhalb des Schul- und Universitätsbesuchs und band sie auch in seine schriftstellerischen Tätigkeiten ein: So unterstützte er seinen etwa 18-jährigen Sohn [[Erwähnte Person::Joachim Camerarius II.]] bei der [[Erwähntes Werk::OC 0556|Übersetzung einer Schrift zu Zahlenverhältnissen]], indem er sie korrigierte. Eine schwere finanzielle Belastung stellten die Auflandsaufenthalte einiger Söhne dar, wobei vor allem die Verhaftung [[Erwähnte Person::Philipp Camerarius|Philipps]] durch die [[Inquisition]] in [[Erwähnter Ort::Rom]] auch emotionale Spuren hinterließ.
Die Reaktionen des Camerarius auf polemische Schriften konnten durchaus konziliant ausfallen. Ein Beispiel dafür bildet "De invocatione sanctorum". Dieses Werk gehört in den Kontext der Reformation des Kölner Erzbistums unter Hermann von Wied, bei der Melanchthon involviert war (Frühjahr und Sommer 1543). Im Druck bezieht sich C. neben einer [[Erwähntes Werk::OCEp 1476|Warnung vor Heiligenverehrung]] auch auf die Polemik des orthodoxen Christen [[Erwähnte Person::Antonios Eparchos]], der den Protestanten vorwirft, sie leisteten der türkischen Expansion Vorschub durch die Uneinigkeit. Das bezieht sich aber nicht auf innerprotestantische Streitigkeiten, sondern auf die Abspaltung von der römischen Kirche. Camerarius [[Erwähntes Werk::OCEp 1459|schreibt an Irenäus]], dass man die Position der Orthodoxen verstehen müsse, auch wenn man sie nicht teile. Gleichzeitig fährt er aber eine scharfe Attacke auf die Papstkirche. Dies ist für den Camerarius der 1540er Jahre nicht ungewöhnlich; kennzeichnend ist auch, dass nicht der Briefpartner angegriffen wird, sondern eine dritte, nicht explizit genannte Partei.<ref>Vgl. [[Camerarius, De invocatione sanctorum (gr., Druck), 1545]], Bl. C8v-Dr: Dort werden die Gegner nur allgemein οἱ δὲ ἐναντίοι bzw. οἱ δ'ἕτεροι bezeichnet.</ref>
 
Deutlich wird Camerarius wiederholt mit Seitenhieben gegen die Papstkirche. Dieses Konfliktfeld bedient er vor allem in den Jahren 1540 bis 1543, wobei er nur selten einzelne Personen direkt attackiert.<ref>Eine Ausnahme ist ein schon älteres [[Erwähntes Werk::OC 0081|Satirisches Epicedion]] auf [[Erwähnte Person::Julius II. (Papst)]], das er möglicherweise im Rahmen des Erfurter Humanistenkreises verfasste. Für den Hinweis darauf danke ich meinem Kollegen Alexander Hubert. Bei der Ekloge [[Erwähntes Werk::OC 0808|Moeris]] ist die Entstehungszeit umstritten, wird aber von einigen Forschern auf 1521 angesetzt, womit der Kontroverstheologe und Drucker [[Erwähnte Person::Hieronymus Emser]] die Zielscheibe des Spottes ist.</ref> Meist stört er sich am Amt bzw. dem jeweiligen Amtsverständnis des Papstes. Heftig ist sein Angriff auf die Papstkirche in den [[Erwähntes Werk::OC 0431|Synodica]], die er in Erwartung des (mehrmals vertagten) Trienter Konzils verfasste. Camerarius übersetzt dabei [[Erwähntes Werk::Melanchthon, Die fürnemisten Unterscheid, 1539|Vorarbeiten Melanchthons]], und stellt Positionen des Evangeliums und der Papstkirche kontrastiv gegenüber. Gleichzeitig beklagt er aber die Streitsucht und empfiehlt Bildung als Mittel dagegen.<ref>Gedanken zum Konzil und Klagen über päpstliche Allmachtsansprüche äußert Camerarius auch in der [[Erwähntes Werk::OC 0827|Rede zum 5. Todestag]] des Kurfürsten [[Erwähnte Person::Moritz (Sachsen)]]: Vgl. [[Camerarius, Orationes funebres, 1569]], S. 103-105 sowie [[OC 0573]], S. 4f.</ref>
 
In seinem "Reformationseklogenpaar" ([[Erwähntes Werk::OC 0376|Dirae seu Lupus]] und [[Erwähntes Werk::OC 0377|Querela sive Agelaeus]]) von 1540 teilt er gegen altgläubige Theologen aus und beklagt den "Diebstahl" eines Kelches, der mit dem Laienkelch identifiziert werden kann.<ref>Vgl. [[Mundt 2004]], S. XXXII.</ref> Warum diese ungewöhnlich harschen Töne? Damals wirkte Camerarius noch in [[Erwähnter Ort::Tübingen]], aber sichtlich unzufrieden mit seiner Situation. Die Verhandlungen Melanchthons über die Berufung seines Freundes nach Leipzig hatten noch nicht begonnen.<ref>Vgl. [https://melanchthon.hadw-bw.de/regest.html?reg_nr=2782 MBW Nr. 2782] vom 4.8.1541.</ref> Zum Hintergrund ist festzustellen, dass die Protestanten, trotz der Schwierigkeiten Philipps von Hessen wegen seiner Doppelehe (symbolisiert durch den verstümmelten Hirtenhund) damals eine starke Position hatten, wie sie erst durch den Fürstenaufstand 1552 wieder errungen werden konnte: Der Schmalkaldische Bund hatte großen Zulauf und wurde von [[Erwähnte Person::Ferdinand I. (HRR)| König Ferdinand]] für die Türkenhilfe umworben.<ref>Vgl. [[Wolgast 2003]], S. 20-23.</ref> Seine Unzufriedenheit mit dem Vorankommen der Religionsgespräche und mit falscher Einflussnahme (u.a. auf den Kaiser) drückt Camerarius auch in [[Erwähntes Werk::OC 0429|Peri Iolla]] aus, indem er vor "falschen Hirten" warnt. Nach 1543 werden die Polemiken seltener und verändern ihre Gestalt: So argumentiert Camerarius zunehmend aus der Kirchengeschichte heraus<ref>Eines der frühesten Beispiele dafür ist [[Erwähntes Werk::OC 0573]] eine Schrift über Konzilien, die er im Rahmen der Wiederaufnahme des Trienter Konzils 1551/52 verfasste.</ref> und zeigt Fehlentwicklungen auf, besonders in der Antike: In der [[Erwähntes Werk::OC 0618|"Narratio de autore"]] (1555) zeigt er an der Figur des Synesius und dessen Zeitgenossen auf, wohin Machtstreben der Kirche führen könne. Die Gründe dieses Stilwandels liegen im Dunklen; aber es ist auffällig, dass im albertinischen Sachsen unter Herzog [[Moritz (Sachsen)]] sehr wenige polemische Schriften entstanden sind, im Unterschied zum ernestinischen Sachsen und der Stadt [[Erwähnter Ort::Magdeburg]]. Dazu passt, dass Moritz selbst keine offensive Publizistik betrieb; ob er Eigeninitiative seiner Professoren direkt verbot, ist nicht bekannt. Seine Parteinahme für den altgläubigen Kaiser [[Erwähnte Person::Karl V. (HRR)|Karl V.]], beginnend mit der Unterstützung im Türkenkrieg, in Nordfrankreich und schließlich im Schmalkaldischen Krieg<ref>Vgl. [[Winter 2022]], S. 273-275.</ref> kann aber erklären, warum seine Untertanen (darunter Camerarius) sich künftig antikatholischer Propaganda enthielten.<ref>Zu Moritzens Publikationsstrategien vgl. [[Haug-Moritz 2007]].</ref>
 
Nach dem Schlachtentod des Kurfürsten 1553 richtet Camerarius seine Aufmerksamkeit auf einen anderen Gegner: Aus Enttäuschung über den Hader innerhalb des protestantischen Lagers und zur Verteidigung des attackierten Freundes Melanchthon verfasste er gegen die "Gnesiolutheraner" Invektiven wie die [[Erwähntes Werk::OC 0596|"Querela Lutheri"]] von 1554. In das literarische Gewand eines Traumbildes nach Vorbild von Ciceros "Somnium Scipionis" kleidet er (in anonymer Form) seine eigenen Klagen über die Zerrissenheit des reformatorischen Lagers und spricht durch den Mund des verstorbenen [[Erwähnte Person::Martin Luther]]. Dass Camerarius mit dieser Schrift einen Streit vom Zaun brechen wollte, darf man wohl bezweifeln; allerdings hatte er wohl den Finger in die Wunde gelegt, denn die Gegenschriften von [[Erwähnte Person::Nikolaus Gallus]], [[Erwähnte Person::Johann Stoltz]] und anderen nahmen C. scharf aufs Korn und bestätigten so den von ihm erhobenen Vorwurf der Streitlust.<ref>Zu den Konfliktfeldern vgl. [[Schäfer 2003]], [[Döring/Schäfer 2013]] und [[Dall'Asta 2024]].</ref> Der Adiaphoristische Streit, der den Rahmen für diese Ereignisse bildet, war die "Initialzündung" für die weiteren innerprotestantischen Streitigkeiten.<ref>Vgl. [[Koch 2006]], S. 179.</ref> Insofern scheint es nachvollziehbar, dass Camerarius nach diesen Erfahrungen weitere kontroverse Stellungnahmen in der Öffentlichkeit scheute. Er ruderte zurück in der Schrift [[Erwähntes Werk::OC 0616|"Onar hypar"]] und rechtfertigte sich: Griechisch und Latein sei besser für logische Argumentation geeignet als das Deutsche, und Bildung sei sehr wichtig. Ein härterer Tonfall sei dann angebracht, wenn er durch das Aufzeigen von Fehlern zu Verbesserungen beitragen könne. Angriffe gegen Menschen seien aber zu unterlassen, und statt ''maledicentia'' solle man sich der ''correctio'' bedienen. Ein Schlusswort zieht Camerarius im [[Erwähntes Werk::OC 0617|Epilogus zur Querela]]. Diese griechische Schrift ist einigen wenigen Querela-Ausgaben beigebunden. Wir sehen hier ein Rückzugsgefecht des verletzten Humanisten, der einsieht, gegen die Schärfe der theologischen Dogmatiker nicht anzukommen. Diese Resignation zeigt sich auch darin, dass Camerarius danach kaum noch Polemiken publizierte, mit Ausnahme des [[Erwähntes Werk::OC 0698|Trauergedichts]] auf [[Erwähnte Person::Johann Stigel]], in dem er noch einen Seitenhieb auf vergangene Streitigkeiten unternimmt. Statt einer neuen Attacke ist es aber eher ein "Abgesang auf die Reformationsfabel".<ref>[[Mundt 2004]], S. 281. Zwischen 1561 und 1567 entspannte sich das Verhältnis zwischen Ernestinern und Albertinern auch auf theologischer Ebene, nachdem Flacius in [[Erwähnter Ort::Jena]] entlassen worden war. Somit war es für Camerarius weniger gefährlich, polemisch zu werden. Ein neuer Konflikt scheint sich hier nicht mehr zu entfalten, wozu sicher auch die Wahl der griechischen Sprache beitrug. Somit diente das Gedicht vielleicht weniger einer öffentlichen Polemik, sondern "eher der Identitätsbildung und Stärkung des Zusammenhalts innerhalb einer kleineren Gruppe von gebildeten Anhängern des Melanchthon" ([[Orth 2020]], S. 113).</ref> Kritik an kirchlichen Missständen äußerte er nur noch, oft verklausuliert, im Kontext der Kirchengeschichtsschreibung (siehe Kapitel → [[Theologie (CamLex)#Historische Theologie|Historische Theologie]]).
 
Gelegentlich spielte Camerarius die Irenik auch als Waffe aus: So veröffentlichte er 1572 [[Luther, Ad theologos Norimbergenses epistola, 1572|einen Lutherbrief]], in dem dieser zu Toleranz und christlicher Liebe aufgerufen hatte. Die [[Erwähntes Werk::OC 1038|beigefügte Appendix]] liest sich wie eine Generalabrechnung mit den "Gnesiolutheranern". Sie werden zwar nicht namentlich genannt, doch sind sie an Details erkennbar: Die Streitsucht mit der Vorrangstellung der Wahrheit gegenüber der Liebe, ebenso ihr junges Alter, da sie Luther nicht persönlich kannten und ihn daher falsch verstanden oder gar bewusst verzerrt darstellten.<ref>Vgl. [[Luther, Ad theologos Norimbergenses epistola, 1572]], Bl. A8v-Br.</ref> Letztendlich muss man sich fragen, ob Camerarius tatsächlich so friedliebend war oder ob er nicht einfach mit anderen Mitteln stritt, sozusagen mit dem sprachlichen Florett statt mit der Mistgabel. So unterstellt ihm nämlich Friedrich Stählin in Bezug auf die Melanchthon-Vita: "die Gegner mögen sachlich in manchem sogar recht haben: moralisch sind sie im Unrecht, weil sie bei ihren menschlichen Mängeln nicht befugt sind Melanchthon zu kritisieren. – So meidet er auch sonst die sachliche Auseinandersetzung und begibt sich auf die moralische Ebene, auf der er sich zuhause fühlt."<ref>[[Stählin 1936]], S. 66, Anm. 3.</ref>
 
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Camerarius dann polemisch wird, wenn er eine Verfälschung echter Glaubenswahrheiten wahrnimmt.<ref>In einem [[Erwähntes Werk::OCEp 0512|Brief an Karlowitz]] macht er die Grenzen seiner Toleranz deutlich: Lieber sterbe er, als die Lehren der Wahrheit zu verraten (''Sed vitam etiam amittere oportet nos potius, quam veritatis δόγματα prodere'').</ref> Objekte seiner Attacken sind 1. die Papstkirche und deren Allmachtsanspruch, 2. Dogmatische Abweichler wie Antitrinitarier, Schwenkfelder etc. und 3. eristische Protestanten (im Wesentlichen "Gnesiolutheraner"), die er eher wegen ihrer Streitsucht als wegen der Inhalte bekämpft. Auch in diesen Kämpfen ist er mehr Humanist als Theologe, denn er bedient sich überwiegend dichterischer Schriften anstelle von Predigten und Streitschriften.<br>
('''Vinzenz Gottlieb''')


==== Gebete ====
Einen Nutzen aus der Ausbildung der Söhne zog der Vater vor allem durch die Mitarbeit seines Sohnes [[Erwähnte Person::Ludwig Camerarius]], der verschiedene ältere Schriften des Vaters sammelte und (teilweise erneut, teilweise erstmalig) edierte.<ref>Bereits im Alter von 20 Jahren verfasste Ludwig die pädagogische Schrift [[Camerarius, Dialogus de vita decente aetatem puerilem et al., 1563]]. Zu seinen weiteren Herausgeberschaften vgl. [[Ludwig Camerarius|seine Personenseite]].</ref>  
<p style="color:red;font-weight:bold;">Dieser Abschnitt ist noch in Arbeit und wird später eingefügt</p>
==== Anwendung von Pädagogik bei Camerarius ====
Neben den zahlreichen Schriften zu pädagogischen Themen ist Camerarius auch in seiner Funktion als Lehrer und Erzieher zu betrachten. Wenig ist bisher bekannt zur häuslichen Erziehung seiner Kinder.<ref>Fest steht, dass er zumindest den Söhnen eine gute Ausbildung angedeihen ließ: Alle fünf absolvierten erfolgreich ein Studium und hatten beruflichen Erfolg. Drei der Töchter heirateten bedeutende Akademiker. Über die Führung einer eigenen Burse ist nichts bekannt, doch hat er zumindest [[Erwähnte Person::Hieronymus Baumgartner d.J.|den Sohn seines Freundes Baumgartner]] als Studenten in seinem Haus beherbergt (das lässt sich aus [[Erwähntes Werk::OCEp 0677]] und [[Erwähntes Werk::OCEp 0679]] schließen).</ref> Er förderte aber ihre Bildung auch außerhalb des Schul- und Universitätsbesuchs und band sie auch in seine schriftstellerischen Tätigkeiten ein: Er unterstützte den ungefähr 18-Jährigen [[Erwähnte Person::Joachim Camerarius II.]] bei der [[Erwähntes Werk::OC 0556|Übersetzung einer arithmetischen Schrift]], indem er sie korrigierte. Vor allem aber war es der Sohn [[Ludwig Camerarius]], der mehrere ältere Schriften seines Vaters sammelte und (teilweise erneut, teilweise erstmalig) edierte.<ref>Er begann bereits im Alter von 20 Jahren damit, durch die pädagogische Schrift [[Camerarius, Dialogus de vita decente aetatem puerilem et al., 1563]].</ref>  


Erste Unterrichtserfahrungen sammelte Camerarius bereits früh: Als junger Bakkalar hielt er in [[Erwähnter Ort::Leipzig]] im Auftrag des [[Lehrer::Richard Croke]] griechische Übersetzungsübungen ab.<ref>Vgl. [[Woitkowitz 2003]], S. 34.</ref> In [[Erwähnter Ort::Erfurt]] hielt er ab 1519 offizielle Lehrveranstaltungen im Fach Griechisch.<ref>Vgl. [[Woitkowitz 2003]], S. 35.</ref> In [[Erwähnter Ort::Wittenberg]] erhielt er, inzwischen zum Magister promoviert, 1522 die Quintilian-Lektur, die er krankheitsbedingt jedoch nur zeitweise ausüben konnte, sowie 1523 die Leitung über die Deklamationsübungen.<ref>Vgl. [[Woitkowitz 2003]], S. 36, und [[Kunkler 2000]], S. 50-53.</ref> Als einen seiner frühesten Schüler bezeichnet er [[Schüler::Wilhelm Megel]], allerdings ist die Datierung dieses Unterrichts schwierig.<ref>So spricht C. in einem [[Erwähntes Werk::OCEp 1478|Brief von 1544]] von gemeinsamen Lehr-Lern-Erfahrungen. Dies spräche für Camerarius' Jahre in Wittenberg (1521-1524), jedoch widersprechen sich die Quellen zu Megels Studienverlauf: Laut der Matrikel wurde er dort erst im Mai 1532 immatrikuliert (vgl. [[Förstemann 1841]], S. 143), aber eine Abschlussurkunde aus dem August 1532 spricht von einem dreijährigen Studium (CR 2, Sp. 606f.). Es ist nicht auszuschließen, dass er außerhalb der Universität Unterricht bei Camerarius genossen hatte. In Leipzig wird das nicht gewesen sein, wenn Megel wirklich erst um 1510 geboren wurde, denn Camerarius verließ die Stadt bereits 1518.</ref> Als Rektor der Nürnberger Schule hatte Camerarius zweifelsohne pädagogische Aufgaben zu erfüllen, doch auch später als Hochschullehrer in Tübingen und Leipzig wirkte er in diesem Bereich, über die Erstellung von Bildungsprogrammen und Universitätsstatuten hinaus. Nicht nur als dreimaliger Rektor und mehrfacher Dekan der Leipziger Artistenfakultät hatte er Verantwortung für seine Studenten, sondern er bekleidete auch im sächsischen Schulwesen eine wichtige Funktion als Visitator der Fürstenschulen.<ref>Vgl. [[Meyer 1897]].</ref> Wichtig sind zudem seine Briefwechsel: Er beriet und unterstützte die Bildungsreise des [[Erwähnte Person::Petrus Lotichius Secundus]] mit den Neffen [[Erwähnte Person::Daniel Stiebar von Rabeneck|Daniel Stiebars]] nach Frankreich.<ref>Vgl. [[Briefwechsel-Petrus Lotichius Secundus]] und [[Briefwechsel-Daniel Stiebar von Rabeneck]]</ref> Eine besondere Situation bildet der [[Briefwechsel-Hieronymus Baumgartner d.Ä.|Baumgartner-Briefwechsel]]: Camerarius scheint dessen gleichnamigen Sohn eine Zeitlang in seinem Leipziger Haus beherbergt zu haben. Er gibt häufig Berichte über die Lernfortschritte. Weniger Lernerfolg hatte allerdings ein anderer Verwandter der Baumgartners, [[Erwähnte Person::Augustin Dichtel II.]] Bei ihm stießen Camerarius und danach auch Melanchthon an die Grenzen ihrer Fähigkeiten und schickten ihn ohne Abschluss, jedoch nicht in Ungnade zurück. Ein weiteres Zeugnis pädagogischen Handelns ist ein [[Erwähntes Werk::OCEp 0884|Brief an die Brüder Ossa (1565)]], die in Padua studierten, aber ihr Studium anscheinend nicht ernst nahmen und sich mit ihrem Präzeptor zerstritten. Camerarius wandte sich mit verständnisvollen, doch auch mahnenden Worten an sie, um sie zur Einsicht und Besserung zu bewegen. Ob dies Erfolg hatte, ist nicht sicher: Der älteste der Brüder, Balthasar Friedrich, wurde im Folgejahr zwar Rektor, doch war er während seiner Amtszeit in Straßenkämpfe mit der Stadtbevölkerung verwickelt und wurde vom Stadtpräfekten inhaftiert. Die Akten der deutschen Nation stellen ihn als Helden und unschuldig Verfolgten dar. Sie erwähnen aber auch seine hohen Ausgaben (über 10'000 Kronen während seiner  Amtszeit).<ref>[[Münnich 2020]], S. 867 und Acta Padua IV, 2, S. XXI, 47 (Nr. 87) sowie Biagio Brugio (Hg.), Atti della Nazione germanica dei legisti nello Studio di Padova I, S. 136-139.[https://archive.org/details/Brugi/page/136/mode/2up]</ref> Wenn die Mahnung des Camerarius zu einer ehrbaren Lebensführung sich auf Sparsamkeit bezieht, dann hat sie hier nichts gefruchtet. Sicher wurde dadurch seine schon [[Erwähntes Werk::OCEp 0616|1542 gegenüber Baumgartner]] geäußerte Meinung bestätigt: Das Studium in Frankreich und Italien würde die Schüler verderben, weil sie noch nicht innerlich gefestigt seien und dortige Unsitten übernähmen. Sie kämen dann eitel und besserwisserisch zurück. Auch in Krisensituationen bemühte sich Camerarius um Deeskalation, wie im Fall der [[Erwähntes Werk::OCEp 0728|Ermordung eines Studenten]] (Oktober 1563) und [[Erwähntes Werk::OCEp 1276|eines Hausfriedensbruchs]].
Seine ersten Erfahrungen in der universitären Lehre sammelte Camerarius bereits früh: Als junger Bakkalar hielt er in [[Erwähnter Ort::Leipzig]] im Auftrag von [[Lehrer::Richard Croke]] griechische Übersetzungsübungen ab.<ref>Vgl. [[Woitkowitz 2003]], S. 34.</ref> In [[Erwähnter Ort::Erfurt]] unterrichtete er ab 1519 ebenfalls im Fach Griechisch.<ref>Vgl. [[Woitkowitz 2003]], S. 35.</ref> In [[Erwähnter Ort::Wittenberg]] erhielt er, inzwischen zum Magister promoviert, 1522 die Quintilian-Lektur, die er krankheitsbedingt jedoch nur zeitweise ausüben konnte, sowie 1523 die Leitung über die Deklamationsübungen.<ref>Vgl. [[Woitkowitz 2003]], S. 36, und [[Kunkler 2000]], S. 50-53.</ref> Als einen seiner frühesten Schüler bezeichnet er [[Schüler::Wilhelm Megel]], allerdings ist die Datierung dieser Lehrer-Schüler-Konstellation schwierig.<ref>So spricht C. in einem [[Erwähntes Werk::OCEp 1478|Brief von 1544]] von gemeinsamen Lehr-Lern-Erfahrungen. Dies spräche für Camerarius' Jahre in Wittenberg (1521-1524), jedoch widersprechen sich die Quellen zu Megels Studienverlauf: Laut der Matrikel wurde er dort erst im Mai 1532 immatrikuliert (vgl. [[Förstemann 1841]], S. 143), aber eine Abschlussurkunde von August 1532 berichtet ein dreijähriges Studium (CR 2, Sp. 606f.). Es ist nicht auszuschließen, dass er außerhalb der Universität Unterricht bei Camerarius genossen hatte. Für Megel wird 1510 als Geburtsjahr angenommen: Damit käme Leipzig als Unterrichtsort nicht in Frage, denn Camerarius verließ die Stadt bereits 1518.</ref> Als Rektor der Nürnberger Schule hatte Camerarius neben seinem Unterricht in Griechisch und Geschichte zweifelsohne auch pädagogische Aufgaben zu erfüllen; in Tübingen und Leipzig wirkte er in der universitären Lehre und erstellte Bildungsprogramme und Universitätsstatuten. Nicht nur als dreimaliger Rektor und mehrfacher Dekan der Leipziger Artistenfakultät hatte er Verantwortung für seine Studenten, sondern er bekleidete auch im sächsischen Schulwesen eine wichtige Funktion als Visitator der Fürstenschulen.<ref>Vgl. [[Meyer 1897]].</ref> Wichtig als Zeugnisse für Camerarius' pädagogisches Handeln sind zudem seine Briefwechsel: Er beriet und unterstützte die Bildungsreise des [[Erwähnte Person::Petrus Lotichius Secundus]] mit den Neffen [[Erwähnte Person::Daniel Stiebar von Rabeneck|Daniel Stiebars]] nach Frankreich.<ref>Vgl. [[Briefwechsel-Petrus Lotichius Secundus]] und [[Briefwechsel-Daniel Stiebar von Rabeneck]].</ref> Besonders aufschlussreich ist der [[Briefwechsel-Hieronymus Baumgartner d.Ä.|Baumgartner-Briefwechsel]]: Camerarius scheint dessen gleichnamigen Sohn eine Zeitlang in seinem Leipziger Haus beherbergt zu haben. Er gibt häufig Berichte über dessen Lernfortschritte. Weniger Lernerfolg hatte allerdings ein anderer Verwandter Baumgartners, [[Erwähnte Person::Augustin Dichtel II.]] Bei ihm stießen Camerarius und danach auch Melanchthon an die Grenzen ihrer Fähigkeiten und schickten ihn ohne Abschluss, jedoch nicht in Ungnade zurück. Ein weiteres Zeugnis pädagogischen Handelns ist ein [[Erwähntes Werk::OCEp 0884|Brief an die Brüder Ossa (1565)]], die in Padua studierten, aber ihr Studium anscheinend nicht ernst nahmen und sich mit ihrem Präzeptor zerstritten. Camerarius wandte sich mit verständnisvollen, doch auch mahnenden Worten an sie, um sie zur Einsicht und Besserung zu bewegen. Ob dies Erfolg hatte, ist nicht sicher: Der älteste der Brüder, Balthasar Friedrich, wurde im Folgejahr zwar Rektor (der deutschen Nation), doch war er während seiner Amtszeit in Straßenkämpfe mit der Stadtbevölkerung verwickelt und wurde vom Stadtpräfekten inhaftiert. Die Akten der deutschen Nation stellen ihn als Helden und unschuldig Verfolgten dar. Sie erwähnen aber auch seine hohen Ausgaben (über 10'000 Kronen während seiner  Amtszeit).<ref>[[Münnich 2020]], S. 867 und Acta Padua IV, 2, S. XXI, 47 (Nr. 87) sowie Biagio Brugio (Hg.), [https://archive.org/details/Brugi/page/136/mode/2up Atti della Nazione germanica dei legisti nello Studio di Padova I, S. 136-139].</ref> Sollte die Mahnung des Camerarius zu einer ehrbaren Lebensführung auf Zurückhaltung und Sparsamkeit abgezielt haben, so hat sie hier nicht gefruchtet. Sicher wurde dadurch seine schon [[Erwähntes Werk::OCEp 0616|1542 gegenüber Baumgartner]] geäußerte Meinung bestätigt: Das Studium in Frankreich und Italien würde die Schüler verderben, weil sie noch nicht innerlich gefestigt seien und dortige Unsitten übernähmen. Sie kämen dann eitel und besserwisserisch zurück. In Krisensituationen bemühte sich Camerarius um Deeskalation, wie im Fall der [[Erwähntes Werk::OCEp 0728|Ermordung eines Studenten]] (Oktober 1563) und [[Erwähntes Werk::OCEp 1276|eines Hausfriedensbruchs]].


Camerarius versuchte auch, auf die Erziehung einiger junger Prinzen einzuwirken, indem er ihnen theologisch und pädagogisch geprägte Traktate widmete. Stets handelt es sich um Angehörige von Adelshäusern, die der Reformation nahestehen: Das bezieht sich auf [[Erwähnte Person::Bernhard VII. (Anhalt)|Neffen]] seines Freundes Georg von Anhalt, aber auch auf Mgf. [[Erwähnte Person::Albrecht II. Alcibiades (Brandenburg-Kulmbach)|Albrecht Alcibiades]], [[Erwähnte Person::Johann Albrecht I. (Mecklenburg)]] ([[Erwähntes Werk::OCEp 1464]]) oder die Lüneburger Prinzen [[Erwähnte Person::Franz Otto (Braunschweig-Lüneburg)|Franz Otto]] und [[Erwähnte Person::Friedrich (Braunschweig-Lüneburg)|Friedrich]] ([[Erwähntes Werk::OCEp 1444]]). Den letzteren beiden, Söhnen [[Erwähnte Person::Ernst I. (Braunschweig-Lüneburg)|Ernst des Bekenners]], diente der Camerarius-Schüler [[Erwähnte Person::Wilhelm Megel]] als Präzeptor. Durch die [[Erwähntes Werk::OC 0555|Widmung einer Plautus-Ausgabe]] (1552) an den 13-jährigen [[Erwähnte Person::Georg Friedrich I. (Brandenburg-Ansbach-Kulmbach)]] erstrebt Camerarius, ein Bewusstsein für die Bedeutung der wissenschaftlichen Studien zu schaffen. Schließlich wird er auch nicht müde, durch Vorbilder (mittels Biographien) auf die Prägung der jungen Menschen einzuwirken:<ref>Vgl. [[Stählin 1936]], S. 73f. </ref> Das sind Fürsten wie Eberhard im Bart, [[Erwähnte Person::Moritz (Sachsen)]] und [[Erwähnte Person::Georg III. (Anhalt-Plötzkau)]], aber auch Gelehrte wie Melanchthon und [[Helius Eobanus Hessus]].<ref>Bei Hessus gilt die Einschränkung, dass der Lebenswandel nur bedingt als Vorbild taugt.</ref> Noch sein zum Bischof von Eichstätt ernannter Freund [[Erwähnte Person::Moritz von Hutten]] erhält von Camerarius [[Erwähntes Werk::OC 0932|Ratschläge für eine gute Amtsführung]].<br>
Camerarius versuchte auch, auf die Erziehung einiger junger Prinzen einzuwirken, indem er ihnen theologisch und pädagogisch geprägte Traktate widmete. Stets handelt es sich um Angehörige von Adelshäusern, die der Reformation nahestehen: Das bezieht sich auf [[Erwähnte Person::Bernhard VII. (Anhalt)|Neffen]] seines Freundes Georg von Anhalt, aber auch auf Mgf. [[Erwähnte Person::Albrecht II. Alcibiades (Brandenburg-Kulmbach)|Albrecht Alcibiades]], [[Erwähnte Person::Johann Albrecht I. (Mecklenburg)]] ([[Erwähntes Werk::OCEp 1464]]) oder die Lüneburger Prinzen [[Erwähnte Person::Franz Otto (Braunschweig-Lüneburg)|Franz Otto]] und [[Erwähnte Person::Friedrich (Braunschweig-Lüneburg)|Friedrich]] ([[Erwähntes Werk::OCEp 1444]]). Den letzteren beiden, Söhnen [[Erwähnte Person::Ernst I. (Braunschweig-Lüneburg)|Ernst des Bekenners]], diente der Camerarius-Schüler [[Erwähnte Person::Wilhelm Megel]] als Präzeptor. Durch die [[Erwähntes Werk::OC 0555|Widmung einer Plautus-Ausgabe]] (1552) an den 13-jährigen [[Erwähnte Person::Georg Friedrich I. (Brandenburg-Ansbach-Kulmbach)]] erstrebt Camerarius, ein Bewusstsein für die Bedeutung der wissenschaftlichen Studien zu schaffen. Schließlich wird er auch nicht müde, durch Vorbilder (mittels Biographien) auf die Prägung der jungen Menschen einzuwirken:<ref>Vgl. [[Stählin 1936]], S. 73f. </ref> Das sind Fürsten wie Eberhard im Bart, [[Erwähnte Person::Moritz (Sachsen)]] und [[Erwähnte Person::Georg III. (Anhalt-Plötzkau)]], aber auch Gelehrte wie Melanchthon und [[Helius Eobanus Hessus]].<ref>Bei Hessus gilt die Einschränkung, dass der Lebenswandel nur bedingt als Vorbildcharakter besitzt.</ref> Noch sein zum Bischof von Eichstätt ernannter Freund [[Erwähnte Person::Moritz von Hutten]] erhält von Camerarius [[Erwähntes Werk::OC 0932|Ratschläge für eine gute Amtsführung]]. Auch der sächsische Kurprinz [[Erwähnte Person::Christian I. (Sachsen)]] besaß ein Buch mit Gebeten Luthers, Melanchthons und Camerarius', das ihm der Chemnitzer Superintendent [[Erwähnte Person::Georg Langevoit]] zusammengestellt hatte.<ref>Von einer direkten Mitwirkung des Camerarius ist nichts bekannt. Die Handschrift [https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/53225/1/1 "Libellus Precationum"] (Mscr. Dresd. A 301) vom 12.8.1571 enthält auf Bl. 80v-102r unter dem Titel "Formulae precationum ex Catechesi D. Ioachimi Camerarii" Gebete des Camerarius aus der "Catechesis" und aus der [[Erwähntes Werk::OC 0646|"Disputatio de Precibus"]] in griechischer und lateinischer Synopse.</ref>
Selbst der sächsische Kurprinz [[Erwähnte Person::Christian I. (Sachsen)]] erhielt ein Buch mit Gebeten Luthers, Melanchthons und Camerarius', das ihm der Chemnitzer Superintendent [[Erwähnte Person::Georg Langevoit]] zusammenstellte.<ref>Von einer direkten Mitwirkung des Camerarius ist nichts bekannt. Die Handschrift "Libellus Precationum" vom 12.8.1571 [https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/53225/1/1] enthält auf Bl. 80v-102r unter dem Titel "Formulae precationum ex Catechesi D. Ioachimi Camerarii" Gebete des Camerarius aus der Katechesis und aus der [[Erwähntes Werk::OC 0646|Disputatio de Precibus]] in griechischer und lateinischer Synopse.</ref>


Camerarius verfasste diese Werke nicht aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft, sondern immer auch aus der Perspektive des Praktikers. Der Umgang mit Prinzen und Fürsten war ihm nicht fremd, da einige von ihnen in Wittenberg oder Leipzig studiert hatten. Mit einigen der prominentesten Fürstenerzieher war Camerarius befreundet: So stand er mit [[Erwähnte Person::Georg Spalatin]], vormaligem kursächsischem Prinzenerzieher, in Briefwechsel, und sein enger Freund Fürst [[Georg III. (Anhalt-Plötzkau)]] ging bei Camerarius' Lehrer [[Georg Helt]] in die Schule und holte diesen später als Geistlichen an seinen Hof.<ref>Camerarius lobt gleichermaßen den gemeinsamen Lehrer als auch seinen ''condiscipulus'': Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 1419]], [[Gregor von Nyssa, Λόγοι δύο (nativ.; Steph.), 1564]], Bl. D7r. Zu Helt als Fürstenerzieher vgl. [[Deutschländer 2014]], S. 206-209, sowie [[Georg III. (Anhalt-Plötzkau), Conciones synodicae, 1555]], Bl. BBr und [[Camerarius, De Philippi Melanchthonis ortu, 1566]], S. 216-218.</ref>
Camerarius verfasste diese Werke nicht aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft, sondern immer auch aus der Perspektive des Praktikers. Der Umgang mit Prinzen und Fürsten war ihm nicht fremd, da einige von ihnen in Wittenberg oder Leipzig studiert hatten. Mit einigen der prominentesten Fürstenerzieher war Camerarius befreundet: So stand er mit [[Erwähnte Person::Georg Spalatin]], vormaligem kursächsischem Prinzenerzieher, in Briefkontakt; sein enger Freund Fürst [[Georg III. (Anhalt-Plötzkau)]] war Schüler von Camerarius' Lehrer [[Georg Helt]] und holte diesen später als Geistlichen an seinen Hof.<ref>Camerarius lobt gleichermaßen den gemeinsamen Lehrer als auch seinen ''condiscipulus'': Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 1419]], [[Gregor von Nyssa, Λόγοι δύο (nativ.; Steph.), 1564]], Bl. D7r. Zu Helt als Fürstenerzieher vgl. [[Deutschländer 2014]], S. 206-209, sowie [[Georg III. (Anhalt-Plötzkau), Conciones synodicae, 1555]], Bl. BBr und [[Camerarius, De Philippi Melanchthonis ortu, 1566]], S. 216-218.</ref>


Schließlich initiierte Camerarius gegen Ende seines Lebens noch ein pädagogisches Prestigeprojekt: Die Reichsstadt [[Nürnberg]] richtete in den 1570er Jahren die [[Erwähnte Körperschaft::Universität (Altdorf)|Hohe Schule Altdorf]] ein, welche 1622 zur Universität erhoben wurde; sein Sohn [[Erwähnte Person::Philipp Camerarius]] wurde dort 1581 Prokanzler. Besonders involviert waren die Ratsherren [[Erwähnte Person::Hieronymus Baumgartner d.J.]] und [[Erwähnte Person::Thomas Löffelholz von Colberg]].<ref>[[Mährle 2000]], S. 59-70 und [[Bezzel 1793]]. Anstöße zur Gründung gab Camerarius bereits 1565: Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 0736|Brief an Baumgartner, 14.5.1565]].</ref> Langfristig gesehen war dieser Einrichtung mehr Erfolg beschieden als ihrer Vorgängerin, der [[Erwähnte Körperschaft::Egidiengymnasium (Nürnberg)|Hohen Schule Nürnberg]], welcher Camerarius von 1526 bis 1535 vorgestanden hatte.<br>
Schließlich unterstützte Camerarius gegen Ende seines Lebens noch ein pädagogisches Prestigeprojekt: Die Reichsstadt [[Nürnberg]] richtete in den 1570er Jahren die [[Erwähnte Körperschaft::Universität (Altdorf)|Hohe Schule Altdorf]] ein, welche 1622 zur Universität erhoben wurde; sein Sohn [[Erwähnte Person::Philipp Camerarius]] wurde dort 1581 Prokanzler. Besonders involviert waren die Ratsherren [[Erwähnte Person::Hieronymus Baumgartner d.J.]] und [[Erwähnte Person::Thomas Löffelholz von Colberg]].<ref>[[Mährle 2000]], S. 59-70 und [[Bezzel 1793]]. Anstöße zur Gründung gab Camerarius bereits 1565: Vgl. [[Erwähntes Werk::OCEp 0736|Brief an Baumgartner, 14.5.1565]].</ref> Langfristig gesehen war dieser Einrichtung mehr Erfolg beschieden als ihrer Vorgängerin, der [[Erwähnte Körperschaft::Egidiengymnasium (Nürnberg)|Nürnberger Hohen Schule]], welcher Camerarius von 1526 bis 1535 vorgestanden hatte. <br>
('''Vinzenz Gottlieb''')
('''Vinzenz Gottlieb''')


==Anmerkungen==
==Anmerkungen==
<references />
<references />

Aktuelle Version vom 7. Mai 2025, 13:20 Uhr


CamLex
Zitation Vinzenz Gottlieb und Alexander Hubert, Art. "Theologie (CamLex)", in: Opera Camerarii Online, http://wiki.camerarius.de/Theologie_(CamLex) (07.05.2025).
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CamLex
Zitation Vinzenz Gottlieb und Alexander Hubert, Art. "Theologie (CamLex)", in: Opera Camerarii Online, http://wiki.camerarius.de/Theologie_(CamLex) (07.05.2025).

Forschungsstand

Die Rolle des Camerarius in der Theologie ist bisher nur in Einzelaspekten erforscht. Wenn er in kirchengeschichtlichen Abhandlungen erscheint, dann meist als Autor der Melanchthon-Biographie, zunehmend auch als Adressat von Melanchthon-Briefen.[1] Da wesentlich mehr Briefe von Melanchthon an Camerarius erhalten sind als umgekehrt (ca. 600 gegen 69), wird Melanchthons Position zu behandelten Themen deutlicher als die des Camerarius. Zudem ist der Charakter der Humanistenbriefe nur sehr bedingt geeignet, theologische Positionen zu erkennen, da heikle Stellen für die Druckversionen oft überarbeitet wurden.[2] Die ungedruckten handschriftlichen Briefe, die er mit seinen Briefpartnern gewechselt hat, sind zwar in der Regel aussagekräftiger als die edierten, aber auch dort wird viel mit Anspielungen und Gräzisierungen gearbeitet, was das Verständnis erschwert. Ihre Analyse war im Rahmen dieses Projekts nicht zu leisten und harrt noch der Bearbeitung.

Genauso ist eine Gesamtdarstellung zu Camerarius' theologischen Werken ein Desiderat. Viele waren lange Zeit nicht bekannt, denn eine annähernd vollständige Aufstellung seiner Schriften haben erst Baron/Shaw 1978 unternommen.[3] Sogar eine der gründlichsten Untersuchungen zu Camerarius (mit Konzentration auf seine biographischen Schriften), Stählin 1936,[4] sah sich nicht in der Lage, eine "Gesamtdarstellung der Religiosität Camerars"[5] zu leisten. Auch Seckt 1888 hat nur "einige theologische Schriften des Joachim Camerarius"[6] untersucht. Dazu kommt, dass C.‘ Wirken in der Kirchengeschichte lange Zeit nur durch die Folie Melanchthon betrachtet wurde.[7] Erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts ist man wieder darauf aufmerksam geworden, dass er insbesondere in der sächsischen Kirchenpolitik ein eigenständiger Akteur war.[8] Durch das systematische Beiziehen handschriftlicher Quellen[9] und der erst kürzlich im Rahmen dieses WIKIs vollständig erfassten Werke des Camerarius wird man allmählich ein differenzierteres Bild gewinnen können: Sicher ist es seinem irenischen Stil und der Zurücknahme seiner eigenen Person geschuldet, dass auch in seinen eigenen Werken die eigenen Leistungen weniger stark hervortreten als die von manchen Zeitgenossen.[10] Auch hielt er sich zurück mit der Teilnahme an theologischen Konferenzen.[11] Der einzige Reichstag, an dem er in offizieller Funktion teilnimmt, ist 1530 zu Augsburg. Er taucht daher nur dort (als Gesandter der Stadt Nürnberg) in den Akten auf.[12]

Im Bereich der Kontroverstheologie und Polemik hielt sich Camerarius eher bedeckt; die Werke "Querela Luteri" und "Onar Hypar" treten hier hervor, wenngleich anonym publiziert.[13] Die bisherige Forschung hat sich auf die innerprotestantischen Konflikte konzentriert; die vergleichsweise heftigen Invektiven gegen die Papstkirche sollen im Rahmen dieser Darstellung mehr Aufmerksamkeit erhalten.

Zu beachten ist, dass Camerarius nie Theologie studiert hat und sich zeitlebens als Philologe bzw. Grammatiker verstand.[14] In seinen Werken sind aber Ansätze von fächerverbindender Pädagogik zu erkennen, wobei in humanistischer Manier Philologie, Erziehung und Theologie Hand in Hand gehen.[15] Die Grammatik und die Sprachbeherrschung, insbesondere der griechischen Sprache, sei unerlässlich als Grundlage zur Erkenntnis der Wahrheit und bilde damit das Fundament der Theologie.[16]

Von seinen theologischen Schriften sind einzelne bereits untersucht worden, insbesondere Katechismus-Schriften und Gebetssammlungen: Walter 2017: "Capita pietatis" (OC 0455); Schultheiß 2024: "Catechesis" (OC 0579), "Disputatio de precibus" (OC 0646) sowie Gebete allgemein; Weng 2003: Paraphrase von Psalm 133 (OC 0441); Mundt 2004 und Schäfer 2003: das sog. Reformationseklogenpaar "Dirae seu Lupus" (OC 0376) und "Querela sive Agelaus" (OC 0377), "Querela Luteri"; Seckt 1888: "Capita pietatis", "Libellus de invocatione sanctorum" (OC 0459), "Catechesis" und "Historia Iesu Christi" (OC 0762); Kunkler 1998, S. 232-278: "Historia Iesu Christi", "Capita pietatis".[17]

Ein zentrales Anliegen dieses Artikels ist zunächst die kirchenhistorische Einordnung von Camerarius' Wirken. Sowohl seine lange Tätigkeit in Leipzig als auch die etwas bessere Quellenlage bewirken eine Schwerpunktsetzung auf albertinisch-sächsischer Kirchengeschichte.[18] Vor diesem Hintergrund lassen sich manche seiner theologischen Werke verstehen. Sein enges Verhältnis zum Lehrkörper der Theologischen Fakultät der Leipziger Universität ist dabei noch kaum erforscht, während die Kontakte ins nahe Wittenberg mittels der Briefe an und von Melanchthon leichter einsehbar sind.[19]

Im zweiten Teil werden Werke zu theologischen Themen in Hinblick auf "die heute gängige Einteilung der christlichen Glaubenslehre in die vier Teilbereiche der biblischen, historischen, systematischen und praktischen Theologie" untersucht.[20] Dabei ist zu beachten, dass es um einen modernen Ansatz geht. Einige von Camerarius' Werken werden so aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet, da sie nicht einem einzigen Teilbereich zugeordnet werden können.

Der Artikel ist bestrebt, bisherige Forschungserkenntnisse zu bündeln und durch tiefergehende eigene Forschungen im Rahmen von "Camerarius digital" zu ergänzen. Ein Teil davon hat bereits Eingang gefunden in das Einführungskapitel von Gindhart/Hamm 2024.[21]

(Vinzenz Gottlieb)

Camerarius in der Kirchengeschichte

Die frühen Jahre bis 1526

Die frühen Lebensjahre des Camerarius fielen in die Zeit vor der Reformation. Deren erste Einflüsse erreichten den Heranwachsenden dann während seines Studiums in Leipzig, wo er gemeinsam mit seinem Lehrer Georg Helt den Ablassprediger Johann Tetzel hörte. Sie beide sollen vorzeitig wieder gegangen sein, weil der Inhalt unerträglich gewesen sei.[22]

Die Motivation für Camerarius' Wechsel an die Universität Erfurt 1518 kann nur vermutet werden. Dort war die Stimmung gegenüber der Reformation günstiger als im albertinischen Herzogtum Sachsen: Mit Helius Eobanus Hessus und Adam Krafft[23] fand er Unterstützer, die seine Hinwendung zur Reformation förderten. Hier erfolgten auch erste Kontakte zu Melanchthon. Den Wechsel als frisch promovierter Magister nach Wittenberg 1521 kann man als Bekenntnis zum neuen Glauben deuten.[24] So verließ Camerarius die Stadt Erfurt, wo sich kurz nach dem feierlichen Empfang für Martin Luther auf dem Weg zum Wormser Reichstag im April 1521[25] das konfessionelle Klima verschärfte: Schon im Juni 1521 kam es zum Erfurter Pfaffensturm, und in der Folgezeit vertiefte sich die Kluft zwischen Alt- und Neugläubigen, bei denen Humanisten wie der Camerarius-Freund und gefeierte neulateinische Dichter Helius Eobanus Hessus zwischen alle Fronten gerieten und einen schweren Stand hatten. Hessus und der Wortführer der Erfurter Reformatoren, Johann Lange, zerstritten sich und trugen so ihren Teil zum Niedergang der Erfurter Universität bei.[26] Camerarius aber studierte und lehrte seit September 1521 in Wittenberg, wo er im Hause Melanchthons wohnte. Dies legte die Grundlage ihrer lebenslangen Freundschaft, die für die Neuordnung des Bildungswesens in Deutschland so bedeutsam werden sollte.[27]

Die Wittenberger Zeit sah C. jedoch viel auf Reisen: So begab er sich 1524 gemeinsam mit Melanchthon in dessen Heimat Bretten und (allein) weiter nach Basel zu Erasmus von Rotterdam. Schon bald nach der Rückkehr nach Wittenberg im Herbst 1524 zogen ihn familiäre Angelegenheiten erneut in seine Heimatstadt Bamberg,[28] die durch stürmische Ereignisse im Zuge von Reformation und Bauernkrieg erfasst worden war: In mehreren fränkischen Klöstern empörten sich die Nonnen, teilweise flohen sie auch, nach dem Vorbild der Katharina von Bora. Auch eine Camerarius-Schwester[29] entschied sich für diesen Weg und floh unter tätiger Mithilfe ihrer Brüder.[30]

C. spielte eine Rolle im Streit zwischen Luther und Erasmus um den freien Willen,[31] indem er Luther durch dessen Frau Katharina überredete, eine Antwort auf Erasmus' Schrift "De libero arbitrio" zu verfassen.[32] Seine Hoffnung war, durch Dialog einen Konsens zu erreichen. Zeugnis von C.' Eingreifen in den Streit bildet eine Bemerkung Luthers, die Johannes Mathesius in den Tischreden niedergeschrieben hat: Erasmus credidit, neminem posse respondere ad suam diatriben, et ego volui tacere, sed Joachimus persuasit meae Cathenae, ut instaret.[33] Das Ergebnis war Luthers Schrift De servo arbitrio, deren scharfer Ton die Kluft zwischen Erasmus und dem Reformator vertiefte. Die anschließende Antwort des Erasmus, der Hyperaspistes, machte das Zerwürfnis irreversibel. Der friedliebende Camerarius hatte Luthers religiösen Eifer unterschätzt.[34]

In Bamberg spitzte sich im Frühjahr 1525 der Konflikt zwischen der Geistlichkeit um den Fürstbischof Weigand von Redwitz und der Bürgerschaft zu. Hier wurde C. Mitglied eines 18-köpfigen Vermittlungsausschusses.[35] Für den älteren der beiden Brüder, Hieronymus Camerarius, sollte sein Engagement noch schlimme Folgen haben. Obgleich er zunächst noch unbehelligt blieb, wurde er am 12.5.1527 im Auftrag des Bischofs verhaftet. In dessen Dienst stand Hieronymus als Kanzleiverwalter. Anlass waren wohl seine Versuche, die bischöflichen Dienste zu verlassen und eine Anstellung in Nürnberg zu finden. Ob aber seine Mitwirkung bei der Befreiung der Schwester und die Rolle des Bruders beim Aufstand der Bauern gegen den Bischof mitentscheidend waren, ist nicht ganz sicher.[36] Interessanterweise schreibt Melanchthon in einem Memorandum an Herzog Georg (Sachsen), den er zur Fürsprache bewegen will, Hieronymus C. habe keinen Kontakt zu Lutheranern.[37] Ist dies nun eine Notlüge, oder verstand Melanchthon seinen Freund Camerarius damals noch nicht als Lutheraner? Zunächst war Melanchthon jedenfalls erfolgreich, denn er erhielt gleich drei Fürbittbriefe des Herzogs an Weigand.[38]

(Vinzenz Gottlieb)

Schulleiter in Nürnberg (1526-1535)

In den Jahren 1526 bis 1535 wirkte Camerarius als Schulleiter und Lehrer für Griechisch und Geschichte an der neu gegründeten Oberen Schule in Nürnberg.[39] Die klar reformatorische Prägung dieser Schule vergrößerte seine Einflussmöglichkeiten auch im religiösen Bereich: Das Glaubensleben seiner Schüler prägte er durch erste theologisch-pädagogische Schriften, die er mutmaßlich auch im Unterricht einsetzte.[40] Unbekannt ist aber, warum C. sich nur ein halbes Jahr nach Amtsantritt schon wieder auf Reisen begeben wollte. So war geplant, dass er als (Latein-)Dolmetscher des Grafen Albrecht VII. von Mansfeld einer Gesandtschaft von Reichsfürsten nach Spanien zu Kaiser Karl V. (HRR) angehören sollte. Eine längere Abwesenheit war also abzusehen, bei der Helius Eobanus Hessus vertretungsweise die Schulleitung übernahm.[41] Auf dem Esslinger Fürstentag wurde jedoch beschlossen, die Reise abzubrechen und die Angelegenheit auf die nächste Versammlung in Regensburg zu verschieben.[42] Vielleicht um C.' Reiselust zu bremsen, wurde ihm sehr bald nach seiner Rückkehr seine zukünftige Braut Anna Truchseß von Grünsberg zugespielt.[43] Die genauen Hintergründe sind noch immer unbekannt, selbst das Hochzeitsdatum ist umstritten.[44]

Ein Höhepunkt der Nürnberger Zeit war für C. sicher der Reichstag zu Augsburg 1530. Dort war er offizieller Delegierter der Reichsstadt Nürnberg. Seine Zusammenarbeit mit Melanchthon sollte sich hier wieder einmal bewähren. Dieser hatte in Abwesenheit des geächteten Luther die "Confessio Augustana" (CA) erstellt. Als Gegenschrift verfassten altgläubige Theologen die "Confutatio". Deren Text wurde nicht in Abschrift ausgehändigt, sondern nur verlesen. Da Melanchthon an diesem Vorgang nicht teilnehmen konnte, griff er für seine Entgegnung auf Mitschriften des Camerarius und anderer Gelehrter zurück.[45] Zu den übrigen Vertretern der Stadt Nürnberg scheint Melanchthon ein schwierigeres Verhältnis gehabt zu haben: In zwei Briefen (MBW Nr. 1071 und 1079) wirft er ihnen vor, "schweizerische Politik" zu treiben. Nur aus Rücksicht auf C. halte er sich zurück.[46]

Neben der engen Freundschaft mit dem obersten Nürnberger Kirchpfleger, Hieronymus Baumgartner d.Ä.,[47] hatte C. zweifellos auch zu den Pfarrern der Reichsstadt Kontakt, den er über das Ende seiner dortigen Tätigkeit hinaus aufrecht erhielt. Dabei täuscht das Schweigen des edierten Briefwechsels darüber hinweg, dass er auch den Prediger an St. Lorenz, Andreas Osiander, kannte.[48] Dieser wird im Camerarius-Briefwechsel eher negativ dargestellt; daher muss eine systematische Untersuchung der handschriftlichen Befunde genauere Auskunft geben über die Entwicklung des Verhältnisses.[49] Besser waren die Beziehungen zum Melanchthon-Schüler Veit Dietrich,[50] der im Dezember 1535 Prediger an St. Sebald wurde, aber auch für eine Tübinger Professur vorgeschlagen worden war.[51] Von Nürnberg aus diente Dietrich dann als Relaisstation für Briefe zwischen Tübingen und Wittenberg.[52] Nicht zu vernachlässigen ist auch Lazarus Spengler, der als Ratsschreiber und persönlicher Freund des Camerarius die Einführung der Reformation in der Stadt förderte. Auch nahm er über C. Einfluss auf Melanchthon, um dessen Visitationsschrift in den Druck zu bringen.[53]

(Vinzenz Gottlieb)

Tätigkeit in Tübingen (1535-1541)

C. erwog in Nürnberg auch einen Wechsel in die Politik durch Annahme der dortigen Ratsschreiberstelle, die mit dem Tod Georg Hoppels vakant war.[54] Das mag ein Indiz für seine Unzufriedenheit mit der Situation an der Oberen Schule gewesen sein. Eine Chance zur Veränderung gaben ihm die Ereignisse in Württemberg: Der 1519 vertriebene Ulrich (Württemberg) eroberte sein Herzogtum 1534 mit Hilfe des Landgrafen Philipp I. (Hessen) von den Habsburgern zurück und führte anschließend die Reformation ein.[55] Um den Widerstand der Universität Tübingen, insbesondere der Theologischen Fakultät, zu brechen, benötigte er Hilfe von außen. Der Versuch einer Berufung Philipp Melanchthons[56] erfolgte in der Hoffnung, dass dieser den Sakramentenstreit zwischen oberdeutschen und lutheranischen Protestanten beilegen könnte.[57] Dieses Thema sollte die württembergische Politik noch längere Zeit beschäftigen. Als Visitator in universitären Angelegenheiten wurde Ambrosius Blarer bestallt, der zudem als Superintendent die Einführung der Reformation in Württemberg ob der Steig visitieren sollte, und zudem der Basler Gräzist Simon Grynäus "ausgeliehen" (von Oktober 1534 bis Juli 1535).[58] Grynäus musste im Juli 1535 nach Basel zurückkehren, von wo er aber die Berufung des Camerarius in die Wege leitete. Zu dessen Aufgabenbeschreibung gehörten von Anfang an organisatorische Tätigkeiten; politische Belange wurden zunächst nicht erwähnt.[59] Gleichwohl hatte Grynäus aber im Sinn, ihn für die Universitätsreform und als Gesandten verwenden zu lassen.[60]

Die Theologische Fakultät widersetzte sich der Reformation von Land und Universität und wurde dafür vom Landesherrn bestraft: So wurden drei der vier Professoren im Frühjahr 1535 beurlaubt bzw. entlassen, nur der (theologisch indifferente) Balthasar Käuffelin durfte bleiben, damit die Fakultät nicht vollkommen handlungsunfähig wurde. Als Ersatz für die Entlassenen wurde Paul Phrygio aus Basel berufen. Sein schweizerisches Verständnis von der Reformation brachte allerdings einige Schwierigkeiten mit sich.[61] Melanchthon gelang es, Johannes Brenz für ein Jahr nach Tübingen zu holen, wo er die (1536 eingerichtete) dritte Professur besetzte und als herzoglicher Commissarius mit Camerarius die neuen Universitätsstatuten ausarbeitete.[62] Brenz folgte dem Ruf aber nur widerwillig: In einem Brief an C. beschwert er sich über die Last und fragt, ob sie nullum ineptiorem asinum als ihn hätten finden können.[63]

1535 bis 1541 lehrte C. in Tübingen Griechisch, später Latein, und wirkte in zentraler Position an der Reform der Universität mit.[64] Im Herbst 1536 kam Melanchthon für drei Wochen nach Württemberg, wo er den Herzog auch in Universitätsfragen beriet, so über Stellenbesetzungen und Satzungsfragen, die auch in der zweiten herzoglichen Ordnung vom 3.11.1536 mündeten.[65] Allerdings stand Camerarius als herzoglicher Kommissar und Superattendent trotz zeitweiliger Unterstützung durch Brenz[66] zwischen allen Fronten und erlebte zahlreiche Konflikte mit anderen Fakultäten, vor allem der theologischen, wo einige Altgläubige die Reformversuche blockierten: Der (päpstlich bestellte) Kanzler Ambrosius Widmann war am 12.7.1535 nach Rottenburg ausgewandert, was die Promotionen an der Universität fast völlig zum Erliegen brachte.[67] Nach der Rückkehr des anderen Kommissars, Johannes Brenz, nach Schwäbisch Hall[68] war C. allein verantwortlich für die Universitätsreform und damit auch für die Problematik um Widmanns Weggang. Brenz und Camerarius waren permanente Kommissare, die auch an der Universität unterrichteten. Dazu gab es auch temporäre Kommissare, die nur von Fall zu Fall eingesetzt wurden und größere Vollmachten hatten.[69] Der Beginn von Camerarius' Tätigkeit als Professor in Tübingen schlägt sich auch nieder in den Studentenzahlen: So nahm die Zahl fränkischer Studenten ab Sommer 1535 stark zu. Darunter finden sich auch Namen aus Nürnberger Patrizierfamilien.[70] Es ist sicher nicht abwegig, hierin eine Sogwirkung des Camerarius zu sehen, der den Familien aus seiner Tätigkeit als Nürnberger Schulleiter vertraut war. Gleichzeitig relativiert sich so auch die These von der Bildungsferne der Patrizierfamilien.[71]

C. und Melanchthon machten in Tübingen ausgiebigen Gebrauch von ihren Netzwerken, indem sie die Berufung von Freunden und Studenten dorthin betrieben, etwa von Matthias Garbitius.[72] Im Fall von Jakob Micyllus[73] und Veit Dietrich hatten sie damit offensichtlich keinen Erfolg.[74] Probleme bereitete auch die Berufung des Johann Forster als Theologie-Professor nach Tübingen: C. fragte im Herbst 1538 (im Auftrag des Senats) Martin Luther um seine Meinung dazu, aber nicht Melanchthon, der von Forster abgeraten hatte.[75] Forster begann tatsächlich eine Lehrtätigkeit in Tübingen, hatte dort aber als Lutheraner konfessionelle Schwierigkeiten mit den Oberdeutschen und wurde 1541 wieder entlassen, was vielleicht auch als Angriff auf C. verstanden wurde und diesen zum Weggang bewogen haben kann.[76] Jedenfalls scheint C. ohne persönliche Verabschiedung abgereist zu sein, wie sein Abschiedsbrief belegt.[77]

In Tübingen förderte Camerarius das Pädagogium, das der Artistenfakultät unterstellt war, indem er unter anderem einen Katechismus dafür verfasste. Er korrespondierte in dieser Zeit viel mit Theologen und Schulmännern in Straßburg, besonders Jakob Bedrott, Nikolaus Gerbel und Johannes Sturm.

Ein öffentlichkeitswirksames Ereignis war die Überführung der Gebeine des Eberhard im Bart in die Tübinger Stiftskirche am 26.5.1537. Camerarius hielt dabei eine Leichenrede, in der er Eberhards Leben und Frömmigkeit würdigt.[78]

Eine ausgedehnte Bäderreise im Frühjahr 1540 führte C. nach Straßburg.[79] Dort knüpfte er zahlreiche Kontakte zu oberdeutschen Humanisten und Theologen. Unter anderem traf er auch mit Martin Bucer und Johannes Calvin zusammen.[80] Während des Religionsgesprächs in Worms war C. ungefähr vom 13. bis 16.12.1540 in der Reichsstadt anwesend, aber wahrscheinlich nur, um Melanchthon zu besuchen.[81] Die Reiseroute ergibt sich aus einem Brief des Camerarius an Micyllus (13.12.1540).

Seine Teilnahme am Regensburger Reichstag 1541 ist durch mehrere Zeugnisse belegt. So hat er ein Gutachten zur Aufrichtung einer christlichen Schule eingereicht, das Christoph von Kreytzen Ende April oder Anfang Mai an Herzog Albrecht (Preußen) schickte.[82] Zu dieser Zeit ist C. noch in Tübingen. Auch in MBW Nr. 2760, 2761 Anm. und 2763 (entspricht OCEp 1479) sieht man, dass C. in Regensburg war; zwischendurch (Mitte Juli) besuchte er seinen Bruder Hieronymus Camerarius in Burglengenfeld. Am 17.7. war er wieder in Regensburg, von wo er vor dem 25.7. (MBW Nr. 2775) wieder nach Tübingen aufbrach.[83] Somit erlebte er den Reichsabschied am 29.7. nicht mehr vor Ort mit.[84] Auf diesem Reichstag muss Melanchthon seinen "Hyänentraum" gehabt haben, der sich auf das "Regensburger Buch" bezog: Dieses bezeichnet C. später in der Melanchthon-Vita als ",Interim' in seiner Knabenzeit ... allen verhasst und heimlich erzogen".[85]

(Vinzenz Gottlieb)

Die Leipziger Zeit (1541-1574)

Das Jahr 1541 bildet eine Zäsur nicht nur im Leben des Camerarius, sondern auch in der Geschichte Sachsens: Der neue albertinische Herzog Moritz (Sachsen) sollte das Machtgefüge im Territorium, unter den protestantischen Reichsständen und im gesamten Reich erheblich durcheinanderbringen. Es gibt eine ganze Reihe von Ereignissen, die dabei eine Rolle spielen: Die Einführung der Reformation durch Hz. Heinrich (Sachsen) im albertinischen Herzogtum 1539, der Schmalkaldische Krieg 1546/47, der „geharnischte Reichstag“ 1547/48, die Belagerung Magdeburgs 1550/51 oder der Fürstenaufstand 1552. Ein Ereignis wie die Berufung des Camerarius an die Universität (Leipzig) nimmt sich dagegen eher unbedeutend aus. Für das Ergehen der Institution hatte sie aber Konsequenzen, die keineswegs gering zu achten sind.[86] Seine Rolle in der Universitätspolitik wird von der bisherigen Forschung als sehr bedeutend angesehen,[87] während die Reformationsgeschichtsforschung Camerarius früher nur eine kleine Nebenrolle zugebilligt hat – zumeist an der Seite Melanchthons. Doch Günther Wartenberg zählte ihn "zu den Geburtshelfern eines sächsischen Konfessionsluthertums".[88] Im Folgenden soll sein vielfältiges Engagement im Bereich der Theologie und Kirchenpolitik skizziert werden.

Seine Wirkenszeit in Leipzig wird hierbei in vier Phasen eingeteilt: 1541 bis 1546, 1547 bis 1553, 1553 bis 1560 und 1560 bis 1574. Diese Einteilung ist überwiegend politikgeschichtlich motiviert:[89] In den ersten Regierungsjahren[90] wurde Herzog Moritz von seinen Amtskollegen noch nicht ernstgenommen und strebte danach, sich aus der Abhängigkeit von Kursachsen und Hessen zu befreien, was zunächst nur durch die Parteinahme für das Haus Habsburg und damit durch ein neues Abhängigkeitsverhältnis gelang.[91] Camerarius bekam in dieser Zeit erste kirchenpolitische Aufgaben, die er jedoch eher unwillig übernahm. Ein Trost dürfte ihm die Nähe zu Melanchthon gewesen sein, mit dem er häufig zusammenarbeitete.

Der Schmalkaldische Krieg bildet die erste Zäsur der Leipziger Zeit: 1547 erfolgte Moritzens Erhebung zum Kurfürsten und die Eingliederung der Kurlande um Wittenberg ins albertinische Herrschaftsgebiet. Dadurch und auch durch den Tod Luthers 1546 wurde das „neue“ Kurfürstentum zu einem der wichtigsten Zentren der Reformation, da so bedeutende Wittenberger Reformatoren wie Melanchthon und Johannes Bugenhagen nun in diesem Land wirkten.[92] Überdies konnte Moritz sich trotz des „Augsburger Interims“ allmählich aus der kaiserlichen Vormacht emanzipieren. Die Mittel dafür waren die Belagerung Magdeburgs 1550/51 und der Fürstenaufstand 1552.

Moritzens Tod im Jahr 1553 bildet die nächste Zäsur, da sein Bruder August (Sachsen) von den ambitionierten kriegerischen und außenpolitischen Aktivitäten seines Vorgängers Abstand nahm und sich stärker Landesausbau und Reichspolitik verschrieb.[93] Nur wenige Monate später verstarb Georg von Anhalt, der sich zu einem der führenden Theologen des Kurfürstentums entwickelt und gerade in der Religionspolitik großen Einfluss erworben hatte. Er hatte als „Bischof“ von Merseburg die Ausgestaltung der albertinisch-sächsischen Kirchenordnungen in bedeutendem Maße geprägt, an der Ausarbeitung der "Leipziger Landtagsvorlage" 1548 (dem sog. "Leipziger Interim") mitgewirkt, des weiteren an der "Confessio Saxonica" 1551, und an mehreren Religionsgesprächen teilgenommen.[94] Für Camerarius stellte sich in der Zeit nach dem Tod des Kurfürsten auch die Frage, ob er überhaupt nach Leipzig zurückkehren sollte.[95]

Das Jahr 1560 schließlich bringt den Tod Melanchthons. Diesem kommt in der Rückschau eine größere theologische Bedeutung zu als seinem Leipziger Freund und Kollegen. Oft lässt sich aber nicht ermessen, wieviele Ideen Camerarius zu Melanchthons Werken beigetragen hat. Mit dessen Tod war Camerarius nun einer der letzten Überlebenden der ersten Reformatorengeneration. Diese Rolle zeigt sich deutlich in seiner Ladung durch Kaiser Maximilian II. (HRR) nach Wien, um bei der Erstellung einer Kirchenordnung mitzuarbeiten.[96] Ob nun Camerarius den Drang verspürte, das Erbe Melanchthons weiterzuführen, oder ob andere Gründe vorlagen: Jedenfalls verfasste er in den folgenden 14 Jahren mehr theologische Werke als zuvor. Den nächsten Einschnitt bildet im Jahr 1574 nicht nur sein Tod, sondern auch die Wende in der kursächsischen Religionspolitik, im Rahmen derer viele „Philippisten“ wegen des Verdachts auf Kryptocalvinismus aus ihren Ämtern entfernt wurden; Georg Cracow und Caspar Peucer wurden sogar eingekerkert.[97] Auch Camerarius-Schüler wie Gregor Bersman,[98] Ernst Vögelin und Andreas Freyhub hatten mit schweren Repressionen zu kämpfen.[99]

(Vinzenz Gottlieb)

Voraussetzungen in Leipzig

Bis 1539 war die Universität Leipzig wie das gesamte albertinische Herzogtum Sachsen ein Hort des alten Glaubens, an dem Herzog Georg (Sachsen) den Einflüssen der Reformation (trotz anfänglicher Sympathie in einigen Punkten) durch eine eigenständige Reformpolitik trotzte.[100] Dabei zeigt die Arbeit von Christoph Volkmar eindrucksvoll, dass dieses Vorgehen keineswegs automatisch zum Scheitern verurteilt war, sondern dass erst durch den Tod von Georgs Söhnen (Johann und Friedrich) die "Fürstenreformation von oben"[101] durch Heinrich (Sachsen) ermöglicht worden ist. Durchaus nicht unwidersprochen[102] predigte der Ablassprediger Johann Tetzel 1516, 1517 und 1518 in der Stadt.[103] Auch Camerarius soll – wie erwähnt – im Jahr 1517 zusammen mit seinem Lehrer Georg Helt eine dieser Predigten gehört und entrüstet die Kirche verlassen haben.[104] Die Leipziger Disputation im Jahr 1519[105] zwischen Martin Luther, Andreas Bodenstein und Johannes Eck verfolgte er nur aus der Ferne, während er in Erfurt studierte. Sein Freund Adam Krafft war in Leipzig zugegen und bewog dort Philipp Melanchthon, einige Verse für Camerarius zu verfassen, was den Beginn von deren langer Freundschaft bildete.[106]

Mit der Einführung der Reformation im albertinischen Sachsen[107] ergab sich auch die Notwendigkeit, den Lehrkörper der Universität an die geänderte konfessionelle Situation anzupassen. Besonders wichtig war die Ausbildung zuverlässiger Staatsbeamten und Pfarrer.[108] Nachdem am 13.8.1539 die Visitatoren im Auftrag Herzog Heinrichs alle Universitätsangehörigen auf die Augsburgische Konfession und deren Apologie verpflichtet hatten,[109] bestanden aber gerade an der Theologischen Fakultät noch einige Schwierigkeiten, wie Camerarius sie schon in Tübingen angetroffen hatte. Besonders der Franke Hieronymus Dungersheim verweigerte sich der neuen Lehre. Er war seit Anfang 1538 Dekan und der einzige promovierte Theologe vor Ort. Auf besagte Visitation des Herzogs reagierte die Fakultät, sicher auf Dungersheims Betreiben hin, mit der Zusage sie wolten der Augspurgischen Confeßion und derselben Apologie nicht widerstehen, in so ferne sie weder dem Evangelio noch der Wahrheit widersprächen.[110] Dies wird allgemein als nur äußerliche Zustimmung gesehen, die im Widerspruch zum Standpunkt der übrigen Fakultäten stand und dem Herzog auch nicht genügte.

Die häufige Abwesenheit von Professoren, die meist auswärtige Kanonikate bekleideten und ihren Lebensmittelpunkt nicht in Leipzig hatten,[111] bereitete schon zu Regierungszeiten Herzog Georgs Schwierigkeiten: Bei der Promotion von Melchior Rudel und Matthäus Metz am 3. April 1538 hatten sich die anderen zuständigen Professoren aus Krankheitsgründen entschuldigen lassen. Da ein Professor allein nicht promovieren durfte, musste Dungersheim seinen Kollegen Johann Sauer aus Halle (Saale) heranziehen.[112] Dungersheim starb nach Krankheit am 2.3.1540. Die Nachfolge trat Johann Sauer an, der die Reformation bestenfalls halbherzig unterstützte und Leipzig schon 1544 in Richtung Wien verließ. Nur kurz (1539-1541) währte die Professorenkarriere des ersten evangelischen Theologieprofessors Nicolaus Scheubleyn, die durch seinen unglücklichen Tod ein jähes Ende fand.[113] Der systematische Neuaufbau der Fakultät erfolgte unter Heinrichs Sohn und Nachfolger Moritz (Sachsen), der nach der Berufung des Camerarius den Reformkurs fortsetzte, indem er am 26.5.1542 fünf theologische Lehrstühle stiftete (je zwei für das Alte und das Neue Testament sowie einen für Hebräisch) und für deren Finanzierung durch die Erträge des vormaligen Paulinerklosters sorgte.[114] Es dauerte allerding bis zum Wintersemester 1544, bis durch die Aufnahme des Schotten Alexander Alesius in die Fakultät alle theologischen Lehrstühle besetzt werden konnten.[115] Jakob Schenk lehrte vom Wintersemester 1541/42 bis Oktober 1542, wurde dann aber entlassen und im August 1543 des Landes verwiesen.[116]

(Vinzenz Gottlieb)

1541 bis 1546

Am 10.10.1543 erfolgte in Leipzig die theologische Doktorpromotion von Caspar Borner, Johann Pfeffinger, Andreas Samuel,[117] Wolfgang Schirmeister und Bernhard Ziegler – die erste nach dem neuen Bekenntnis. Fast alle der Promovenden waren Absolventen der Universität (Wittenberg), die somit ihren Einfluss in Leipzig intensivierte. Zu besagter Promotion wurden auch die Wittenberger Theologen eingeladen, um das gute Verhältnis zu demonstrieren (MBW Nr. 3333). Martin Luther, Johannes Bugenhagen und Philipp Melanchthon mussten zwar wegen der gleichzeitigen Promotion des Erasmus Alberus absagen, schickten aber Caspar Cruciger und Paul Eber als Vertreter (MBW Nr. 3338).[118] Die von den Kandidaten disputierten quaestiones wurden von Camerarius ediert, zusammen mit Zieglers Promotionsrede, einem lateinischen Bericht über die Vereidigung, dem Einladungsschreiben an die Wittenberger Fakultät, dem Wittenberger Antwortschreiben und einer Psalmenparaphrase in lateinischer (Melanchthon) und griechischer (Camerarius) Sprache.[119]

Schon bald nach seiner Ankunft in Leipzig wurde Camerarius von Herzog Moritz in die universitäre und kirchenpolitische Gremienarbeit einbezogen. So widmete er sich ab 1543 mit Borner zusammen der Universitätsreform;[120] dann bat Moritz ihn und die Theologische Fakultät um ein „Gutachten für die weitere Gestaltung der Landeskirche“,[121] wobei Camerarius auch an der Vorbereitung des Konsistoriums mitwirken sollte. Melanchthon unterstützte ihn durch Zusendung der Wittenberger Konsistorialordnung von 1542.[122] Streitpunkt dabei war die Kirchenstruktur: Während eine Gruppe um Georg von Karlowitz die alten Strukturen beibehalten wollte,[123] strebten die Superintendenten ein Konsistorium an, wie es im ernestinischen Kurfürstentum bereits bestand.[124] Zur Entscheidungsfindung wurden die Leipziger Theologen einbezogen und auch Camerarius. Dieser entwickelte dabei eine enge Freundschaft zu Georg III. (Anhalt-Plötzkau).[125]

Im Zuge der Universitätsreform richtete Herzog Moritz 100 Stipendien ein, die in erster Linie Theologiestudenten zugute kommen sollten. So wollte er dem Mangel an evangelischen Theologen abhelfen. Diese Maßnahme war nötig geworden, um die wegfallenden Einkommen aus kirchlichen Pfründen zu kompensieren. Camerarius gehörte zu den Prüfern der Stipendiaten; außerdem arbeitete er 1556 an einer neuen Stipendienordnung mit.[126] Ob die Ähnlichkeiten im Stipendienwesen der Universitäten Leipzig und Tübingen[127] Camerarius zu verdanken sind, ist noch zu prüfen.

Zur Vorbereitung des Universitätsbesuchs und um den Verlust kirchlicher Bildungseinrichtungen zu kompensieren, richtete Moritz Fürstenschulen in Meißen, Pforta (beide 1543) und Grimma (1550) ein.[128] Ihre Visitation wurde der Universität (Leipzig) übertragen. Die Universität wählte zur Durchführung dieser Aufgabe Caspar Borner, Camerarius und Wolfgang Meurer.[129]

Aber auch fremde Landesfürsten bemühten sich außerordentlich um die Dienste des Camerarius. Dabei ist vor allem Herzog Albrecht (Preußen) zu nennen: Während C. im Oktober 1543 eine Stelle als Rektor der Königsberger Universität ablehnte, konsultierte der Herzog ihn (und Melanchthon) am 30.6.1545 bezüglich der Problematik des Promotionsrechts. Dieses konnte nur vom Papst oder Kaiser erteilt werden. Von beiden war keine Zustimmung zu erwarten. Albrecht wandte sich weder an Juristen noch an prominente Theologen wie Martin Luther, sondern an die beiden Humanisten, die ihm nahe standen.[130] Das deutet auf den Willen hin, die Angelegenheit relativ diskret und geschickt zu lösen.[131] Einen entsprechenden Vorschlag präsentierten sie in ihrem Gutachten vom 28.7.1545 (MBW Nr. 3970) mit Verweis auf die Kirchengeschichte, insbesondere die Zeit unter Kaiser Julian (Apostata). Die Situation ähnelte den Problemen um den Tübinger Kanzler Widmann so sehr, dass die beiden Gutachten sogar in der Forschung verwechselt worden sind.[132] Das gute Verhältnis, das Camerarius und die Wittenberger Theologen zu Albrecht hatten, zeigt sich auch in einem Brief vom 8.10.1543, worin sie ihn (letztendlich vergeblich) bitten, seinen Leibarzt Andreas Aurifaber nicht zum Studium nach Italien zu schicken.[133]

(Vinzenz Gottlieb)

1547 bis 1553

Während des Schmalkaldischen Krieges fand C. zunächst in Merseburg bei Fürst Georg Aufnahme, dann zog er über Erfurt weiter nach Franken.[134] Der Rat der Stadt Nürnberg bot ihm und Melanchthon Aufenthaltsmöglichkeiten an. Damit verbunden war möglicherweise die Hoffnung, dass beide Lehrtätigkeiten an der behelfsmäßigen Hochschule übernehmen würden, die dort eingerichtet worden war, vor allem für geflüchtete Wittenberger und Leipziger Studenten.[135] Melanchthon verblieb aber in Mitteldeutschland, und für eine Lehrtätigkeit des Camerarius in Nürnberg gibt es keine Belege. Allenfalls die Erwähnung, er werde zahlreiche Schüler nach Leipzig mitbringen,[136] kann ein Hinweis darauf sein. Die Wiederaufnahme seines Amtes in Leipzig war keineswegs sicher; so erwog er sogar, eine Theologieprofessur in Königsberg anzunehmen, wo sein Sohn Johannes bereits studierte.[137] Auch Alesius interessierte sich dafür, und Melanchthon wurde sogar von Albrecht (Preußen) dorthin berufen.[138] Ebenso gab es Angebote des Kurfürsten Joachim II. (Brandenburg), dass C. an der Universität (Frankfurt an der Oder) unterkommen könne.[139] Camerarius wurde durch (den neuen Kurfürsten) Moritz im Sommer 1547 nach Leipzig zurückberufen, wobei auch einige Theologen dies forderten.[140] Nachdem Camerarius und Melanchthon nach Kriegsende wieder in Sachsen weilten, wurden sie wie zuvor mit einigen Aufgaben betraut; Georg von Anhalt wirkte weiterhin mit, obwohl er in Merseburg seine Leitungsfunktionen nach dem Schmalkaldischen Krieg an den altgläubigen Bischof Michael Helding abtreten musste.[141]

Eine wichtige Aufgabe war zunächst die Arbeit an der Umsetzung des "Augsburger Interims", das als Übergangslösung für das Zusammenleben der Konfessionen bis zum nächsten Konzil fungieren sollte.[142] Jedoch verweigerten die altgläubigen Reichsstände die Annahme, so dass es nur noch für die evangelischen Reichsstände gelten sollte. Kurfürst Moritz zögerte mit der Annahme und verwies auf die Bedenken seiner Landstände und Theologen. Melanchthon und andere (Caspar Cruciger, Johann Pfeffinger und Georg Maior) forderten ausdrücklich, dass neben Georg von Anhalt auch Camerarius in die Theologenkommission berufen wurde.[143] Diese erarbeitete dann Vorschläge, wie man dem Kaiser in Äußerlichkeiten (Mitteldinge, Adiaphora) entgegenkommen könnte, ohne zentrale Glaubensinhalte aufzugeben.[144] Wichtige Stationen in der Entstehung dieser sog. Landtagsvorlage[145] waren die Konferenzen von Theologen und Räten, wobei die Treffen in Pegau (23.-25.8.) und Torgau (18.10.) ohne Beteiligung des Camerarius,[146] die von Altzella im November 1548 und der Theologentag zu Jüterbog am 16. und 17.12. unter seiner Mitarbeit erfolgten.[147] Präsentiert wurden die Ergebnisse auf dem Landtag in Leipzig Ende Dezember.[148] Obwohl die Stände die Vorlage ganz überwiegend akzeptierten, gab es Schwierigkeiten bei der Umsetzung, da die altgläubigen Bischöfe nicht einverstanden waren. Veröffentlicht wurden nur Auszüge der neuen Kirchenordnung;[149] durch Moritzens Hinhaltepolitik und Bedenken von Seiten der Theologen verzögerte sich die Annahme der Interimsartikel in Sachsen und unterblieb schließlich ganz, abgesehen von Details wie dem Tragen des Chorrocks.[150] Das zögerliche, aber zunächst nicht klar ablehnende Verhalten des Landesherrn schützte so auch seine eigenen Theologen: So gab es in Sachsen kaum Verfolgungen oder Verbannungen von Theologen, die dem Interim widersprachen. Zwar forderte Karl V. (HRR) kurzzeitig Melanchthons Auslieferung, konnte aber schließlich davon abgebracht werden. Anders sah es bei kleineren, besonders süddeutschen, Reichsständen aus: Aus Schwäbisch Hall musste Johannes Brenz,[151] aus Braunschweig-Calenberg Joachim Mörlin, aus Nürnberg Andreas Osiander fliehen, während Veit Dietrich dort bereits 1547 suspendiert worden war und Anfang 1549 nach schwerer Krankheit starb.[152] In Leipzig dagegen konnte ein Interim-Gegner wie Alexander Alesius weiterhin seine Positionen lehren.[153] Für Camerarius und besonders für Melanchthon sollte die Mitwirkung an der Landtagsvorlage, die auch als Bekenntnis für die Einheit der Christenheit verstanden werden kann, aber für zahlreiche Schmähungen innerhalb des protestantischen Lagers sorgen, hauptsächlich von Seiten der Gnesiolutheraner um Matthias Flacius.[154] Gleichzeitig entwickelten sich aus diesem sogenannten Adiaphoristischen Streit zahlreiche weitere Zerwürfnisse.[155] Zunächst scheint sich die Schmähkritik auf Melanchthon konzentriert zu haben; Camerarius geriet ins Visier, als er den Freund durch die "Querela Lutheri" unterstützte.[156]

Wie oben bereits erwähnt, war das Interim nur als Übergangslösung bis zum nächsten Konzil gedacht. Auf diesem sollte die Kirchenspaltung entgültig überwunden werden. So kam auf die sächsischen Theologen die Aufgabe zu, ihre Glaubenswahrheiten überzeugend darzustellen. Im Jahr 1551 erarbeiteten sie daher, wiederum unter Mitwirkung des C., die "Confessio Saxonica" zur Vorbereitung auf das Konzil von Trient.[157] Camerarius wurde im April 1551 nach Württemberg geschickt, um mit Johannes Brenz Vorbesprechungen abzuhalten.[158] Die Wahl seiner Person ist sicher auf den guten Kontakte der beiden aus Tübinger Zeit zurückzuführen. Camerarius traf sich auch mit süddeutschen Theologen am 19.8.1551 in Langensalza, um über die "Confessio Saxonica" und die "Confessio Virtembergica" zu sprechen.[159] Das Konzil, das 1547 zunächst unterbrochen, später nach Bologna verlegt worden war, kam im Mai 1551 wieder in Trient zusammen. Melanchthons Teilnahme war vorgesehen, doch musste er in Nürnberg den angestrebten Geleitbrief erwarten.[160] Das Geleit wurde aber nie in der von Moritz (Sachsen) geforderten Form bewilligt.[161] Melanchthon kehrte schon im März 1552 wieder nach Sachsen zurück, als seine Teilnahme aufgrund des Fürstenaufstands obsolet wurde.[162] Die Ereignisse in Trient verfolgte Camerarius aus der Ferne. So besaß er eine Edition der von Bischof Andreas Dudith gehaltenen Reden, die den Laienkelch und die Priesterehe befürworteten, und zeigte sie seinem Schüler Johannes Prätorius.

Der Bedarf an (neugläubigen) Theologen in Leipzig blieb in diesen Jahren weiterhin groß, auch bedingt durch den Tod Borners (1547), Johannes Mentzels und Zieglers (beide 1552) sowie den Weggang Nikolaus Zipsers (1553).[163] Dies führte dazu, dass 1553 sogar der Mathematiker Johann Hommel gedrängt wurde, den Doktorgrad der Theologie zu erwerben. Diesem Ersuchen kam er aber nicht nach.[164]

(Vinzenz Gottlieb)

1553 bis 1560

Anders als in der Reichspolitik brachte der Tod von Kurfürst Moritz zunächst keinen sichtbaren Bruch in der kursächsischen Kirchenpolitik mit sich. Kurfürst August führte hier die Politik seines Bruders fort und baute die evangelische Landeskirche weiter aus.[165] Sofort nach seiner Rückkehr aus Dänemark suchte er das Gespräch mit Philipp Melanchthon, der künftig die führende Rolle unter den sächsischen Theologen spielen sollte.[166] Für Camerarius änderte sich einiges dadurch, dass er sich theologisch stärker exponierte: Mit der Herausgabe der Querela Martini Luteri geriet er nun ins Visier von Kontroverstheologen.

Vom 20.-29.5.1554 nahm Camerarius am Naumburger Konvent teil, zusammen mit Theologen aus Kursachsen, Hessen und Straßburg, wie Melanchthon, Alexander Alesius, Johann Forster, Adam Krafft und anderen.[167] Ziel des Treffens war das Finden einer gemeinsamen Linie für den Augsburger Reichstag 1555,[168] auf dem der Augsburger Religionsfrieden verabschiedet wurde. Inhalte des Naumburger Konvents waren das Verwerfen der osiandrischen und schwenckfeldischen Lehre, des Interims und des Papsttums sowie die Behandlung von Zeremonien, Beichte, Konsistorien, Kirchenstrafen und kirchlicher Autorität. Das Treffen scheiterte letztendlich am Ausbleiben der württembergischen Vertreter. Im Abschlussdokument werden einige Positionen erkennbar, die Camerarius mitgetragen hat. Deutlich wird die Ablehnung der schwenckfeldischen Lehre, während Osianders Lehre differenziert betrachtet wird.[169] Wenn auch der Schulterschluss der Theologen in Naumburg nicht glückte, so war doch ein Treffen politischer Vertreter am selben Ort von Erfolg gekrönt, indem schon im Februar 1554 (zumindest vorübergehend) ein Ausgleich zwischen albertinischen und ernestinischen Interessen geschaffen wurde.[170]

Camerarius wurde weiterhin mit der Visitation der Fürstenschulen betraut;[171] für die Kirchenvisitation wurden nur die Wittenberger Theologen sowie aus Leipzig Superintendent Pfeffinger herangezogen.[172]

Der Reichstag 1555 brachte mit dem „Augsburger Religionsfrieden“ eine entscheidende Zäsur in der Reichs- und Religionspolitik des 16. Jahrhunderts mit sich. Die sächsischen Kurfürsten (Moritz und August) und deren Räte legten hierfür wichtige Grundlagen.[173] Während des Reichstags war Camerarius (zumindest im Juni 1555) in Augsburg.[174] Ob er an den Verhandlungen teilnahm, ist unklar. So bittet er Hieronymus Wolf in einem Brief vom 5.11.1554 vorsorglich um Berichte. Wolf schreibt ihm aber (am 29.9.1555) nichts darüber, mit Verweis auf die sächsischen Gesandten, die das berichten würden.[175]

Im September 1555 war C. Teil der kursächsischen Gesandtschaft in Nürnberg zur Beilegung des Osiandrischen Streits.[176] Auch hier waren Melanchthon und Alesius zugegen. Wendorf zeigt anhand dieser Reise sowie des Naumburger Konvents auf, dass die Meinung des Camerarius für Melanchthon sehr wichtig war.[177]

Camerarius nahm 1556 am Regensburger Reichstag teil.[178] Dagegen war eine Teilnahme am (ergebnislosen) Religionsgespräch in Worms 1557 nicht geplant. Da jedoch Melanchthons Frau Katharina Melanchthon am 11.10. starb, reiste C. persönlich nach Worms, um dem Freund die Nachricht zu überbringen und ihn zu trösten. Er fand ihn schließlich Ende Oktober in Heidelberg, wohin dieser in einer längeren Verhandlungspause[179] gereist war und Kurfürst Ottheinrich bei der Reform der Universität beriet, während die Wormser Verhandlungen stagnierten.[180] C. scheint noch vor der (letztlich erfolglosen) Wiederaufnahme der Verhandlungen zurückgereist zu sein. Den Reiseweg hat er in einem Reisegedicht nachgezeichnet.

Im Sommersemester 1558 war C. Rektor der Universität Leipzig.[181] Fast gleichzeitig mit seinem Amtsantritt wurden die neuen Statuten der Artistenfakultät durch den Kurfürsten bestätigt, an deren Erstellung Camerarius maßgeblich beteiligt war.[182] In diese Zeit fallen auch die Neubesetzungen von vakanten Posten der theologischen Fakultät: Nach dem Tod Wolfgang Schirmeisters 1555 waren nur Pfeffinger und Alesius als ordentliche Professoren verblieben. Mit der Berufung von Andreas Knauer als Tertius und Heinrich Salmuth als Quartus sowie Peter Helborn als Hebräischlektor konnte dem Mangel wiederum abgeholfen werden.[183]

Dass C. 1559 (ohne offizielles Mandat) am Reichstag in Augsburg teilgenommen hat, ist wahrscheinlich.[184] Im Jahr 1559 soll C. auch in Kirchenangelegenheiten in Göppingen bei Herzog Christoph (Württemberg) gewesen sein,[185] was jedoch noch mit dem Itinerar in Einklang gebracht werden muss.

(Vinzenz Gottlieb)

1560 bis 1574

Mit Melanchthons Tod am 19.4.1560 war eine wichtige theologische Autorität des kursächsischen Protestantismus weggefallen.[186] Unter seinen Mitstreitern, will man sie nun Philippisten, Kryptocalvinisten, Humanisten oder anders nennen, zeichnet sich kein Nachfolger mit ähnlicher Autorität ab. Mehrere Personen füllten in Wittenberg die Lücke aus. Das erweist sich auch an Melanchthons Lehrveranstaltungen, die auf mehrere Schultern verteilt wurden. Camerarius wurde die Auslegung des griechischen Jesus Sirach angeboten.[187] Über Nachfolgestreitigkeiten ist allerdings wenig bekannt: Die großen Konfliktlinien bestehen weiterhin eher gegenüber dem orthodoxen Luthertum. Die Fülle theologischer Schriften, die Camerarius in seinen letzten anderthalb Lebensjahrzehnten verfasste, könnte nun vermuten lassen, dass er den Freund beerben wollte.[188] Hierfür gibt es aber nur wenige Hinweise.[189] So ist er kaum an Kontroversschriften beteiligt und tut wenig zur Weiterentwicklung der Theologie. Er blickt eher zurück in die Geschichte und sucht nach historischen Grundlagen der christlichen Lehre. Dazu gehören etwa seine Ausführungen über das Leben Jesu und der Apostel.

Seit der Eskalation des innerprotestantischen Konflikts beim Wormser Religionsgespräch (1557) hatten sich die Spannungen zwischen Philippisten und Gnesiolutheranern noch verstärkt. Dazu trug auch die Berufung des Kontroverstheologen Matthias Flacius nach Jena bei. Die dort ansässigen ernestinischen Theologen versuchten sich als wahre Nachfolger Luthers zu inszenieren, zu Lasten der Wittenberger (und Leipziger) Theologen. So traf der evangelische Einigungsversuch durch den Frankfurter Rezess 1558 auf energischen Widerstand aus Weimar und Jena. Neben dem Weimarer Konfutationsbuch ist auch die Entlassung von Victorinus Strigel und Andreas Hügel in Jena Ausdruck dieses Zwiespalts. Mit der Absetzung des Flacius 1561 und Strigels Wiedereinsetzung 1562 begann eine Entspannungspolitik, die bis 1567 andauerte. Hieran war der Wittenberger Professor Paul Eber entscheidend beteiligt.[190]

Im Juli 1564 wird C. als Ehrengast nach Jena eingeladen, um an der von Paul Eber geleiteten theologischen Doktorpromotion Johann Stössels teilzunehmen.[191] Das zeigt das hohe Ansehen, das er damals in den sächsischen Landen genoss. Ob er schon an diesem Termin in Jena war, ist nicht ganz sicher (wegen der Datierung von OCEp 0748), doch war er am 15.7. zur feierlichen Ernennung der Magistri anwesend. Er lieferte bei dieser Gelegenheit auch die Antwort auf eine Frage Ebers zu Xenophon (OC 0748), wobei er ungewöhnlich deutliche Seitenhiebe gegen die Schmäher Melanchthons austeilt.

Die Bedeutung des Camerarius zu Lebzeiten, auch auf internationalem Parkett, wird verdeutlicht durch eine wenig bekannte Episode: Der päpstliche Nuntius Zaccaria Delfino plante im Jahr 1564, über Gespräche mit Camerarius und mit dem Kurfürsten von Brandenburg die Protestanten zurück zur römischen Kirche zu führen. Vorausgegangen waren Verhandlungen mit dem sächsischen Kanzler Ulrich von Mordeisen im August 1564 in Wien.[192] In diesem Kontext fallen über C. die Aussagen che è il manco rigido Luterano di Saxonia und [Camerario] in rebus religionis hoggidi può tutto col suo elettore.[193] Tatsächlich hat Delfino seine Reise nach Leipzig nie angetreten, sondern seinen Auditor Dr. Antonius Cauchius damit beauftragt.[194] Die Verhandlungen standen aber unter keinem guten Stern: Wegen der Gefangennahme seines Sohns Philipp Camerarius und seiner Reisegefährten durch die Inquisition in Rom war Camerarius empört und nicht zum Nachgeben bereit. So habe er gesagt: Wenn die Papisten noch weiter so grausam gegen Unschuldige und Fremde vorgehen sollten, so könne es leicht geschehen, daß ihnen gleiches mit gleichem vergolten werde.[195] Der Überfall durch Handlanger Wilhelms von Grumbach auf Cauchius, bei dem dieser alle Briefschaften verlor, tat sein übriges, die Verhandlungen scheitern zu lassen, zumal die Hintergründe bis 1567 unklar blieben und ein religiös-politisches Motiv vermutet wurde.[196] Nachdem im selben Jahr 1565 sowohl Mordeisen in Sachsen als auch Delfino bei der Kurie in Ungnade fielen und ihre Posten verloren,[197] scheinen die Unionspläne, sofern sie überhaupt ernsthaft erwogen worden waren, vollends beigelegt worden zu sein.

Die Inhaftierung seines Sohns aus Gründen des Glaubens, verbunden mit der Gefahr der Hinrichtung, hatte den Vater tief getroffen, wie in mehreren Briefen deutlich wird.[198] Gleichzeitig zeigt sich aber auch, wie belastbar sein politisches Netzwerk war: Unmittelbar nach der Verhaftung setzte ein reger Austausch von Briefen ein, die um Freilassung der Inhaftierten baten. Neben Gelehrten und fürstlichen Räten verwendeten sich auch Kurfürst August (Sachsen), der katholische Herzog Albrecht V. (Bayern) und sogar Kaiser Maximilian II. (HRR) für die Gefangenen,[199] die nach zwei Monaten schließlich ihre Freiheit wiedererlangten.

Infolge der Grumbachschen Händel wurde 1567 der ernestinische Herzog Johann Friedrich der Mittlere bis ans Lebensende inhaftiert, woraufhin sein Bruder Johann Wilhelm (Sachsen-Weimar) die Regierungsgeschäfte im Herzogtum in die Hand nahm. Unter ihm wurde die Kluft zwischen beiden Sachsen auch theologisch vertieft, was durch das Scheitern des Altenburger Religionsgesprächs noch befördert wurde.[200]

Von August bis Dezember 1568 war C. in Wien bei Kaiser Maximilian II. (HRR) und nahm dementsprechend nicht am gleichzeitigen Altenburger Religionsgespräch teil. Diese Reise war überschattet von körperlichen Gebrechen, die C. große Pein bereiteten, und von einem Gefühl der Vergeblichkeit, das er schon vor Fahrtantritt hatte und das sich letztendlich bewahrheiten sollte.[201] Allerdings konnte der Melanchthon-Schüler David Chyträus nach einem Gespräch mit dem nach Leipzig zurückgekehrten Camerarius im Dezember 1568 (vgl. OCEp 1535) die Verhandlungen erfolgreich zu Ende bringen.[202]

Beim "Consensus Dresdensis" 1571,[203] an dem alle sächsischen Theologieprofessoren, Superintendenten sowie Vertreter der Konsistorien mitgewirkt haben, finden sich keine Hinweise auf eine Mitwirkung des C. So kann man konstatieren, dass er keineswegs in alle theologischen Angelegenheiten Sachsens involviert war. Bei der Durchsicht der Akten der Theologischen Fakultät im Universitätsarchiv Leipzig findet man seinen Namen nur sporadisch unter Gutachten und Briefen.

Das Jahr 1573 führte mit dem Tod Herzog Johann Wilhelms dazu, dass für dessen unmündige Erben offiziell ein Regentschaftsrat, tatsächlich aber Kurfürst August (Sachsen) die Geschäfte in den ernestinischen Gebieten übernahm. Daraus resultierten zahlreiche Entlassungen gnesiolutheranischer Pfarrer sowie der Professoren Heshusius und Johannes Wiegand in Jena. Deren Stellen wurden mit den Philippisten David Voit und Balthasar Sartorius besetzt.[204]

Die Ereignisse des Jahres 1574 stellen eine Zäsur in der religionspolitischen Entwicklung Kursachsens dar: Mit dem Sturz bedeutender Philippisten wie des führenden Rates Georg Cracow, des kurfürstlichen Leibarztes Caspar Peucer, des Kanzlers Hieronymus Kiesewetter und des Hofpredigers Christian Schütz begann die Säuberung des Kurfürstentums von vermeintlichen (oder echten) Kryptocalvinisten.[205]

Bereits im Januar begannen Visitationen kursächsischer Räte an den Universitäten Wittenberg und Leipzig sowie an der Schule zu Pforta. Entsandt wurden die Räte Walter von Schönberg, Hans Löser, Erich Volkmar von Berlepsch, Hauboldt von Einsiedel, Laurentius Lindemann und David Pfeifer.[206] In der unter Mitwirkung des Camerarius verfassten Antwort vom 10.2.1574[207] verweist die Universität auf den Dresdner Konsens von 1571, den sie mitgetragen hat und von dem sie nicht abweiche, sowie auf den Katechismus Martin Luthers und Melanchthons "Corpus Doctrinae". Neben der Zusicherung des Gehorsams gibt sie aber auch zu bedenken, welche Auswirkungen die Zensur im Ausland haben könne (etwa die dortige Zensur sächsischer Bücher und die Stärkung des Papsttums). Am 12.2. wurde die Antwort den Räten übergeben. Sie ist nach aktuellem Kenntnisstand die letzte öffentlichkeitswirksame Tätigkeit des Camerarius vor seinem Tod.

Bemerkenswert ist, dass erst nach dem Tod des Irenikers Camerarius eine Einigung der lutherischen Christen durch Konkordienformel und Konkordienbuch zustande kam.[208]

(Vinzenz Gottlieb)

Zu theologischen Netzwerken

Die Netzwerke des Camerarius umfassen unter anderem eine große Anzahl von Theologen. Mit vielen Reformatoren der ersten Stunde verband ihn ein einger Kontakt, bis auf seine Erfurter und Wittenberger Zeit zurückreichte. Obwohl viele von ihnen älter waren, konnte er sich durch seine hohe Bildung schnell Respekt erwerben und bald ein Verhältnis auf Augenhöhe erwirken. Verwiesen sei hier auf die Briefwechsel etwa mit Georg von Anhalt[209], Philipp Melanchthon[210], Veit Dietrich[211], Johannes Brenz[212] und David Chyträus[213]. Gesonderte Betrachtung würden Alexander Alesius[214] und Martin Luther verdienen. Letzterer muss einen ausgedehnten Briefwechsel mit Camerarius gepflegt haben, von dem jedoch nur noch wenige Zeugnisse existieren. So ist in den gedruckten Camerarius-Korrespondenzen nur der Brief an die Wittenberger Freunde (OCEp 1532) enthalten. Ferner schreibt Ludwig Camerarius II. an seinen Sohn, dass zwischen Joachim und Luther viele Briefe ausgetauscht worden seien, von denen er (Ludwig) aber keinen mehr habe erlangen können.[215] Drei Briefe finden sich in Briefeditionen zu Luther. Sie offenbaren ein durchaus persönliches Verhältnis zwischen beiden. So erhält C. durch Melanchthon eine Brille von Luther und war davon sehr angetan; C. sendet Südfrüchte an Luther; und Luther schickt C. ein Empfehlungsschreiben für seinen Neffen.[216] Luther hielt hohe Stücke auf die Bildung des Camerarius. So ist der Ausspruch überliefert: Hodie plures vivunt, qui sunt eruditiores Erasmo: Noster Philippus, Joachimus et reliqui.[217] In einer undatierten Tischrede äußert er sich auch: Were ich so beredt vnd reich von Worten/ als Erasmus/ Vnd were im Griechischen so gelert als Joachimus Camerarius/ Vnd im Ebreischen also erfahren/ wie Forschemius/ Vnd were auch noch juenger/ ey/ wie wollte ich arbeiten.[218] Seine persönliche Bekanntschaft mit Luther führt Camerarius noch lange nach dessen Tod als Argument gegen innerprotestantische Widersacher ins Feld, die diesen nicht persönlich gekannt und daher nicht verstanden hätten.[219]

Auf katholischer Seite sind die Korrespondenzen mit Erasmus von Rotterdam[220], Julius von Pflug[221], Moritz von Hutten und Daniel Stiebar von Rabeneck[222] zu nennen. Bei reformierten Theologen wie Theodor Beza ist insbesondere eine gründliche Untersuchung der handschriftlichen Briefe erforderlich. Dass diese nicht zeitnah gedruckt wurden, liegt an der religionspolitischen Brisanz, die allein ihre Existenz mit sich bringt: Nach dem energischen Vorgehen des sächsischen Kurfürsten August gegen die "Kryptocalvinisten" im Jahr 1574 war es für Camerarius' Söhne sicher nicht opportun, Briefwechsel mit Calvinisten oder auch nur mit Philippisten zu drucken.[223] Wenn Briefwechsel des Camerarius mit solchen Briefpartnern überhaupt gedruckt wurden, so geschah dies entweder noch zu Camerarius' Lebzeiten (Melanchthon, Epistolae ad Camerarium, 1569), allerdings ohne Angabe des Korrespondenzpartners (vgl. die meisten Briefe an Georg Cracow) oder nach Augusts Tod: Da dessen Sohn und Nachfolger Christian I. (Sachsen) eine Religionspolitik betrieb, die gegenüber dem Calvinismus freundlicher gestimmt war, konnten in der von den Camerarius-Söhnen besorgten Edition von 1595 auch nicht-anonymisierte Briefwechsel mit Georg Cracow und Hubert Languet erscheinen. Ob Camerarius mit Johannes Calvin selbst Briefkontakte hatte, ist unbekannt; allerdings ist ein persönliches Treffen 1540 in Straßburg auf Einladung des Wolfgang Capito belegt.[224] Auch der unitarische Christ (und mutmaßliche Antitrinitarier) Lelio Sozzini stand mit Camerarius in Verbindung, teilweise über Melanchthon.[225] Gar nicht untersucht wurden hier bisher die Beziehungen zu Matthäus Alber[226] und Jakob Andreae[227], zu Justus Menius sowie zu den Leipziger Theologen.

Das enge Verhältnis, das Camerarius zu den Theologischen Fakultäten der Universitäten Leipzig und Wittenberg sicherlich gepflegt hat, ist außerhalb des Melanchthon-Briefwechsels nur sporadisch nachweisbar. Weitere Zeugnisse davon sind etwa die beiden autographen Konzepte vom 15.5.1551, in denen Camerarius im Namen der Leipziger Theologischen Fakultät zur Doktorpromotion der Kandidaten Wolfgang Pfendtner, Nikolaus Zipser, Georg Schnell und Johannes Mencel einlädt. Adressaten sind im ersten Fall Georg III. (Anhalt-Plötzkau), im zweiten die Wittenberger Theologen Philipp Melanchthon, Johannes Bugenhagen,[228] Georg Maior und Johann Forster sowie Magister Paul Eber.[229]

Darüber hinaus haben zahlreiche aus den Hunderten von Studenten, die Camerarius an der Nürnberger Oberen Schule bzw. an den Philosophischen Fakultäten in Tübingen und Leipzig ausgebildet hat, später den Weg in die Theologie eingeschlagen. Bezeichnend ist hier auch ein Briefwechsel der Wittenberger und Leipziger Theologen zum Tod des Leipziger Superintendenten Johann Pfeffinger: Darin werden die besten Wünsche für die Gesundheit des praeceptor communis Ioachimus Camerarius übermittelt, der sich im Antwortschreiben dafür bedankt.[230] Zahlreiche der hier Beteiligten dürften bereits zu einer Generation gehören, die die zentralen Ereignisse der Reformation nicht mehr miterlebt hat, und dürften bereits zur Epoche der Konfessionalisierung zu zählen sein. Camerarius begleitete somit mehrere Theologengenerationen und unterrichtete, bildlich gesprochen, die Kinder und Enkel der Reformatoren.[231]

(Vinzenz Gottlieb)

Theologische Schriften des Camerarius

Historische Theologie

Joachim Camerarius war, wie er immer wieder betonte, kein (ausgebildeter) Theologe, sondern in erster Linie Philologe. Dementsprechend ist auch seine Herangehensweise an biblische und religionshistorische Themen oft eher eine philologisch-humanistische denn eine theologische. Dies wird schon früh bei seiner 1536 gedruckten ↓ Übersetzung von Theodorets Kirchengeschichte deutlich, die sich klar als philologisches Werk versteht und vor allem als historische Quelle dienen will, mit deren Hilfe gegenwärtige Missstände erkannt und 'geheilt' werden sollen. Tatsächlich ist die historische Theologie ein Bereich, der es Camerarius ermöglicht, seine besonderen Kompetenzen als Philologe auf theologische Stoffe anzuwenden, ohne dabei die Grenzen zu einem Fachbereich zu überschreiten, der nicht der seine ist. So befassen sich auch seine ↓ Biographien Jesu und der Apostel nicht mit theologischen, sondern mit historischen und philologischen Inhalten: Camerarius' Ziel ist es nicht, selbst die christliche Lehre zu erklären, sondern sein Wissen über die antike Geschichte und Literatur einzusetzen, um das Verständnis dieser Lehre zu fördern; Camerarius möchte nicht selbst deuten, sondern er möchte mittels seiner philologischen Fähigkeiten anderen Gelehrten mit entsprechender theologischer Kompetenz die sachlichen Grundlagen liefern, die diese wiederum für die Deutung der Heiligen Schrift benötigen. Die Geschichtsschreibung und historische Biographistik ist nur eines der Mittel, derer er sich dazu bedient.
Die Biographien Jesu und der Apostel waren dabei ein langfristiges Projekt, an dem Camerarius seit dem Ende des Schmalkaldischen Krieges arbeitete; bis zur Publikation im Jahr 1566 sollten noch zwanzig Jahre vergehen, in denen er sich intensiv mit den historischen Hintergründen des frühen Christentums beschäftigte. Diese Forschungen kulminierten 1561 in der Publikation seiner als historisches Handbuch gedachten ↓ lateinischen Übersetzung von Nikephoros' "Chronologia". In der Zwischenzeit erschien außerdem aus aktuellem Anlass zum Konzil von Trient in Erstauflage 1552 und in zweiter, erweiterter Auflage dann 1561 zusammen mit der "Chronologia" ein ↓ Band zum Konzil vom Nicäa und den anderen ökumenischen Konzilien. Hier zeigt sich - wie bereits bei der frühen Theodoret-Übersetzung - Camerarius' Bestreben, antikes Wissen zu aktualisieren und für die Gegenwart nutzbar zu machen; bei der Arbeit zu Nikephoros ebenso wie in der Konziliengeschichte und in den Biographien ist es besonders die Chronologie, die Camerarius' Interesse auf sich zieht.
Ganz der Gegenwart und der Zeitgeschichte wandte sich Camerarius schließlich gegen Ende seines Lebens zu: So führten wiederholte Kontakte zu den Böhmischen Brüdern, einer aus den Hussiten des 15. Jahrhunderts hervorgegangenen Bewegung, zu einer eingehenderen Beschäftigung mit deren Geschichte und Lehre. Aus konkretem Anlass entstand so der Entwurf zu einer ↓ Geschichte der Böhmischen Brüder, die erst posthum im Druck erschien und starke apologetische Züge trägt. Auch bei diesem Werk scheint jedoch Camerarius' klassische Bildung offensichtlich durch.

Camerarius' lateinische Theodoret-Übersetzung - Philologie, nicht Theologie (1536)

Camerarius' primär philologische Ausrichtung zeigt sich schon früh bei seiner Übersetzung des Kirchenhistorikers Theodoret. Glaubt man Camerarius' Widmungsbrief an Justus Jonas, war es wie auch in anderen Fällen seine schlechte Gesundheit, die den Anstoß zu seiner Beschäftigung mit Theodoret gab:[232] 1535[233] habe er wieder einmal krank zu Bett gelegen, vermutlich aufgrund seines langjährigen offenen Geschwürs am Fuß, das ihn zu dieser Zeit stark beeinträchtigte (→ Medizin); bei dieser Gelegenheit habe er in einem Buch gelesen, das sowohl eine griechische Edition von Theodorets Kirchengeschichte als auch Teile einer lateinischen Übersetzung derselben durch Epiphanius Scholasticus enthalten habe (es muss sich um das Kompendium zur Kirchengeschichte handeln, das Beatus Rhenanus soeben 1535 in Basel herausgegeben hatte[234]). Auf das Drängen von Freunden, die bei ihn während der Krankheit besuchten, darunter Johann Mylius, habe er mit der Übersetzung des Werks ins Lateinische begonnen: Die Version des Epiphanius, dem Camerarius barbaries, inscitia und somnolentia zuschreibt (Bl. α2r), habe sowohl Mylius als auch er selbst als völlig nutzlos erkannt, da Epiphanius vermutlich bereits eine spätere Sprachstufe des Griechischen gebrauchte und daher mit der älteren Form Theodorets weniger vertraut gewesen sei als Camerarius, der das Griechische von den besten (d.h. von den klassischen) Autoren und dem hervorragenden Georg Helt gelernt habe. Camerarius habe sich beim Lesen gar die Frage gestellt, wie es sein könne, dass einem Griechen nicht nur die lateinische, sondern gar seine eigene Sprache so fremd sei![235]
Es handelt sich bei Camerarius' Übersetzung offenbar um ein recht kurzfristiges Unterfangen: Da er sie als Produkt langer Sommertage (opella aestivalium dierum longarum, Bl. A3v) bezeichnet, ist anzunehmen, dass sie tatsächlich in den Sommermonaten des Jahres 1535 entstand, mutmaßlich noch vor Verfassen des Widmungsbriefes, der auf den 13. August datiert ist. Die Übersetzung wurde schließlich 1536 gedruckt.[236] Neben dem lateinischen Text enthält sie an einzelnen Stellen Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge zur griechischen Textgestalt in Form von Marginalien. Camerarius' Übertragung ist freier als die des Epiphanius; während letzterer sich stets bemüht, nah am griechischen Text zu bleiben und dafür häufig zu griechischen Fremdwörtern (scandalizare für σκανδαλίζειν, zelus für ζῆλος) und gräzisierender Syntax greift (Post quem Philogonius Pontificatum sumens ... für Φιλογόνιος δὲ μετὰ τοῦτον τὴν προεδρείαν λαβῶν),[237] verwendet Camerarius lateinische Ausdrücke (offendiculo esse, fervor) und zielsprachenorientierte Syntax (quem excipiens Philogonius ...).[238] Zugleich korrigiert Camerarius auch Verständnisfehler des Epiphanius (so übersetzt Epiphanius Genitiv und Partizip nach ἀκούειν mit einer Kombination von audire und Ablativus absolutus, wohingegen Camerarius korrekt ein Genitivobjekt erkennt, s.o. Anm.) und arbeitet semantisch genauer (für παντοδαποῖς κοσμούμενος ἀγαθοῖς hat Epiphanius omnibus bonis ornatus, Camerarius multiplicibus bonis ornatus[239]).

Camerarius bezeichnet seine Übersetzung ausdrücklich als philologische, nicht theologische Arbeit: Auf das Gebiet der Theologie habe er sich nicht begeben und er werde es auch nur unter Zwang tun. Jeder, nicht nur Theologen, sollten sich an seiner Arbeit erfreuen, gerade in einer Zeit, in der die von Theodoret beschriebenen Laster in allzu ähnlicher Form wieder aufträten; das Werk solle zu deren Heilung dienen.[240] Außerdem betont er den Wert seiner Übersetzung als geschichtliche Quelle, da die bisherigen Übersetzungen und Parallelberichte die Ereignisse zeitlich durcheinandergebracht hätten.[241] Eine Folge davon sei etwa, dass man allgemein annehme, der Häretiker Arius sei unter Kaiser Constantius gestorben; Theodoret schreibe aber klar und deutlich, dass sein Tod unter Kaiser Konstantin erfolgt sei.[242] Entsprechend sei entweder Theodoret unglaubwürdig oder Rufinus (von Aquileia) sowie die Übersetzer Theodorets, von denen die verbreitete Interpretation stammte, hätten ungenau gearbeitet.[243]
Von Äußerungen zu theologischen Inhalten sieht Camerarius ab und nimmt hier als Übersetzer eine neutrale Position ein; dies wohl auch, um sich nicht angreifbar zu machen, falls mancher Theologe sich durch Theodorets Aussagen oder Camerarius' Übersetzung derselben provoziert fühlen sollte. Auch die beiden Werbegedichte in drei griechischen und sieben lateinischen Distichen, die er im Anschluss an die Widmung dem Hauptwerk voranstellt, betonen vor allem den Quellenwert von Theodorets Werk, das die Geschichte von Gottes Volk erzähle:[244] Es behandle eine Zeit, für die sonst wenige Quellen existieren; auch wenn es seine Mängel habe, sei es daher dennoch von größtem Wert.[245]
Die eigentliche lateinische Übersetzung von Theodorets Kirchengeschichte begleiten darüber hinaus mehrere kleinere Werke mit erläuternden Inhalten; auch diese unterstreichen die Funktion des Bandes als Geschichtswerk, indem sie Verständnishilfen und Hintergrundinformationen liefern. Unter diesen finden sich Kurzbiographien der Kaiser von Konstantin bis Theodosius II., der Bischöfe und weiterer Theologen, kurze Erläuterungen zu den in der "Historia Ecclesiastica" erwähnten Häresien sowie zwei kurze Traktate zum Unterschied zwischen den lateinischen Begriffen substantia und essentia.[246]

Camerarius' Übersetzung scheint recht beliebt gewesen zu sein. Philipp Melanchthon bedankt sich im Februar 1536 für die geleistete Arbeit und zeigt sich über die geplante Widmung an Justus Jonas erfreut.[247] Ebenso bestätigen die häufigen Neuauflagen die Beliebtheit des Textes: Während Beatus Rhenanus' Band zur Kirchengeschichte in der Auflage von 1535 noch den griechischen Theodoret abdruckte und als einzige Übersetzungsversatzstücke die des Epiphanius Scholasticus aus der "Historia Tripartita" bot, enthalten die sieben zwischen 1539 und 1570 publizierten Neuauflagen zunächst beide Texte und später dann nur noch die vollständige Übersetzung des Camerarius.[248]

Altes aktualisiert - Konziliengeschichte (1552)

Nicäa und Trient - Das Werk im zeitlichen Kontext

Wie es schon bei Camerarius' Theodoret-Übersetzung ein Anliegen war, mit antikem Wissen gegenwärtige Missstände zu beheben, so sollte auch sein dem katholischen Erzbischof von Riga Wilhelm von Brandenburg-Ansbach-Kulmbach gewidmetes Werk über das Konzil von Nicäa ein antikes Exemplum für eine gegenwärtige Problemstellung liefern; das Werk erschien im Vorlauf des Konzils von Trient wohl bereits Ende 1551, auch wenn der Druck 1552 als Druckjahr nennt.[249] Angesichts des bevorstehenden Konzils habe Camerarius sich über dessen Ablauf und möglichen Ausgang Gedanken gemacht und beschlossen, einen antiken Präzedenzfall zu suchen, auf dessen Basis sich Folgerungen für das potentielle Ergebnis des aktuellen Konzils treffen ließen.[250]
Jedoch habe er feststellen müssen, dass solche religionspolitischen Bemühungen seit Anbeginn der christlichen Kirche allzu oft in großen Übeln für die Gesellschaft endeten; besonders verschärft habe sich dieses Problem, seitdem der geistliche Stand auch weltliche Macht erlangt habe.[251] Daher habe er beschlossen, auf die vergleichende Vorhersage zu verzichten und den Ausgang der gegenwärtigen Bemühungen Gott zu überlassen; stattdessen wolle er aufzeigen, was in der Vergangenheit richtig gemacht wurde (quid rectiss[ime] et praeclariss[ime] factum esse iis temporibus videretur, S. 4). Das beste Beispiel lobenswerter und erfolgreicher Bemühungen um Klärung und Einigung sei aber das Konzil von Nicäa, in dem es ebenfalls um Uneinigkeiten im Dogma ging. Mit einer Beschreibung der damaligen Ereignisse hoffe er, die Leser - und wohl auch den katholischen Widmungsempfänger - zur Sorge um den rechten Glauben zu bewegen, da nur eine Neuausrichtung der Kirche in toto diese vor dem Untergang bewahren könne und die Nutznießer des Status quo zu allen erdenklichen Mitteln griffen, um diesen zu bewahren. Die um den wahren Glauben Bemühten müssten daher auf die richtigen Architekten der neuen Ordnung setzen und nicht auf diejenigen, denen die gegenwärtigen Zustände nützten.[252] Als Richtschnur sollten dabei nicht Waffengewalt, sondern Recht und göttliche Wahrheit gelten. Der Weg zur Einigung, so Camerarius' ganz persönlicher Ratschlag, führe über die Rückbesinnung auf die gemeinsamen, wohlbekannten religiösen Grundlagen und eine darauf aufbauende Reinigung von den Lastern; erst wenn diese Basis wieder vorhanden sei, solle man über tiefergehende Fragestellungen verhandeln. Dies sei freilich leichter gesagt als getan.[253]
Dabei äußert Camerarius einen Gedanken, der auch später für das programmatische Vorgehen in der ↓ Jesus-Biographie wieder zentral werden wird: Menschliche Vernunft und Glaube seien einander unverträglich; wahre Frömmigkeit folge der offenbarten himmlischen Wahrheit, ohne diese zu hinterfragen.[254] Zugleich betont Camerarius den Wert der Bildung in den artes zum Verständnis der christlichen Lehre, denn die Geschichte zeige, dass ein Bildungsdefizit eher zum Festhalten an Fehllehren als zu deren Beseitigung führe.[255] Am Beispiel der Bestimmung des Osterdatums, das nicht für den rechten Glauben an sich, sondern nur für die Festlegung der Zeremonien notwendig sei, zeigt Camerarius auf, dass es nicht zielführend sei, sich in nichtessentiellen Inhalten (de non necessariis rebus) dem Willen der Mehrheit zu widersetzen, und positioniert sich damit im Kontext des Adiaphoristischen Streits (s.o.) auf der Seite Melanchthons; dieses Ergebnis will er wohl auch als Devise für das kommende Konzil verstanden wissen.[256] Das Werk schließt, nachdem es zuvor bereits in einem Einschub einen Vorausblick auf folgende Konzilien gegeben hatte,[257] mit einer konzisen Rückschau auf die innerchristlichen Streitigkeiten und ihre Lösungsversuche seit dem Apostelkonzil. Die ersten hundert Jahre der Kirche stellt Camerarius dabei als harmonische Blütezeit dar, in der die Kirche nicht danach strebte, Regeln und Richtlinien zu kumulieren, sondern wahren Glauben zu demonstrieren; diverse Häresien führten anschließend immer wieder zu Uneinigkeit. Auch das Konzil von Nicäa brachte keine dauerhafte Lösung aller Streitigkeiten, sodass weitere Synoden und Konzilien folgten. Mit dem Konzil von Konstantinopel des Jahres 360, das die Begriffe οὐσία und ὑπόστασις ganz vermied, nachdem sie immer wieder Anlass zu Konflikten gegeben hatten, endet die Zusammenschau. Nach diesem hätten Elend und Unheil (miseria et calamitas) den Erdkreis heimgesucht und der größte Teil der Welt sei Irrlehren (tenebrae impietatis et errorum), der Rest aber dem Aberglauben (superstitio) anheimgefallen. Von der jüngeren Vergangenheit und dem, was komme, wolle Camerarius schweigen.[258]

Geschichte und Chronologie - Der Werkverbund

Die eigentliche Geschichte des Konzils von Nicäa wird in der Erstauflage von zwei kleineren Werken begleitet: Bei dem ersten davon handelt es sich um eine kurze tabellarische Chronologie wichtiger Ereignisse angefangen beim nicänischen Konzil bis zum Konzil von Trient; diese, so hoffe Camerarius, werde sich bei der Lektüre des Werks als nützlich erweisen. Der Tabelle vorangestellt ist eine knappe Vorbemerkung, in der sich Camerarius skeptisch bezüglich der Möglichkeit exakter Datierungen lange zurückliegender Ereignisse zeigt, da es oft an den notwendigen Quellen fehle: So seien etwa die Aufzeichnungen der Römer bei der Plünderung Roms durch die Gallier 387 v.Chr. vernichtet worden.[259] Camerarius' Ausführungen scheinen eine längere Debatte zwischen ihm und Philipp Melanchthon zu reflektieren: Dieser stimmt in einem Brief von September 1553 Camerarius zu, dass exakte Datierungen oft nicht möglich seien, argumentiert aber, dass man sich manchmal mit der bestmöglichen Näherung zufrieden geben müsse: Dies tue selbst die sonst für ihre mathematische Exaktheit bekannte Astrologie. Melanchthon pflege oft, wenn er spreche, um der Klarheit willen vorgefundene Informationen unhinterfragt zu wiederholen; zwar seien Unwahrheiten nach Möglichkeit zu vermeiden - wenngleich sie bisweilen nützlich sein könnten -, doch betreffe dies vor allem das geschriebene Wort.[260]
Bei dem zweiten angehängten Werk handelt es sich um eine lateinische Übersetzung des letzten Abschnitts des Traktats "De spiritu sancto" (Περὶ τοῦ ἁγίου πνεύματος, 30, 76-79) von Basilius von Caesarea, in dem dieser den deplorablen Zustand der von Zwietracht zerrissenen Kirche beschreibt. Der Text füllt zum einen die letzte Lage des Bandes, ist zum anderen aber allgemein genug gehalten, dass er vom Leser wohl - ganz im Sinne von Camerarius' Ziel, antikes Wissen für die Gegenwart nutzbar zu machen - auch auf die Lage der Kirche zu Camerarius' Zeit bezogen werden konnte und sollte.[261]

Die Rezeption - Camerarius als sein eigener Multiplikator

Camerarius sandte Exemplare des Drucks bald nach Fertigstellung an seine Freunde: Christoph von Karlowitz erhielt am 10.01.1552 eine Ausgabe;[262] möglicherweise gab er sie in der Folge weiter, jedenfalls bemüht sich Camerarius am 30.03.1554 noch einmal um ein Exemplar für Karlowitz. Daneben lässt Camerarius Pläne für ein weiteres Werk verlauten, das sich mit der Synode von Ephesus und deren Streitpunkten beschäftigen solle, da ihre Inhalte in der Gegenwart wieder relevant seien.[263] Ein entsprechendes Werk ist nicht bekannt, die Äußerung verdeutlicht aber erneut die Zielsetzung vieler von Camerarius' Werken.
Bei der Verbreitung seines Werks sorgte Camerarius auch selbst dafür, dass dieses die richtigen Personen, gegebenenfalls auch auf altgläubiger Seite erreichte: Nicht nur ist der Widmungsempfänger ein katholischer Bischof; auch der mit Camerarius eng befreundete (altgläubige) Würzburger Domherr Daniel Stiebar von Rabeneck erhält bereits am 29.12.1551 ein Exemplar der "Historia" mit der expliziten Bitte, es nach der Lektüre an den (ebenfalls katholischen) Bischof von Eichstätt Moritz von Hutten weiterzusenden; Stiebar werde dann noch einmal ein eigenes Exemplar erhalten.[264] Auch der lutherische Theologe Johannes Brenz, der tatsächlich in Trient anwesend war, las das Werk auf der Reise zum Konzil, wie er Camerarius am 27.04.1552 berichtet; er habe die Lektüre genossen und fordere Camerarius dazu auf, mit weiteren ähnlichen Zeugnissen seiner Rechtgläubigkeit der Kirche zu dienen.[265]

Neuauflage - Das Werk wird zum Anhang

Mit der Neuauflage des Werkverbundes von 1561 wurde dieser einerseits um ein weiteres kurzes Werk erweitert; andererseits wurde er nun selbst zur Appendix: In der Ausgabe von 1561 wird die Konziliengeschichte nämlich an Camerarius' etwa doppelt so lange lateinische Ausgabe von Nikephoros' "Chronologia" angefügt, die Camerarius in "De chronicis" angekündigt und nun nach langer Arbeit fertiggestellt hatte (s. den nächsten Abschnitt). Diese lange Beschäftigung mit Chronologie und Datierungen war denn vermutlich auch der Anlass zu der kurzen, neu am Ende angefügten chronologischen Darstellung zu den Ökumenischen Konzilien: Zwar gab die eigentliche "Historia" bereits einen groben Überblick über Konzilien und Synoden auch nach Nicäa[266] und auch die kurze Schrift "De chronicis" lieferte bereits eine grundständige tabellarische Chronologie bis in Camerarius' Gegenwart; das neue Werk geht jedoch spezifisch auf den Begriff der Ökumenischen Konzilien ein und gibt einen Überblick über deren Streitfragen.[267] Der dritte Fokus der neuen Schrift liegt, wie schon der Titel "De synodis oecumenicis, et harum temporibus atque praecipuis negotiis" nahelegt, auf der zeitlichen Einordnung der Konzilien, die nun mit dem fertiggestellten Nikephoros als Basis sehr viel besser möglich war als zu Zeiten der ersten Auflage.[268]

Der lateinische Nikephoros - Ein historiographisches Handbuch (1561)

Hintergrund - Nikephoros als Vorarbeit zu Jesus

In seinem Vorwort zur "Chronologia" des Nikephoros unterscheidet Camerarius zwei Arten von Geschichtsschreibung: Zum einen die von den Griechen als ἱστορία πραγματική bezeichnete Form, die eigentliche Geschichtsschreibung im modernen Sinne, die chronologisch geordnet in fortlaufender Form von Ereignissen berichtet und Hintergründe, Motivationen, das Auftreten von Personen und die Folgen von Ereignissen behandelt. Auf der anderen Seite steht für Camerarius die Biographie, die sich einen einzelnen Aspekt, das Leben einer Person, herausgreift und ausführlich darstellt. Beide Arten von Geschichtsschreibung haben laut Camerarius ihre Verdienste: die größere Form sei erhabener (speciosum atque magnificum), doch die Biographie eigne sich besser zur Darstellung von exempla und sei unterhaltsamer zu lesen.[269]
Im Zuge des Schmalkaldischen Krieges musste Camerarius seine Pläne für eine Darstellung zu den griechischen Rednern im Sinne der zweiten Gattung aufgeben. Nach Ende der Kriegswirren entschloss er sich dann stattdessen, über Jesus und die Apostel zu schreiben (↓ Von Jesus und den Aposteln - "Historia Iesu Christi" und "Expositio de apostolis" (1566)). Da jedoch hierfür die Klärung gewisser Datierungsfragen eine essentielle Voraussetzung war, machte sich Camerarius zunächst daran, die historischen Ereignisse in eine konsistente und plausible zeitliche Ordnung zu bringen (ut collatis iis scriptis quae isto in genere potuissem conquirere, seriem quandam consentaneam, atque verisimilem maxime, designarem).[270] Im Zuge dieser Arbeiten stieß er auf die "Chronologia" des Nikephoros,[271] die in einem Epiphanius-Codex des Johann Lange enthalten gewesen war: Diesen kannte Melanchthon bereits seit den 1530er Jahren, Camerarius bekam ihn spätestens 1542 zur Weiterleitung an Johann Oporinus in die Hände[272] und konnte für die Arbeit an Nikephoros auch später noch einmal darauf zugreifen.[273]
Die Quellenarbeit erwies sich allerdings als schwierig, und so zog sich das, was als Recherche für die Jesus-Vita begonnen hatte, über lange Zeit hin und wurde zu einem eigenen Werk:[274] Schon bei der ersten Übersetzungsarbeit am Nikephoros fielen Camerarius viele Fehler auf, bedingt teils durch den Autor selbst, teils durch die Überlieferung. Trotz dessen und trotz des wenig ausgefeilten Stils des Werks beschloss er, eine Übersetzung zu publizieren, um den Gelehrten ein kurzes und konzises Überblickswerk an die Hand zu geben, zumal ihm keine vergleichbare Schrift bekannt war. Früh begann er damals auch schon mit der Annotation des Werks: So lassen sich einige von Camerarius' Anmerkungen auf die Zeit unmittelbar nach dem Schmalkaldischen Krieg datieren. Aufgrund seiner intermittierenden Arbeitsweise verzögerte sich jedoch die Arbeit; zudem feilte er seine Anmerkungen mit der Zeit immer weiter aus und erweiterte seine Annotationen ständig.[275] Im Anschluss an das Werk führt er außerdem die Schilderungen des Nikephoros bis in seine Zeit fort. Letztlich wurde das Werk so erst im Jahr 1561 in einem Band gedruckt, der neben der "Chronologia" selbst auch eine zweite erweiterte Auflage von Camerarius' bereits 1552 publizierter ↑ Geschichte des Konzils von Nicäa enthält. Dem chronologischen Werk die Konziliengeschichte beizugeben, scheint im ersten Moment Camerarius' Wunsch zu widersprechen, ein konzises Handbuch zu schaffen: Tatsächlich aber geht dieser Plan auf Camerarius selbst zurück, der in einem in dem Band abgedruckten Brief an Johann Oporinus diesen um die Verbindung beider Werke bittet. Allerdings gibt er dem Drucker in demselben Brief die Vollmacht über die Anordnung der Lagen (Haec igitur tuo arbitrio conformatis cartis edes),[276] die dieser so aufteilte, dass der separate Kauf der "Chronologia" gut möglich war.[277]

Frühe Pläne zur Neuauflage

Auch wenn Camerarius Oporinus gebeten hatte, dafür Sorge zu tragen, dass sein Werk korrekt gedruckt werde und die Setzer nichts am Text veränderten, sei es, weil sie etwas nicht verstünden oder aus Nachlässigkeit,[278] war er offenbar dennoch mit dem Ergebnis des Prozesses nicht zufrieden: Am 07.05.1561 schrieb er an Hieronymus Wolf, das Werk sei weder sehr gründlich noch sehr nachlässig gedruckt worden, und bat Wolf, bei der Lektüre Errata zu korrigieren;[279] die Bitte wiederholte er am 23. Juni, als er gehört hatte, dass Wolf die Lektüre begonnen habe.[280] Auch Esrom Rüdinger, der den Band in der Offizin vorfand und las, wies Camerarius früh auf einige Fehler bei der Jahresrechnung hin.[281] Bereits 1562 hatte Camerarius daher konkrete Pläne für eine Neuauflage, allein seine zahlreichen Beschäftigungen hinderten ihn an einer Überarbeitung.[282] Auch im Vorwort seiner 1566 gedruckten Biographie Jesu äußert Camerarius Hoffnungen auf eine Neuauflage.[283]
Ein Jahr später, am 21.10.1566, lässt Camerarius Willem Canter bei Oporinus nachforschen, ob eine Neuauflage wirtschaftlichen Nutzen für Oporinus verspreche.[284] Die Antwort fiel offenbar positiv aus;[285] bis zum 26.07.1567 befand sich eine Druckvorlage bei Oporinus, denn zu diesem Datum bittet Camerarius Willem Canter, einige Fehler zu korrigieren sowie selbst auf weitere zu achten.[286] Jedoch verstarb Oporin bald darauf am 06.07.1568; die Aufsicht über die noch in der Offizin befindlichen Druckvorlagen führte Theodor Zwinger, zu dem Camerarius am 18.09.1568 Kontakt aufnahm und ihn bat, auf den Nikephoros Acht zu geben.[287] Zwinger antwortete am 5. November, Camerarius brauche sich keine Sorgen zu machen, da sich das Buch noch vor Ort befinde und Oporins Nachfolger es vertragsgemäß weiterhin drucken müssten; wenn er es dennoch zurückhaben wolle, müsse er mit diesen verhandeln.[288] Vom 07.11.1569 datiert dementsprechend eine Urkunde, in der Camerarius Zwinger mit der Aufsicht über den Druck betraut.[289] Die Druckvorlage war jedoch nicht mehr aufzufinden: In zwei Briefem vom 01.09.1570 und vom 16.11.1570 äußerte Zwinger noch die Hoffnung, Oporinus habe sie vielleicht jemandem ausgeliehen. Jedoch sei die Bibliothek auch mehrfach umgezogen und habe dabei einige Verluste hinnehmen müssen.[290] Am 08.10.1571 äußert Camerarius gegenüber Hieronymus Wolf die Befürchtung, das Buch sei wohl verloren gegangen;[291] dies bestätigte auch Zwinger am 15.02.1572 in einem Brief an Camerarius' Sohn Joachim (Parentis ... Chronologiam in Oporini scriniis nuspiam invenire potuimus).[292] Als Hans Steinmann sich für die Neuauflage erbot, musste Camerarius daher, soweit es seine Gesundheit zuließ (→ Medizin), Ersatz schaffen.[293] 1573 erschien bei Steinmann und Vögelin in Leipzig die Neuauflage des Verbundes aus Nikephoros und Konziliengeschichte,[294] erweitert um zwei Epicedien auf den mittlerweile verstorbenen Widmungsempfänger Wolfgang von Pfalz-Zweibrücken und einen Brief an Esrom Rüdinger, der die Hintergründe der Neuauflage erläutert. Darin rechtfertigt sich Camerarius auch dafür, verschiedenen Anmerkungen (unter anderem Rüdingers) nicht gefolgt zu sein: Er referiere schließlich nicht seine eigenen Berechnungen, sondern die des Nikephoros, die in Griechenland noch immer verwendet würden.[295]

Inhalte und Rezeption

Mit dem Verlust der Druckvorlage gingen auch Camerarius' Korrekturen und weitere Anmerkungen verloren. Wie groß die Unterschiede zur ersten Auflage gewesen wären, lässt sich freilich aufgrund des Verlusts nicht mehr beziffern. Allerdings vermitteln Camerarius' Bemühungen um die Neuauflage durchaus den Anschein, dass er größere Ergänzungen oder Änderungen geplant hatte; Zeit dafür hatte er jedenfalls in den 12 Jahren zwischen den beiden Auflagen genug. Es ist jedoch fraglich, ob Camerarius trotz des deutlich geringeren Vorlaufs in der Lage war, alle seine geplanten Änderungen nach Verlust der Druckvorlage für den Druck bei Steinmann/Vögelin zu reproduzieren, und in der Tat findet ein stichprobenhafter Vergleich der letztlich gedruckten Neuauflage mit der Erstedition keine nennenswerten Unterschiede im Wortlaut.
Nikephoros' Werk ist eine Weltchronik; Camerarius hält sich an den knapper formulierten der beiden heute bekannten Überlieferungsstränge. Das Werk beginnt bei Adam, führt die Lebenszeiten der biblischen Figuren knapp aus und geht im Anschluss zu den historischen Ereignissen über; das Ende stellt die Regierungszeit des byzantinischen Kaisers Michael III. (reg. 842-867) dar. Camerarius präsentiert abschnittsweise seine lateinische Übersetzung von Nikephoros' griechischem Text. Im Anschluss folgen jeweils ausführliche Annotationen, in denen Camerarius Nikephoros' Darstellungen und Berechnungen mit denen aus anderen Quellen, insbesondere der Bibel vergleicht.[296] Dabei bemüht sich Camerarius um die Auflösung von Widersprüchen zwischen verschiedenen Quellen und übt dabei durchaus auch Kritik an Nikephoros; andererseits scheut er sich nicht, Unstimmigkeiten zu belassen, wenn sie nicht ohne weiteres auflösbar sind.[297] In der letzten Anmerkung zur eigentlichen "Chronologia" führt Camerarius zudem das Werk des Nikephoros bis zum Tod Kaiser Karls V. fort.[298]

Die frühen Pläne für eine Neuauflage belegen den schnellen Ausverkauf von Camerarius' Übersetzung. Belege für eine breite Rezeption finden sich allerdings kaum. Die erste Auflage enthält auf S. 224 ein langes Geleitgedicht eines gewissen Ιακώβος Ερτήλιος (vielleicht Jakob Hertel)[299], in dem dieser es einem Δανιὴλ Καστέλλος ὁ Βενέτικος (Daniel Castelli aus Venedig?) zur Lektüre empfiehlt: Er werde daraus Geschichte und Verfassung der Staaten lernen und sehen, wie Zeit und Schicksal alle menschlichen Werke zerstören. Camerarius wird von Hertel - ein Jahr nach dem Tod Philipp Melanchthons - als dessen von Christus ordinierter Nachfolger in der Leitung der Künste (ἀγαθῶν καλῶν τε Μουσῶν ἄναξ) adressiert.
Auch Reiner Reineck erwähnt Camerarius' Schrift lobend in einem Begleitschreiben zu seinem 1574 gedruckten Werk "Syntagma de familiis" und bezeichnet es als eine seiner wichtigsten Quellen.[300] Zugleich enthält das "Syntagma" einen Brief des Camerarius an Reineck, in dem Camerarius diesem die Publikation des Werkes nachdrücklich empfiehlt, auch wenn er es aus gesundheitlichen Gründen nicht ganz habe lesen können.[301]

Von Jesus und den Aposteln - "Historia Iesu Christi" und "Expositio de apostolis" (1566)

Vorbemerkung

Nach dem Abschluss und der Publikation von Nikephoros' "Chronologia" 1561 konnte Camerarius endlich das Werk in Angriff nehmen, um das es ihm eigentlich ging: Für die Biographien Jesu und der Apostel war Nikephoros' Werk eine unabdingbare Voraussetzung gewesen; diese stellen somit in gewisser Weise die Krönung von zwanzig Jahren historiographisch-chronologischer Arbeit dar. Zugleich zeigt sich bei kaum einem anderen Werk Camerarius' philologische Herangehensweise an theologische Stoffe besser als bei seiner 1566 erstmals gedruckten Beschreibung des Lebens Jesu Christi:[302] Wenngleich die Schrift zwar am Anfang und am Ende Jesu Rolle als wesensgleicher Sohn Gottes und der ewigen Jungfrau Maria[303] betont - und so Camerarius' 'Rechtgläubigkeit' bezeugt -, handelt es sich doch im Grunde um ein historiographisches oder biographisches Werk, das Jesu Leben auf Erden und seine Zeitumstände betrachtet. Im Bereich der Historiographie verortet sie sowohl der Widmungsbrief des Bandes an Joachim Friedrich von Brandenburg als auch eine im Werk selbst enthaltene Vorrede. Ganz besonders kommt in dem Werk Camerarius' Interesse für Chronologie und für die korrekte chronologische An- und Einordnung historischer Ereignisse zum Tragen, das er in der langjährigen Arbeit an der ↑ Nikephoros-Übersetzung ausgebildet hatte.

Entstehung und Zielsetzung der Schrift

Seit jeher, so schreibt Camerarius im Widmungsbrief, habe er sich auch um die Geschichtsschreibung bemüht als ein Teil der bonae artes, der durch seine zahlreichen exempla nicht nur Vergnügen, sondern auch großen Nutzen bringen könne. Reichlich gelesen habe er freilich (zunächst) die paganen Geschichtsschreiber; mit fortschreitendem Alter habe er jedoch erkannt, dass am erfreulichsten und nützlichsten doch die Werke christlicher Autoren seien, dass die theologische Lehre aber wiederum durch die Geschichtsschreibung ihre Ergänzung und Vervollständigung erfahre.[304] Der protestantische Philologe Camerarius postuliert hier also eine Loslösung von der Autorität der Kirche: Nicht das kirchliche Dogma erklärt den Sinn der Heiligen Schrift; dieser erhellt sich vielmehr von selbst, indem die Bibel als Erzeugnis ihrer Zeit aufgefasst und wie andere klassische Texte aus dem Zusammenhang mit den historischen Umständen und mit anderen Texten verstanden wird.[305] Sein Ziel ist es, "die aus der Bibel überlieferten Zeugnisse mit dem ihm zur Verfügung stehenden historischen und literarischen Quellenmaterial [zu] verbinden, um auf diese Weise dem rechten Verständnis des Bibeltextes dienlich zu sein",[306] dessen Lehren alleine zum Heil führen.
Dementsprechend habe Camerarius die Bibel besonders gründlich gelesen, zur Ergänzung aber und zum besseren Verständnis weitere christliche Historiographen hinzugezogen. Im Rahmen dieser Lektüre waren es besonders das Leben Jesu selbst und seiner Apostel sowie die darin enthaltenen Widersprüche, die Camerarius' Interesse weckten.[307] So kam es, dass Camerarius, nachdem er aufgrund politischer und privater Schwierigkeiten (gemeint ist vermutlich der Schmalkaldische Krieg[308]) ein angefangenes Werk über die griechischen Redner aufgeben musste, stattdessen begann, seine Notizen zu Jesus und den Aposteln in eine zeitliche Reihenfolge zu bringen und zu einer fortlaufenden Erzählung auszuarbeiten.[309] Als besonders nützlich zum Verständnis der historischen Hintergründe nennt er namentlich die ↑ "Chronologia" des Nikephoros, deren kommentierte lateinische Übersetzung er 1561 publiziert hatte; die Arbeit an dieser Übersetzung, die Camerarius über viele Jahre hinweg vom Ende des Schmalkaldischen Krieges bis 1561 in Anspruch genommen hatte, war für ihn eine notwendige Vorarbeit für sein eigentliches Ziel: die Biographien Jesu und der Apostel. Diese beiden biographischen Werke wurden 1566 in zwei Auflagen das erste Mal gedruckt; eine dritte Auflage erschien 1581.[310] Der Band, der Joachim Friedrich von Brandenburg gewidmet ist, erzählt zunächst auf fast 100 Seiten die Geschichte vom Leben Jesu; im Anschluss folgen auf weiteren 100 Seiten die Biographien der zwölf Apostel.[311] Es folgen weitere kleinere Werke mit verwandten Inhalten, darunter Gedichte zu den Jüngern Jesu, den Aposteln und den Evangelisten von Gregor von Nazianz, Nikephoros Kallistu Xanthopulos sowie Camerarius selbst und eine Rede des Martin Gasser zu Jesu Tod, die bereits 1563 in erster Auflage gedruckt worden war.[312]

Historiographie und Biographie - Jesus und die Apostel als historische Personen

Im Zentrum beider Werke stehen die historischen Geschehnisse: Die Apostelbiographien betrachten das historische Wirken der Apostel, die Jesus-Biographie beschränkt sich auf Jesu Jugend und Tod. Jesu Wirken als Lehrer und seine Wundertätigkeit spart die Erzählung aus und verweist auf die Evangelien, deren Aufgabenbereich Camerarius klar von dem seines eigenen Werks trennt: Allen, die von der göttlichen Inspiration des Evangeliums überzeugt seien, sei völlig klar, dass die göttliche Offenbarung nicht ohne höhere Absicht, zweideutig, unglaubwürdig oder gar widersprüchlich (temere aut ambigue aut dubie aut dissentaneum in modum expositum) sei, auch wenn sie sich dem menschlichen Verständnis bisweilen entziehe. Jesu Wille sei es gewesen, dass seine Taten nicht in großen Worten rhetorisch geschmückt dargestellt würden, sondern in einfacher, klarer, geradezu einfältiger Sprache (ut speciem illa [sc. simplicitas] prae se ferret stulticiae), weil nur so den Menschen das göttliche Wirken, das sich ihrem Verstand verschließe, nahegebracht werden könne.[313]
Die Bibel sei daher grundsätzlich anders zu lesen als die klassische Geschichtsschreibung; in ihr dürfe man nicht nach rhetorischer Ausgefeiltheit und klarer Darstellung von Handlungsmotiven und zeitlicher Abfolge der Ereignisse suchen (Quocirca aliter haec quam humanae sagacitatis scripta legenda sunt. Non inventionis industria, non dispositionis studium, non probabilis expositionis cura, non copa orationis in his quaerenda. non etiam consiliorum, occasionum, eventuum persecutio[314]). Bei den Evangelien handle es sich um kurze Schilderungen der (göttlichen) Wahrheit (breves expositiones veritatis[315]), nicht um eigentliche Geschichtswerke. Man lese sie nicht auf der Suche nach Wissen und Weisheit, sondern nach der göttlichen Offenbarung. Freilich müsse man das Evangelium genau und kritisch lesen, um Gottes Botschaft zu verstehen; die darin enthaltenen Schilderungen seien aber als gegeben hinzunehmen und nicht zu hinterfragen.[316] Scheinbare Widersprüche innerhalb der Heiligen Schrift wie die bei Jesu Genealogie im Lukas- und Matthäus-Evangelium brauchen den Leser also nicht zu bekümmern, ja er muss sie außer Acht lassen, da sie nur durch die Unzulänglichkeit des menschlichen Verstandes zustande kommen. Wo Widersprüchen durch wissenschaftliche Erklärung nicht beizukommen war, "müßten die Überlieferungen, so wie sie waren, mit frommen [sic] Sinn und in schlichter Einfalt in all ihren Widersprüchen geglaubt werden"[317]. Dementsprechend muss auch der Autor Camerarius sich nicht mit derartigen Widersprüchen befassen. "Camerarius wollte damit zum Ausdruck bringen, daß die Wissenschaft der christlichen Heilsbotschaft gegenüber einen hohen Respekt schuldig sei, indem sie diejenigen Fragen, die über den menschlichen Erkenntnishorizont hinausreichten, nicht aufzugreifen und zum Gegenstand ihrer Arbeit zu machen hätte."[318]
Die unterschiedlichen Aufgaben, die das Evangelium einerseits und Camerarius' Werk andererseits haben, bedingen auch die unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkte: Camerarius' Interesse liegt auf der Klärung von Verwandtschaftsverhältnissen wie der Abstammung Marias und Josefs,[319] den historischen Umständen des Lebens Jesu wie den Herrschaftsverhältnissen im damaligen Palästina[320] und der Chronologie wie etwa Jesu Geburtsjahr.[321] Dabei wägt er widersprüchliche Quellen gegeneinander ab und äußert sich kritisch zu übertriebenen Ausschmückungen der Erzählungen.[322] Die antiken Schriftsteller betrachtet er dabei nicht wie die Scholastik als unfehlbare Autoritäten, "sondern als durchaus fehlbare Autoren, die neben vielen verwertbaren Erkenntnissen auch Ansichten und Vorstellungen vertreten hatten, die einer Übernahme nicht wert erschienen."[323] Daher war es ihm möglich, auch unbekanntere Autoren als Quellen heranzuziehen und "aus dem umfangreichen Reservoir antiken Wissensgutes in weitgehender Ungebundenheit das heraus[zu]schöpfen, was ihm an Aussagen im Rahmen seines eigenen Denkens auch wirklich relevant erschien".[324]
Von dem aber, was in den Evangelien berichtet wird, also von Lehre und Wundertätigkeit Jesu, kurz: von allem, was Heilsbotschaft und Glaubenswahrheit betrifft, will Camerarius nur die wichtigsten Punkte grob herausgreifen (capita tantum exponamus),[325] da diese im Gegensatz zu sachlichen Erklärungen des Textes nicht Gegenstand menschlicher Gelehrsamkeit sein dürfen:[326] Wenn menschliche Beredsamkeit versuche, göttliche Lehre neu zu formulieren, müsse es notwendigerweise zu Kontaminierungen kommen, und je gründlicher der theologische Stoff rhetorisch überarbeitet würde, desto profaner würde er dadurch.[327] Daher wolle Camerarius nicht den Stoff des Evangeliums neu erzählen. Die menschliche Weisheit und Eloquenz müsse sich andere Stoffe suchen und nicht versuchen, ihre irdischen Kompetenzen auf den Himmel auszuweiten (haec ne attingat, neque terrenam facultatem in coelum proferre ausit).[328] Nur wo Erklärungen zum Verständnis nötig seien, wolle Camerarius diese vorsichtig und gewissenhaft (timide et religiose)[329] beisteuern.

Theologie - Christologische Inhalte

Indem Camerarius so Jesu Leben von der humanistisch-philologischen Seite aus betrachtet, vermeidet er Kritik, sei diese in abweichenden theologischen Ansichten seines Publikums begründet oder darin, dass er als Nicht-Theologe fremdes Terrain usurpiere. Das bedeutet aber nicht, dass Camerarius' Jesus-Biographie von theologischen Aussagen frei wäre, im Gegenteil: Bei Äußerungen zu theologischen Details wäre Camerarius das Risiko von Anfeindungen eingegangen; doch es gab eine Reihe allgemeinerer Glaubenssätze, die wegzulassen gewiss noch unzuträglicher gewesen wäre: Eine Biographie, die Jesus nur als Mensch betrachtet, hätte wohl weder die Billigung der altgläubigen noch die der protestantischen Seite gefunden. Gerade im Rahmen der innerprotestantischen Streitigkeiten, die eine Reihe von Fragen wieder aufgriffen, die schon in der Antike kontrovers behandelt worden waren, sah sich Camerarius offenbar gezwungen, seinen 'rechtgläubigen Standpunkt klarzustellen.[330]
Und so betont er gleich zu Beginn, Christus und Gott seien wesensgleich (ὁμοούσιοι); Jesus sei von der Jungfrau Maria geboren, jedoch von Gott vor Anbeginn der Zeit gezeugt worden.[331] Somit ist Christus zeitlos (ἄχρονος) und ohne Anfang (ἄναρχος) in der Zeit, hat jedoch seinen Anfang im Vater (ἀρχὴν, id est, αἰτίαν γενέσεως habens) und ist zugleich ewig (ἀειγενής).[332] Später nutzt Camerarius eine Übersetzung von Epiphanius' Werk gegen die Antidikomariten, um die zwei zentralen Aussagen noch einmal zu formulieren: So positioniert er mit einem Zitat sich deutlich gegen 'Arianismus' und Unitarismus, da es Blasphemie sei, das Wesen Gottes und Jesu voneinander zu trennen (abalienare), und er betont umgekehrt, dass die entgegengesetzte Argumentation, nach der Vater, Sohn und Heiliger Geist ununterscheidbar (idem) seien, ebenso falsch sei und Jesus allzu viel Verehrung zukommen lasse.[333] Beide Formen des Antitrinitarismus seien somit abzulehnen.
Mit seiner Geburt sei Jesus Mensch geworden, aber Gott geblieben, und habe die Sünde auf sich übertragen, um so die Menschen zu befreien und mit Gott zu versöhnen. Damit eröffnet Jesus den Menschen den Weg zum Heil, das nur erreichen kann, wer ihm folgt.[334]
Maria ist die unberührte ewige Jungfrau (intacta et perpetua castitate pura virgo),[335] und, wie Camerarius unmissverständlich betont, sie ist nicht göttlich, sondern ein Mensch: [Maria] habuit ... [Iosephum] assiduum atque diligentissimum socium educationis et curae filii DEI et hominis, id est sui.[336] Ob sie mit oder ohne ihren Körper in das Himmelreich aufgenommen wurde, möchte Camerarius dagegen explizit nicht entscheiden, da keine der beiden Varianten durch die Bibel gestützt werde.[337] Lehren, die Marias Rolle herausheben und ihrem Andenken dienen, seien zu akzeptieren; solche jedoch, die ihr Andenken beleidigen, seien abzulehnen. Keinesfalls jedoch sei Maria als göttlich zu verehren, wie es manche in Vergangenheit und Gegenwart, wenn explizit nicht in Worten, so doch in Taten getan hätten.[338] Die falsche Verehrung (perversa veneratio) Marias durch Bildnisse, Opfer und Votivgaben lehnt Camerarius als Aberglaube (superstitio) ab, der die Kirche schon seit Jahrhunderten heimsuche.[339]
Allgemein kritisiert Camerarius die bildliche Darstellung von Jesus, Maria und ihrem Umfeld:[340] Bilder seien zwar selbst in übertriebener Darstellung unproblematisch, solange die kirchliche Lehre rein sei; sobald diese allerdings kontaminiert sei, beschleunigten prächtige Darstellungen den Niedergang, da sie Fehler in der Lehre überstrahlen.[341] Wie die Einfachheit der biblischen Sprache für Camerarius notwendig ist, um den Menschen die göttliche Wahrheit nahezubringen, die nicht durch übermäßige rhetorische Mittel verfälscht werden darf, so gilt auch für die Bilder, dass die reine Wahrheit zu erhalten und nicht durch menschliche Ausschmückungen zu überdecken ist.[342]

Die Nachwirkung - Camerarius' Werk als Geschichtswerk

Eines der wenigen unmittelbaren Zeugnisse von Reaktionen auf Camerarius' Jesus-Biographie ist der Brief, den sein ehemaliger Schüler Matthias Stojus am 21.02.1566 schrieb: Darin bedankt sich Stojus für das Exemplar der Biographie, das Camerarius ihm offenbar zugeschickt hatte, und bedauert, es noch nicht lesen zu können, da David Voit es ihm sogleich aus der Hand gerissen habe. Allerdings hatte Stojus offenbar immerhin zumindest einen Blick in das Buch werfen können; sein Urteil über das Gesehene fällt positiv aus: Camerarius' Schilderungen stimmten hervorragend mit denen der Bibel überein und würden die Fiktionalität der Erzählungen anderer beweisen.[343]
Ansonsten scheint Camerarius' Jesus-Vita vor allem als historiographisches Werk rezipiert worden zu sein, was angesichts ihrer Rezeption als solches nur natürlich erscheint. Joachim von Beust zitiert Camerarius' Apostel-Viten in seiner 1591 gedruckten "Orthodoxa enarratio" als Quelle zum Leben des Paulus[344] sowie zur Identität des Judas Thaddäus.[345] Auf Camerarius' genealogische Arbeiten stützen sich zwei spätere Werke: Eine 1685 von Johann Georg Kulpis herausgegebene Kompilation von Werken zur deutschen Geschichte enthält neben zahlreichen anderen Werken auch das "Chronicon" des Albert von Stade; zu dem Abschnitt, an dem der Autor Jesu Abstammung behandelt und dies mit einem Stammbaum illustriert, notiert der Herausgeber: Potiorem de hac genealogia sententiam ducimus, quam sequitur Camerarius de vita Christi pag[ina] 41 et seq[uentibus].[346] Ebenso verwendet der katholische Priester und Archäologe Jean-Jacques Bourassé in seinem polemischen Werk über die Jungfrau Maria Camerarius als Autorität gegen die Lutheraner, die keine Aussagen über Marias Abstammung anerkennen, die sich nicht anhand der Bibel belegen lassen: Schon Epiphanius und Augustinus hätten zur Ergänzung der Lehre der Heiligen Schrift auf die Autorität der Kirche verwiesen und auch die Lutheraner könnten nicht so viele Bücher füllen, wenn sie sich nicht in Teilen auf diese stützten. Marias Abstammung sei gut belegt und es gebe keinen Grund, gerade bei diesem Thema nur die Bibel als Quelle akzeptieren zu wollen, wie es Luther einst getan habe. Als eines der Beispiele für protestantische Gelehrte, die in dieser Frage von ihrem Lehrer Luther abweichen, führt Bourassé Joachim Camerarius an.[347] Dabei kehrt er freilich Camerarius' Absicht um, der zwar die Benutzung der antiken Autoren empfahl, diese aber ja gerade nicht als unfehlbare Autoritäten sah.

Zeitgeschichte - Camerarius' Geschichte der Böhmischen Brüder (1605)

Der Kontakt zu den Böhmischen Brüdern

Camerarius' Hinwendung zur jüngeren Vergangenheit in seiner Geschichte der Böhmischen Brüder ist das Resultat langjähriger Kontakte zwischen dieser Organisation und den sächsischen Protestanten. Martin Luthers Verhältnis zu den Brüdern war im Laufe seines Lebens einem starken Wandel unterworfen; nach anfänglicher Skepsis, die noch von Luthers Erziehung als Mönch geprägt war, öffnete er sich ab den 1520er Jahren zunehmend der Bewegung, gerade zu einer Zeit, als sich umgekehrt in Böhmen eine neue Generation immer mehr Wittenberg zuwandte.[348] Auch wenn Luther und die Unität[349] keine engeren Beziehungen aufbauten und Luther seine eigene Lehre als die richtige sah, standen die Böhmischen Brüder für ihn doch der Wahrheit recht nahe. Philipp Melanchthon schätzte die Brüder, wie bereits ein Brief an dieselben von 1535 belegt, und sah in den wesentlichen Inhalten keine bedeutenden Unterschiede zur Lehre der Lutheraner.[350] Im Streben nach Anerkennung hatte sich die Unität in ihrem Bekenntnis von 1535 deutlich an Luther angenähert; dieses Bekenntnis wurde nach weiteren Überarbeitungen im Sinne Luthers 1538 mit einem Vorwort desselben in Wittenberg gedruckt. Darin distanziert sich Luther deutlich von seiner früheren Ablehnung der Unität, die seinem früheren 'Papismus' geschuldet gewesen sei; dass manche Riten und Zeremonien der Brüder von denen der Protestanten abwichen, sei nur eine natürliche Folge der geografischen und kulturellen Verschiedenheit: Nie hätten alle Kirchen in allen Riten übereingestimmt.[351]
Mit Caspar Peucer gab es in Camerarius' Umfeld zudem eine weitere Person, die den Böhmischen Brüdern gegenüber überaus aufgeschlossen war: Anders als bei Luther und Melanchthon waren der Grund für Peucer keine theologischen Argumente, sondern seine Herkunft: Gebürtig stammte Peucer aus Bautzen, seine Muttersprache war das Sorbische;[352] Peucers Dialekt war dem Tschechischen ähnlich genug, dass er eine tschechische Bibelübersetzung als eine Übersetzung in "unsere Sprache" (nostra lingua) bezeichnete.[353] Immer wieder übernahm Peucer daher Übersetzungsarbeiten aus dem Slawischen für Philipp Melanchthon; zugleich fungierte er in Wittenberg als Anlaufstelle für Besucher aus dem slawischen Raum und kümmerte sich besonders um die aus slawischen Gebieten stammenden Studenten in Wittenberg.[354] Somit war es wohl eher das Ergebnis eines gewissen Zugehörigkeitsgefühls denn theologischer Übereinstimmung, dass Peucer "während der ganzen Zeit seines Wittenberger Aufenthaltes als Beschützer der böhmischen Brüder aufgetreten und der ständige Fürsprecher ihrer verschiedenen kirchlichen, theologischen und auch persönlichen Anliegen gewesen ist, und daß ihn während der ganzen Zeit eine enge Freundschaft mit den verschiedenen Führern und geistigen Häuptern der Brüder verband".[355]

Joachim Camerarius selbst war mit den Böhmischen Brüdern spätestens 1540 in Kontakt gekommen: Damals hatte die Unität ihren Bruder Matthias Erythraeus (Červenka) zu Martin Bucer nach Straßburg entsandt.[356] Am dritten Tag des Aufenthalts wurde die Gesandtschaft von Wolfgang Capito zu einem Essen eingeladen, bei dem auch mehrere andere Gelehrte zugegen waren. Unter diesen befanden sich neben Bucer und Capito selbst auch Caspar Hedio, Johannes Sturm, Johannes Calvin und eben Joachim Camerarius.[357] 1556 traf er zudem den Unitätspriester Jan Blahoslav, als dieser von Magdeburg über Leipzig nach Böhmen zurückreiste;[358] ein weiteres Treffen mit diesem auf Camerarius' Rückreise von Wien im Jahr 1568 scheiterte.[359]
Isaiah Caepolla, der ebenfalls den Böhmischen Brüdern angehörte, immatrikulierte sich am 23.06.1563 an der Universität Wittenberg,[360] wo Camerarius' Schwiegersohn Esrom Rüdinger lehrte. Vermutlich lernte er während seines Studiums auch Camerarius kennen, mit dem er in der Folge brieflichen Kontakt hielt. Es ist einer dieser - in gedruckter Form erhaltenen - Briefe, in dem Camerarius seine Sympathie mit den Böhmischen Brüdern ausdrückt und bedauert, diese in ihrer schwierigen Lage nicht unterstützen zu können.[361] Außerdem erfahren wir dort, dass Caepolla Camerarius Gesangbücher als Geschenk schickte und Camerarius selbst auch tatsächlich Lieder daraus sang.[362] Als Caepolla im August 1571 erneut nach Deutschland reiste, nutzte Blahoslav die Gelegenheit, um Briefe an Camerarius, Rüdinger und Caspar Peucer überbringen zu lassen;[363] in dem Schreiben an Camerarius rekurriert er ebenfalls auf dessen positive Einstellung seiner Kirche gegenüber, von der er unter anderem über Johannes Crato gehört habe.[364]

Eine Reihe an Zitaten verdeutlicht Camerarius' positive Einstellung gegenüber der Unität, die für ihn offenbar eine ursprüngliche, reinere Urkirche darstellte: Esrom Rüdinger sagte dem Camerarius' Enkel Ludwig später, dessen Großvater habe sich immer gewünscht, vor seinem Tod einmal in Tschechien die christliche Gemeinschaft der Böhmischen Brüdern zu genießen und die Reinheit ihrer Lehre in der Praxis sehen zu können.[365] Im Stammbuch des Wenzel Placelius schrieb Camerarius nach dem Zeugnis des Johann Lasicius sogar, wenn es irgendwo auf der Welt die wahre Kirche Jesu gebe, dann bei den Böhmischen Brüdern.[366] Und in seiner Geschichte der Böhmischen Brüder schreibt Camerarius selbst, wer bereit sei, genau hinzusehen und die Wahrheit zu bekennen, der werde nicht leugnen können, dass bei den Böhmischen Brüdern die Kirche Christi nicht nur in Wahrheit und in der Sache selbst, sondern auch in der äußeren Form offensichtlich erhalten sei und geleitet und geführt werde; daher werde jeder Kritiker der Böhmischen Brüder kaum dem Verdacht des Neides und der Verleumdung entgehen können (Sane qui attendere animum voluerint faterique verum, ii negare non poterunt, quin apud eos Christi Ecclesia non solum in veritate et re ipsa, sed manifesta etiam specie, retenta administrataque et gesta sit; ut eos reprehendentes, vix effugere invidiae et obtrectationum suspicionem posse videantur). Zudem lobt er die Unität für ihre christlichen Tugenden und moralische Integrität, da all die Laster, die die Protestanten unter sich entzweiten, bei jener nicht aufträten.[367]
Dabei beruft sich Camerarius auf das positive Urteil Martin Luthers: So verweist er die Gegner der Unität auf das Bekenntnis, das kürzlich (in Rüdingers Übersetzung, s. den folgenden Abschnitt) neu aufgelegt und seinerzeit bereits von Luther abgesegnet worden sei. Wer nach Luthers Vorwort noch immer an der Orthodoxie der Brüder zweifle, hinterfrage allzu viel; wer sie aber gar anklage, der sei ein schlechter Mensch. Zwar habe Luther den Glauben der Brüder zunächst abgelehnt, weil er (als Mönch) die Wahrheit nicht gekannt habe, habe sich aber 1532 bei einem Treffen überzeugen lassen.[368] Was Luther seinerzeit gegen die Religion der Brüder gesagt oder geschrieben habe, habe er später in anderen Reden und Schriften wieder korrigiert. In der Folge sei Luther der größte Bewunderer und Fürsprecher der Brüder gewesen.[369] An anderer Stelle referiert Camerarius eine Aussage Luthers, die das Vorbild für seinen erwähnten Stammbucheintrag bei Wenzel Placelius gewesen sein mag.[370]

Joachim Camerarius, Esrom Rüdinger und die lateinische confessio der Böhmischen Brüder

Das Bekenntnis der Böhmischen Brüder wurde wiederholt überarbeitet, sodass die lateinische Version, die 1538 durch Luthers Vermittlung gedruckt worden war, bald veraltet war.[371] Außerdem erfreute sie sich wegen des allzu unreinen Stils ohnehin nur geringer Beliebtheit, wie Isaiah Caepolla selbst berichtet.[372] Eine reine lateinische Übersetzung der Konfession benötigten die Brüder zudem auch, um deren Übereinstimmung mit der "Confessio Augustana" aufzeigen und so an der durch diese zugestandenen Religionsfreiheit teilhaben zu können.[373] Peter Herbert, der die aktuelle deutsche Version des Bekenntnisses von 1564 besorgt hatte,[374] war allerdings aufgrund anderer Beschäftigungen nicht bereit, auch die lateinische Neuübersetzung zu übernehmen. Senior Blahoslav plädierte daher für eine Übersetzung durch den Bruder Johannes Aeneas, der damals unter Esrom Rüdinger in Wittenberg studierte. Dieser bat Rüdinger um eine Musterübersetzung einiger Abschnitte (wohl auf Basis des deutschen Textes[375]), deren Stil er dann imitieren konnte. Rüdinger lieferte diese; seine Version fand großen Gefallen bei Blahoslav, wie Isaiah Caepolla berichtet: Esromiana cum vidisset Blahoslaus, admodum delectatus est versione illa, ut diceret, se nunquam vidisse tam propriam, quae minus discederet a textu Bohemico, et tamen Latinissima esset.[376] Aeneas wurde bald nach Böhmen zurückberufen und fiel daher für die weitere Arbeit aus. Rüdinger ließ gegenüber Caepolla immer wieder verstehen, er würde gerne die vollständige Version aus dem Deutschen ins Lateinische übernehmen, wenn er nur die Zeit dazu hätte. Beide einigten sich, jeweils einige Abschnitte zu übersetzen, das Vorhaben scheiterte jedoch zunächst an Rüdingers anderen Beschäftigungen.[377]
Blahoslav ließ aber nicht nach und trug Caepolla auf, weiter mit Rüdinger zu verhandeln. Am 05.08.1571 traf Caepolla diesen und sprach erneut mit ihm über das Vorhaben. Rüdinger hatte anscheinend seinerseits bereits Camerarius auf das Thema angesprochen und diesen gebeten, die Übersetzung zu übernehmen. Camerarius habe sich jedoch angesichts seines Alters und seiner schlechten Gesundheit (→ Medizin) selbst nicht zu einer Übersetzung in der Lage gesehen und überdies angemerkt, sein lateinischer Schreibstil sei nicht mit dem des Bekenntnisses kompatibel.[378] Am 14. August besuchte Caepolla dann Camerarius in Leipzig und überbrachte Grüße von Blahoslav. Auch im persönlichen Gespräch lehnte Camerarius die Übersetzung ab, versprach aber, jemanden zu finden, der sie übernehmen könne. Caepolla bat ihn daraufhin, Rüdinger zur Übersetzung zu bewegen.[379] Dieser übernahm die Aufgabe denn auch tatsächlich, als Caepolla von Leipzig nach Wittenberg zurückkehrte, und zeigte sich dabei zu dessen großer Freude äußerst engagiert.[380] Am 1. Oktober reiste Caepolla ein zweites Mal nach Leipzig und besuchte erneut Camerarius; wieder besprach man die Angelegenheiten der Unität. Über Dresden, wo gerade der "Consensus Dresdensis" beschlossen wurde,[381] kehrte er anschließend nach Böhmen zurück, wo er dem sterbenskranken Blahoslav erste Kapitel von Rüdingers Übersetzung präsentieren konnte. Außerdem überbrachte Caepolla neben Briefen von Peucer und Rüdinger ein Antwortschreiben des Camerarius auf Blahoslavs Brief, in dem Camerarius erneut seine Sympathie für die Unität sowie sein Bedauern bekundet, dieser nicht helfen zu können.[382]

Am 10.05.1572 brach Caepolla erneut nach Wittenberg auf, wo er am 23. desselben Monats ankam, um für Fertigstellung und nach Möglichkeit auch Druck von Esrom Rüdingers lateinischer Version des Bekenntnisses zu sorgen. Deren Abschluss gestaltete sich jedoch wegen Rüdingers anderer Verpflichtungen mühsam.[383] Zugleich bemühte sich Caepolla um die Unterstützung der Wittenberger Theologen in Form eines öffentlichen Testimoniums. Diese allerdings hatten Bedenken, da man sie am Hof bereits des Calvinismus verdächtige und ihnen klar gemacht habe, dass sie nichts ohne Zustimmung des Hofes publizieren sollten; zudem befürchtete man, dass, wenn man der Unität Unterstützung gewähren würde, andere Gruppen ebenfalls darum ersuchen würden: Innerhalb von zwei Jahren seien schon 14 Bekenntnisse in Wittenberg vorgelegt worden; die Universität habe alle mit der Begründung abgelehnt, dass die "Confessio Augustana" als einziges genüge.[384]
Auch Rüdinger selbst äußerte zuweilen inhaltliche Bedenken am Bekenntnis und änderte neben seiner Übersetzertätigkeit den Text teilweise auch inhaltlich ab, etwa wenn es um den Ritus der erneuten Taufe ging, den die Unität eine Weile praktiziert hatte.[385] Am 11. August verließ Caepolla Wittenberg und reiste nach Böhmen zurück;[386] gegen Ende des Jahres machte er sich jedoch erneut auf den Weg ins Reich und kam am 01.01.1573 wieder in Leipzig und kurz darauf in Wittenberg an.[387] Dabei überbrachte er diverse Briefe an die Wittenberger Theologen, an Esrom Rüdinger und an Caspar Peucer, in denen die Brüder nun unter anderem ganz offiziell die Druckerlaubnis für das Bekenntnis sowie ein Testimonium der theologischen Fakultät zugunsten der Brüder erbaten.[388] Vor der Weiterreise nach Wittenberg suchte Caepolla den Rat des Camerarius (s.u.); dieser sah jedoch - zurecht, wie sich zeigte - keine Möglichkeit, von den Wittenbergern eine öffentliche Stellungnahme zu erhalten, und lehnte auch selbst eine solche ab, da er fachlich nicht zuständig sei: Er würde nur die Wut ihrer Gegner auf sich selbst wie auch auf die Unität lenken.[389] Schließlich wurde das Bekenntnis schließlich den Wittenberger Theologen zur Prüfung übergeben; der Theologe Georg Maior präsentierte daraufhin einen alten Brief Luthers - dessen Echtheit Caepollas Bericht explizit in Frage stellt -, in dem Luther auf Distanz zu den Böhmischen Brüdern und namentlich ihrer Abendmahlslehre ging.[390] Aus privaten Gesprächen entnahm Caepolla zudem, dass die Theologen sich allgemein zurückhaltend zeigten, nicht etwa - entgegen seiner Befürchtung - aufgrund Maiors Protest, sondern aus Angst, die Druckerlaubnis zu verlieren, wenn sie etwas zum Druck zuließen, was dem Hof nicht gefiele.[391] So antwortete Caspar Cruciger d.J., der für Fragen der Zensur zuständig war,[392] denn auch am 30. Januar, er habe zwar persönlich nichts gegen den Druck, eine öffentliche Stellungnahme zugunsten der Unität sei jedoch nicht möglich, da man Wittenbergs Feinden keine Angriffsfläche bieten wolle. Die Entscheidung über die Druckerlaubnis aber stehe der Universität nicht frei, er empfehle stattdessen eine Drucklegung in der Umgebung (etwa in Bautzen) auf Kosten und Risiko der Buchhändler.[393] Auf Caepollas schriftlichen Protest hin[394] entschied man sich dann aber dennoch für den Druck in Wittenberg. Auf das öffentliche Testimonium verzichtete Caepolla, um die Wittenberger Theologen nicht zu gefährden;[395] diese verfassten jedoch selbst privat einen Brief an die Böhmischen Brüder, in dem sie den Druck und die Akzeptanz der Unität bis in rituelle Einzelheiten bestätigten.[396]
Dann ging alles recht schnell: Vom Beginn des Drucks zeugt ein Brief Esrom Rüdingers an Andreas Stephanus vom 06.02.1573;[397] am 1. März berichtet Rüdinger in einem Brief an Caepolla nach Abschluss des Drucks von seiner Unzufriedenheit mit dem Ergebnis: Er habe nicht durchsetzen können, dass ihm dieselbe Seite zweimal zur Korrektur vorgelegt werde, und so sei der Druck noch immer voller Fehler.[398] Zudem habe sich der Drucker geweigert, Bibelverse als Marginalien zu drucken (nur Buch und Kapitel wurden angegeben). Auf Anraten Caspar Peucers habe man zudem wieder Luthers Vorwort von 1538 abgedruckt. Außerdem enthält der Druck ein historisches Vorwort, das wohl Rüdinger und Caepolla gemeinschaftlich zuzuschreiben ist.[399] Zudem rate er, bald die deutsche Version des Bekenntnisses drucken zu lassen; diese hatte ja die Basis der lateinischen Übersetzung gebildet, war aber nun noch einmal so überarbeitet worden, dass sie dem von Rüdinger übersetzten und inhaltlich angepassten lateinischen Text wieder entsprach.[400] Diesem Rat folgten die Brüder bis Ende April.[401]

Die Genese der "Historica Narratio"

Parallel zu den Arbeiten an der lateinischen confessio verfasste Camerarius ein Geschichtswerk über die Böhmischen Brüder. Die Arbeit daran war nicht vor 1568 abgeschlossen, wie eine enthaltene Erwähnung von Flacius' "Confessio Valdensium" zeigt, vermutlich begann Camerarius allerdings erst deutlich später, definitiv aber vor dem Spätsommer 1572.[402] Über die Entstehungsumstände ist wenig explizit bekannt, einiges lässt sich aber aus den Berichten des Isaiah Caepolla und seiner Korrespondenz mit Joachim Camerarius erschließen. Der Pole Johannes Lasicius (Jan Łasicki), der mit den Brüdern in seiner Heimat Polen, aber auch in Böhmen selbst in Kontakt gekommen war,[403] hatte bis 1568 von sich aus eine Geschichte der böhmischen Brüder mit dem Titel "De origine et institutis fratrum Christianorum, qui sunt in Prussia, Polonia, Boemia et Moravia commentarius" verfasst.[404] Das Manuskript hatte er zunächst an Théodore de Bèze zur Begutachtung geschickt, der es mit zwei Jahren Verzögerung am 01.03.1570 mit Verbesserungsvorschlägen an Lasicius zurückschickte und diesen insbesondere anwies, eine Antwort auf Matthias Flacius' "Confessio Valdensium" einzufügen und Anfeindungen so zuvorzukommen; wenn Lasicius das täte, wolle de Bèze gerne für den Druck des Werkes sorgen. Lasicius ließ seine Schrift zusammen mit Bezas Gutachten wenig später dem Unitätsbruder Jan Lorenc zukommen und bot an, sie drucken zu lassen.[405]
Vermutlich über Lorenc,[406] vielleicht auch später in einer überarbeiteten Version[407] gelangte das Manuskript in die Hände Jan Blahoslavs; dieser hatte einige Bemerkungen notiert und gab die Schrift Isaiah Caepolla mit, als dieser im August 1571 nach Wittenberg reiste, mit dem Auftrag, er möge dort mit Lasicius konferieren.[408] In einem Brief an Lasicius, den ebenfalls Caepolla überbrachte, fordert Blahoslav Lasicius auf, sein Unternehmen weiterzuführen und so die große Lücke zu schließen, die der Mangel an prounitärer Geschichtsschreibung darstelle; außerdem ließ er durch Caepolla weitere Quellen und historische Notizen überbringen[409] und wies diesen an, Lasicius bei der Arbeit zu unterstützen.[410] Zunächst traf Caepolla Lasicius in Wittenberg jedoch nicht an; erst am 28. August kehrte dieser aus Polen zurück, sprach kurz mit Caepolla und versprach ihm dann, nach seiner Rückkehr aus Frankreich nach Mähren zu kommen und dort gemeinsam an seinem Werk arbeiten zu wollen.[411] So hatte Caepolla noch vor Lasicius' Ankunft aus Polen ausreichend Gelegenheit, sich mit Esrom Rüdinger und Caspar Peucer über Lasicius' Werk austauschen zu können. Beide fanden jedoch keinen Gefallen an der Schrift: Für Rüdinger war der Stil für das ernste Thema nicht angemessen; man habe das Gefühl, Lasicius könne nicht schreiben (Apparere inde, non multum esse versatum hominem in scribendo).[412] Auch Peucer, der sich die Mühe machte, das Werk auf einer Schulvisitation komplett zu lesen, lobte im Anschluss Lasicius' Vorhaben, bemängelte jedoch den Stil (placere sibi dicebat studium ipsius [sc. Lasicii], sed historicum stylum se desiderare in opere contexto).[413]

Rüdinger hatte jedoch an den historischen Notizen Gefallen gefunden, die Caepolla eigentlich zur Unterstützung des Lasicius mitgebracht hatte. Wenn ein Historiograph diese in die Hände bekäme, so meinte er, könne er damit leicht ein historisches Werk verfassen (Longe praeferebat [sc. Rüdingerus] breves istas Blahoslai notas seu annales nostros; si quispiam historicus eas haberet, haud difficile chronicon scribere posset). Er selbst würde dies gerne übernehmen, wenn er die Zeit dafür hätte.[414] Dieses Gespräch zwischen Rüdinger und Caepolla im August 1571 liefert somit einen sicheren Terminus ante quem für Camerarius' eigene Bemühungen um eine Geschichte der böhmischen Brüder: Gewiss hätte Rüdinger gewusst, wenn sein Schwiegervater bereits an einem solchen Geschichtswerk arbeitete, und hätte es im Gespräch erwähnt und Caepolla aufgefordert, seine Quellensammlung Camerarius zukommen zu lassen; Caepolla hatte ebenfalls keinen Grund, eine solche Äußerung Rüdingers in seinem Bericht zu verschweigen, da er Camerarius' eigenes Werk kurz darauf selbst unterstützte und offen in seinem Bericht erwähnt.
Vielmehr nahm Camerarius' Interesse für die Geschichte der Böhmischen Brüder vermutlich tatsächlich hier im August 1571 seinen Anfang: Bei Caepollas Besuch am 14.08.1571, bei dem er Camerarius auch den erwähnten Brief des Blahoslav überbrachte (s.o.) und mit Camerarius über die Pläne zur Übersetzung des Bekenntnisses sprach (s.o.), zeigte sich dieser hochinteressiert an den Angelegenheiten der Unität, ihrer Geschichte und ihren Riten. Auf Caepollas genauere Erklärung einiger Rituale bekannte Camerarius, dass er diese nicht als Neuerungen der Brüder, sondern als Wiedereinführung von Riten sah, die schon in der frühen Kirche zelebriert worden seien (dicebat ... nihil novi a nostris fieri, sed eundem ritum fuisse in veteri ecclesia, id quod videre est ex scriptis patrum).[415] Auch bei Caepollas zweitem Besuch im Oktober tauschten sich beide wieder über die Brüder aus.[416]
In seiner (undatierten) Antwort auf Blahoslavs Schreiben, die Caepolla im Oktober 1571 mit nach Tschechien nahm, bedauert Camerarius erneut, den Brüdern nicht recht helfen zu können, da er zu alt und zu krank sei und seine Autorität in Glaubenssachen zu wenig Gewicht habe.[417] Auch hier also noch keine Erwähnung des Vorhabens, ein Geschichtswerk zu verfassen, geschweige denn ein Versprechen, dies zu tun;[418] doch das Interesse an der Geschichte der Unität war im Sommer 1571 offensichtlich bereits geweckt. Über Rüdinger und Peucer hörte Camerarius zudem vermutlich von dem Versuch des Lasicius und erhielt eine erste Einschätzung von dessen Qualität; auch mit Lasicius selbst sprach er nach dessen Zeugnis im Sommer 1571 über die Geschichte der Brüderschaft.[419] Vermutlich war dies für Camerarius letztlich der Anlass, sein Interesse am Thema zu verschriftlichen.

Auch der Inhalt des Geschichtswerks selbst legt die Vermutung nahe, dass Camerarius in der zweiten Hälfte des Jahres 1571 oder Anfang 1572 von der Planung zum aktiven Schreiben übergegangen war: Die "Historica Narratio" ist zweigeteilt; nach einer zunächst recht oberflächlichen Darstellung der Geschichte der Böhmischen Brüder kehrt die Erzählung nach einem zweiten Proöm an den Anfang zurück und beginnt detaillierter von Neuem.[420] Jaroslav Goll erklärt dieses Phänomen dadurch, dass Camerarius von Caepolla neues Quellenmaterial erhalten und daraufhin noch einmal neu angesetzt habe;[421] diese Erklärung ist plausibel und deckt sich zudem mit dem, was wir von Caepolla hören: Demnach wäre der erste Teil des Werks irgendwann nach Caepollas Abreise im Winter 1571/72 entstanden. Bei seinem nächstem Aufenthalt in Wittenberg zwischen dem 23.05. und dem 11.08.1572 nutzte Caepolla dann die Zeit, die Rüdinger mit der Übersetzung des Bekenntnisses verbrachte, um selbst einige historische Notizen aus dem Tschechischen ins Lateinische zu übertragen;[422] im Rahmen zweier weiterer Besuche in diesem Zeitraum übergab er diese Übersetzungen in Leipzig an Camerarius.[423] Dieser begann nach Erhalt des neuen umfangreichen Quellenmaterials von vorne, was die zweigeteilte Struktur der "Historica Narratio" erklärt.[424]
Bei seiner erneuten Reise nach Sachsen an Neujahr 1573 überbrachte Caepolla ein Schreiben des Andreas Stephanus, in dem dieser bei Camerarius - wie auch schon bei den Wittenbergern - um ein Testimonium zugunsten der Brüder anfragt und ihn bittet, soweit es Gesundheit und Beschäftigungen zulassen, sein Geschichtswerk fortzusetzen.[425] Wie die Wittenberger lehnte Camerarius ein öffentliches Testimonium ab (s.o.), machte jedoch anderweitig Hoffnung: Er habe sich bereits in seiner Übersetzung der Flaminio-Briefe positiv über die Brüder geäußert[426] und er hoffe, ein noch umfangreicheres und bedeutenderes Werk zu hinterlassen - eine klare Anspielung auf das im Entstehen begriffene Geschichtswerk.[427] An diesem arbeitete Camerarius nun im Laufe des folgenden Jahres, er wartete aber offenbar noch auf weitere Unterstützung von Seiten der Unität. Am 13.05.1574 jedoch musste Esrom Rüdinger Caepolla mitteilen, es sei nun zu spät, da Camerarius kürzlich verstorben sei; er selbst befinde sich daher in tiefer Trauer, und es komme noch hinzu, dass einige Leute ihm - im Zuge der Kryptocalvinistenverfolgungen in Wittenberg - mit dem Exil drohten.[428] In der Tat folgte Rüdinger bald darauf dem Ruf der Böhmischen Brüder nach Eibenschütz (Ivančice), um dort das Internat des Gymnasiums zu leiten. Er kehrte von dort erst 1588 nach Altdorf bei Nürnberg zurück.[429]

Die Bewertung des Geschichtswerks

So starb Camerarius, ohne der "Historica Narratio" den letzten Schliff gegeben zu haben; im Rahmen einer finalen Überarbeitung wäre vermutlich auch die doppelte Erzählung zu einer einzigen vereint worden. Camerarius' Enkel Ludwig fand das handschriftliche Werk nach eigener Aussage im Jahr 1600 oder 1601 im Nachlass seines Vaters Joachim Camerarius d.J. und beschloss auf die Bitten von Freunden hin, es zu drucken. Diese empfahlen auch, die mittlerweile kaum noch verfügbare lateinische "Confessio" in den Druckverbund einzugliedern. Dies wollte er jedoch nicht ohne die Erlaubnis der Unität tun, um deren Sache es immerhin gehe.[430] Das Werk kam letztlich - ohne die "Confessio", aber in Verbund mit diversen weiteren Schriften zu den Böhmischen Brüdern - 1605 in den Druck.[431] Auch von Ausgaben aus den Jahren 1615 und 1625 ist berichtet worden, diese sind allerdings nicht mehr greifbar.[432]
Jaroslav Goll bezeichnet insbesondere die zweite, detailliertere Hälfte als "die erste wissenschaftliche Darstellung der älteren Brüdergeschichte (...). Sie wurde im 16. und 17. Jahrhunderte von keiner späteren Arbeit übertroffen und ist auch für uns, die wir auf ihre Quellen zurückgreifen können, nicht ohne Wert".[433] Auch Alfred Eckert sieht die "Historica Narratio" als "wertvolle Quelle zur Erforschung der Geschichte der Brüdergemeinde".[434] Zugleich sei das Werk von antiken Vorbildern - in Bezug auf "unnötige" Exkurse - und der typischen Apologetik der unitären Geschichtsschreibung geprägt.[435] In der Tat äußert sich Camerarius zu Beginn des Werks geradezu programmatisch zu dem Ziel der "Historica narratio": Zu viele Lügen und Unwahrheiten seien im Laufe der Zeit über die Böhmischen Brüder verbreitet worden und beeinflussten die Urteilsbildung der Menschen. Er wolle nun die wahre Geschichte der Unität verkünden und so dem Leser ein angemessenes Urteil darüber erlauben, ob man sich bei den Brüdern von der wahren Lehre entfernt habe oder ob sie im Gegenteil diese aus gleichsam babylonischer Verwirrung wiederhergestellt hätten.[436] Die apologetische Note verstärken die Textbeigaben, die gezielt ausgewählt wurden, um die Verbindung zwischen Hussiten und Böhmischen Brüdern zu belegen und die zu Waldensern und Albigensern zu widerlegen.[437] Indem er die Böhmischen Brüder nicht von den Taboriten unterscheide, begehe Camerarius laut Goll allerdings einen ähnlichen Fehler, wie er Flacius in dessen Vermischung von Waldensern und Unität vorgeworfen habe.[438] Die Blahoslav zugeschriebene "Summa"[439] habe Camerarius vollständig übernommen, wenn auch teilweise sprachlich überarbeitet, und anschließend inhaltlich erweitert.[440]

Johann Lasicius, den die Brüder ursprünglich hatten unterstützen wollen, überarbeitete nach Erhalt des zusätzlichen Materials 1571 seine angefangene Geschichte der Böhmischen Brüder gründlich und erweiterte sie über eine Dekade lang zu acht Büchern.[441] An diesen arbeitete er zunächst bis 1585 und stützte sich dabei auch - in handschriftlicher Form - auf das Werk des Camerarius.[442] Dann schickte er seine Schrift erneut zur Begutachtung an die Brüder, "deren Reaktion allerdings auch diesmal ausweichend war. 1592 beschloss die Unität, nicht länger auf die Nachfragen von Lasitius zu reagieren"[443]. Lasicius unternahm daraufhin eine weitere Überarbeitung mit neuen Materialien, die der polnische Senior der Brüder Simeon Theophil Turnowski ihm zur Verfügung stellte. Mit seinem Schreiben vom 12.01.1599 widmete er es Karl von Žerotín in der Hoffnung, dass dieser das Werk zum Druck bringen würde. Dazu kam es jedoch zu Lasicius' Lebzeiten nicht mehr;[444] "Karl der Ältere von Žerotín brachte der Historia offenkundig kein größeres Interesse entgegen"[445]. Auch Jaroslav Golls Urteil über Lasicius' Werk fällt hart aus: "Weitschweifigkeit, ja Schwatzhaftigkeit könnte man [Lasicius] zum Vorwurf machen. Je weiter die Arbeit fortschreitet, desto wertloser wird sie"[446]. Das Manuskript verschwand in Archiven, ohne allerdings vollständig vergessen zu werden,[447] bis es an Johann Amos Comenius kam, der 1649 das achte Buch mitsamt Auszügen aus den anderen Büchern und Inhaltsverzeichnissen zu diesen drucken ließ.[448] Vermutlich dachte er es als eine Art Sittenspiegel, um den Böhmischen Brüdern seiner Zeit, ein Jahr nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs, vorzuhalten, wie weit man sich bereits von den Idealen der Frühzeit entfernt hatte, vergleicht Lasicius die Unität seiner Zeit doch noch mit den urchristlichen Gemeinden des Epheserbriefs.[449] Das ursprüngliche Manuskript verbrannte vermutlich 1656 in Lissa, wohin Comenius es mitgenommen hatte.[450] Einige Abschriften von Teilen des Werks haben sich erhalten, außerdem Exzerpte des Comenius.[451] Lasicius' erstes, kürzeres Werk blieb in Auszügen zumindest bis 1925 in verschiedenen Archiven erhalten.[452]

(Alexander Hubert)

Systematische Theologie und theologische Positionen des Camerarius

Das lange Leben des Camerarius weist in theologischer Hinsicht naturgemäß einige Brüche auf. Die Hinwendung zur Reformation lässt sich durch einige biographische Erlebnisse belegen: Die Erfurter Sodalitas oder den Umzug nach Wittenberg 1521. Später erfolgende Positionsverschiebungen lassen sich aufspüren, indem man Camerarius' Äußerungen zu bestimmten theologischen Fragen an verschiedenen Zeitpunkten vergleicht -, sofern er sieoffen kommuniziert. Vorsicht ist dagegen geboten bei Aussagen Dritter, die ihn (oft polemisch) bestimmten theologischen Lagern zuordnen, so wie Jakob Andreae ihn etwa als Haupt der Leipziger Calvinisten bezeichnet.[453] Seine Freundschaft zu Melanchthon legt es nahe, ihn einen Philippisten zu nennen;[454] jedoch ist dieser Begriff mangels klarer Definition[455] weder eindeutig noch aussagekräftig. Beide entwickelten und vertraten gemeinsam die Lehre von den "Adiaphora": Bei diesen handelte es sich überwiegend um Zeremonien und Äußerlichkeiten, die als nicht heilsnotwendig erachtet wurden und bei denen Zugeständnisse möglich waren, wie dem Tragen des Chorrocks.[456] Was die beiden Freunde[457] grundsätzlich verbindet, ist ihre irenische Haltung: So lobt Johannes Sturm Camerarius in einem Hodoeporicon[458]: De religione ita disserit et quidem de magnis controversiis: ut in nullum ordinem sit acerbus, in nullum horum iniquus, et tamen gravis vitiorum reprehensor: et falsae doctrinae acer castigator et superstitionis emendator vehemens.[459] Camerarius macht kein Hehl daraus, dass er kein Theologe ist (siehe ↑ Abschnitt zur Kirchengeschichtsschreibung). Seine Überzeugungen gewinnt er aus der Heiligen Schrift, vor allem aus den Paulus-Briefen, und aus der Lektüre der Kirchenschriftsteller. Das Übergewicht der verwendeten griechischen Autoren gegenüber den lateinischen ist dabei auffällig: Die "Kappadokischen Väter" und Johannes Chrysostomos rezipiert er sehr häufig. Gegenüber westlichen Kirchenvätern wie Aurelius Augustinus und Hieronymus (Kirchenvater), die allenfalls gelegentlich herangezogen werden, werden selbst byzantinische Autoren wie Theophylactus wesentlich häufiger genannt. Ob hier das gewohnte Misstrauen gegenüber Rom zum Ausdruck kommt oder ob Camerarius eine Notwendigkeit sieht, Inhalte der griechischen Texte der Öffentlichkeit besser zugänglich zu machen, ist noch ungeklärt.[460] Selbst auf pagane Philosophen wie Platon greift er zurück, wenn sie seinen Zielen dienen.[461] Seine umfangreiche Rezeption der Antike charakterisiert ihn als Humanisten, der ad fontes ging, an den theologischen Debatten seiner Zeit nur sehr zurückhaltend teilnahm und manche Entwicklungen sogar gänzlich ignorierte.[462]

Bekenntnisse im Gutachten

Abgesehen den katechetischen Werken enthält ein auf den 15. Februar 1559 datiertes Gutachten die deutlichsten Aussagen über die theologische Ausrichtung des Camerarius. Im Auftrag von Kurfürst August nimmt er darin Stellung zum Weimarer Konfutationsbuch 1559, an dessen Aufbau (Einteilung in neun Kapitel) er sich orientiert. Eine Edition des Schriftstücks ist im Rahmen dieses Projekts erfolgt: Camerarius, Bedencken den Wimmarischen buchs halbenn, 1559. Camerarius bekennt sich unter anderem zur Gewissensfreiheit und zur Trinität (1. Abschnitt) und nimmt Stellung zur Abendmahlsfrage (5. Abschnitt, Bl. 29r/v): "Es seie bey dem nachtmal deß Herrn, oder Sacrament des leibs vnd bluets Iesu Christi, Er der Herr selbst, des das nachtmal ist, gegenwertig, vnd werde aldo entpfangen, in austeilung des brots der leib Christi, vnd austeilung des Kelchs das blut Christi, warhafftig, vnd nitt erdichter weiße, dieweil geschrieben stehet ausdrucklich, Das ist mein leibe, das ist mein bluethe (...) Das im nachtmal des Herrn entfangen werde, nitt gemeine brothe vnd wein, sunder ein solche broth vnd wein, Welchs ist die gemeinschafft des leibs vnd bluets Christi, nitt fleischlicher, sinnlicher entpfindlicher weysse, oder das brott vnd wein verschwinde, sunder wie der Herr weisse vnd wille, der diesser geistlichen speisse niessung verordnet, vnd die geschaffet hathe".[463] Camerarius äußert sich zur Rechtfertigungslehre (6. Abschnitt)[464] und verteidigt adiaphoristische Positionen (9. Abschnitt), die er - so seine Worte - seit 1545 zusammen mit Georg III. (Anhalt-Plötzkau) und Philipp Melanchthon vertreten habe.[465] Anklänge der vier protestantischen Prinzipien sola scriptura, sola gratia, sola fide, solus Christus finden sich ebenso. Camerarius führt die theologische Autorität eines Georg von Anhalt (9. Abschnitt) und eines Melanchthon ins Feld, dessen Schriften sogar Martin Luther gelobt habe (6. Abschnitt)[466].

Deutlich verworfen werden u.a. die Lehren Servets und Schwenckfelds (1. Abschnitt), der Antinomismus, die Lehre der Wiedertäufer (4. Abschnitt) sowie weitere Lehrmeinungen. Die Lehren von Osiander und Stancari teilt C. zwar nicht, verwirft sie aber auch nicht. Hierbei verweist er auf das Gutachten Philipp Melanchthons aus Nürnberg von 1555, das er selbst auch unterschrieben hat und worin Osianders Lehre klar verworfen wird.[467] Auffällig ist, dass Camerarius im Jahr 1559 den osiandrischen Positionen neutraler gegenübersteht als noch 1555. Er nimmt aber Stellung gegen das Papsttum (9. Abschnitt). Starke Kritik übt er an Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus Gallus (jeweils 9. Abschnitt).[468] Zum Majorismus vermeidet er eine klare Stellungnahme (8. Abschnitt).

Da es sich um eine innerprotestantische Kontroverse handelt, bleiben im Gutachten theologische Fragen ausgespart, die Konfliktfelder zwischen Protestanten berühren. So kann zwar in manchen Punkten C.' Übereinstimmung mit Melanchthon und Georg von Anhalt festgestellt werden: Aber Fragen etwas der Kirchenorganisation, in denen Georg sich zu Lebzeiten im Sinne eines Episkopalismus positioniert hatte, werden nicht angerissen.[469] C.' Haltung dazu kann somit nicht durch diesen Text geklärt werden.[470]

Ansonsten finden sich theologische Positionierungen vereinzelt in Werken und Briefen, z.B. in den "Capita pietatis", der "Catechesis", "De invocatione sanctorum" und der "Theodoret-Einleitung".[471] Sein konsensorientiertes Denken zeigt sich immer wieder in einzelnen Briefen, so in einem Brief an Crato vom 11.4.1567, in dem er seine Rolle im Streit um Victorinus Strigel kritisch reflektiert.[472] Auch eine Universitätsrede von 1544 und die posthum herausgegebene Schrift De dissidio in religione offenbaren seine Standpunkte.[473] Scheinbar konträr zu Camerarius' vielgerühmter Irenik steht die Aussage in einem Brief an Karlowitz aus dem Sommer 1546, lieber zu sterben als die (evangelische) Wahrheit zu verraten. Einige Gutachten verfasste er gemeinsam mit anderen Theologen.[474] Hier ist es schwieriger, Camerarius' eigene Position zu erkennen. Zur Problematik der Kanonisierung christlicher Schriften zeigt sich in der "Historia Iesu Christi" starke, aber reflektierte Affinität zu einzelnen Kirchenschriftstellern: Nur Schriften über Jesus seien als Grundlage für kirchliche Lehrmeinung geeignet und man müsse spätere Quellen stets auf die Übereinstimmung mit Jesus Christus prüfen.[475] In dieser Haltung verdeutlicht sich die bereits in Schriften der 1540er Jahre ausgesprochene Ablehnung des Papsttums ebenso wie die (im Gutachten ausgesparte) Verwerfung der Heiligenverehrung: Verehrung dürfe nur der Trinitität erwiesen werden, aber nicht den Heiligen und auch nicht der Jungfrau Maria. So argumentiert C. bereits 1545 in "De invocatione sanctorum", lobt aber die Apostel andernorts als Vorbilder.[476]

(Vinzenz Gottlieb)

Trinitätslehre

An verschiedenen Stellen äußert Camerarius sich zur Trinität, so auch in einer zu didaktischen Zwecken verfassten Predigt zum Trinitatissonntag.[477] Zahlreiche Aussagen macht er auch in der "Historia Iesu Christi", darunter zur gottmenschlichen Natur Jesu: Vgl. ↓ Christologie.
Camerarius gibt im Gutachten an Kurfürst August zu, sich nicht mit den Schriften des (Antitrinitariers) Miguel Servet beschäftigt zu haben. Er bekennt sich aber eindeutig zur Trinität, nämlich einem göttlichen Wesen bzw. einer göttlichen Natur in drei Eigenschaften oder Personen, nämlich dem Vater als Schöpfer des Himmels und der Erde, dem eingeborenen Sohn, der Mensch geworden ist, und dem Heiligen Geist: "Es seie ein Einigs, Ewigs, Vnzerteiltes Gottlichs wesen, oder Götliche Natur, in drey vnterschiedenen eigenschafften oder personen, deß Vatters schopfers himels vnd erden, Deß Eingebornen suns, welcher mensch ist worden, Vnd hat Gottes Zorn versunet, Vnnd deß Hailigen geists, der Christlichen Kirchen tröster vnd beystand".[478]

Die in der griechischen Katechesis (1552) dargelegte Trinitätslehre fand auch den Beifall von Philipp Melanchthon.[479] Camerarius bekennt sich darin zum Apostolischen und zum Nicäno-Konstantinopolitanischen Credo sowie zum Athanasischen Glaubensbekenntnis. Bei letzterem bezweifelt er allerdings die Identität des Verfassers.[480] Diese Zweifel, historisch und sprachgeschichtlich durchaus fundiert, genügten schon, um ihn, so Camerarius in der "Notatio figurarum" (1572) an den Leser, einer Untergrabung der kanonischen Autorität des "Quicumque" zu bezichtigen.[481] An anderen Stellen sind solche Vorwürfe gegen ihn bisher nicht belegt. Mit dieser kritischen Stellungnahme hatte er sich auf gefährliches Terrain begeben, denn die damals umstrittenen Bewegungen der Antitrinitarier und der Tritheisten lehnten das Athanasische Credo ab. Seine Zweifel an der Autorschaft hätten ihnen dabei weitere Argumente liefern können. Unter den Lutheranern seiner Zeit stand Camerarius in Deutschland mit dieser Meinung wohl allein: Auch sein Leipziger Kollege Alexander Alesius sah es als erwiesen an, dass Athanasius der Urheber dieses Glaubensbekenntnisses war.[482] Auch Andreas Hyperius, Jakob Schegk und Jakob Andreae stritten vehement für das Athanasianische Glaubensbekenntnis und gegen antitrinitarische Positionen.[483] In England allerdings äußerte John Jewel einige Jahre später ähnliche Zweifel.[484] An ihn knüpft auch Gerhard Johann Voss[485] in einer weitaus tiefgründigeren Untersuchung an, ohne jedoch Camerarius zu erwähnen. Auf der anderen Seite, so berichtet Gilbert Génébrard 1569,[486] hatte Valentino Gentile Zweifel am "Quicumque" gesät mit der Behauptung, Athanasius habe das "Symbolum Niceni" verfälscht.[487] Gentile wurde 1566 wegen seiner tritheistischen Anschauungen in Bern hingerichtet. Ist hier Camerarius zwischen die Fronten eines handfesten theologischen Streits geraten? Nach bisheriger Kenntnis ist Camerarius der erste, der die Autorschaft aus philologischen Gründen anzweifelt, ohne aber den Inhalt zu beanstanden. Wegen der starken Kritik, so schreibt er selbst, entfernte bzw. entschärfte er aber den entsprechenden Abschnitt in der lateinischen Version von 1563.[488] Die heutige Forschung steht aber auf derselben Seite wie Camerarius: Das "Quicumque" gilt als jünger und die Entstehung im Westen hält man für erwiesen.[489]

Es war nicht zu ermitteln, wann und von welcher Seite die Vorwürfe gegen den Philologen entstanden: Möglicherweise war es erst die 2. Auflage (1562), die Camerarius den Vorwurf mangelnder Rechtgläubigkeit einbrachte: Darin ist der besagte Abschnitt noch enthalten, jedoch der Hinweis darauf getilgt, dass Athanasius den Text an Liberius geschickt habe. Dadurch könnten die Zweifel an der Autorschaft noch größer erscheinen. Die Publikation des zweiten Auflage fiel in die Zeit, als der Streit zwischen Trinitarismus und Tritheismus besonders heftig tobte. Daher kann sie den Konflikt zusätzlich angeheizt haben. Um sich gegen jeden Vorwurf der Irrlehre zu verteidigen, betonte Camerarius im Jahr 1572 seinen rechten Glauben: Nullam scio ego spem salutis concipi firmam posse, extra Catholicam et Orthodoxam Christi Iesu Ecclesiam. In qua sola est vera Dei aeterni veneratio, et cognitio veritatis, et consensus in hac est sancti Spiritus Magistri ducis ad omnem veritatem, maximum et summum beneficium atque donum.[490] Camerarius verschweigt dabei freilich ein Problem, das ihn umgetrieben haben dürfte: Im Athanasianum wird die processio des Heiligen Geistes aus Vater und Sohn festgehalten, also die "Filioque"-Formel befürwortet.[491] Camerarius äußert sich zwar nicht gesondert in dieser Hinsicht, seine unten beschriebene Ablehnung des "Filioque" würde allerdings auch inhaltliche Bedenken rechtfertigen.

Für Camerarius war die Dreieinigkeit aus Vater, Sohn und Heiligem Geist verehrungswürdig. Dies kommt auch in einem Hymnus an die Dreifaltigkeit zum Ausdruck.[492] Zu ihrer Beschreibung greift er auf verschiedene gebräuchliche griechische und lateinische Termini zurück. Zu den Begriffen οὐσία und ὑπόστασις und deren Übersetzung durch essentia sowie substantia hat Camerarius im Rahmen der die Theodoret-Ausgabe eine kurze Abhandlung verfasst.[493] Der Traktat lehnt sich eng an den dahinter (in Camerarius' Übersetzung) abgedruckten Brief des Basilius über den Unterschied der Begriffe Essenz und Substanz an. Dies entspricht auch der Botschaft des Gutachtens (siehe oben).

Anders wählt er die Begriffe in der "Katechesis" und gibt οὐσία mit substantia und ὑπόστασις mit persona wieder.[494] Gott sei eins, ungeteilt in Natur und Essenz, aber in einer Dreiheit der Hypostasen oder Personen, die gewisse Unterschiede haben.[495]

Eine Erklärung zu diesen (und anderen) Begriffen gibt Camerarius in griechischer Sprache als Anhang zur "Disputatio de Precibus".[496]

Auch zu Gott Vater äußert sich Camerarius gelegentlich. So sieht er ihn als principium aller Dinge, selbst ohne Anfang, nicht geboren, Erschaffer des Himmels und der Erde und Schöpfer aller Dinge, die erschaffen wurden.[497] In Gebeten erscheint er als mächtiger Herrscher und Schöpfer, aber auch als gütig und mitfühlend,[498] oft in Bezug auf den Sohn als "Vater unseres Herrn Jesus Christus".[499]

Abweichend von fast allen Angehörigen der westlichen Kirchen stellt Camerarius fest, dass der Heilige Geist allein aus dem Vater hervorgehe; das "Filioque" fehlt bei ihm.[500] Diese Position entspricht dem Glaubensbekenntnis der östlichen Kirchen. Es wäre zwar bei der griechischen "Katechesis" denkbar, dass Camerarius das "Filioque" im Sinne der Ökumene für die griechischsprachigen Christen, die ja auch eine Zielgruppe der Schrift waren, weggelassen hat; allerdings enthält auch die lateinische Ausgabe kein "Filioque".[501] Sinngemäß sagt Camerarius, dass der Heilige Geist aus dem Vater hervorgeht, aber die Hypostasis/persona vom Vater und vom Sohn bzw. nur vom Sohn hat.[502] Eine kritische Auseinandersetzung mit dem "Filioque" findet man auch noch bei Erasmus von Rotterdam in der Erklärung zu den Glaubensbekenntnissen[503] sowie in den Anmerkungen zum 1. Korintherbrief.[504] Er unterscheidet eine "missio temporaria" und eine "aeterna processio". Camerarius schlägt eine ähnliche Richtung ein. Er zitiert allerdings nicht Erasmus, sondern griechische Schriftsteller wie Theophylactus.[505]

(Vinzenz Gottlieb)

Christologie

Camerarius orientiert sich in der Christologie an den Inhalten des Apostolischen und des Nicäno-Konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnisses. An einigen Stellen der "Catechesis" gibt er sie mit anderen Worten wieder: Der Sohn wurde vor der Zeit von Gott geboren, nicht geschaffen oder gemacht. Er ist Mittler zwischen Gott und den Menschen, ist Mensch geworden,[506] nahm Fleisch an ohne Sünde aus der Gottesgebärerin Maria, hat gelitten und für die Menschen den Tod auf sich genommen, ist auferstanden und wurde in den Himmel aufgenommen und wird wiederkommen, um Lebende und Tote zu richten. Er ist der Retter und Erlöser.[507]

Camerarius bekennt, dass Gottes Sohn "das ewig personlich Wort" sei, und die Heilige Schrift "sey das wort so Gott geredet".[508] Somit bestehe also ein Unterschied zwischen dem ewigen Wort und dem geoffenbarten Wort, ein Teil des Wortes bleibe den Menschen verborgen. [509]

Aussagen zur gottmenschlichen Natur Jesu tätigt Camerarius auch in der "Historia Iesu Christi".[510] Christus und Gott seien wesensgleich (ὁμοούσιος); Jesus sei von der Jungfrau Maria geboren, jedoch von Gott vor Anbeginn der Zeit gezeugt worden.[511] Somit ist Christus zeitlos (ἄχρονος) und ohne Anfang (ἄναρχος) in der Zeit, hat jedoch seinen Anfang im Vater (ἀρχὴν, id est, αἰτίαν γενέσεως habens) und ist zugleich ewig (ἀειγενής).[512]

Die Mutter Jesu, Maria, bezeichnet Camerarius als Gottesgebärerin und Jungfrau, θεότοκος πάρθενος bzw. Deipara virgo;[513] dagegen wird Jesus in den "Capita pietatis" (V. 93) als θειότοκος bezeichnet, also als gottgeboren. Das soll zeigen, dass Maria selbst nicht verehrt werden soll, und verdeutlicht eine Diskrepanz zu altkirchlichen Positionen.[514] Camerarius verweist auf Epiphanios von Salamis und dessen Schrift gegen die Antidikomarianiten, ohne aber dessen Position vollständig zu übernehmen.[515] Die Jungfräulichkeit Mariens wird aber nicht in Frage gestellt: Sie sei keusch und rein auf ewig.[516]

Auch in seinem Geschichtswerk zum Konzil von Nizäa thematisiert er alte Streitigkeiten um christologische Inhalte. Die arianische Lehre von der Wesensähnlichkeit (zwischen Vater und Sohn) wird verworfen und die Wesensgleichheit betont, vor dem Hintergrund antiker Konzilien.[517]

Eng verbunden ist die Christologie mit der Lehre von der Rechtfertigung: Camerarius glaubt, lutherischer Lehre entsprechend, dass durch das Verdienst Christi die Menschen erlöst werden, entsprechend dem "Solus Christus"-Prinzip.[518] Weitere Aussagen zu Christus in heilsgeschichtlicher Hinsicht finden sich auch in zahlreichen Hymnen:[519] So wird Christus als Sieger über den Tod und als Erlöser (salvator) dargestellt.[520]

Das Menschsein Jesu betont Camerarius derart, dass er ihn, unter Berufung auf Nikephoros, äußerlich beschreibt: Größe ca. 1,60 m, Haar leicht blond mit Ansätzen zur Lockenbildung, dunkle Augenbrauen. Augen hell mit einem Stich ins Gelbe. Gerade Nase. Barthaare nicht sehr dicht und blond, langes Haupthaar, da nie geschoren. Den Hals etwas zurückgebeugt, so dass seine Statur nicht ganz aufrecht war. Hautfarbe dunkelgelb, das Gesicht nicht ganz rund, die Miene würdevoll und mild.[521] Vgl. auch ↑ Abschnitt zur Christologie in der "Historia Iesu Christi".

(Vinzenz Gottlieb)

Soteriologie und Rechtfertigungslehre

Zur Frage der Erlösung und der Rechtfertigung der Christen gegenüber Gott, einem Kernbereich reformatorischer Theologie, äußert sich Camerarius häufig: Niemand gefalle Gott durch seine sterblichen Werke.[522] Im Sinne von Luthers sola fide-Prinzip stellt Camerarius in seinen katechetischen Schriften fest, dass Menschen durch den Glauben gerechtfertigt werden: Diximus fide nos iustificari.[523] und Sola fide nos iustificari. Non enim certe desolatam et desertam, in qua nihil honesti et boni sit fidem commendamus, sed constituimus veritatis aeternae salutare dogma: Quod sola fide et nullo alio habitu, nulla facultate, nullo conatu accipiatur donum Dei, iusticia in remissione peccatorum propter Christum Iesum.[524] Hiermit schließt er explizit alle anderen Wege zum Heil aus. Auch ist er der Auffassung, es hätte auf dem Regensburger Religionsgespräch (1541) eine Übereinstimmung bei der Rechtfertigung durch Glauben und bei den guten Werken gegeben – jedenfalls äußert er 1543 die Hoffnung, dass die lutherische Position sich durchsetzen könne.[525]
Camerarius bezeichnet auch gegenüber Kurfürst August (Sachsen) "allein den verdienst Iesu Christi" als Weg zur Seligkeit und Gerechtigkeit und bekennt sich so zum solus Christus-Prinzip.[526] Man findet bei Camerarius aber immer wieder Hinweise darauf, dass er gute Werke nicht völlig ablehnt: Menschen könnten sich das Himmelreich durch gute Werke nicht verdienen, erhielten aber dort eine Belohnung für dieselben.[527] In Bezug auf die Lehre Georg Majors übt sich C. in Zurückhaltung, da er den Sachverhalt zu wenig kenne und man Major persönlich hören müsse; er verteidigt ihn aber vor dem Vorwurf, er setze Christi Verdienst und menschliche Werke gleich.

Aufrufe zu guten Werken finden sich auch in der "Querela Luteri", wo Camerarius der Traumgestalt Martin Luthers die Aussage in den Mund legt, dass gute Werke besser als schlechte seien.[528] Der hier verzweifelt wirkende Reformator hinterfragt den Sinn aller seiner Schriften mit Ausnahme von "De servo arbitrio".[529] Somit verdeutlicht Camerarius seine Übereinstimmung mit Luther im Bereich der Willensfreiheit. Die literarische Inanspruchnahme des Wittenbergers blieb allerdings nicht unwidersprochen: Camerarius provozierte eine Fülle an Gegenschriften.[530] Ansätze einer Verteidigung der Werkgerechtigkeit glaubt Friedrich Stählin auch in der "Historia Iesu Christi" zu finden.[531] Hier ist aber zu hinterfragen, ob Stählins Interpretation des Wortes salus als Seelenheil wirklich zutrifft. Besser scheint mir eine Übersetzung als irdisches Glück. Die Voranstellung von plane verdeutlicht, dass man die Formulierung nicht wörtlich nehmen darf. Jedenfalls reichen die Argumente nicht aus, um Camerarius einen "Verstoß gegen die Rechtfertigungslehre" zu unterstellen. Deutlicher wird Camerarius in der "Catechesis", aber auch hier ohne Bruch mit Luthers Position: Man dürfe sich nicht dem Müßiggang hingeben und die durch Christus geschaffene Freiheit missbrauchen.[532] Hier spricht auch der Praktiker, der ein geregeltes irdisches Zusammenleben im Sinn hat und befürchtet, eine völlige Absage an gute Werke könne in die Anarchie führen. Damit bewegt sich Camerarius in die Richtung der seinerzeit heftig angegriffenen Position Georg Majors.[533] Ähnliche Gedanken und Bedenken finden sich auch bei dem reformkatholischen Herzog Georg von Sachsen, der "evangelische Freiheit und Rechtfertigung allein aus dem Glauben" als "Einladung zu Sittenlosigkeit und Laxheit, ja als Verführung zum Ausbruch aus der kirchlichen Ordnung" betrachtete.[534] Camerarius weist anhand zahlreicher neutestamentlicher Stellen nach, dass gläubige Christen sich aus freien Stücken für ein tugendhaftes Leben und gute Werke entscheiden.[535]

Ein Abschnitt der „Katechesis“ widmet sich der Frage, ob gute Werke belohnt werden. Dies bejaht Camerarius: Menschen könnten das Gesetz nicht aus eigener Kraft erfüllen, weil ihre Versuche limitiert und damit fehlerbehaftet seien. Aber durch den Glauben an den Sohn würden sie Freunde Gottes, dem ihre Werke gefallen und der sie belohne.[536] Allerdings fügt er auch Beispiele antiker Dichter an, wonach nicht immer gute Werke belohnt und schlechte bestraft werden. Zudem gebe Gott manchmal auch denen aus Gnade, die es nicht verdienten.[537] Auch in der Lehrdichtung „Capita pietatis“ verkündet Camerarius, dass niemand Gott durch gute Werke gefalle, er aber die unterstütze, die ihm folgen wollen, und ihnen Glauben schenke.[538] Wenig später verheißt er himmlischen Lohn für gute und Höllenstrafen für böse Menschen. Er geht aber nicht darauf ein, wie diese Kategorisierung zustande kommt und ob sie sich auf die Werke der Menschen stützt.[539]

Die Rechtfertigung ist in der "Katechesis" ein wichtiges Thema.[540] Camerarius bezeichnet sie dort durch das Verb δικαιωθῆναι bzw. iustificari, also durch Passiv-Formen, die unterstreichen, dass die Gläubigen nicht selbst daran mitwirken. Er betont dabei, dass die Menschen allein durch Glauben und aufgrund der Gnade Gottes gerettet werden. Dabei argumentiert er nahe am Text des Neuen Testaments, vor allem mittels der Paulusbriefe. Zentrale Stellen sind Röm 3,23f. und 28[541] sowie Eph 2,8[542]. Hier wird deutlich, wie wichtig Glaube und Gnade für die Erlösung sind. In der griechischen Version der "Katechesis" sind die Zitate oft wörtlich aus dem griechischen Bibeltext entnommen. Zur "sola gratia"-Formel greift Camerarius auch auf Theophylactus zurück.[543]

Nicht unwichtig für die Rechtfertigung ist auch die Frage nach der Willensfreiheit, die für Camerarius nur eingeschränkt gegeben ist und aus Gottes Gnade entsprieße. Dazu bekennt er im Gutachten: "der mensch seie in aignen naturlichen krefften verderbt verblentet vnd vnärtig zw aller gerechtigkeit so vor Gott gilt, Do aber das heil vnd licht in die welt kumbt, vnnd wirdet Reuhe buesse, vnd vergebung der sunden vmb Christi Iesu Verdienst wegen, gepredigt, Vnd ist in diessen predigten der heylig Geist thetig, do wirdett den menschen, irem verstand vnd willen, durch Gottes genade gewalt gegeben, dem licht zuuolgen, welche aus irer sundlichen art sunst in der finsternuß bleiben muesten, Vnd doch niemant zw der seligkeit wider seinen willen getrieben noch gedrungen".[544] Durch den Heiligen Geist und durch Christi Verdienst hätten also die Menschen die Möglichkeit, sich für oder gegen die Seligkeit zu entscheiden. Etwas anders dargestellt wird dies in der „Katechesis“: Der erste Mensch habe einen freien Willen gehabt, doch seit dem Sündenfall entferne er sich immer weiter von Gott.[545] Hier argumentiert Camerarius stark philosophisch und zitiert auch vorchristliche Schriftsteller wie Platon, Pindar und Sokrates. Ferner setzt er sich in einer Disputation und einem Kommentar mit Aristoteles' Nikomachischer Ethik auseinander,[546] und auch in den "Norica" steht die Frage im Mittelpunkt, in welchem Maß der Mensch einen freien Willen besitzt und wie stark er determiniert wird.

(Vinzenz Gottlieb)

Sakramentenlehre und Abendmahl

Sein Verständnis von Sakramenten (μυστήρια, sacramenta) legt Camerarius umfangreich in der Katechesis dar.[547] In erster Linie gehören für ihn nur Abendmahl und Taufe dazu. Man könne aber auch die Schlüsselgewalt in Hinblick auf Handauflegung und Absolution der Sünden ein Sakrament nennen.[548] Deren Durchführung sei allen Gläubigen zugesprochen, nicht nur einer Institution.[549] Sogar an zweiter Stelle der Sakramente erscheint die Schlüsselgewalt in den "Capita pietatis",[550] ebenso in der vermutlich von Camerarius verfassten Schrift "De dissidio in religione" unter der Bezeichnung clavium sacramentum.[551] Als Sakrament wird sie auch in der Apologie der Confessio Augustana bezeichnet.[552] Anders ist dies in den Schmalkaldischen Artikeln: Dort werden die Begriffe Schlüsselgewalt und Absolution gleichgesetzt, allerdings ohne den Charakter eines Sakraments zu erhalten.[553] Der für sie von Camerarius benutzte griechische Begriff κλειδουχία ist sehr selten: Belegt ist er noch bei den byzantinischen Schriftstellern Euthymius Zigabenus[554] und Nikolaus Muzalon, während das Adjektiv κλειδοῦχος in antiken und mittelalterlichen griechischen Texten häufiger auftritt.[555]

Bezüglich Taufe ist Camerarius der Auffassung, dass sie nur einmal erfolgen kann. Er lehnt daher die Wiedertaufe ab.[556] Ausführlicher äußert er sich in der "Catechesis":[557] Taufe von Kindern sei zulässig. Es sei göttlicher Auftrag, die Völker zu taufen im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Die Taufe, bezeichnet als baptisma oder λουτρόν, lavacrum, sei ein Zeichen (sigillum) für den Glauben und Gottes Gnade. Sie sei Grundlage für die kirchliche Gemeinschaft, außerhalb derer niemand gerettet werden könne.[558]

Im Gutachten von 1559 (Abschnitt 5) beruft sich Camerarius bezüglich des Abendmahls auf Melanchthon, Epiphanios von Salamis, Johannes Chrysostomos, Theodoret, Johannes von Damaskus und Theophylactus. Mit den Schriften der genannten Autoren hat er sich intensiv befasst. Da es sich hier, abgesehen vom Erstgenannten, sämtlich um griechische Schriftsteller handelt und man nicht davon ausgehen kann, dass der Adressat des Gutachtens, Kurfürst August, ihre Werke gelesen hatte, dürfte es sich um "Namedropping" handeln. Camerarius nutzt dies, um seiner Position Autorität zu verleihen. Weiter bekennt er: "Es seie bey dem nachtmal deß Herrn, oder Sacrament des leibs vnd bluets Iesu Christi, Er der Herr selbst, des das nachtmal ist, gegenwertig, vnd werde aldo entpfangen, in austeilung des brots der leib Christi, vnd austeilung des Kelchs das blut Christi, warhafftig, vnd nitt erdichter weiße, dieweil geschrieben stehet ausdrucklich, Das ist mein leibe, das ist mein bluethe", und man empfange beim Abendmahl "nitt gemeine brothe vnd wein, sunder ein solche broth vnd wein, Welchs ist die gemeinschafft des leibs vnd bluets Christi, nitt fleischlicher, sinnlicher entpfindlicher weysse, oder das brott vnd wein verschwinde, sunder wie der Herr weisse vnd wille, der diesser geistlichen speisse niessung verordnet, vnd die geschaffet hathe". Das Betonen der Abendmahlsgemeinschaft ist ein Bekenntnis gegen die Transsubstantiationslehre der katholischen Kirche. Die hier anklingende Wichtigkeit des Laienkelchs hat Camerarius auch in einem früheren Text verdeutlicht: In der Ekloge "Querela sive Agelaeus εἰς ποτηριοκλέπτην" wird der Diebstahl eines Bechers mit der Ablehnung des Laienkelchs durch die römische Kirche verglichen.[559] Auch in den "Synodica" (1543) äußert er sich ähnlich: Sakramente müssten ernst genommen werden, und man müsse sich bei ihnen an Gottes Wort halten, das eindeutig sei. Entsprechend befürwortet er den Laienkelch und lehnt Privatmessen ab.[560]

Bezüglich des Abendmahls verschweigt bzw. verleugnet Camerarius die im reformatorischen Lager vorliegenden Lehrunterschiede: Die Aussagen im Evangelium und in den Paulusbriefen seien eindeutig und es könne keinen Streit darüber geben:[561] Es sei notwendig, das Abendmahl in beiderlei Gestalt zu empfangen. Brot und Wein betrachtet C. als wahren Leib und wahres Blut Christi. Gleichzeitig bezeichnet er ihren Empfang auch als Zeichen (σύμβολον καὶ σημεῖον φανερόν),[562] womit sich auch Züge calvinischer Theologie offenbaren.[563] Hierbei beruft er sich auf den Apostel Paulus. Auf die communicatio beim Abendmahl kommt er auch bei der Behandlung der apostolischen Schriften zu sprechen, besonders bei der Kommentierung der Stelle Apostelgeschichte 2,42. Er betont dort die Bedeutung der Gemeinschaft beim Brechen des Brotes.[564] Auch einen falschen Gebrauch des Abendmahls bemängelt Camerarius: So würde Gregor von Nazianz es sogar schlimmer als die von ihm kritisierte Entweihung der Altäre durch Arianer finden, wenn Christen den Leib Christi täglich hinunterschlingen.[565] Die Bezeichnung "panis mysticus" für das Abendmahl, die an obiger Stelle begegnet, nutzt Camerarius sonst nur selten, u.a. in einem griechisch-lateinischen Glossar: Manibus insuper θλῶμεν, et κλῶμέν τι, id est frangimus. Et panis mysticus est corpus Christi, τὸ ὑπὲρ ἡμῶν κλώμενον. Et θλάσις, θλάσμα: κλᾶσις, κλάσμα, fragmen.[566]

Bezüglich der "Manducatio indignorum" sagt Camerarius, dass auch Unwürdige das Abendmahl empfangen können, allerdings würden sie dadurch selbst das göttliche Gericht auf sich ziehen.[567] Über einen weiteren Streitpunkt verschiedener reformatorischer Gruppierungen, die "Manducatio impiorum", also die Frage, ob auch Nichtgläubige Leib und Blut Christi im Abendmahl zu sich nehmen, erfahren wir nichts.

Nicht unwidersprochen blieb Camerarius' passivische Wiedergabe von Apostelgeschichte 3,21 (ὃν δεῖ οὐρανὸν μὲν δέξασθαι): Er paraphrasiert die Stelle durch ἀναληφθεὶς εἰς οὐρανόν bzw. assumptus in coelum.[568] Nikolaus Selnecker brachte dies in seiner Schrift "Commonefactio" (1571), Bl A6r/v mit sakramentierischen Positionen in Verbindung, nach denen Christus sich nur im Himmel aufhalte und dort im Sinne einer "corporalis locatio" festgehalten.[569] Nach dieser Annahme könne Christus aber leiblich nicht im Abendmahl präsent sein, schließt Selnecker. Den Namen des Camerarius erwähnt er nicht, doch die griechischen und lateinischen Zitate lassen sich eindeutig der "Katechesis" zuordnen. Selnecker deutet dabei das griechische δέξασθαι rein passivisch im Sinne von Christum coelo capi. Gegen diese Auslegung argumentiert Camerarius‘ Schwiegersohn Esrom Rüdinger in einer Disputationsschrift (1571) philologisch.[570] Diese strittige Formulierung, die Selnecker bemängelt hatte, verwendet Camerarius aber gar nicht. Der späte Melanchthon (ab 1557) hatte allerdings die Himmelfahrt Christi wörtlich verstanden und geschlussfolgert, dass die menschliche Natur Christi nur im Himmel sein könne. Allgegenwärtig und damit auch auf Erden anwesend sei demnach nur die göttliche Natur.[571] Bemerkenswert ist, dass die von Selnecker kritisch zitierte Camerarius-Schrift in griechischer Sprache bereits 1552 erschienen war und somit vor den Werken anderer Autoren, die an dieser Stelle ebenfalls das Passiv verwendeten: Théodore de Bèze, Melanchthon und der Wittenberger Katechismus.[572] Möglicherweise bezog sich Camerarius auf Selneckers Kritik, als er 1572 die entsprechende Stelle wortreich kommentierte und seine Formulierung verteidigte. Er greift dabei auf Argumente des Theophylactus zurück.[573]

(Vinzenz Gottlieb)

Ekklesiologie

Für Camerarius zeigt sich die Kirche als Gemeinschaft all derer, die im Glauben an Christus übereinstimmen. Ohne diese Gemeinschaft könne niemand erlöst werden.[574] Grundlage dafür sei die Taufe. Die Gläubigen seien die Glieder der Kirche, das Haupt aber sei Christus,[575] nicht der Papst. Dieser sei nur ein Aufseher und ein durch Einvernehmen der Bischöfe gewählter Vorsitzender.[576] Sein Amt sei das eines Fischers, nicht eines Kriegsherrn. Das wird begründet mit dem Beispiel des Simon Petrus, dem Christus verbot, das Schwert zu ziehen, obwohl er es nicht zum eigenen Vorteil einsetzte.[577]

Deutlich erklärt C. seine ekklesiologische Auffassung auch im Brief an den zur katholischen Kirche zurückgekehrten Veit Amerbach:[578] Es gebe nur eine christliche Gemeinschaft, in die er hineingeboren sei und in der er sich immer noch befinde.[579] C. vertritt die Ansicht, dass die Reformatoren keine „Neugläubigen“ sind, sondern vielmehr die alte Kirche wiederherstellen. Der Brief liest sich auch als Abrechnung mit den Missständen in der römischen Kirche: Kirchliche Hierarchien, Messopfer, Heiligenkult und Verbot des Laienkelchs werden verurteilt. Große Bedeutung misst Camerarius hier der Wahrheit (des Evangeliums) bei; 24 Jahre später wird er ihre Bedeutung gegenüber der Liebe zurückstellen.[580] Die römische Kirche, so lässt Camerarius wiederholt durchblicken, sei auf einen falschen Weg geraten, was "entweder auf Irrtum oder bewußter Täuschung oder auf beidem beruhe".[581] Entgegen aller Aussagen, es gebe nur eine Kirche, stehen die Beteuerungen in den „Synodica“, wo zwischen der Lehre des Evangeliums und der der „Papisten“ unterschieden wird. Hier klingt der Vorwurf des Schismas an. Den Vorrang des Papstes unter Berufung auf den Apostel Petrus verwirft Camerarius in der "Expositio de Apostolis".[582] Im Gutachten an Kf. August wird er noch deutlicher und spricht gar von der "gottlosen läre deß Babstumbs".[583] Ein Verbot der Ehe für Priester und andere Personen lehnt Camerarius ab.[584]

In seiner Konzilienschrift, die auch der Vorbereitung des Tridentinums diente (vgl. ↑ Nicäa und Trient), misst Camerarius den Konzilien eine hohe Bedeutung bei. Auch die Betonung der Rolle der römischen Kaiser dürfte seine Hoffnungen auf Kaiser Karl V. (HRR) widerspiegeln: So lobt er das Engagement Konstantins des Großen[585] und zitiert (in Übersetzung) aus dessen Brief an die Konzilsväter. Nach Aussage Konstantins entspreche ein Beschluss von 300 Bischöfen dem Willen Gottes.[586] Darin kann man ein Bekenntnis zum Konziliarismus sehen.

Die Reformation betrachtet Camerarius als notwendig, auch wenn er die Kirchenspaltung bedauert. Verantwortlich dafür sei aber nicht Luther, sondern die vorreformatorische Kirche.[587] Generell wird das Papsttum häufiger kritisiert, bis hin zum Vorwurf, die weltliche Macht gestohlen zu haben.[588] Deutlich wird Camerarius auch in Bezug auf kirchliche Führungspositionen: Wer der Kirche Gottes vorstehen, aber nicht das Amt ausüben wolle, nämlich die Wahrheit zu lehren, verursache ein Schisma.[589] Ein weiteres Beispiel scharfzüngiger Kritik an falschem Amtsverständnis bringt Camerarius in einem Epitaph auf Papst Julius II., der als Kriegstreiber und Wendehals charakterisiert wird, wofür er sehr lange vor dem Himmelstor warten müsse – sicher eine Anspielung auf den „Iulius exclusus“ des Erasmus von Rotterdam. Die antirömischen Polemiken häufen sich im Vorfeld des Konzils von Trient: Dahinter kann der Versuch stehen, alle Deutschen (vor allem Fürsten und Bischöfe) gegen den Papst zu vereinen. Auch Kaiser Karl V. (HRR) ist ein Hoffnungsträger, zumindest bis zum Schmalkaldischen Krieg. Nach Kriegsausbruch gibt es kaum mehr polemische Auseinandersetzungen mit der Papstkirche bei Camerarius: Aus politischen Gründen (Interim) war es zunächst nicht opportun. Camerarius fand sich mit Melanchthon und Georg von Anhalt in einer Position wieder, wo zwischen politischen Sachzwängen (Forderung des Kaisers nach Umsetzung des Interims) und dem Gewissen (d.h. dem Bekenntnis zur „evangelischen Wahrheit“) laviert werden musste. Nach dem Fürstenaufstand, der mit dem Passauer Vertrag und dem folgenden Augsburger Religionsfrieden erstmals Religionsfreiheit für Protestanten ermöglichte, waren die Gräben klar genug abgesteckt. Somit war für Camerarius (und Melanchthon) kein Anlass mehr gegeben, gegen die katholische Seite polemisch zu werden, zumal der neue Kurfürst August (Sachsen) an der Beibehaltung des Friedens und einem guten Verhältnis zu den Habsburgern interessiert war. Die folgenden Auseinandersetzungen innerhalb des reformatorischen Lagers, resultierend aus den Positionen im Interimistischen Streit, waren für Camerarius eine große Enttäuschung. In einer kommentierten Ausgabe eines Lutherbriefs betont Camerarius noch im Jahr 1572 den Vorrang der Liebe vor der Wahrheit, vor allem vor dem Buchstaben des Gesetzes, und warnt vor Ehrgeiz und übermäßiger Betonung der kirchlichen Regeln.

(Vinzenz Gottlieb)

"Praktische Theologie und Pädagogik"

Vorbemerkungen

Bei Camerarius zeigen sich Pädagogik, Philologie und Theologie eng miteinander verknüpft: So betont er wiederholt, das oberste Ziel des Unterrichts sei die religiöse Ausbildung, den Weg zur Erkenntnis der christlichen Wahrheit und zur rechten Gottesverehrung bilde aber die Philologie.[590] Insofern behandelt das folgende Kapitel die pädagogischen und die katechetischen Schriften zusammen. Berechtigt erscheint dies auch deshalb, weil man von systematischer Pädagogik im Sinne einer Wissenschaft erst mit Comenius zu sprechen pflegt[591] – bei Camerarius findet man allerdings erste Vorläufer einer pädagogischen Theorie. Einen Versuch, die Pädagogik des Camerarius als eigenes System zu fassen, hat Stephan Kunkler unternommen, wobei der Begriff der doctrina (Lehre) eine zentrale Stellung einnimmt.[592] Allerdings betrachtet Kunkler die Theologie des Camerarius unter Aussparung von dessen katechetischem Hauptwerk, der Katechesis.[593] Im Wissen, dass der disziplinäre Begriff „Praktische Theologie“ erst seit dem 19. Jahrhundert existiert, wird er an dieser Stelle vorterminologisch u.a. als Umschreibung für religiöse Erziehung und den Einsatz der Religion im Bildungswesen benutzt. Einige Aspekte praktischer Theologie konnten hier nicht berücksichtigt werden, insbesondere der Umgang mit dem Tod, das Sprechen über Verstorbene und der Trost der Hinterbliebenen. Hierzu sei unter anderem verwiesen auf die Schlagworte Todesfurcht, Konsolationsliteratur, Trostgedicht und Nachruf (mit den Unterkategorien Epicedium, Epitaphium und Nachruf (Prosa)).[594]

Katechismen

Zu den wichtigsten pädagogischen Texten bei Camerarius gehören die Katechismen, die in Schulen, teilweise vielleicht auch in Universitäten im Unterricht Verwendung fanden.[595] Üblicherweise behandeln sie die Zehn Gebote (Dekalog), das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis.[596] Im Folgenden wird dieser Begriff etwas weiter ausgelegt und werden die katechetischen Schriften des Camerarius in chronologischer Reihenfolge besprochen. Ein Vergleich der einzelnen Texte steht noch aus, wäre aber notwendig, um den je eigenen Zweck zu bestimmen.

Camerarius hat einige Katechismen verfasst; der erste erschien unter dem Titel „Capita sacrosanctae fidei“, gedruckt in Melanchthons „Institutio puerilis“ (1525), und wurde früher dem „Praeceptor Germaniae“ zugeschrieben. Jochen Walter hat aufgezeigt, dass dieses Werk höchstwahrscheinlich von Camerarius stammt, und begründet dies durch Übereinstimmungen mit den "Κεφάλαια Χριστιανισμοῦ" von 1545.[597] Während Luthers kleiner Katechismus einfache Anweisungen an (weniger gebildete) Pädagogen/Hausväter gibt, bietet die griechische "Katechesis" (1552) des Camerarius längere (gelehrte) Abschnitte für den gebildeteren Lehrer bzw. die Schüler.[598] Die relative Exklusivität offenbart sich schon an der Wahl des Griechischen anstelle des Deutschen bzw. Lateinischen bei Luther und anderen Autoren. Möglicherweise handelt es sich um den ersten aus der Reformation hervorgegangenen griechischen Katechismus. Er verfolgt ein zweifaches Ziel: Die Vermittlung religiöser Grundlehren und die Einübung der griechischen Sprache.[599] Die in griechischen Hexametern verfassten "Capita pietatis" sind direkt an die Schüler gerichtet. Die Wahl einer dichterischen Sprache, die sich teils an die Epen Homers, teils auch an andere dichterische Formen anlehnt, ist sicher bewusst im Sinne einer poetischen Schulung getroffen worden.[600]

Die Zahl evangelischer Katechismen der Reformationszeit ist kaum zu überschauen.[601] Sie miteinander zu vergleichen kann hier nicht geleistet werden. Doch ein Blick in einige evangelische Schulordnungen soll zeigen, wo die Benutzung von Katechismen ausdrücklich gefordert wird: Bereits in Luthers Ratsherrenschrift finden sich Anforderungen an die religiöse Erziehung und schulische Bildung der Jugend. Hierbei wird die Verantwortung für (religiöse) Bildung den Städten auferlegt. So begannen diese schon vor den Landesfürsten mit eigenständigen Bildungsreformen und Neugründungen von Schulen. Die unter Melanchthons Mitwirkung entstandene Ordnung der Eislebener Schule des Johannes Agricola[602] von 1525 sieht die Behandlung der Pädologie des Petrus Mosellanus für das erste Lehrjahr vor. Ob man diese als Katechismus bezeichnen kann, ist diskutabel: So erscheinen in den Dialogen nur vereinzelt religiöse Themen. Christliche Schriften sieht die Ordnung erst für das dritte Lehrjahr vor: Dann sind das Vaterunser, das Apostolische Glaubensbekenntnis, die Zehn Gebote, einige Psalmen und verschiedene Schriftstellen zu lernen.[603]

Die Ordnung der Oberen Schule zu Nürnberg, der Camerarius von 1526 bis 1535 vorstand, enthielt auch Vorgaben zur katechetischen Unterweisung: So sollten die einzelnen Schüler bereits in den Grammatikschulen einmal am Tag den Dekalog, das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis aufsagen. Auch eine Auslegung dieser Texte sollte ihnen gegeben werden, und sie sollten einige Psalmen rezitieren lernen.[604] Lateinische Lehrbücher dieses Inhalts existierten bereits. Für höhere Klassen ist an die Verwendung der "Capita sacrosanctae fidei" (siehe unten) zu denken, die zur Wiederholung des Inhalts und zum Erlernen der griechischen Dichtersprache geeignet waren.[605] Auch in späteren Schulordnungen von Nürnberg und Altdorf nahm die religiöse Unterweisung einen wichtigen Platz ein.[606] Die Nürnberger Schulordnung weckte bald auch das Interesse des Breslauer Lehrers Johannes Metzler, der Camerarius in einem Brief (1526) um deren Zusendung bat. Es ist aber nicht klar, ob sie Einfluss auf die Schulordnung des Breslauer Gymnasiums hatte.[607]
Die Bedeutung der Schulen für die Erlernung christlicher Werte und der biblischen Sprachen betont auch Luther in seiner Ratsherrenschrift (Bl. D3r/v): Man brauche die Bibel nicht nur in Deutsch, sondern auch in Latein, Griechisch und Hebräisch. Das Vorhandensein gut ausgebildeter Lehrer und guter Bücher hebt er als Desiderat hervor. Luther betonte auch die Bedeutung des Musikunterrichts. Entsprechend war auch im Lehrplan der Nürnberger Oberen Schule täglich eine Stunde Musik vorgesehen. Dieses Fach füllte wohl der Komponist Wilhelm Breitengraser aus.[608] Von Camerarius selbst sind allerding kaum musikalische Aktivitäten oder Kompetenzen bekannt.[609] Eine erst kürzlich entdeckte musikhistorische Abhandlung ("In musicae laudem"), von Camerarius als Vorwort zu einem Stimmbuch der Fürstenschule Meißen verfasst, umreißt die Bedeutung der Musik in der Kulturgeschichte seit dem mythischen Griechenland. Ähnliches schreibt Camerarius auch in der Rede zum 7. Todestag von Kurfürst Moritz, wonach Achill das Harfenspiel von Chiron gelernt habe, um seine Emotionen zu kontrollieren.[610] Besondere Bedeutung erlangte schließlich Camerarius' Versgebet "In tenebris", das oft vertont wurde und möglicherweise die Vorlage für Paul Ebers deutsche Dichtung "Wenn wir in höchsten Nöten sein" bildet, die ins Evangelische Kirchengesangbuch aufgenommen wurde.

Die Capita sacrosanctae fidei (1524) und die Capita pietatis (1545)

Die griechischen Capita sacrosanctae fidei (CSF) sind Teil eines von Melanchthon herausgegebenen Lehrwerks, der Institutio puerilis (1525), das schon fünf Jahre vor Martin Luthers Großem und Kleinem Katechismus (ab 1529) entstand und sich von diesen auch in der Wahl der Sprache unterscheidet: Während Luther seine Katechismen in Deutsch abfasste und auch lateinische Versionen drucken ließ, existiert die "Institutio puerilis" nur als Werk in teils lateinischer, teils griechischer Sprache mit deutschen Einsprengseln (und einem hebräischen Teil). All diese Schriften sind als Leitfaden für Lehrkräfte, Hausväter und Pfarrer konzipiert[611] und zum Selbstlernen eher ungeeignet.

Im Anhang der "Institutio" befindet sich eine hebräische Grammatik des Wittenberger Hebraisten Matthäus Aurogallus, die weitgehend wörtlich mit dessen „Compendium Hebreae Chaldeaeque grammatices“ aus dem selben Jahr übereinstimmt. Das Compendium enthält zusätzlich einen Abschnitt über hebräische Zahlen, ein Kapitel über Unterschiede der hebräischen und chaldäischen/aramäischen Sprache sowie Briefe und hebräische Texte. Durch dieses Buch hatte auch Camerarius Gelegenheit, mit der hebräischen Sprache in Kontakt zu kommen. Über seine Kenntnisse dieser Sprache ist kaum etwas bekannt; allerdings zeigt er sie in der Jesus-Sirach-Ausgabe 1551.[612]

Jochen Walter hat überzeugend dargelegt, dass die CSF von Camerarius verfasst und 1545 unter dem Titel Κεφάλαια Χριστιανισμοῦ in erweiterter Form erneut herausgegeben wurden: So gibt es versweise wörtliche Übereinstimmungen, aber der Umfang der Κεφάλαια ist mit 222 gegenüber 131 Versen erheblich größer. Das Griechisch der Κεφάλαια weist sprachliche Besonderheiten auf, die teils der homerischen Dichtersprache, teils der Bukolik und anderen Gattungen entstammen.[613] Auch hier kommt das Prinzip des Camerarius zum Tragen, sprachliche und inhaltliche Lernziele miteinander zu verbinden. Diese Synergie erweist sich auch an anderen Werken des 1545 unter dem Namen "Capita pietatis" erschienenen Drucks: So ist ein deutschsprachiges Gedicht Martin Luthers über das Buch Salomo (wohl die Weisheit Salomons) enthalten, das Camerarius im Anschluss in je einer lateinischen und griechischen Übersetzung (versifiziert) präsentiert. Einen Hinweis auf die Zielgruppe des Kompendiums gibt das ebenfalls beigefügte Gedicht des Johann Stigel (C5r-C8v) mit einer Widmung an Philipp Camerarius (dieser war damals ca. 8 Jahre alt und wurde noch privat unterrichtet[614]). Man wird konkret an eine Verwendung in den 1543 gegründeten Fürstenschulen Schulpforta und Meißen denken können. Für die schulische Verankerung spricht, dass die 1. Auflage schnell ausverkauft war und Camerarius im Folgejahr eine 2. Auflage drucken ließ (Camerarius, Capita pietatis, 1546), ergänzt um eine selbst verfasste lateinische Übersetzung der "Κεφάλαια".[615] Die Ansicht ist synoptisch (griechischer Text auf dem Verso, lateinischer Text auf dem gegenüberliegenden Recto, mit versgenauer Entsprechung); die Übersetzung ist "ausgangssprachenorientiert und versucht, bis in die Wortstellung hinein den griechischen Text abzubilden"[616]. Das Missverhältnis zwischen einem bereits früher erlernten Inhalt und der anspruchsvollen griechischen Dichtersprache lässt darauf schließen, dass Camerarius hier einen Primat der philologischen gegenüber der theologischen Bildung verfolgt hat: Die bekannten Inhalte sollten die sprachlichen Forschritte erleichtern und die lateinische Version sollte das Verständnis des griechischen Textes zusätzlich sicherstellen.[617] Eine weitere lateinische Übersetzung nahm Johannes Fux vor, der die "Κεφάλαια" in elegische Distichen übersetzte. Er fügte sie ein in ein eigenes Lehrbuch, das auch Versifikationen von einigen der kleinen Propheten sowie einen weiteren Katechismus enthält. Von Fux' Übersetzung existiert ein Nachdruck in Kombination mit anderen Versifikationen des Übersetzers. Damit hielten die "Capita" auch in ein katholisches Lehrbuch Einzug.

Möglicherweise besteht ein Zusammenhang zur 1550 entstandenen griechischen "Κατήχησις" des Siebenbürger Sachsen Valentin Wagner, mit dem Camerarius in Freundschaft verbunden war.[618]

Die "Praecepta vitae puerilis" (1536)

Ein von Camerarius 1536 in Tübingen herausgegebener Druck vereint mehrere Erziehungsratgeber: In den "Praecepta vitae puerilis" werden ganz praktische Ratschläge erteilt. Im Mittelpunkt steht dabei die sittliche Unterweisung. Camerarius beschreibt und begründet zunächst verschiedene Erziehungsziele, um anschließend den Heranwachsenden konkrete Handlungsmaximen an die Hand zu geben. Die gleichen Inhalte transportiert das beigefügte Gedicht "Praecepta honestatis atque decoris puerilis". Auf spielerisches Lernen zielt der Dialog "De gymnasiis". Darin wird die Bedeutung von Sport und Spiel dargelegt. Als Widmungsbrief ist ein Schreiben des jungen Studenten Christoph Coler (Sohn) an seinen Bruder beigegeben, in dem der Lehrer gelobt wird - also Camerarius.[619] Der Bezug zu seinem Tätigkeitsfeld Tübingen wird deutlich. Die Einbeziehung der Nürnberger Patrizierfamilie Coler zielt vielleicht auch darauf ab, weitere Söhne der Stadt an die einzige protestantische Universität Süddeutschlands zu locken.[620]

Die "Praecepta" wurden im 16. Jahrhundert noch häufiger aufgelegt, vor allem ab 1544 in Leipzig zusammen mit den "Praecepta morum ac vitae". Als Grund dafür nennt Camerarius den prekären Sittenverfall, der in ihm Angst vor der Zukunft auslöse.[621] Er wolle diesem Verfall durch die Ausbildung des Verstandes begegnen und die Urteilsfähigkeit stärken: Dies sei auch bei Erwachsenen noch möglich, wenn man es in der Kindheit vernachlässigt habe. Hierzu bedient er sich auch antiker Weisheitslehren: Das lateinische Spiel der sieben Weisen ist vielen Ausgaben beigefügt. Statt konkreter Handlungsanweisungen werden hier sentenzenhaft Maximen der Lebensführung vermittelt. Das Werk hatte großen Erfolg und wurde mehrmals in die Volkssprache übertragen.[622] Ein weiterer Dialog, der ab 1563 mehrmals gedruckt wird, behandelt das gute Benehmen bei Heranwachsenden und rezipiert auch die "Capita pietatis". Die Bedeutung von speziellen Regeln zur gottgefälligen Erziehung der Kinder wird hier dargelegt.[623]

Die "Capita Christianismi" / "Puerilis doctrina de Christiana vita" (1538)

Ein weiterer Katechismus erschien im Jahr 1538 im Druck: Johannes Brenz schreibt in seinem Vorwort, dass dieser Katechismus bereits in Tübingen vorher in Verwendung gewesen sei. Er sorge nun dafür, dass er auch der Öffentlichkeit zur Verfügung stehe. Enthalten sind Ausführungen zum Dekalog, zu Sakramenten und Gebeten. Der Katechismus ist lange Zeit dem Theologen Thomas Lindner zugeschrieben worden, weil von diesem ein einleitendes Gedicht enthalten ist. Inzwischen ist die überwiegende Forschungsmeinung, dass Camerarius die Schrift verfasst hat.[624]

Der damalige Freiberger Lehrer Adam Siber berichtete im Mai 1541, dass er bei Wolfgang Meurer ein Buch mit dem Titel "Institutio doctrinae puerilis" gesehen habe, und bittet um dessen Zusendung.[625] Möglicherweise handelt es sich um die Schrift des Camerarius.[626]

Eine (unpublizierte) "Confessio Augustana Graeca"

Camerarius hatte bereits beim Augsburger Reichstag 1530 seinen Freund Melanchthon unterstützt, indem er eine Mitschrift von der Verlesung der Confessio Augustana anfertigte.[627] Auch später noch beschäftigte er sich mit der Bekenntnisschrift: In einem Brief von 1547[628] äußert Melanchthon seine Freude darüber, dass C. die "Confessio Augustana" ins Griechische übersetze. Von diesem Werk hat sich aber außer diesem Briefzeugnus keine weitere Spur gefunden. Es ist eher unwahrscheinlich, dass sie mit der Version identisch ist, die der hallische Schulrektor Paul Dolscius (mit Melanchthons Mitwirkung)[629] 1559 herausgegeben hat. Gegen Beteiligung von Camerarius spricht, dass es sich offensichtlich um eine Übersetzung der "Confessio Augustana Invariata" handelte, während C. und Melanchthon die "Variata" bevorzugten.
Deswegen wird angenommen, dass die Übersetzung ins Griechische nur geplant war, aber nie durchgeführt wurde.[630]

Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ 1552

Nach den "Κεφάλαια Χριστιανισμοῦ" erstellte Camerarius 1552 mit der "Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ" einen kompletten Katechismus in griechischer Sprache, den man als sein pädagogisches Hauptwerk bezeichnen kann. Hier ist sein Ziel nicht die sprachliche Bildung seiner Schüler, sondern die Verbreitung der Glaubenslehre.[631] Man hat daraus gefolgert, dass er eine Wiederherstellung der Kircheneinheit mit den griechischen Christen im Sinn hatte.[632] Die 2. Auflage von 1562 unterscheidet sich nur unmerklich von der ersten. 1563 publizierte Camerarius zudem eine lateinische Ausgabe. Während die griechische mit originalen Formulierungen der Kirchenväter arbeitete und deren Stil nachahmte, hatte die lateinische das Ziel, in Deutschland verstanden zu werden.[633]

Bezüglich Aufbau und Inhalt gibt es kaum Unterschiede in den verschiedenen Ausgaben: Der 1. Teil enthält die Definition des christlichen Katechismus und einen Abschnitt über Sünden und Gesetz (mit ausführlicher Behandlung des Dekalogs);[634] im 2. Teil werden das Glaubensbekenntnis, das Evangelium, die christliche Kirche (catholica Ecclesia) und die Sakramente besprochen. Hier erfolgt eine Darstellung dogmatischer Inhalte: Das Apostolische, Nikäokonstantinopolitanische und Athanasische Glaubensbekenntnis werden angeführt und erklärt. Dabei werden auch die Glaubensbekenntnisse weiterer Kirchenschriftsteller zitiert, namentlich die des Epiphanius und des Basilius.[635] Der 3. Teil behandelt das Gebet;[636] den 4. Teil bildet ein erneuter Abdruck der "Capita pietatis"/"Κεφάλαια Χριστιανισμοῦ". Beeinflusst wurde das Werk möglicherweise durch Valentin Wagners 1550 erschienenen griechischen Katechismus.[637] Mit dem siebenbürgischen Theologen stand Camerarius in engem Kontakt.[638] Allerdings erfolgten die persönlichen Zusammentreffen erst im Jahr 1554 und beide Werke zeigen eigenständigen Charakter. Andreas Müller hat diese miteinander verglichen und weist auf deutliche Unterschiede in inhaltlicher wie formaler Hinsicht hin.[639]

Die "Katechesis" des Camerarius gehörte zu den wirkmächtigsten griechischen Schriften dieser Art und gilt wegen ihrer Verbreitung im griechischen Kulturraum vielleicht als der "bedeutendste griechisch geschriebene Text der Reformationszeit".[640] Auch in Sachsen wurde der Katechismus (in beiden Sprachen) noch 1571 in Universitäten,[641] Kirchen und Schulen verwendet.[642]

Der Wittenberger Katechismus

In Kursachsen war aber auch der Katechismus des Melanchthonschülers David Chyträus in zahlreichen Auflagen verbreitet. Die Auflagen von 1568 (Leipzig) und 1569 (Wittenberg) stießen wegen einiger "flacianischer" Stellen auf Ablehnung: Die Schulvisitatoren, darunter auch Camerarius, beschlossen die Ersetzung durch ein eigenes Werk.[643] Der Katechismus wurde substituiert durch den von Christoph Pezel anonym erstellten Wittenberger Katechismus. Zwar unterzeichneten die Vertreter der Wittenberger Theologischen Fakultät dessen "Praefatio", doch durch das Verschweigen des Verfassers kam der Verdacht auf, es handle sich um eine calvinistische Schrift. Es ist nicht klar, welchen Anteil Camerarius an Erstellung und Verbreitung dieser Schrift hatte. Durch ein Schreiben bestätigte er aber dem Hofprediger Christian Schütz, dass Leipziger und Wittenberger Theologen den Wittenberger Katechismus einmütig unterstützten. Der Theologieprofessor Johann Pfeffinger schloss sich dem Brief an,[644] der jedoch im Jahr 1574 ungewollt zu bedeutenden religionspolitischen Veränderungen in Sachsen beitragen sollte, die zum Sturz, zur Verhaftung oder Ausweisung vieler Melanchthon-Schüler führten. Camerarius entging diesem Schicksal möglicherweise nur durch seinen Tod im April desselben Jahres.
(Vinzenz Gottlieb)

Homiletisches

Einige von Camerarius gehaltene Reden haben beinahe Predigtcharakter, so die Weihnachtsansprache zum Tod des Kurprinzen Alexander (Sachsen) 1565, die an der Universität (Leipzig) gehalten wurde. Auch die Rede zum Tod des Leipziger Theologen und Hebraisten Bernhard Ziegler enthält Elemente einer Predigt, so etwa zahlreiche Zitate aus den Paulinischen Briefen. Camerarius gab sie zusammen mit den Predigten seines Freundes Georg III. (Anhalt-Plötzkau) bald nach dessen Tod heraus. Aus diesen zieht Camerarius verschiedene Lehren und skizziert eine Art Theorie der Predigt. Bei anderen Gelegenheiten sprach Camerarius selbst in Kirchen, doch sind seine Leichenreden auf Eberhard im Bart[645] und Kurfürst Moritz[646] in Humanistenmanier verfasst, so dass sie eher dem Bereich der Rhetorik als der Homiletik zuzurechnen sind. Sie laden zur Nachahmung der Vorbilder ein und bedienen einige christliche Topoi: Im Zentrum steht das christliche Sterben, das an die Tradition der ars moriendi angelehnt ist. Unter den gerühmten Tugenden spielt die pietas eine wichtige Rolle. Neun weitere Reden zu Jahresfeiern von Moritzens Tod verfasste Camerarius bis 1569, die von anderen Rednern vorgetragen wurden.[647] In ihnen liegt der Schwerpunkt mehr auf dem Ruhm des Herrschers und seiner Memoria. Nicht immer ist es möglich, eine scharfe Trennlinie zwischen Predigt und humanistischer Rede zu ziehen. Einem ganz anderen Zweck, nämlich der sprachlichen Übung und der religiösen Unterweisung für die (bereits erwachsenen) Camerarius-Söhne, diente eine Predigtsammlung[648] zu Evangelientexten. Da sie in griechischer Sprache (mit lateinischer Übersetzung) verfasst sind, ist kein Gebrauch im Gottesdienst vorgesehen gewesen. Die Publikation erfolgte erst 1573 durch Ludwig Camerarius.
(Vinzenz Gottlieb)

Pädagogische Praxis bei Camerarius

Neben der Erziehungs- und Bildungstheorie in seinen Schriften soll nun auch die Erziehungspraxis des Camerarius im häuslichen, schulischen und universitären Bereich betrachtet werden. Wenig ist bisher bekannt zur häuslichen Erziehung seiner Kinder.[649] Seine Söhne förderte er auch außerhalb des Schul- und Universitätsbesuchs und band sie auch in seine schriftstellerischen Tätigkeiten ein: So unterstützte er seinen etwa 18-jährigen Sohn Joachim Camerarius II. bei der Übersetzung einer Schrift zu Zahlenverhältnissen, indem er sie korrigierte. Eine schwere finanzielle Belastung stellten die Auflandsaufenthalte einiger Söhne dar, wobei vor allem die Verhaftung Philipps durch die Inquisition in Rom auch emotionale Spuren hinterließ.

Einen Nutzen aus der Ausbildung der Söhne zog der Vater vor allem durch die Mitarbeit seines Sohnes Ludwig Camerarius, der verschiedene ältere Schriften des Vaters sammelte und (teilweise erneut, teilweise erstmalig) edierte.[650]

Seine ersten Erfahrungen in der universitären Lehre sammelte Camerarius bereits früh: Als junger Bakkalar hielt er in Leipzig im Auftrag von Richard Croke griechische Übersetzungsübungen ab.[651] In Erfurt unterrichtete er ab 1519 ebenfalls im Fach Griechisch.[652] In Wittenberg erhielt er, inzwischen zum Magister promoviert, 1522 die Quintilian-Lektur, die er krankheitsbedingt jedoch nur zeitweise ausüben konnte, sowie 1523 die Leitung über die Deklamationsübungen.[653] Als einen seiner frühesten Schüler bezeichnet er Wilhelm Megel, allerdings ist die Datierung dieser Lehrer-Schüler-Konstellation schwierig.[654] Als Rektor der Nürnberger Schule hatte Camerarius neben seinem Unterricht in Griechisch und Geschichte zweifelsohne auch pädagogische Aufgaben zu erfüllen; in Tübingen und Leipzig wirkte er in der universitären Lehre und erstellte Bildungsprogramme und Universitätsstatuten. Nicht nur als dreimaliger Rektor und mehrfacher Dekan der Leipziger Artistenfakultät hatte er Verantwortung für seine Studenten, sondern er bekleidete auch im sächsischen Schulwesen eine wichtige Funktion als Visitator der Fürstenschulen.[655] Wichtig als Zeugnisse für Camerarius' pädagogisches Handeln sind zudem seine Briefwechsel: Er beriet und unterstützte die Bildungsreise des Petrus Lotichius Secundus mit den Neffen Daniel Stiebars nach Frankreich.[656] Besonders aufschlussreich ist der Baumgartner-Briefwechsel: Camerarius scheint dessen gleichnamigen Sohn eine Zeitlang in seinem Leipziger Haus beherbergt zu haben. Er gibt häufig Berichte über dessen Lernfortschritte. Weniger Lernerfolg hatte allerdings ein anderer Verwandter Baumgartners, Augustin Dichtel II. Bei ihm stießen Camerarius und danach auch Melanchthon an die Grenzen ihrer Fähigkeiten und schickten ihn ohne Abschluss, jedoch nicht in Ungnade zurück. Ein weiteres Zeugnis pädagogischen Handelns ist ein Brief an die Brüder Ossa (1565), die in Padua studierten, aber ihr Studium anscheinend nicht ernst nahmen und sich mit ihrem Präzeptor zerstritten. Camerarius wandte sich mit verständnisvollen, doch auch mahnenden Worten an sie, um sie zur Einsicht und Besserung zu bewegen. Ob dies Erfolg hatte, ist nicht sicher: Der älteste der Brüder, Balthasar Friedrich, wurde im Folgejahr zwar Rektor (der deutschen Nation), doch war er während seiner Amtszeit in Straßenkämpfe mit der Stadtbevölkerung verwickelt und wurde vom Stadtpräfekten inhaftiert. Die Akten der deutschen Nation stellen ihn als Helden und unschuldig Verfolgten dar. Sie erwähnen aber auch seine hohen Ausgaben (über 10'000 Kronen während seiner Amtszeit).[657] Sollte die Mahnung des Camerarius zu einer ehrbaren Lebensführung auf Zurückhaltung und Sparsamkeit abgezielt haben, so hat sie hier nicht gefruchtet. Sicher wurde dadurch seine schon 1542 gegenüber Baumgartner geäußerte Meinung bestätigt: Das Studium in Frankreich und Italien würde die Schüler verderben, weil sie noch nicht innerlich gefestigt seien und dortige Unsitten übernähmen. Sie kämen dann eitel und besserwisserisch zurück. In Krisensituationen bemühte sich Camerarius um Deeskalation, wie im Fall der Ermordung eines Studenten (Oktober 1563) und eines Hausfriedensbruchs.

Camerarius versuchte auch, auf die Erziehung einiger junger Prinzen einzuwirken, indem er ihnen theologisch und pädagogisch geprägte Traktate widmete. Stets handelt es sich um Angehörige von Adelshäusern, die der Reformation nahestehen: Das bezieht sich auf Neffen seines Freundes Georg von Anhalt, aber auch auf Mgf. Albrecht Alcibiades, Johann Albrecht I. (Mecklenburg) (OCEp 1464) oder die Lüneburger Prinzen Franz Otto und Friedrich (OCEp 1444). Den letzteren beiden, Söhnen Ernst des Bekenners, diente der Camerarius-Schüler Wilhelm Megel als Präzeptor. Durch die Widmung einer Plautus-Ausgabe (1552) an den 13-jährigen Georg Friedrich I. (Brandenburg-Ansbach-Kulmbach) erstrebt Camerarius, ein Bewusstsein für die Bedeutung der wissenschaftlichen Studien zu schaffen. Schließlich wird er auch nicht müde, durch Vorbilder (mittels Biographien) auf die Prägung der jungen Menschen einzuwirken:[658] Das sind Fürsten wie Eberhard im Bart, Moritz (Sachsen) und Georg III. (Anhalt-Plötzkau), aber auch Gelehrte wie Melanchthon und Helius Eobanus Hessus.[659] Noch sein zum Bischof von Eichstätt ernannter Freund Moritz von Hutten erhält von Camerarius Ratschläge für eine gute Amtsführung. Auch der sächsische Kurprinz Christian I. (Sachsen) besaß ein Buch mit Gebeten Luthers, Melanchthons und Camerarius', das ihm der Chemnitzer Superintendent Georg Langevoit zusammengestellt hatte.[660]

Camerarius verfasste diese Werke nicht aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft, sondern immer auch aus der Perspektive des Praktikers. Der Umgang mit Prinzen und Fürsten war ihm nicht fremd, da einige von ihnen in Wittenberg oder Leipzig studiert hatten. Mit einigen der prominentesten Fürstenerzieher war Camerarius befreundet: So stand er mit Georg Spalatin, vormaligem kursächsischem Prinzenerzieher, in Briefkontakt; sein enger Freund Fürst Georg III. (Anhalt-Plötzkau) war Schüler von Camerarius' Lehrer Georg Helt und holte diesen später als Geistlichen an seinen Hof.[661]

Schließlich unterstützte Camerarius gegen Ende seines Lebens noch ein pädagogisches Prestigeprojekt: Die Reichsstadt Nürnberg richtete in den 1570er Jahren die Hohe Schule Altdorf ein, welche 1622 zur Universität erhoben wurde; sein Sohn Philipp Camerarius wurde dort 1581 Prokanzler. Besonders involviert waren die Ratsherren Hieronymus Baumgartner d.J. und Thomas Löffelholz von Colberg.[662] Langfristig gesehen war dieser Einrichtung mehr Erfolg beschieden als ihrer Vorgängerin, der Nürnberger Hohen Schule, welcher Camerarius von 1526 bis 1535 vorgestanden hatte.
(Vinzenz Gottlieb)

Anmerkungen

  1. Diese Tatsache verdankt sich vor allem der Arbeit der Melanchthonforschungsstelle Heidelberg und ihres Gründers Heinz Scheible, auf dessen Werke hier nur summarisch verwiesen werden kann. Der Briefwechsel mit Melanchthon (mit über 600 Briefen) ist mit Abstand der umfangreichste des Camerarius: Vgl. Mundhenk 2020, S. 686.
  2. Zu Redaktionen im Humanistenbrief vgl. Schlegelmilch 2017, S. 279-281.
  3. Im Katalog Summerus 1646 fehlt eine nicht unbeträchtliche Zahl an Werken.
  4. Stählin beschränkt sich darauf, „den Gehalt der biographischen Schriften an religiösen Anschauungen und Empfindungen herauszuarbeiten“ (a.a.O. S. 52). Dies erfolgt auf S. 52-61.
  5. A.a.O. S. 52.
  6. So besagt es auch der Titel von Seckt 1888.
  7. Vgl. Dall'Asta 2024, S. 154.
  8. Deutlich wird dies zunächst bei Stählin 1936, dann bei Wendorf 1957, Wartenberg 1988, Hasse 2000. Ein gutes Literaturverzeichnis zum Thema bietet Woitkowitz 2003, S. 19-27.
  9. Hier sind zunächst die Akten des Hauptstaatsarchivs Dresden zu nennen. Sehr gründlichen Gebrauch davon hat Günther Wartenberg gemacht, der die daraus gewonnenen Erkenntnisse in zahlreichen Artikeln niedergeschrieben hat. Eine explizite Camerarius-Abhandlung konnte Wartenberg abgesehen von der 2003 verfassten Studie Wartenberg 2003 vor seinem Tod nicht mehr verfassen. Auch Wendorf 1957 hat viele dieser Quellen genutzt, jedoch auf exakte Quellenangaben verzichtet.
  10. In der "Vita Melanchthonis" verschweigt er gelegentlich seine eigene Teilhabe an wichtigen von ihm erwähnten Ereignissen, z.B. die Mitschrift der "Confutatio" zur Augsburgischen Konfession: Vgl. Werner 2010, §41, S. 117 (mit Anm. 121).
  11. So beschwert er sich z.B. am 13.4.1545 gegenüber Stramburger in OCEp 0313, dass er sich bei den Berufungsverhandlungen für die Universität (Leipzig) ausgebeten hatte, keine Verpflichtungen außerhalb der Lehre auferlegt zu bekommen: Vgl. auch Gindhart/Hamm 2024, S. 16-18.
  12. Vgl. Aulinger/Schweinzer 2011, S. 83. Zu C.‘ Mitschrift der "Confutatio" zur "Confessio Augustana" vgl. Peters 2014a, S. 226-236. Bei mehreren Reichstagen war Camerarius aber als Besucher anwesend und nutzte diese Treffen zur Pflege seiner Netzwerke. Es steht zu vermuten, dass er dabei auch seinen Freund Melanchthon beraten hat; diese Aufenthalte sind aber nicht immer nachweisbar. Zu Camerarius' Reichstagsbesuchen vgl. Gindhart/Hamm 2024, S. 18-30.
  13. Vgl. Schäfer 2003 und Mundt 2001 sowie Kunkler 1998, S. 269-278. Die Datenbank "Controversia et Confessio" ergibt heute (7.12.2023) zur Suchanfrage „Camerarius“ nur 8 Treffer, darunter befindet sich als einziges seiner Werke die "Querela Luteri".
  14. Vgl. Wendorf 1957, S. 36-40, OC 0876, A4r.
  15. Vgl. Gindhart/Hamm 2024, S. 17 sowie Schultheiß 2017, S. 204-206.
  16. Vgl. Kunkler 1998, S. 237 und OC 0876.
  17. Zum Überblick vgl. Schultheiß 2024 und Gindhart/Hamm 2024.
  18. Zur Einführung vgl. Kirn 1909, S. 40-65 und Wartenberg 1988.
  19. Zu theologischen Fakultäten dieser Zeit vgl. Gößner 2005; zur Leipziger Theologischen Fakultät vgl. Junghans 2005, Beyer 2005, Jadatz 2005, Siegmund-Schultze 2005 und Hein/Junghans 2009.
  20. Schultheiß 2024, S. 198.
  21. Zu theologischer und reformationsgeschichtlicher Thematik vgl. besonders Gindhart/Hamm 2024, S. 18-30.
  22. Vgl. Kunkler 1998, S. 44; Freyhub, Oratio in funere Camerarii (Werk), 1574, Bl. B1r und Adam 1615, S. 259.
  23. Krafft war für den Aufbau von C.' humanistischem Netzwerk von nicht zu unterschätzender Bedeutung: Er vermittelte ihm den Kontakt zu Hessus (vgl. Camerarius, Narratio de Helio Eobano Hesso, 1553, Kapitel 3 und 16), Melanchthon (vgl. Camerarius, Vita Philippi Melanchthonis, 1566, deutsche Übersetzung: Werner 2010, Kapitel 11) sowie zu Conradus Mutianus Rufus und Ulrich von Hutten (vgl. Woitkowitz 2003, S. 35).
  24. So auch Stählin 1936, S. 56. Vgl. dazu Asche 2003, S. 59 sowie ebd., S. 43-60, zur Studienzeit des Camerarius in Leipzig und Erfurt.
  25. Vgl. Bernstein 2022, S. 163-170.
  26. Zum Niedergang der Universität Erfurt im Zuge der Reformation und zum dortigen Bruch zwischen Humanisten und Reformatoren vgl. Lindner 2015.
  27. Zur Studienzeit in Leipzig, Erfurt und Wittenberg vgl. Gindhart/Hamm 2024, S. 10-12.
  28. Laut MBW 343 brach C. Mitte Oktober von Wittenberg nach Bamberg auf.
  29. Ihre Identität ist unsicher: So nennt Kunkler 1998, S. 72 sie in Berufung auf Schelhorn 1740, Stammtafel (hinter S. 8) Barbara. Schelhorns Angaben zu Barbara Camerarius sind aber nicht zuverlässig. Es kann sich auch um eine andere Schwester handeln.
  30. Beschreibung der Flucht in MBW 354 und Kunkler 1998, S. 73-78.
  31. Der Streit ist vielfach beschrieben worden, so in Schwanke 2012 und in Peters, Christian: Zwischen Erasmus und Luther. Justus Jonas und die Krise des Erfurter Humanistenkreises. In: Irene Dingel (Hrsg.): Justus Jonas (1493-1555) und seine Bedeutung für die Wittenberger Reformation. Leipzig 2009, S. 39-58. Die Rolle des Camerarius kommt dabei jedoch kaum zur Sprache.
  32. Vgl. Kroker 1909, S. 51-54.
  33. Kroker, Ernst: Luthers Tischreden in der Mathesischen Sammlung: aus einer Handschrift der Leipziger Stadtbibliothek, Leipzig 1903, S. 146, Nr. 212. Zur Datierung dieser Intervention: Zwischen dem Erscheinen von "De libero arbitrio" (September 1524) und "De servo arbitrio" (Dezember 1525) war C. um den 24. August 1525 (vgl. MBW Nr. 416.3) und nochmals Mitte Oktober in Wittenberg (vgl. MBW Nr. 426 und 428). In diese Zeit muss er mit Frau Luther gesprochen haben.
  34. In einem Brief von 1527 äußert sich Crotus Rubianus dergestalt, dass er ein friedliches Auseinandergehen gewünscht hätte. Camerarius hatte ihm davon berichtet. Der entsprechende Brief ist aber nicht erhalten.
  35. Vgl. Kunkler 1998, S. 88-98.
  36. Vgl. Kolde 1911, S. 210-212 und MBW Nr. 555. Hieronymus scheint aber zumindest offziell dem alten Glauben treu geblieben zu sein; jedenfalls schreibt Melanchthon in einem Fürbittbrief (MBW Nr. 554.2): ne quidem Lutheranis ita favit unquam, ut reprehendi posset.
  37. MBW Nr. 555.2: Hoc scio nullam ei familiaritatem cum ullis Lutheranis unquam fuisse.
  38. Vgl. MBW Nr. 557.
  39. Vgl. Gindhart/Hamm 2024, S. 12-14; ausführlich Heerwagen 1867 und Heerwagen 1868.
  40. Siehe die etwas später verfassten "Praecepta". Aus seiner Nürnberger Zeit sind erstaunlicherweise nur wenige theologische oder pädagogische Schriften erhalten. Lediglich die "Capita sacrosanctae fidei" sind bekannt.
  41. Siehe den Brief Hessus an Groningen, 20.12.1526, in Camerarius, De Helio Eobano Hesso, 1553, Q3v-Q4r.
  42. Vgl. Aulinger 2011, S. 100–101 und 955–956. Anscheinend mussten die Gesandten wegen der Türkengefahr (Schlacht von Mohács am 29.8.1526) am Fürstentag (1.-21.12.1526) teilnehmen. Damit reichte die Zeit für die Sendung nicht mehr, da Frankreich nur für vier Monate freies Geleit gewährt hatte. Für den Reichstag zu Regensburg, einberufen für den 1.4.1527, ist keine Mansfelder Delegation belegt (vgl. Aulinger/Schweinzer 2011).
  43. Zur Hochzeit vgl. Walter 2024. Arrangiert wurde die Hochzeit möglicherweise von Christoph Führer I. (vgl. Woitkowitz 2003, S. 39, Anm. 107).
  44. Dazu Taegert 2023, S. 200 m. Anm. 25.
  45. Die Nürnberger Gesandtschaft schreibt dazu in ihrem Bericht über die Verlesung an den Nürnberger Rat (CR II, S. 249–252, hier S. 250): Darauf ist dieselbe Schrift, die über 50 Blaetter lang, verlesen. Also haben wir, so viel wir dieß Mal deß behalten moegen, den Effect davon Joachim Cammermeister, so wir auch zu uns hinein genommen, verzeichnen lassen, der es also mit Fleiß auf alle Artikel mit kurz in sein Taefelein aufgezeichnet so viel ihm moeglich, und mehr denn wir alle verstehen und behalten können, wie E. W. aus beiliegender Copey vernehmen. Eine Edition der für den Nürnberger Rat überarbeiteten Notizen des Camerarius nach der Abschrift Hall, StA, 4/55, 152r–158r u.a. bei Peters 2014a, S. 230–236. Vgl. auch Gindhart/Hamm 2024, S. 20 m. Anm. 59.
  46. Die Freundschaft zwischen Melanchthon und Hieronymus Baumgartner wurde dadurch aber nur für kurze Zeit beinträchtigt: Bereits Anfang 1531 geht Melanchthon einen Schritt zur Versöhnung: MBW Nr. 1110.4.
  47. Zu dieser Freundschaft vgl. Mährle 2024, S. 68-72. Baumgartner war nicht nur C.' Freund, sondern in Nürnberg auch sein Vorgesetzter.
  48. Vgl. MBW Nr. 827.3 und 939.
  49. Der Streit um Osianders Thesen könnte das Verhältnis beeinträchtigt haben. Noch 1555 leidet die Stadt Nürnberg an diesem Streit, den C. und Melanchthon im Rahmen ihrer Reise dorthin lösten. Vgl. das Schlagwort → Osiandrischer Streit und ↓ Theologie (CamLex)#1553 bis 1560
  50. Vgl. Klaus 1958 passim sowie MBW Nr. 816, 1638, 1656.
  51. Vgl. MBW 1659.2, 1660, 1662.2).
  52. Vgl. OCEp 0262 und zahlreiche Melanchthon-Briefe: Vgl. MBW Regesten Nr. 1638.6, 1656, 1858-59, 1869.4, 1919/1920, 2052/2053, 2066/2067, 2086, 2141/2150, 2184.5, 2210/2201, 2314/15, 2407, 2414-16, 2484, 2725/2726.3, 2786/2787.5, 2789/90.
  53. Vgl. MBW Nr. 610.3 und 611.1. Gemeint ist hier wohl die Schrift "Articuli de quibus egerunt per visitatores in regione Saxoniae": Vgl. Bauer, Joachim: Kursächsische Bemühungen um "Ordnung und Reformation". Anmerkungen zur Entstehungsgeschichte des "Unterrichts der Visitatoren" von 1528. In: Joachim Bauer, Stefan Michel (Hrsg.): Der "Unterricht der Visitatoren" und die Durchsetzung der Reformation in Kursachsen. Leipzig 2017, S. 53-76, hier S. 70.
  54. Vgl. MBW Nr. 1406, OCEp 1002 und Heerwagen 1868, S. 16. In MBW Nr. 1330.2 wird auch C.' Bruder Hieronymus Camerarius trotz seiner Haft mit dieser Stelle in Verbindung gebracht.
  55. Dazu Holtz, Sabine: "[...] für eine conciliare katholische Reform der Kirche". Die Tübinger Theologische Fakultät und die Einführung der Reformation. In: Sönke Lorenz, Dieter R. Bauer und Oliver Auge (Hgg.): Tübingen in Lehre und Forschung um 1500. Zur Geschichte der Eberhard Karls Universität Tübingen. Festgabe für Ulrich Köpf. Tübingen 2008, S. 61-74. Dort wird auch ein Grundproblem der Tübinger Universitätsreform angerissen, nämlich die Erzwingung der Reformation durch landesherrliche Autorität statt durch Überzeugung der Universitätsmitglieder (ebd., S. 74).
  56. Vgl. MBW Nr. 1487-1489, 1492, 1505.4.
  57. MBW Nr. 1501, 1503.
  58. Zu deren Reformationsversuchen an der Universität vgl. Pill-Rademacher 1993, S. 110-130. Zur ersten Ordnung, die Ulrich der Universität am 20.1.1535 oktroyierte, siehe Köpf 2020, S. 58f. sowie Roth 1877, S. 176-185 (Edition der Ordnung). Dazu gehörte u.a. die Einrichtung von zwei (statt bisher vier) theologischen Professuren: Altes Testament und Neues Testament. Das trug auch der Schwierigkeit der Gewinnung von gut ausgebildeten evangelischen Theologen Rechnung.
  59. Zu C.' Berufung vgl. MBW Nr. 1584.1 sowie der Brief des Grynäus OCEp 0276.
  60. Vgl. Brief von Grynäus an (Ambrosius) Blarer, ca. 10.6.1535, in: Rädle 1990, S. 65. Für das Fach Theologie war Camerarius ausdrücklich nicht vorgesehen.
  61. Vgl. Köpf 2020, S. 44 und Roth 1877, S. 184.
  62. Vgl. Köpf 2020, S. 62-65; Statuten: Roth 1877, S. 205-231.
  63. Vgl. Brief Brenz an Camerarius vom 10.11.1536, Brief-ID 12894, in: Theologenbriefwechsel im Südwesten des Reichs in der Frühen Neuzeit (1550-1620). Verfügbar unter: https://thbw.hadw-bw.de/brief/12894. Zugriff am 11.3.2024.
  64. Vgl. Schultheiß 2017, Pill-Rademacher 1993; zusammenfassend Gindhart/Hamm 2024, S. 14-15.
  65. Vgl. MBW Nr. 1795 und 1796. Die Ordnung ist ediert von Roth 1877, S. 185-204. Melanchthon hatte sogar auf eine Anstellung in Württemberg gehofft, da er in Kursachsen nicht zufrieden war. Aber er erhielt keine Freigabe des Kurfürsten Johann Friedrich I. (Sachsen): Vgl. MBW Nr. 1616.4, 1787. Es ist nicht vollständig geklärt, ob sein Besuch neben der Universitätsreform noch andere Zwecke hatte. Dazu Pill-Rademacher 1993, S. 142-145.
  66. Siehe auch Pill-Rademacher 1993, S. 412, Nr. 16. Der Gebrauch des Begriffs Superattendent ist hier noch zu klären. Sicher handelt es sich um etwas anderes als die sächsische Verwendung des Begriffs. Dazu Goldenstein 2015. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass C. kirchliche Funktionen ausgeübt hätte. Der Begriff taucht u.a. in der zweiten herzoglichen Ordnung vom 3.11.1536 auf (Roth 1877, S. 185-204, hier S. 193f.) bezieht sich dort auf Aufseher über die Conturbernien, Bursen und das Pädagogium. Da dort ausdrücklich Theologen, Juristen und Mediziner genannt sind, kann hier keine kirchliche Leitungsposition gemeint sein.
  67. Die Mitwirkung des Kanzlers an Promotionen war durch die päpstliche Gründungsbulle von 1476 vorgeschrieben (vgl. Köpf 2020, S. 44f. und Roth 1877, S. 18f.). Zu den Lösungsversuchen durch Melanchthon und Camerarius vgl. MBW Nr. 2039.2 und 2051.4 sowie Volz 1977, S. 70-82. Wirklich lösen ließ sich die Problematik erst durch Widmanns Tod 1561.
  68. Vgl. MBW Nr. 2018.2.
  69. Vgl. Pill-Rademacher 1993, S. 167.
  70. Vgl. Hermelink 1906, S. 278-283: Wir finden hier u.a. die Familien Baumgartner, Grundherr, Römer und Coler. Zu den Familien siehe Fleischmann 2008.
  71. Vgl. Mährle 2014, S. 30 und Heerwagen 1868, S. 26.
  72. MBW Nr. 1919.3.
  73. Vgl. MBW Nr. 1796.2 und 1824.3.
  74. Vgl. MBW Nr. 1659.2, 1660.2, 1858-1860, 1869.4.
  75. Vgl. Köpf 2020 S. 49; MBW Nr. 1919.2.
  76. Vgl. Pill-Rademacher 1993, 172-173. Auch Martin Aichmann macht in seiner historischen Abhandlung über die Visitationen (1599) den Dissens zwischen Senat und Artistenfakultät über Forsters Entlassung verantwortlich dafür, dass Camerarius Tübingen verließ, freilich ohne Nennung von Belegen, vgl. Pill-Rademacher 1993, S. 380-385, besonders S. 383.
  77. Ediert von Roth 1877, S. 427f. Dort führt er u.a. die grassierende Pest als Grund seiner Abreise an, geht aber auch auf das sächsische Stellenangebot ein. Melanchthon befürchtete eine gewaltsame Rückholung oder gar Inhaftierung C.' durch Herzog Ulrich (Württemberg), ähnlich dem Schicksal von C.' Bruder Hieronymus Camerarius in Bamberg: Vgl. MBW Nr. 2789, 2794 und 2807.1.
  78. Vgl. Schultheiß 2017, S. 206-208 sowie Horst Schmidt-Grave, Leichenreden und Leichenpredigten Tübinger Professoren (1550-1570). Untersuchungen zur biographischen Geschichtsschreibung in der Frühen Neuzeit. Tübingen 1974, S. 41-42.
  79. Siehe → Medizin_(CamLex)#Badbesuche.
  80. Gindely 1859, S. 37. Mit keinem von beiden sind Briefwechsel des Camerarius erhalten. Jedoch geht aus dem Briefwechsel mit Bedrott hervor, dass sich Bucer und C. mindestens seit 1536 kannten (vgl. OCEp 0256).
  81. Vgl. MBW Nr. 2579.1 und 2584.
  82. Vgl. Luttenberger, Albrecht/Neerfeld, Christiane: Deutsche Reichstagsakten /11. Band, Der Reichstag zu Regensburg 1541. 2. Teilband, Göttingen 2018, S. 1617: Christoph von Kreytzen an Hg. Albrecht von Preußen – Regensburg, 1541 April 30/Mai 1.
  83. Es gibt gewisse Unstimmigkeiten in den Quellen: Aulinger/Schweinzer 2011 führen Hieronymus Kammermeister als (einzigen) Gesandten Philipps von Pfalz-Neuburg in Regensburg (die beide vorzeitig abreisten: Vgl. MBW Nr. 2732.2), erwähnen Joachim aber nicht. Dagegen nennt Rädle 1990 Joachim als Württemberger Vertreter unter Berufung auf einen Brief von Frecht an Grynäus (28.7.1541; Herminjard VII, Nr. 1019, S. 211). Daraus ergibt sich, dass Joachim C. sich fast einen Monat lang in Regensburg aufhielt. Das wäre ungewöhnlich lange, sofern er keinen offiziellen Auftrag hatte.
  84. Zum Reichstag vgl. Wolgast 2003, S. 20-22.
  85. So Werner 2010, S. 155. Siehe zum Hyänentraum auch den entsprechenden Abschnitt im Lemma → Naturkunde.
  86. Vgl. Wartenberg 2003, S. 17-19.
  87. Vgl. Rudersdorf 2009, S. 357-365 und Rudersdorf 2015.
  88. Wartenberg 2003, S. 11; vgl. Dall'Asta 2024, S. 159f.
  89. Dieses Junktim unterliegt keiner zwingenden Logik; allerdings ist die Quellenlage für die sächsische Landesgeschichte weitgehend davon abhängig. So existieren für Moritzens Regierungszeit wesentlich mehr systematische Untersuchungen und mit der "Politischen Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen" (Band 1 bis 6, entspricht PKMS 1 bis PKMS 6) eine umfassende Quellenedition. Ein Äquivalent zu Augusts Regierungszeit liegt noch nicht vor. Die diesbezüglichen Originalquellen im Dresden, HStA sind jedoch wesentlich umfangreicher und warten noch auf eine gründliche Aufarbeitung.
  90. Die Jahre 1541 bis 1546 sieht auch Wartenberg 1988, S. 19 als Einheit.
  91. Vgl. Nicklas 2007, S. 26f.
  92. Für die Wittenberger war es nicht selbstverständlich, nach dem Krieg ihre Universität wieder zu beziehen. Einige blieben ihrem bisherigen Dienstherren Johann Friedrich I. (Sachsen) treu und gingen an die Hohe Schule nach Jena. Den Ausschlag für die Wiedereröffnung der Universität Wittenberg gab sicher die Rückkehr Melanchthons, der seinem Freund Camerarius nun nicht mehr nur räumlich nahestand, sondern auch durch den gemeinsamen Dienstherren.
  93. Vgl. Nicklas 2007, S. 40.
  94. Vgl. zu Georg vor allem die Biographie, die Camerarius über ihn verfasst hat, den Briefwechsel mit Camerarius sowie Wartenberg 1988 und Gabriel 1997 passim.
  95. Im Herbst 1553 hielt er sich in Franken auf, entschied sich dann aber doch für die Rückkehr nach Sachsen.
  96. Vgl. Schlagwort Biographisches (Wienreise).
  97. Vgl. Bruning 2004, S. 168f.
  98. Vgl. Zinck 1903, S. 118.
  99. Vgl. Hasse 2000, S. 140-148 und 229-232. Der Buchdrucker Vögelin musste 1576 außer Landes fliehen; im selben Jahr verlor der Theologe Freyhub seine Stellung. Bersmann wurde 1580 entlassen, nachdem er die Unterschrift unter das Konkordienbuch verweigert hatte.
  100. Zur Einführung in die Leipziger Stadt- und Universitätsgeschichte vgl. Hofmann 1739 und Wartenberg 1996a. Zur Vorgeschichte der Reformation in Leipzig vgl. Wartenberg 1988, S. 29-38. Zu Georgs kirchlichen Reformen vgl. Wartenberg 1988, S. 89-93 und Volkmar 2008.
  101. Volkmar 2008, S. 610.
  102. Vgl. Volkmar 2008, S. 380f.: Selbst Herzog Georg opponierte gegen einige Auswüchse des Ablasswesens, wobei hier nicht der Ablass an sich das Problem war, sondern der Geldfluss ins Ausland.
  103. Vgl. Hofmann 1739, S. 29-33.
  104. Vgl. Freyhub, Oratio in funere Camerarii (Werk), 1574, Bl. A4v-B1r. Andere Quellen zu diesem Ereignis liegen bislang nicht vor.
  105. Vgl. Beyer 2005.
  106. Vgl. Vita Melanchthonis, deutsche Übersetzung: Werner 2010, §10-11 und Woitkowitz 1997, S. 31.
  107. Vgl. dazu den Aufsatz von Enge 2017, der Herzog Heinrichs eine größere Eigenleistung zumisst, als dies die bisherige Forschung unternommen hat. Die Schwierigkeiten, die sich dabei aus Herzog Georgs Gegenmaßnahmen und Nachfolgeplänen, insbesondere in seinen Testamenten, ergeben haben, hat kürzlich Winter 2023 herausgestellt. Vgl. auch Wartenberg 2005, S. 69-77.
  108. Zum folgenden vgl. Junghans 2009, S. 47-50 sowie Wartenberg 1981.
  109. Zur Durchführung der Reformation in Stadt und Universität Leipzig vgl. Freudenberger 1988, S. 356-373. Auch legt Heinrich den Grundstein für die Reform der Universität; so hat er wahrscheinlich unter anderem die Bestellung Caspar Borners zum Rektor im Wintersemester 1539/40 mit beeinflusst. Auch die ersten Schritte zur Berufung des Camerarius unternahm er noch selbst, wobei in all diesen Belangen die Rolle Melanchthons nicht zu unterschätzen ist: Vgl. MBW Nr. 2785. So verfasste dieser ein Gutachten mit Reformvorschlägen: Vgl. Rudersdorf 2009, S. 354-363, bes. 359f., siehe MBW Nr. 2542. Die Umsetzung konkreter Reformmaßnahmen blieb aber als Aufgabe für Heinrichs Sohn Moritz.
  110. Hofmann 1739, S. 405; vgl. Freudenberger 1988, S. 367.
  111. Die Leipziger Theologen hatten Stiftspfründe in Meißen, Halle (Saale) und Magdeburg.
  112. Vgl. Freudenberger 1988, S. 350-352 sowie Zarncke 1859, S. 96-98.
  113. Scheubleyn starb bei einem Sturz im Weinkeller: Vgl. MBW Nr. 2653.3.
  114. Zur Universitätsreform 1543 vgl. Rudersdorf 2009, S. 357-379.
  115. Vgl. Hein/Junghans 2009, S. 305. Die dortige Übersichtstabelle ist mit Vorsicht zu gebrauchen, da nur Lehrstuhlinhaber verzeichnet sind, die der Fakultät angehören. Alesius war zwar schon im Herbst 1542 berufen worden und hatte am 24.9.1543 pro loco disputiert, wurde aber erst am 17.10.1544 in die Theologische Fakultät aufgenommen (vgl. Siegmund-Schultze 2005, S. 164). An der Doktorpromotion 1543 wirkte er aber bereits mit. Eine wichtige Rolle bei den Stellenbesetzungen spielte auch Melanchthon: Vgl. MBW Nr. 2802.
  116. Vgl. Wartenberg 1988, S. 155f. Schenk hatte sich in Wittenberg und Leipzig viele Feinde gemacht, darunter auch Superintendent Johann Pfeffinger. Vgl. P. Vetter: Jakob Schenk und die Prediger zu Leipzig 1541 - 1543. In: NASG 12 (1891), S. 247-271.
  117. Samuel fand Ende 1543 oder Anfang 1544 Anstellung bei Herzog Albrecht (Preußen): Vgl. MBW Nr. 3352 und 3441.1.
  118. Dass Melanchthon regen Anteil nahm, zeigt sich auch daran, dass er Georg III. (Anhalt-Plötzkau) um Wildbret für den Doktorschmaus bat: Vgl. MBW Nr. 3322.
  119. Div., Quaestiones quinque, 1544. Vgl. dazu Weng 2003. Zur Edition durch C. vgl. MBW Nr. 3515.
  120. Zur Universitätsreform vgl. die ausführliche Darstellung Rudersdorf 2009, S. 355-391 (davon 361-365 explizit zur Rolle des Camerarius), Rudersdorf 2015 und Zarncke 1859, S. 238-278 (Edition von Borners Bericht aus den Rektoratsakten).
  121. Zu dieser Angelegenheit vgl. Wartenberg 1988, S. 181-187 sowie die herzogliche Anordnung vom 22.9.1543: Dresden, HStA, 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 10532: Leipzigische Händel 1422-1533, Bl. 303b. Aufforderung Moritzens an Camerarius zur Gutachtenerstellung: Dresden, HStA, 10004 Kopiale, Nr. 0181, Bl. 152a. Diese Gremienarbeit war nicht im Sinne von Camerarius, der sich in einem Brief an Stramburger darüber beschwert, dass dies nicht zu seinen Dienstaufgaben gehöre.
  122. Vgl. Wartenberg 1988, S. 186 mit Anm. 70 und Zarncke 1859, S. 196f.; auch MBW 3343 und 3372.
  123. Georg von Karlowitz hatte bereits zu Lebzeiten Herzog Georgs einen eigenen Kompromisskurs über Religionsgespräche und kirchliche Reformen versucht, wobei auch Julius von Pflug einige Versuche unternahm, Erasmus von Rotterdam für eine Vermittlerrolle zu gewinnen. Dazu Wartenberg 1988, S. 65-70.
  124. Vgl. Wartenberg 1988, S. 184.
  125. Vgl. Gabriel 1997 und Achim Detmers: 500 Jahre Georg III. Fürst und Christ in Anhalt. Köthen 2008.
  126. Vgl. Ratajszczak 2009, S. 60-63, Wartenberg 2003, S. 19.
  127. Vgl. Ratajszczak 2009, S. 159-163.
  128. Vgl. Thomas 2005, S. 125-127.
  129. Vgl. Zarncke 1857, S. 664-666. Camerarius wirkte auch an den Schulordnungen mit und verfasste im Bunde mit Wolfgang Meurer, Georg Fabricius und Johann Rivius im Juli 1546 eine Disziplinarordnung, die in Meißen unter dem Namen Leges Rivii, in Pforte aber als Leges Camerarii zum Einsatz kam (vgl. Schwabe 1914, S. 82).
  130. Zur Beziehung zwischen C. und Albrecht vgl. Voigt 1841, S. 110-139. Der Melanchthon-Briefwechsel zählt 92 Briefe Melanchthons an den Herzog und 97 in der Gegenrichtung. Auch Melanchthons Schwiegersohn Georg Sabinus, ein Freund des Camerarius, wirkte als Königsberger Rektor in dieser Angelegenheit mit.
  131. Zur Angelegenheit vgl. MBW Nr. 3931 und 3933.2. Eine endgültige Lösung des Problems brachte erst die Erteilung des Privilegs durch König Sigismund II. August (Polen) am 28.3.1560: Vgl. Bues, Almut: Herzog Albrecht von Preußen (1490-1568). In: Armin Kohnle und Manfred Rudersdorf (Hgg.), unter Mitarbeit von Marie Ulrike Jaros: Die Reformation. Fürsten - Höfe - Räume. Leipzig 2017 (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte 42), S. 63, Anm. 44.
  132. Vgl. Volz 1977, S. 90-93 und MBW Nr. 3970 Anm.. Eine Abschrift ist in der Collectio Camerariana erhalten: München, BSB, clm 10355, f. 108f.
  133. MBW Nr. 3340 und Vogt 1966, Nr. 127 (S. 274f.). Autoren des Briefs waren Melanchthon, Martin Luther, Johannes Bugenhagen und Camerarius. Der Brief zählt zu den wenigen Belegen für eine Zusammenarbeit zwischen Bugenhagen und Camerarius.
  134. Vgl. besonders OCEp 0330 sowie OCEp 1038, OCEp 0631, OCEp 1039 und das Itinerar.
  135. Vgl. Klaus 1958, S. 254, MBW Nr. 4570.1, 4585a, 4605.3.
  136. Vgl. OCEp 0572.
  137. Vgl. MBW Nr. 4721.4. Eine Stelle als Rektor der dortigen Hochschule wurde Camerarius bereits im Herbst 1543 angeboten, die dieser aber nicht annehmen konnte: Vgl. MBW Nr. 3334.4,2 und 3334.4,4, 3371.1, 3377.1.
  138. Vgl. MBW Nr. 4853.1-3.
  139. Vgl. MBW Nr. 4778.2.
  140. Vgl. PKMS 3, Nr. 697. Weitere Briefe dazu sind zitiert bei Woitkowitz 2003, S. 185. Zusätzlich existiert ein dort nicht erwähnter Brief des Camerarius an den Rektor (Paul Bussius) vom 21.6. (ohne Jahr, aber auf 1547 datierbar), worin C. sich auf ein Schreiben von Kurfürst Moritz und Ulrich von Mordeisen bezieht. Er könne momentan noch nicht zurückkehren: Leipzig, UA, Bestand des Rektors, Rep. I/VIII/I (einzelne Professoren, ab 1549), Bl. 4r.
  141. Camerarius lässt in der Vita Melanchthonis kein gutes Haar an Helding, den er nach dessen Titularbistum verächtlich als "Sidonius" bezeichnet (vgl. Werner 2010, S. 169f.). Besser waren seine Beziehungen zu Julius von Pflug, einem humanistisch orientierten Reformkatholiken, der erst durch den Schmalkaldischen Krieg sein Bischofsamt in Naumburg (Saale) antreten konnte. Bis dahin hatte dort der Lutherfreund Nikolaus von Amsdorf dieses Amt ausgeübt, in das ihn der ernestinische Kurfürst Johann Friedrich I. (Sachsen) 1542 eigenmächtig eingesetzt hatte.
  142. Die Nicht-Durchsetzung des Interims in Sachsen sollte schließlich dazu führen, dass Karl V. (HRR) wieder auf das Konzil als einzige Lösung für die Glaubensspaltung zurückkam. Dies wurde ermöglicht durch den Tod Pauls III. am 10.11.1549; das Konzil wurde in Trient am 1.5.1551 erneut eröffnet. Vgl. Wartenberg 1996, S. 275-276.
  143. PKMS 3, Nr. 1041 = MBW Nr. 5137.
  144. Zu diesem "Leipziger Interim" vgl. Wartenberg 2006, 25-32; Issleib 1907, S. 194; Issleib 1892, S. 206-220; Wartenberg, Günther: Philipp Melanchthon und die sächsisch-albertinische Interimspolitik. In: Jonas Flöter und Markus Hein (Hrsg.): Wittenberger Reformation und territoriale Politik. Leipzig 2003, S. 87-103, hier S. 98-100; Engel 2014, 106–113 und OCEp 0648 (C. an H. Baumgartner vom 10.2.1548).
  145. Zum Text vgl. PKMS 4, S. 254-257, Nr. 212.
  146. Vgl. Engel 2014, S. 101-104.
  147. Zur Teilnahme des Camerarius vgl. MBW Nr. 5380 und OCEp 0648 sowie Engel 2014, S. 108-113.
  148. Zu den Landtagsverhandlungen vgl. Wartenberg 2006, S. 25-27; auf S. 27-32 wird die Landtagsvorlage mit dem "Augsburger Interim" verglichen.
  149. Die "Georgsagende" verfasste Georg III. (Anhalt-Plötzkau) unter Mitwirkung von Melanchthon, Camerarius, Johann Pfeffinger, Johannes Bugenhagen, Georg Maior, Johann Forster und Daniel Greiser. Nach der zwischenzeitlichen Verwerfung brachte Kurfürst August (Sachsen) die Agende im August 1553 wieder ins Spiel. Vgl. Jadatz 2007, S. 182.
  150. Vgl. dazu ausführlich Issleib 1894, S. 558-570 und zusammenfassend Engel 2014, S. 115-120.
  151. Vgl. Peters, Christian: Der Macht des Kaisers widerstehen. Die süddeutschen Theologen und das Interim. In: Irene Dingel und Günther Wartenberg (Hgg.): Politik und Bekenntnis. Die Reaktionen auf das Interim von 1548. Leipzig 2006, S. 65-81, hier S. 66-68.
  152. Vgl. Werner 2010, S. 193 zu Dietrichs Kampf gegen Kaiser und Interim sowie Klaus 1958, S. 272-299 zur Haltung der Reichsstadt Nürnberg gegenüber dem Interim. Das Verhältnis Dietrichs zu Camerarius scheint sehr gut gewesen zu sein. Der edierte Briefwechsel spiegelt das nicht wider, da die Camerarius-Söhne nur Briefe von Camerarius herausgaben. Handschriftlich existieren zahlreiche Briefe Dietrichs an Camerarius.
  153. Vgl. Wiedermann 1988, S. 66f. Demnach lehnte Alesius nicht nur das "Augsburger Interim", sondern auch Melanchthons Adiaphora-Verständnis ab. In einem Gutachten setzte er sich gar mit dem Widerstandsrecht gegen den Kaiser auseinander: Vgl. Gotha, FB, Chart. A 401, f. 227r-229r und Siegmund-Schultze 2005, S. 248-250.
  154. Vgl. Wengert 2006.
  155. Vgl. Koch 2006, S. 179.
  156. Vgl. Schäfer 2003.
  157. Vgl. Wartenberg 1996 und Issleib 1907, S. 203-205. Die Ereignisse um die "Confessio Saxonica" und das Konzil hat Ehlers 2024 gründlich dargestellt.
  158. Vgl. Brenz an Camerarius, 7.4.1551, Brief-ID 15094, in: Theologenbriefwechsel im Südwesten des Reichs in der Frühen Neuzeit (1550-1620). Verfügbar unter: https://thbw.hadw-bw.de/brief/15094. Zugriff am 24.11.2023, und Brenz an Camerarius, 14.4.1551, Brief-ID 15263, in: Theologenbriefwechsel im Südwesten des Reichs in der Frühen Neuzeit (1550-1620). Verfügbar unter: https://thbw.hadw-bw.de/brief/15263. Zugriff am 24.11.2023.
  159. Vgl. MBW Nr. 6165 und 6175 sowie Brenz an Camerarius, 8.8.1551, Brief-ID 15304, in: Theologenbriefwechsel im Südwesten des Reichs in der Frühen Neuzeit (1550-1620). Verfügbar unter: https://thbw.hadw-bw.de/brief/15304. Zugriff am 22.1.2024. Anwesend waren von Württemberger Seite Jakob Beurlin und Johannes Isenmann sowie der Straßburger Johannes Marbach.
  160. Melanchthon reiste mit seinem Schwiegersohn Caspar Peucer sowie mit Erasmus Sarcerius und Valentin Paceus am 13.1.1552 aus Leipzig ab, Camerarius begleitete sie bis Zwickau: Vgl. MBW Nr. 6303 und 6310.
  161. Die sächsischen Gesandten forderten ein Geleit in der Form des Konzils von Basel aus dem Jahr 1431: Vgl. Freudenberger 1975, S. 336.
  162. Vgl. MBW Nr. 6378 und 6380. Die sächsischen Konzilsvorbereitungen beschreibt ausführlich Freudenberger 1975, besonders S. 315-341, sowie jüngst Ehlers 2024.
  163. Bei den Stellenbesetzungen wirkte Melanchthon mit, indem er Paceus als Hebräischprofessor empfahl: Vgl. MBW Nr. 6361.6 und 6392.
  164. Vgl. Woitkowitz 2008, S. 74. Hommel hatte immerhin Theologie studiert und mehrere Jahre eine Pfarrstelle bekleidet, war aber mittlerweile in der Mathematik zu einer Koryphäe geworden → Mathematische Wissenschaften.
  165. Vgl. Jadatz 2007, S. 189.
  166. Vgl. MBW Nr. 6927.1 und 6928.4. Georg III. (Anhalt-Plötzkau), der bis dahin die kursächsische Religionspolitik geprägt hatte, war schwer erkrankt und starb kurz darauf.
  167. Vgl. MBW - Regesten online, Nr. 7184-7195 und Theologenbriefwechsel, Naumburger Konvent sowie Dresden, HStA, 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 10298/4, 56r-62v. Vgl. Siegmund-Schultze 2005, S. 298f. Siegmund-Schultze kennt nur die Marburger, aber nicht die Dresdner Fassung des Abschlussdokuments, bei dem Camerarius und Alesius unter den Unterzeichnenden zu finden sind. Insofern geht er fälschlich davon aus, dass beide nicht dabei waren. Tatsächlich könnte die Unterschrift des Alesius (Ego Alexander Alesius D legi, et probo) nachträglich beigefügt sein. Camerarius unterzeichnet im Dresdner Dokument als Letzter mit Hinweis auf seine Teilnahme (Ego Ioachi. Camerar. huic actioni interfui & his ...). Er war also dabei und schreibt in der "Vita Melanchthonis" (Bl. Z3v), dass Alesius anwesend gewesen sei. Unterzeichner des Dresdner Dokuments sind, neben den Genannten, auch Valentin Paceus, Heinrich Salmuth, Andreas Hyperius, Caspar Lanius und Johannes Sleidanus.
  168. Vgl. MBW Nr. 7147.
  169. Dies tut C. auch im Gutachten von 1559, wobei er die osiandrischen Positionen zwar nicht teilt, aber toleriert.
  170. Vgl. Wartenberg 2004, S. 43f. Text des Abschlussvertrages bei Glafey, Adam Friedrich: Kern der Geschichte des Hohen Chur- und Fürstlichen Hauses zu Sachsen. Frankfurt/Leipzig 1721, S. 236-263. Der Vertrag klärte territoriale und finanzielle Fragen, bestätigte die Wittenberger Kapitulation vom 19.5.1547 und regelte das künftige Zusammenleben beider Linien des Wettinischen Gesamthauses, mit deutlichem Übergewicht der Albertiner. Das enthaltene "Ruhegebot" für theologische Streitigkeiten hatte kaum Konsequenzen. Zur Vorgeschichte vgl. Wartenberg 2006a.
  171. Vgl. Meyer 1897: Bis 1570 war er fast jährlich an den Visitationsreisen beteiligt.
  172. Vgl. Jadatz 2007, S. 184.
  173. Vgl. Wartenberg 2006c, S. 69.
  174. Vgl. OCEp 0680 und OCEp 0909.
  175. Vgl. Zäh 2013 Nr. 95 = OCEp 2540. Dazu auch Bruning 2003, S. 88.
  176. Vgl. Wendorf 1957, S. 77f.: Verhandlungen in Nürnberg 26.-30.9.; kurfürstliches Schreiben vom 27.8. vgl. MBW 7568; zwei Konzepte des Schreibens an Melanchthon, C. und Valentin Paceus: Dresden, HStA, 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 10298/04 Religionssachen 1554-1558, f. 94r-95v sowie f. 96r-97v. Nähere Informationen zur Reise unter MBW 7591 m. Anm.; siehe auch Siegmund-Schultze 2005, S. 304-307.
  177. Wendorf 1957, S. 78.
  178. Vgl. OCEp 0688 und MBW Nr. 8008 (28.10.1556): Dort wird berichtet, dass C. mit Franz Kram in Regensburg war.
  179. Vom 17.10. bis 19.11. waren die Sitzungen unterbrochen: Vgl. Bundschuh 1988, S. 583.
  180. Zu C.' Reise vgl. Werner 2010, S. 255; MBW Nr. 8394, 8409, 8412, 8427. Vgl. zusammenfassend Gindhart/Hamm 2024, S. 28f. Zu Vorgeschichte und Ablauf des Religionsgesprächs vgl. Bundschuh 1988 passim.
  181. Vgl. handschriftliche Acta rectorum (Leipzig, UA, Bestand rektor, Rep. B 007, Liber Actorum Academiae Lipsiae MDLVIII "Handell-Buch" M) 1558-1579, Bl. 4r-17r; Zarncke 1859, S. 475-482.
  182. Vgl. Zarncke 1861, S. 516-544.
  183. Vgl. Hein/Junghans 2009, S. 306.
  184. Die entsprechende Angabe im Brief an Baumgartner vom 28.7.1559 wird durch einen Brief von Georg Cracow an Petrus Lotichius Secundus vom 13.8. [1] bestätigt, während die Melanchthon-Briefe MBW Nr. 9011 und 8986 nicht zwingend dagegen sprechen. Auch ein Brief an Crato (8.9.1559) belegt C.' zweimonatige Abwesenheit von Leipzig.
  185. Vgl. Woitkowitz 2003, S. 44. In der handschriftlichen Biographie (Joachim Camerarius II. mit Notizen von Philipp Camerarius: Handschriftlicher Abriß vom Leben ihres Vaters. München, BSB: clm 10376, Nr. 8, Bl. 13/21v) ist davon nichts erwähnt, statt dessen jedoch eine Reise nach Tübingen im Jahr 1560, wo der Herzog C. zur Rückkehr an die dortige Universität bewegen wollte.
  186. Zu seinem Sterben vgl. handschriftliche Acta rectorum (Leipzig, UA, Bestand rektor, Rep. B 007, Liber Actorum Academiae Lipsiae MDLVIII "Handell-Buch" M) 1558-79, Bl. 52r: Überlegungen der Universität Leipzig. Vgl. auch den ausführlichen Bericht bei Müller 1910 sowie neuerdings Rhein 2024, S. 124f.
  187. Vgl. die Verlautbarung von Vizerektor Georg Maior und Professoren vom 23.4.1560, in: Universität Wittenberg, Scripta publice proposita, 1561, Bl. Q6r-R3v, besonders Q8r-R1v. Es scheint aber, dass Camerarius dieses Lehrangebot abgelehnt hat, denn Georg Maior übernahm die Veranstaltung (vgl. Ludwig 2009, S. 73f.; Dresden, HStA, 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 10542/20, Des Hern Philippi Melanthonis seligen (...), f. 21r). Die anderen Lehrveranstaltungen übertrug man Veit Winsheim, Paul Eber, Petrus Vincentius, Sebastianus Theodoricus, Paul Crell und Johann Major. Der Melanchthon-Schwiegersohn Caspar Peucer wurde gebeten, die Ausarbeitung zu Carions "Chronicon" zu übernehmen. Er gewann in den nächsten Jahren erheblichen Einfluss in Wittenberg, gerade durch seine engen Beziehungen zum Kurfürsten August (Sachsen). Vgl. dazu Bruning 2004 und Kolb, Robert: Memoria Melanchthoniana 1560. The Public Presentation of Philip Melanchthon at his Death. In: Irene Dingel (Hrsg.): Memoria – theologische Synthese – Autoritätenkonflikt. Die Rezeption Luthers und Melanchthons in der Schülergeneration. Tübingen 2016, S. 89-102. Die Leipziger Theologische Fakultät jener Jahre ist noch unzureichend erforscht. Man beachte den Brief Jakob Andreaes, in dem er Camerarius nach dessen Tod als Haupt der Leipziger Calvinisten (!) bezeichnet: Brief von Andreae an Selnecker vom 23.5.1574, Brief-ID 20922, in: Theologenbriefwechsel im Südwesten des Reichs in der Frühen Neuzeit (1550-1620). Zugriff am 16.2.2024.
  188. So Woitkowitz 2003, S. 44.
  189. Bei der Neubesetzung von Melanchthons Professur wurde Camerarius um Rat gefragt: Vgl. Ludwig 2009, S. 73, und auch in religionspolitischen Angelegenheiten wurde er noch gelegentlich herangezogen.
  190. Vgl. Gehrt 2006, Gehrt 2011 und Gehrt 2014, S. 111-117.
  191. Vgl. Gehrt 2014, S. 109f.
  192. Vgl. Steinherz 1914, S. 187f.
  193. Steinherz 1914, S. 195.
  194. Vgl. Steinherz 1914, S. 194-198, 203-204, 274-275, 278; Anhang zu Schelhorn 1740, S. 61 und 89.
  195. Zit. in Steinherz 1914, S. 444; vgl. ebda. S. 423 und 444-445.
  196. Der Bericht des Philipp Camerarius über die Ereignisse ist abgedruckt in der „Relatio vera et solida de captivitate Romana ... Philippi Camerarii et Petri Rieteri“ (Anhang zu Schelhorn 1740), S. 57-61. Philipp deutet diesen Vorfall als Anlass für seine Freilassung. Der wahre Zweck des Besuchs von Cauchius bei Joachim Camerarius I. wird dort aber nicht genannt, sondern ergibt sich erst aus den bei Steinherz veröffentlichten Nuntiaturberichten.
  197. Mordeisens Entlassung erfolgte im Mai wegen des gescheiterten dänisch-habsburgischen Heiratsprojekts: Vgl. Steinherz 1914, S. 241, 388.
  198. OCEp 0528.1, OCEp 0726, OCEp 1179.
  199. Vgl. Koller 2023, S. 346-347.
  200. Vgl. Gehrt 2014, S. 117-121.
  201. Vgl. dazu Otto 1889, S. 30-32, Steinmann 2017, Gindhart/Hamm 2024, S. 29. Vgl. auch das Schlagwort Biographisches (Wienreise) sowie die Akten in Dresden, HStA, 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 9936/53, mit eigenhändigem Bericht des Camerarius auf Bl. 4r-8v.
  202. Vgl. Briefwechsel-David Chyträus.
  203. Vgl. Mager 1999, Hasse 2000, S. 111-119 und Dingel 2008, S. 794-822.
  204. Vgl. Koch 2001, S. 217-228.
  205. Die gründlichste Darstellung der Hintergründe und Zusammenhänge gibt Hasse 2000, S. 69-136; zum Thema "Sturz des Philippismus im Jahr 1574 als Zensurfall" vgl. ebda. S. 137-182. Vgl. auch Roebel 2012, Kluckhohn 1869, Bruning 2004, Hund 2006, Wustmann 1905, Calinich 1866 sowie ganz besonders Zinck 1903, S. 103-108.
  206. Instruktion der Visitatoren: Dresden, HStA, 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 10596/03, Bl. 1r-8v, ediert in Hasse 2000, S. 397-401. Zur Visitationsreise vgl. Hasse 2000, S. 154-163.
  207. Dresden, HStA, 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 10596/03, Bl. 25r-29v. Das Schreiben enthält keine Unterschriften. Jedoch ergeben sich die Mitwirkenden aus dem zusammenfassenden Bericht in den handschriftlichen Acta rectorum (Leipzig, UA, Bestand rektor, Rep. B 007, Liber Actorum Academiae Lipsiae MDLVIII "Handell-Buch" M) 1558-1579, Bl. 383r/v: Commissum itaque fuit D.D. Theologis Zachariae Schiltero Rectori academiae, Henrico Salmut Decano Theologici collegii p. Wolfgango Hardero Pastori ad S. Nicolaum et Andreae Freyhub, et uni de consistorio Iurisconsulto D. Iohanni Reifschmieder et uni de professorum numero D. Ioachimo Camerario, ut responsi formulam conciperent.
  208. Zu diesen Einigungsbemühungen, die vor allem Jakob Andreae entschieden prägte, vgl. Peters 2007.
  209. Vgl. Briefwechsel-Georg III. (Anhalt-Plötzkau) und Leppin, Volker: Anknüpfung und Neuansatz: Fürst Georg III. auf dem Weg zur Reformation. In: Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Landeskunde 17 (2008), Sonderband 500 Jahre Georg III. Fürst und Christ in Anhalt. Köthen 2008, S. 23-33.
  210. Vgl. Melanchthon-Briefwechsel: MBW - Regesten online sowie Rhein 2024, S. 133-137.
  211. Vgl. Klaus 1958.
  212. Vgl. ThBW 1, S. lxxii-lxxiv, lxxx, xcix, 16-18, 23-25, 70-72, 205-207. Zum Verhältnis von Brenz und C. vgl. Peters, Christian: Melanchthon und Brenz. Eine Freundschaft in Briefen. In: Johanna Loehr (Hrsg.), Dona Melanchthoniana. Festgabe für Heinz Scheible zum 70. Geburtstag. Stuttgart-Bad Cannstatt 2001, S. 277-311. Brenz und Camerarius lernten sich wohl nicht vor 1529 kennen, vgl. MBW Nr. 827.3 vom 7.10.1529.
  213. Vgl. Briefwechsel-David Chyträus.
  214. Zu Alesius vgl. Siegmund-Schultze 2005, wo auch C. und Melanchthon gebührende Beachtung finden. Briefe des Alesius findet man u.a. in: München, BSB, Clm 10358, fol. 139-141.
  215. Halm 1873, S. 10.
  216. WA Luther 1883, Bd. 16; S.138: WA 1980: 1524: III,395; 1530: V,307-308 (Nr. 1562 vom 6.5.) und S. 540f. (Nr. 1679 vom 6.8.); 1541: IX,423. Zur Brille vgl. → Medizin_(CamLex)#Fieber,_Haut-_und_Augenleiden.
  217. Mathesius, Die Tischreden von 1540, S. 92, Nr. 51.
  218. Colloquia oder Tischreden D. Mart: Luthers ... Auffs newe Corrigieret. Hrsg. v. Joannes Aurifaber: VD 16 L 6749, Bl. 2r.. Germann 1894, S. 44, liest Forstemius und bezieht diese Nennung auf Johann Forster. Ebenso Martin Keßler: Viele Stimmen in der Summe. Die anonyme Flugschrift ,Warhafftig ursach das der leib Christi nitt inn der creatur des brots aber [...] im [...] hertzen der glaubigen sei‘ (Worms 1529 und Augsburg 1536). In: Gudrun Litz, Susanne Schenk, Volker Leppin (Hgg.): Vielstimmige Reformation in den Jahren 1530 – 1548. Ulm 2018, S. 103-129, hier S. 120, der aber trotzdem die Schreibung Forschemius wählt. Bei diesem Namen kann man auch an Camerarius' Leipziger Lehrer Georg Helt denken, der wegen seiner Herkunft aus Forchheim oft als Forchemius bezeichnet wird. Für ihn sind jedoch bisher keine Hebräisch-Kenntnisse nachgewiesen.
  219. Vgl. OC 1038, Luther, Ad theologos Norimbergenses epistola, 1572, Bl. A8v.
  220. Briefwechsel-Erasmus von Rotterdam.
  221. Vgl. Rhein 2024, S. 135.
  222. Briefwechsel-Daniel Stiebar von Rabeneck. Vgl. Mayer 1952 und Wendehorst 1989, S. 316f.
  223. Obwohl die Camerarius-Söhne sich nicht mehr im Kurfürstentum aufhielten, war Joachim Camerarius II. als kurfürstlicher Leibarzt (von Haus aus) noch gelegentlich in Sachsen (Vgl. Camerarius II. an Kurfürst August vom 13.01.1585 http://www.aerztebriefe.de/id/00063632). Zu Beza bestand reger Briefkontakt, vgl. die Beza-Korrespondenz und Schlegelmilch 2024 (in Vorbereitung).
  224. Vgl. Gindely 1859, S. 37.
  225. Vgl. MBW Nr. 5863.3, 6276.4.
  226. Vgl. Brief von Alber an Herzog Christoph vom 19.6.1560: Brief-ID 17748, in: Theologenbriefwechsel im Südwesten des Reichs in der Frühen Neuzeit (1550-1620). Verfügbar unter: https://thbw.hadw-bw.de/brief/17748. Zugriff am 27.12.2024: Alber bezeichnet C. als "mein allt bekhandter freindt"; vgl. auch MBW Nr. 6175.
  227. Ein eher schlechtes Verhältnis zeigt ein Brief von Andreae an Selnecker vom 21.12.1570, Brief-ID 19795, in: Theologenbriefwechsel im Südwesten des Reichs in der Frühen Neuzeit (1550-1620). Verfügbar unter: https://thbw.hadw-bw.de/brief/19795. Zugriff am 27.12.2024.
  228. Einen kurzen Nachruf auf Bugenhagen verfasste Camerarius in seiner Vita Melanchthonis, vgl. Werner 2010, S. 257f.
  229. Leipzig, UA, Theol. Fak. 011, f. 5r-v und 10r-v bzw. f. 4r-v und 11r-v. Siehe MBW Nr. 6082a mit Anmerkung sowie Hasse 1997, S. 55f und 64.
  230. Leipzig, UA, Theol. Fak. 011, f. 51 (Theologische Fakultät Wittenberg an Theologische Fakultät Leipzig, 7.1.1573), und das Antwortschreiben ebda. 010, f. 326r-327r (Theologische Fakultät Leipzig an Theologische Fakultät Wittenberg, 10.1.1573), worin die Leipziger die Wünsche auf Georg Maior ausdehnen: (oremus Deum, ut) reverendos atque clarissimos viros Dominum D. Georgium Maiorem, et Dominum Ioachimum Camerarium, patres et praeceptores nostros cum observantia colendos, quorum vel umbra plurimum rebus afflictis et perturbatis prodesse posse videtur, diu: sicut et vestras reverendas dignitates: salvos et incolumes conservet: Domino Praeceptori Ioachimo pergrata fuit salutatio vestra et iussit vos omnes et singulos suis verbis a nobis officiose resalutari.
  231. Die Kinder der Reformatoren im engeren Sinne studierten allerdings eher in Wittenberg als in Leipzig. Vgl. Spehr, Christopher: Reformatorenkinder. Frühneuzeitliche Lebensaufbrüche im Schatten bedeutender Väter. In: Lutherjahrbuch, 77 (2010), S. 183-219.
  232. Vgl. OCEp 1468. Wenn Camerarius krank im Bett lag, pflegte er zu lesen; die daraus resultierende intensive Beschäftigung mit einem Stoff äußerte sich in der Folge immer wieder in literarischer Produktivität. Vgl. hierzu → Medizin. So führte eine Krankheit 1538 letztlich zur Abfassung und Publikation mehrerer hippologischer Schriften (→ Naturkunde).
  233. Der Brief ist ohne Jahresangabe auf den 13. August datiert. Die Übersetzung entstand laut dem Brief in demselben Sommer. Der Druck erschien laut Titelblatt 1536. Philipp Melanchthon bedankt sich schon im Februar 1536 für Camerarius' bereits erfolgte Übersetzungsarbeit und freut sich über dessen Vorhaben, sie Justus Jonas zu widmen (vgl. MBW - Regesten online, Nr. 1694), der Druck liegt ihm aber offenbar noch nicht vor. Als Entstehungsjahr der Übersetzung und damit auch des Widmungsbriefes ergibt sich somit 1535; dies deckt sich auch mit dem Absendeort Nürnberg (vgl. Itinerar). (Eine noch frühere Datierung des Briefes erscheint dagegen aufgrund des dann sehr großen Abstandes zum Druck unplausibel.)
  234. 1535 erschien in Basel, Léon Parmentier zufolge auf Basis des Codex Basilensis A III 18, die Editio princeps von Theodorets Kirchengeschichte; der Codex wurde selbst für den Druck benutzt und dazu die Blattbindung gelöst (vgl. Parmentier 1911, X und LXVI). Die Edition selbst wurde schon 1535 ohne eigenes Vorwort in Rhenanus' Kompendium eingebunden, das außerdem Fragmente von Epiphanius' Übersetzung als Teile der "Historia Tripartita" enthielt; Parmentier sind jedoch auch Exemplare bekannt, in denen sie mit Camerarius' Übersetzung zusammengebunden ist, die immerhin bereits ein Jahr später ebenfalls in Basel erschien (vgl. ebd., LXVI).
  235. Vgl. OCEp 1468, Theodoret, Res Ecclesiasticae, 1536, Bl. A2r/v. Was Camerarius meint, wenn er Epiphanius' Kenntnis des Griechischen so kritisiert, verdeutlicht wohl bereits einer der ersten Ausschnitte aus Theodoret, den Epiphanius übersetzt hat. Im griechischen Text heißt es hier: Ἤκουσεν γὰρ τοῦ θείου νόμου βοῶντος· ἐὰν ... (Rhenanus, Autores historiae ecclesiasticae, 1535, Bl. αa2v). Theodoret verwendet also klassisch griechisch das Verb ἀκούειν mit folgendem Genitiv und Partizip. Epiphanius übersetzt hier jedoch: Audiverat enim clamante divina lege: Si ... (Rhenanus, Autores historiae ecclesiasticae, 1535, S. 283). Die Partizipialkonstruktion im Genitiv deutet er also nicht als Objekt des Verbs ἀκούειν, das lateinisch als Akkusativobjekt zu audire wiederzugeben wäre, sondern als Genitivus absolutus, den er dann folgerichtig als Ablativus absolutus ins Lateinische überträgt. Camerarius übersetzt korrekt: Audierat enim divinam legem clamantem: Si... (Theodoret, Res Ecclesiasticae, 1536, S. 4).
    Nur wenige Zeilen später heißt es im Griechischen: [Βιτάλιος] καἰ τὴν ἐν τῇ παλαιᾷ καταλυθεῖσαν ὑπὸ τῶν τυράννων, ᾠκοδόμησεν ἐκκλησίαν (Rhenanus, Autores historiae ecclesiasticae, 1535, Bl. αa2v). Epiphanius bietet hierfür: [Vitalius] etiam antiquam ex multis temporibus destructam a tyrannis aedificavit ecclesiam (Rhenanus, Autores historiae ecclesiasticae, 1535, S. 283), Camerarius dagegen: Vitalius ... extruxit in antiqua urbe dirutam a tyrannis ecclesiam (Theodoret, Res Ecclesiasticae, 1536, S. 4). Während Camerarius also ἐν τῇ παλαιᾷ korrekt als Ortsangabe ("in der Altstadt") versteht, übersetzt Epiphanius als hätte er stattdessen bloßes παλαιάν vorliegen; was sich leicht durch eine alternative Textgestalt erklären lässt (vgl. die Anmerkungen bei Parmentier 1911, S. 7), mag auf Camerarius als Fehler gewirkt haben.
  236. Vgl. Theodoret, Res Ecclesiasticae, 1536.
  237. Vgl. Rhenanus, Autores historiae ecclesiasticae, 1535, S. 283f. für das Lateinische, ebd., Bl. αa2v für das Griechische.
  238. Vgl. Theodoret, Res Ecclesiasticae, 1536, S. 4f.
  239. Vgl. Rhenanus, Autores historiae ecclesiasticae, 1535, S. 284 für Epiphanius, ebd., Bl. αa2v für das Griechische, Theodoret, Res Ecclesiasticae, 1536, S. 5 für Camerarius.
  240. Vgl. OCEp 1468, Theodoret, Res Ecclesiasticae, 1536, Bl. A3r.
  241. In der Folge kritisiert Camerarius besonders Rufinus' "Historia Ecclesiastica" sowie namentlich nicht genannte Theodoretübersetzer.
  242. Vgl. OC 0194, Theodoret, Res Ecclesiasticae, 1536, S. 28 in Camerarius' Übersetzung.
  243. Zu Rufinus' Version der Erzählung, in der Arius' Tod in der Tat nach dem des Konstantin eingeordnet ist, vgl. Rhenanus, Autores historiae ecclesiasticae, 1535, S. 229.
  244. Vgl. OC 0196, Theodoret, Res Ecclesiasticae, 1536, Bl. a1r.
  245. Vgl. OC 0195, Theodoret, Res Ecclesiasticae, 1536, Bl. a1r.
  246. Vgl. die Streckenbeschreibung des Drucks von 1536.
  247. MBW - Regesten online, Nr. 1694: De Theodorito verso gratiam tibi habeo. Est et illud mihi gratissimum, quod Ionae dedicas, sic enim intellexi tuas literas. Amo enim Ionam et candorem ac fidem ei tribuo. Scio eum et de tuo ingenio tuisque virtutibus honorifice sentire.
  248. Vgl. Eusebius, Ecclesiasticae historiae autores, 1539, Eusebius, Ecclesiasticae historiae autores, 1544, Eusebius, Ecclesiasticae historiae autores, 1549, Eusebius, Ecclesiasticae historiae autores, 1554, Eusebius, Ecclesiasticae historiae autores, 1557, Eusebius, Ecclesiasticae historiae autores, 1562 und Eusebius, Ecclesiastica historia, 1570.
  249. Für Erscheinungsdaten nach der Leipziger Herbstmesse ist das so üblich.
  250. Cogitanti mihi in his synodi Oecumenicae molitionibus, quae longo iam tempore sunt in manibus, quid aut ordine et recte futurum, aut de eventu sperandum esse videatur, venit in mentem ut exemplum aliquod requirerem similium consiliorum et actionum, de quo coniecturam facere, et quasi divinare possemus, quem exitum hae quoque res habiturae essent (OC 0573, Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552, 3f.).
  251. Vgl. OC 0573, Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552, 4f. Als Beispiel für das verderbliche Machtstreben des kirchlichen Standes führt Camerarius besonders das Abendländische Schisma an.
  252. Vgl. OC 0573, Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552, 14f.
  253. Vgl. OC 0573, Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552, 22f.
  254. OC 0573, Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552, 61: Verum ... religiosa pietas ... sequitur doctrinam coelestem, et huic fidem habet non scientiae humanae, sed piae fidei: Et quae divina sunt, ea neque callide cogitando, neque audacter pronuntiando profanare sustinet.
  255. Vgl. OC 0573, Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552, 132.
  256. Vgl. OC 0573, Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552, 129ff.
  257. Vgl. OC 0573, Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552, 86-90.
  258. Vgl. OC 0573, Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552, 154ff.
  259. Vgl. OC 0571.
  260. MBW - Regesten online, Nr. 6977: S. D. De indiciis temporum, quae ob caussas tibi notas et saepe a me commemoratas crebro usurpo, scribis non arbitrari te, quod possint certo dies negotii aut casus ullius demonstrari, cum de annis quoque dubitationes non careant ratione, et, quid exquisitae notationi obstet, prudenter colligis. Ego vero, quamvis sciam non posse praecise quicquam in hoc genere definiri, tamen utile duco quam proxime exquisita tempora habere in promtu. Scis astrologos quoque interdum contentos esse τῷ ἔγγιστα, cum disciplina illa nitatur scientia geometriae, cuius demonstrationes firmissimae putantur, et cogere assensum, ut proverbio etiam locum dederint »ἀνάγκαι γεωµετρικαί«. Meus autem mos tibi non est ignotus, de quo memini te aliquando argumentari, in fugiendo ambages et dubitationes, quatenus fieri potest, et diserte aliquid exponendo et, quemadmodum dicere soleo, κατηγορικῶς. Itaque et narro ista forma etiam ea, de quibus fortasse alii aliter. Mihi enim scripta aut dicta refero οὐδὲν ὑπολογιζόµενος τὴν κατάφασιν ἢ ἀπόφασιν. Iam, scio, repetes tecum id, quod nuper dicebas: videndum tamen, ne quid forte falso affirmetur. Hoc illi videant, qui autores sunt. Et interdum falsa quoque disseminari et fabulas utiles narrari prodest. Ego quidem nihil comminiscor. In recitando si minus iudicor timidus vel nimis etiam confidens, detur venia simplicitati meae aut feratur etiam istud vitium. De his igitur satis.
  261. Vgl. OC 0572.
  262. Vgl. OCEp 0491 und Woitkowitz 2003, S. 233-237.
  263. Vgl. OCEp 0917.
  264. Vgl. OCEp 1058.
  265. THBW 15501: In itinere ad Tridentum legimus etiam equitantes tuam Nicaenam historiam ac multum ea delectati sumus. Facies ecclesiae rem gratissimam, si talibus monumentis tuam ei fidem probare perges.
  266. Vgl. OC 0573, Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552, 85-90.
  267. Camerarius zählt acht oder neun Ökumenische Konzilien: Dabei äußert er Zweifel daran, dass Konstantinopel IV (869/870) als achtes Ökumenisches Konzil bezeichnet werden kann; als nächstes Konzil mit einem Anspruch auf Ökumenizität, den er weder bejaht noch verneint, bezeichnet Camerarius das Konzil von Konstanz (1414-1418).
  268. Vgl. OC 0676, Nikephoros, Chronologia, 1561, 219-223.
  269. Vgl. OC 0678, Nikephoros, Chronologia, 1561, 16.
  270. Vgl. OC 0678, Nikephoros, Chronologia, 1561, 17.
  271. Über den Autor war Camerarius nach eigenem Zeugnis nicht mehr bekannt, als dass er Patriarch gewesen und von Nikephoros Kallistu Xanthopulos zu unterscheiden war (vgl. OCEp 1501, dat. 19.08.1572).
  272. Vgl. Clemen 1912a, 52f.
  273. Cum autem hoc [sc. Epiphanio oder opere Epiphanii], pro veteri necessitudine nostra [sc. cum Iohanni Lange] tunc quoque perquam familiariter uti concederetur, viro non modo dignitate et doctrina, sed humanitate etiam praestante, sumpsimus ab ipso et hunc [sc. Nicephori] librum (OC 0678, Nikephoros, Chronologia, 1561, 17).
  274. Von Verzögerungen bei der Arbeit am Nikephoros berichtet Camerarius bereits 1552 in dem kurzen Werk "De chronicis" (vgl. OC 0571, Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552, 159.
  275. Während Camerarius in OC 0677, Nikephoros, Chronologia, 1561, 51 das gegenwärtige Jahr mit 1547 benennt, schreibt er innerhalb derselben Notiz eine Seite weiter bereits von 1549 und fügt in Klammern an, seit Beginn seiner Arbeit an dieser Anmerkung seien bereits zwei Jahre vergangen.
  276. Vgl. OCEp 1280, Nikephoros, Chronologia, 1561, 166.
  277. In der zweiten Auflage von 1573 beginnt sogar die Paginierung in der zweiten Hälfte zu den Konzilien neu.
  278. Vgl. OCEp 1280, Nikephoros, Chronologia, 1561, 166.
  279. OCEp 0825, Camerarius, Epistolae familiares, 1583, 470 und Zäh 2013, Nr. 199: Meam Chronologiam neque diligentissimam neque negligentissimam editam puto te vidisse. Fuit mihi curae, ut narrarem ea quae cognitu utilia essent maxime. Te forte legentem et errata corrigere et notata mihi indicare velim.
  280. Vgl. OCEp 0826.
  281. So Camerarius später am 19.08.1572 (vgl. OCEp 1501).
  282. So schreibt er in einem Brief an Johann Oporinus vom 07.03.1562 (vgl. OCEp 1281).
  283. Vgl. OCEp 1461, Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566, Bl. A3r.
  284. Vgl. OCEp 0881.
  285. Vgl. auch OCEp 1284.
  286. Vgl. OCEp 0882. Dass Canter nicht wie Wolf 1561 mit einer beliebigen Ausgabe, sondern mit der Druckvorlage arbeitete, geht aus Camerarius' Brief an Oporinus vom 13.06.1568 hervor (vgl. OCEp 1284).
  287. Vgl. OCEp 1231 = http://www.aerztebriefe.de/id/00005231.
  288. Vgl. http://www.aerztebriefe.de/id/00004627 (Autograph unter https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:29-bv044448948-2).
  289. Vgl. http://www.aerztebriefe.de/id/00052202; Digitalisat unter https://doi.org/10.7891/e-manuscripta-19385.
  290. Vgl. Gilly 2001, 30f. sowie http://www.aerztebriefe.de/id/00034308 und http://www.aerztebriefe.de/id/00034311. Für die Originale vgl. in der Briefsammlung Trew H62/TREWBR ZWINGER_THEODOR[3 (01.09.1570) und H62/TREWBR ZWINGER_THEODOR[6.
  291. Vgl. OCEp 0844 und Zäh 2013, Nr. 400. Zu Wolfs Bedauern vgl. OCEp 2588 vom 05.11.1571 (= Zäh 2013, Nr. 402).
  292. Vgl. http://www.aerztebriefe.de/id/00000189, Scan des Originals in der Briefsammlung Trew H62/TREWBR ZWINGER_THEODOR[12.
  293. So Camerarius an Rüdinger am 19.08.1572 (vgl. OCEp 1501).
  294. Vgl. Nikephoros, Chronologia, 1573.
  295. Vgl. OCEp 1501.
  296. Vgl. etwa Nikephoros, Chronologia, 1561, 21.
  297. Vgl. etwa Nikephoros, Chronologia, 1561, 22f.
  298. Vgl. Nikephoros, Chronologia, 1561, 53-62.
  299. Die Identität dieses Jakob (H-)Ertel (im Druck steht der Name ohne Spiritus) ist unklar. Die GND teilt ihm auf Basis des Gedichts im Nikephoros die Nummer 119664879 zu, kennt jedoch keine weiteren Belege. Jedoch erscheint die Annahme plausibel, dass die Person zum Zeitpunkt des Drucks 1561 in Leipzig (Wirkungsort des Camerarius) oder Basel (Druckort der ersten Auflage des Nikephoros) studierte. Ein Blick in die Matrikeln liefert als einzigen möglichen Kandidaten "Jacobus Hertelinus Rotlandus = J. Härtlein von Hof im Voigtland" (Wackernagel 1956, S. 82, Nr. 47, GND 100163556, Geburtort Chur falsch): Geboren 1536 schrieb er sich 1549/50 in Erfurt ein und erhielt am 29.10.1555 in Basel unter dem Namen Jac. Hertelius Curiensis e Variscis den Grad eines Baccalaureus; am 10.02.1557 wurde er Magister. Er war später Schulmeister in St. Peter in Basel, bis er am 23.09.1564 an der Pest starb. Zu ihm vgl. Jenny, Beat Rudolf: Die Musikprofessur an der Universität Basel im zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts. In: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 83 (1983), S. 27-83 ( http://edoc.unibas.ch/dok/A6243504), besonders S. 54f., 75, sowie ders.: Humanismus und städtische Eliten in Basel im 16. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung der Basler Lateinschulen von 1529-1589. In: Platteriana. Beiträge zum 500. Geburtstag des Thomas Platter (1499?-1582). Hg. von Werner Meyer und Kaspar von Greyerz, Basel 2002 (Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft 175), S. 77-121 ( http://edoc.unibas.ch/dok/A2691942), besonders S. 96f. Hertel wird vom VD16 als Beiträger zu diversen Drucken geführt, meist mit Geleitgedichten wie dem zu Nikephoros, viele vom Anfang der 1560er Jahre. Einer dieser Drucke ist namentlich VD16 F 343 (S. 15), wo er sich ebenfalls als Iacobus Hertelius Curien[sis] Variscus bezeichnet. Dieser Druck hat wie viele andere ein theologisches Thema (vgl. VD16 C 6576, Bl. A1v sowie einige der folgenden). In den meisten Fällen verwendet Hertel zudem wie der (H-)Ertel des Nikephoros jambische Versmaße in sechshebiger (vgl. VD16 S 7596, Bl. A1v, VD16 W 1361, Bl. A4r/v, VD16 A 3259, Bl. β4v, VD16 L 2924, Bl. β3v-4r, VD16 F 3195 Bl. DD5v-6r) oder wie im Nikephoros in dreihebiger Form (vgl. VD16 C 6112, S. 13, VD16 M 3125, Bl. A1v, VD16 R 2665, S. 19). Eine Identifikation von (H-)Ertel und Hertel scheint mithin plausibel.
  300. Vgl. Reineck, Syntagma de familiis, 1574, 617.
  301. Vgl. OCEp 1496 (dat. 09.05.1573).
  302. Zu Camerarius' Jesus-Vita vgl. auch Seckt 1888, 21-31 und Kunkler 1998, 242-251.
  303. So schon auf dem Titelblatt des Drucks: "Historiae Iesu Christi filii Dei nati in terra matre sanctiss[ima] sempervirgine Maria summatim relata expositio".
  304. Procedente autem aetate, attentius, ut fit, cogitans: Quid et iucundum inprimis esse deberet, et profuturum maxime videretur, facile animadverti utrunque eo potissimum contineri, in quo hominis Christiani professio versaretur. Ea est profecto cognitio illustris rerum divinarum, quam historiae congruentis copia non modo augeri, sed cum personarum tum eventuum consideratione explicari declarando constat (OCEp 1461, Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566, Bl. A2v).
  305. Indem er die alleinige Bedeutung der Heiligen Schrift zur Erlangung des Heils betont, hält sich Camerarius tatsächlich eng an Martin Luther (vgl. Kunkler 1998, 245).
  306. Kunkler 1998, 243.
  307. Vgl. OCEp 1461.
  308. Dies geht aus Camerarius' an Wolfgang von Pfalz-Zweibrücken gerichtetem Proöm der "Chronologia" des Nikephoros hervor (vgl. OC 0678).
  309. Vgl. OC 0762, Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566, 2.
  310. Vgl. Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566 und Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566a sowie Camerarius, Historia Iesu, 1581.
  311. Vgl. OC 0762 und OC 0761.
  312. Vgl. VD16 G 508.
  313. Vgl. OC 0762, Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566, 15f.
  314. Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566, 15.
  315. Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566, 18.
  316. Vgl. Kunkler 1998, 249.
  317. Kunkler 1998, 251.
  318. Kunkler 1998, 248.
  319. Vgl. OC 0762, Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566, 5.
  320. Vgl. OC 0762, Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566, 6-13.
  321. Vgl. OC 0762, Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566, 13ff. Vgl. auch S. 67f. und 70f. zu Camerarius' Erklärung, warum Jesus "am dritten Tage" auferstanden sei, wenn der doch am Freitag gestorben und am Sonntag vom Reich der Toten zurückgekehrt ist.
  322. Auf Bl. A3v-A4v verkündet Camerarius, er werde an einigen Stellen auf verbreitete Fehllehren eingehen; er wisse, dass er sich damit Kritik aussetze, aber die Alternative sei, überhaupt nichts zu schreiben. Auf Bl. A7v zeigt er auf, dass die Werke der Frühscholastik (ea, quae ante annos circiter quingentos edita sunt) noch recht nahe an der wahren Lehre seien, jedoch mit geringen Abweichungen, und dass jede folgende Generation der Scholastik auf den Fehlern ihrer Vorgänger aufbauend sich weiter von Jesu Lehre entfernt habe (vgl. auch Kunkler 1998, 247). Auf Bl. A8v erklärt er den Ursprung der Sage von Georg dem Drachentöter aus der Perseus-Sage; bei Fragen der Chronologie vergleicht Camerarius verschiedene Quellen und gewichtet sie nach ihrer Zuverlässigkeit (S. 13ff.); auf S. 75 äußert er sich kritisch zum Schweißtuch der Veronika und ähnlichen Erzählungen. Auf S. 89 fordert Camerarius, die Antike müsse geschätzt werden, jedoch in ihrer reinen und wahren Form, unverdorben durch übertriebene Ausschmückungen (antiquitas quidem venerabilis esse debet universis, sed ea sancta, incorrupta, sincera). Die Apokryphen verwirft Camerarius auf Bl. A7v und S. 100f.
  323. Kunkler 1998, 245.
  324. Kunkler 1998, 246.
  325. Vgl. OC 0762, Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566, 19.
  326. Vgl. Kunkler 1998, 248.
  327. OC 0762, Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566, 19: Nam quo accuratius expoliuntur [sc. ea quae intelligentiam animi nostri excedunt], eo inter tractandum profaniora quodammodo redduntur. Ein Beispiel für die katastrophalen Folgen der Anwendung menschlicher Vernunft auf himmlische Wahrheiten ist laut dem Kommentar zum lateinischen Nikephoros der Arianismus: Mit Aussagen wie denen, dass es eine Zeit vor Jesus gegeben habe (ἦν ὅτ' οὐκ ἦν), dass dieser aus dem Nichts geschaffen worden sei (ἐκ τῶν οὐκ ὄντων ἐγένετο) und dass Jesus vor seiner Zeugung nicht existiert habe (πρὸ τοῦ γεννηθῆναι οὐκ ἦν), kurz dass Jesus Geschöpf Gottes und damit nicht mit diesem ewig sei, habe Arius großen Schaden angerichtet; indem er, ob bösen oder guten Willens, versucht habe, menschliche Argumentationsweise in die christliche Lehre einzubringen, habe er sich dem Teufel als Werkzeug erboten (OC 0677, Nikephoros, Chronologia, 1561, 41f.: Unde discere debemus, quam nocens et perniciosa res sit rationis humanae artificium et architectura in dogmatis divinis. Sive enim malicae, seu quodam non impio consilio, perverso tamen studio, ille [sc. Arius] hanc conatus fuit in Ecclesiam [sic] doctrinam invehere, praebuit se Diabolo hosti Ecclesiae organum ad effectionem multorum malorum, et ingentium perturbationum, quae postea variae secundum diversimodi hominum petulantia ingenia extiterunt).
  328. Vgl. OC 0762, Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566, 19.
  329. Vgl. OC 0762, Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566, 19.
  330. Zur Entstehungszeit des Werks war ein Streit um antitrinitarische Gruppierungen entbrannt. Camerarius war bereits bezüglich des Athanasischen Glaubensbekenntnisses angeeckt und war daher bestrebt, keine Zweifel an seiner trinitarischen Gesinnung aufkommen zu lassen. Vgl. den Abschnitt zur ↓ Trinität.
  331. Vgl. OC 0762, Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566, 4.
  332. Vgl. OC 0762, Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566, 6.
  333. Vgl. OC 0762, Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566, 83: Nam qui in filium DEI blasphemi sunt, ... ii abalienare naturam huius a patris Deitate cupide studuerunt. Alii autem contra diversa sententia evecti tanquam ad ampliorem cultum, eundem esse hunc et patrem dixere. Itemque eundem filium et SPIRITUM sanctum. Est autem in his ambabus partibus plaga insanabilis. Der griechische Text bei Epiphanios lautet (Panarion 23): Οἱ μὲν γὰρ εἰς τὸν υἱὸν βλασφημοῦντες, καθάπερ μοι ἄνω προδεδήλωται, φύσει ἀπαλλοτριοῦν αὐτὸν τῆς τοῦ πατρὸς θεότητος ἐφιλοτιμήσαντο· ἄλλοι δὲ πάλιν ἑτέρως φρονήσαντες, ὡς δῆθεν τιμῆσαι περισσοτέρως προαχθέντες, τὸν αὐτὸν εἶναι πατέρα εἶπον καὶ τὸν αὐτὸν υἱὸν καὶ τὸ αὐτὸ ἅγιον πνεῦμα· ἔστι δὲ τοῖς μέρεσιν ἀμφοτέροις ἀνίατος ἡ πληγή.
  334. Vgl. OC 0762, Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566, 5, 48f. Wie Camerarius an anderer Stelle ebenfalls um 1565 darlegt, hatte Jesu Tod zugleich zur Folge, dass die Macht der Dämonen, die die Menschen lange Zeit beherrscht hatten, gebrochen wurde: Atque ab his [sc. daemonibus] caussa tandem data fuit mortis, qua per summam contumeliam tolleretur e medio [sc. Iesus]. Qua quidem morte eorum vis et potestas peremta est, et mortuus hic atque sepultus, cum mox diuina potentia excitatus revixisset, vitam amissam reconciliata Dei aeterni gratia hominibus restituit: Tunc igitur et potentia ista [sc. daemonum] fracta, et regnum ereptum, et in contrarium cuncta fuere conuersa (OC 0763, Plutarch, De natura et effectionibus daemonum, 1565, Bl. C5r). Vgl. auch den Artikel zu → Mantik und Magie.
  335. Vgl. OC 0762, Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566, 5.
  336. Vgl. OC 0762, Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566, 5f.
  337. Ac potius castissimae virginis memoriam colere nunc quidem sive una cum corpore seu absque hoc assumtae in vitam aeternam a filio. Id quod ideo utrunque posui quia neutrum iis literis quarum est sancta autoritas mandatum legitur (OC 0762, Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566, 40). Vgl. auch ebd., 76.
  338. Vgl. OC 0762, Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566, 40.
  339. Vgl. OC 0762, Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566, 81f.
  340. Vgl. OC 0762, Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566, 79ff.
  341. Wieder bezogen auf das Thema der Marien- und Heiligenverehrung schwebte Camerarius vermutlich etwa vor, dass besonders prunkvolle Darstellungen Marias und der Heiligen leichter dazu verleiten konnten, diese als göttlich zu verehren, sobald die Vorstellung von der Möglichkeit solcher Verehrung einmal Eingang in die kirchliche Lehre gefunden und diese so kontaminiert hat.
  342. Neve veritatis pulcritudinem ac decus contaminent atque polluant aspersis mendaciorum maculis (OC 0762, Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566, 86). Als Beispiel nennt Camerarius mit Bezug auf Platon (wohl nach Hipp. mai. 290 a ff. und 295 c) die Augen der Statuen, die nicht in grellen Farben wie Gold und Purpur zu bemalen seien, sondern in natürlichen Farben, sodass sie als Augen erkennbar seien.
  343. Libellum tuarum narrationum de Vita CHRISTI et Apostolorum accepi, pro quo tibi gratias ago maximas. Arbitror enim illa Sacris literis maxime consentanea esse adeoque exquisiti iudicii et doctrinae ut temere confictae narrationes aliorum facile ostendantur ac refutentur. Avide itaque lecturus eram libellum nisi D. Davides Voit noster illum mihi e manibus eripuisset, ut perlegendo me anteverteret (Briefsammlung Trew, Sign. STOIUS_MATTHIAS[30, Digitalisat unter https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:29-bv043954193-3H62/TREWBR ). Die Korrespondenz von Camerarius und Stojus untersucht Alexander Hubert ausführlich in seiner am Camerariusprojekt angesiedelten Dissertation.
  344. Vgl. Beust, Orthodoxa enarratio Evangeliorum, 1591, Bd. 3, 65.
  345. Vgl. Beust, Orthodoxa enarratio Evangeliorum, 1591, Bd. 3, 248f.
  346. Kulpis 1685, 141.
  347. Vgl. Bourassé 1862, Sp. 674f.
  348. Vgl. Molnár 1981, 4ff.
  349. Die Böhmischen Brüder maßten sich niemals die Bezeichnung einer Kirche an, da sie diesen Begriff universellen christlichen Kirche vorbehielten; sie selbst bezeichneten sich als Unität (lat. unitas, tsch. jednota) von Brüdern (vgl. Molnár 1951, 102).
  350. Vgl. MBW - Regesten online, Nr. 1559.
  351. Vgl. Molnár 1981, 13 und VD16 C 4825.
  352. So Peucer selbst in einem Brief an Jan Blahoslav vom 19.06.1566 (vgl. http://www.aerztebriefe.de/id/00051842 ), unvollständig abgedruckt in Benz 1971, 132, vollständig in Gindely 1859, 289. Er gibt darin zu, dass er die Sprache nicht mehr fließend spreche, aber sich bemühe, sie präsent zu halten, und ihre vollständige Beherrschung sogar der der üblichen Bildungssprachen (ohne konkrete Nennungen) vorziehen würde: Nam et henetam linguam, in qua natus sum, interdum per otium repetere conor et sane integram malim, quam ex illis aliquam, quae a nostris hominibus sumptibus magnis, sed ambitione quadam magis, quam fructu discuntur. Vgl. auch Roebel 2012, 16 (mit Anm. 10), 29, 95. Vgl. hierzu Melanchthons Lob für Melchior Wins, der seinen Sohn Tschechisch lernen lasse; diese Sprache ziehe auch Melanchthon der Französischen vor.
  353. Vgl. Benz 1971, 129ff. und Roebel 2012, 97.
  354. Vgl. Roebel 2012, 96f.
  355. Benz 1971, 133.
  356. Zu den Beziehungen zwischen Martin Bucer und den Böhmischen Brüdern vgl. Molnár 1951.
  357. Vgl. Erythraeus' eigenen Bericht in Gindely 1859, 37 (deutsche Übersetzung), 62 (tschechisches Original). Camerarius' Aufenthalt in Straßburg bezeugt ein Brief an Daniel Stiebar vom 10. Juni (vgl. OCEp 1019).
  358. Vgl. Blahoslavs Erinnerung an das Treffen in einem Brief an Camerarius vom 16.07.1571, ediert in Gindely 1859, 321f. Vgl. auch Goll 1878, 63, MBW - Regesten online, Nr. 7845 (dat. 01.06.1556), Tschižewskij 1940, 112 und Fritsch 2022, 306.
  359. So Camerarius in einem Brief an Isaiah Caepolla vom 25.07.1569 (vgl. OCEp 1426).
  360. Vgl. Förstemann 1894, 53.
  361. Vgl. OCEp 1426 (dat. 25.07.1569); Camerarius adressiert Caepolla in dem Schreiben als amicus. Sein Sohn Joachim führte diesen Kontakt später fort (vgl. Caepollas Brief an diesen vom 11.09.1576 ( http://www.aerztebriefe.de/id/00009579).)
  362. Es mag sich dabei um das 1566 gedruckte deutschsprachige Gesangbuch "Kirchengeseng" der Böhmischen Brüder gehandelt haben (VD16 XL 117). Zu den Gesangbüchern der Unität schreibt Sladká 2022, 231: "[Die] aufwendig ausgeschmückten Gesangbücher [der Böhmischen Brüder] wurden berühmt und erfuhren eine Verbreitung quer durch alle Konfessionskirchen; die Verwendung durch Katholiken, Lutheraner und Utraquisten ist in zeitgenössischen Quellen dokumentiert." Tatsächlich scheinen die Gesangbücher ein bedeutender Teil der Selbstinzenierung und "Propaganda" der Böhmischen Brüder gewesen zu sein (ebd., 233). Von Caepolla haben sich außerdem Korrekturbögen zu einem 1569 gedruckten Gesangbuch erhalten (vgl. Sladká 2022, 250).
  363. Datiert auf den 16.07.1571, Edition in Gindely 1859, 321f.
  364. Zum Kontakt zwischen Crato und Blahoslav vgl. dessen Brief an Crato vom 17.08.1568 ( http://www.aerztebriefe.de/id/00034057). Daneben hatte Blahoslav auch regelmäßigen Kontakt zu Caspar Peucer (vgl. http://www.aerztebriefe.de/).
  365. Ludwig Camerarius an Karl von Žerotín vom 01.02.1601 (ediert in Hrubý 1970, 116-118): nempe vovere [Camerarium] ac precari solitum dicebat [sc. Esromus], ut antequam immutabili Dei aeterni voluntate et providentia migrandum esset ipsi ex hac vita, interesse ipsi liceret Fratrum in regionibus illis coetibus et cum communione ipsorum Christiana frui, tum disciplinae, quae inter illos vigeret, integritatem conspicere.
  366. Similiter praeclarus ille Joachimus Camerarius in Academia Lipsensi Graecae linguae Professor, scriptura ornans sua, more Germanis recepto, album amicorum Wenceslaii Placelii, nobilis Bohemi, nunc apud Fratres iudicis, huius sententiae verba in eo exaravit; Sicubi gentium nunc est vera Christi Ecclesia, certe apud Fratres Bohemicos est. Quod vir tantus haud temere pronunciavit: sed quia cum de ipsis historiam concinnare haberet in animo, scire prius eum oportuit, quales ii effent de quibus scripturus erat (Lasicius 1649, 122).
  367. OC 0949, Camerarius, Historica narratio, 1605, 142f.
  368. ... Martinus Lutherus, tale prooemium curavit proponendum, ut qui post illud testimonium accurate et firmis rationibus explicatum, de religionis Fratrum sincera integritate, et pura disciplina honestate, dubitare et quaerere amplius velit, nimis curiosus; qui vero accusare adhuc illos audeat, improbus ac malus sit. Fuit autem initio M. Lutherus inscius veritatis, et ipse Fratribus iniquior. A quibus missi ad eum anno Christi M. D. XXII. quidam, ad considerationem diligentiorem commoverunt animum huius, et tunc conciliata est illius ipsis benevolentia atque amicitia, assensioque et approbatio tam dogmatum quam rituum, quae defenderent, et quos servarent (OC 0949, Camerarius, Historica narratio, 1605, 99).
  369. Sane quicquid [Lutherus] aliquando rumusculis dissipatis assentiens, contra Fratrum religionem, aut de eis criminose contra veritatem, dixit aut scripsit, id postea aliis sermonibus atque scriptis satis superque correxit. Constatque eum huius coetus admiratorem laudatoremque maximum fuisse (OC 0949, Camerarius, Historica narratio, 1605, 127).
  370. Solos prope in orbe terrarum Fratres, cum puritate doctrinae, vigorem etiam disciplinae Christi apud se restituisse; Quae laus ut eis detur, et hoc in illis opus Domini praedicetur, rem ipsam cogere (OC 0949, Camerarius, Historica narratio, 1605, 142).
  371. Vgl. Gindely 1859, 451ff. für eine Übersicht.
  372. Vgl. Gindely 1859, 320. Vgl. auch Goll 1878, 62: "Die Latinität der früheren Confessionen entsprach keineswegs den Ansprüchen des humanistisch gebildeten Zeitalters".
  373. Vgl. Benz 1971, 137. Vgl. dort auch zum Folgenden.
  374. Zu ihm vgl. Meyer, Gerhard: "Herbert, Petrus". In: Neue Deutsche Biographie 8 (1969), S. 582 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119706032.html#ndbcontent.
  375. Jedenfalls arbeitete Rüdinger später auf Basis der deutschen Version, wie aus Caepollas Bericht deutlich wird: Wittebergae eo tempore dum essem, familiaritate bonorum virorum et praecipuorum in academia usus sum, qui per occasionem saepe mecum loquebantur, esse ex re nostra, ut confessio Germanica Latine ederetur. Ipseque Esromus aliquoties miratus fuit, cur tam diu res differretur, atque aliquando inter conferendum mecum dixerat, se voluisse id officii nostris praestare, e Germanico in Latinum ut transferret, si per suas occupationes licuisset (Gindely 1859, 320).
  376. Gindely 1859, 320.
  377. Vgl. Gindely 1859, 320f. Vgl. auch Goll 1878, 62.
  378. Vgl. Gindely 1859, 328: [Esromus] [r]eferebat et hoc de Camerario, quod dixerit genus suae orationis periodicum esse, in nostra vero confessione esse commaticum quiddam.
  379. Vgl. Gindely 1859, 329f.
  380. Vgl. Gindely 1859, 330f. sowie Peucers Aussage in seinem Brief an Blahoslav vom 01.10.1571 auf 334.
  381. Vgl. Gindely 1859, 332. Zum "Consensus" vgl. Mager 1999 und Hasse 2000, S. 111-119.
  382. Vgl. Gindely 1859, 331ff., Brieftext auf 332f.
  383. Vgl. Gindely 1859, 338.
  384. Vgl. Gindely 1859, 338 und Benz 1971, 137f.
  385. Vgl. Gindely 1859, 330, 338 und Benz 1971, 138.
  386. Vgl. Gindely 1859, 339.
  387. Vgl. Gindely 1859, 341 und 346.
  388. Vgl. Gindely 1859, 341ff.
  389. Vgl. Gindely 1859, 347. Wie an anderer Stelle Caspar Peucer (vgl. Benz 1971, 138f. nach Gindely 1859, 334 und 337) äußert sich Camerarius hier laut Caepolla bitter über die Uneinigkeit der Protestanten. Gerade nach dem Tod Johann Pfeffingers habe Camerarius große Bedenken: Dieser sei zwar nicht sehr gebildet gewesen, habe sich jedoch gut steuern lassen, sodass die Erfolgsaussichten höher wären, wenn er noch lebte (etsi non erat excellenter doctus, tamen suo loco utiliter et bene docebat et scribebat, et patiebatur sibi subiici et moneri. Habebam, inquit [sc. Camerarius] ipsum quasi in manibus et potuissem ipso viro de successu rei melius sperare). Vgl. Gindely 1859, 346f.
  390. Vgl. Gindely 1859, 348f.
  391. Vgl. Gindely 1859, 349.
  392. Vgl. Hasse 2000, 390.
  393. Vgl. Gindely 1859, 350.
  394. Abgedruckt in Gindely 1859, 351-355.
  395. Vgl. Gindely 1859, 355f.
  396. Vgl. Gindely 1859, 356ff. Derselbe Brief fand dann Eingang in die Basler Edition des Bekenntnisses von 1575 (vgl. VD16 C 4828, 11ff.).
  397. Vgl. Gindely 1859, 359.
  398. Dies muss für die sonst überaus auf Perfektion bedachten Brüder schmerzlich gewesen sein, die sonst alles bis hin zur Kommasetzung streng regelten. Vgl. Sladká 2022, 247ff.
  399. So Goll 1878, 62. Zur lateinischen Version des Bekenntnisses vgl. VD16 C 4827.
  400. Vgl. Gindely 1859, 361f.
  401. Am 24. April befindet sich die deutsche Version im Druck (vgl. Rüdingers Brief an Stephanus Gindely 1859, 360); am 25. April schreibt Rüdinger auch Caepolla, der Druck der deutschen Version schreite voran (vgl. Gindely 1859, 362f.). Für den fertigen Druck vgl. VD16 C 4832.
  402. Vgl. Gindely 1859, 343f. Vgl. auch Goll 1878, 64.
  403. Zu diesem vgl. Wotschke 1925, Goll 1878, 74ff., Havelka 2022.
  404. Zu dieser ersten Schrift des Lasicius vgl. Goll 1878, 76ff., Havelka 2022, 482f.
  405. Vgl. Gindely 1859, 379ff., Wotschke 1925, 95f., Havelka 2022, 483. Allgemein bestanden innerhalb der Brüderunität strenge Regelungen bezüglich Druckpublikationen: Sämtliche Druckschriften von Mitgliedern der Unität mussten zunächst vom Inneren Rat genehmigt werden. Dieses Kontrollbestreben erstreckte sich jedoch auch auf Werke von Nicht-Mitgliedern. Vgl. Sladká 2022, 244f.
  406. So Havelka 2022, 483.
  407. So Goll 1878, 75.
  408. Vgl. Gindely 1859, 321.
  409. Zu den neuen Quellen schreibt Jaroslav Goll: "Als Br. Isaias Cepola im Jahre 1571 nach Deutschland kam, befand sich ein historisches Werk des Blahoslav in seinen Händen. Cepola selbst bezeichnet dasselbe als istas Blahoslai nostri notas seu annales nostros. Damit kann nur die Summa gemeint sein, da doch Peucer, dem Cepola diese Schrift lieh, das böhmische Werk, die jetzt allgemein dem Blahoslav zugeschriebene Geschichte der Brüder, nicht verstanden hätte." (Goll 1878, 56; zu Blahoslavs "Summa" vgl. ebd., 53ff. (Edition auf 114-128), zur böhmischen Geschichte vgl. ebd., 56ff.). Diese Schlussweise ist offensichtlich falsch, da Peucer, wie oben erläutert, Tschechisch (oder "Böhmisch") sehr wohl lesen konnte; das Ergebnis des Schlusses kann jedoch zumindest halb so bestehen bleiben: Denn nicht nur Peucer, sondern auch Rüdinger bekam die Blahoslai nota[e] seu annales nostr[i] zu sehen (vgl. Gindely 1859, 328f.); von Rüdinger sind nun aber definitiv keine Kenntnisse des Tschechischen - oder anderer slawischer Sprachen - bekannt (noch 1583 sagte Rüdinger selbst im Kontext seiner Tätigkeit in Ivančice, er verstehe kein "Böhmisch", vgl. Ball 1898, S. 91). Die allgemein Blahoslav zugeschriebene lateinische "Summa" war also wohl in der Tat unter den Notizen, die Caepolla überbrachte; allerdings - und daher ist das Ergebnis des Schlusses nur halb korrekt - berichtet Caepolla später, er habe im Frühsommer 1572 einige der Notizen aus dem Tschechischen ins Lateinische übersetzt (vgl. Gindely 1859, 330). Es befanden sich also auch, wenn auch nicht nur, tschechische Quellen unter diesen. Dabei mag es sich ggf. auch um eine von Blahoslav auf Tschechisch verfasste Geschichte handeln (vgl. Goll 1878, 56ff., besonders aber 60f. zur Argumentation für die Existenz einer heute verlorenen Geschichte der Böhmischen Brüder von Blahoslavs Hand in unbekannter Sprache).
  410. Vgl. Gindely 1859, 325-328. Vgl. auch Goll 1878, 64.
  411. Vgl. Gindely 1859, 330.
  412. Vgl. Gindely 1859, 328.
  413. Vgl. Gindely 1859, 329.
  414. Vgl. Gindely 1859, 328f.
  415. Vgl. Gindely 1859, 329.
  416. Vgl. Gindely 1859, 331f.
  417. Vgl. Gindely 1859, 331ff., Brieftext auf 332f.
  418. Vgl. Goll 1878, 64: Zu einem solchen habe Caepolla Camerarius bewogen.
  419. Lasicius 1649, 122: Multis idem Camerarius de iisdem Fratribus mecum, praesente celebri illo Medico Gasparo Peucero, ... Lipsiae contulit, Anno 1571. cum tertio iter facerem in Galliam.
  420. Vgl. auch OC 0949.
  421. Vgl. Goll 1878, 65.
  422. Die Notizen hatte er ja bei sich behalten, nachdem Lasicius versprochen hatte, nach seiner Rückkehr aus Frankreich nach Mähren zu kommen und Caepolla dort zu treffen (vgl. Gindely 1859, 330). Lasicius verstand als gebürtiger Pole vermutlich Tschechisch zumindest bis zu einem gewissen Grad; daher war keine Übertragung ins Lateinische vonnöten gewesen, solange Lasicius alleine der Adressat gewesen war. Mit Camerarius' Auftreten änderte sich das nun.
  423. Vgl. Gindely 1859, 339. Vgl. auch Goll 1878, 64.
  424. Vgl. auch OC 0949.
  425. Vgl. Gindely 1859, 343f.
  426. Vgl. Flaminio, Epistolae, 1571, Bl. I4r/v.
  427. Vgl. Gindely 1859, 347.
  428. Historica vestra nimis diu distulistis, cum senex noster iam sit mortuus. Ego socero amisso non tantum in luctu sum gravissimo, sed sunt etiam, qui exilia nobis minantur (Gindely 1859, 363). Es ist unklar, ob und inwieweit - den Befürchtungen der Wittenberger entsprechend - die Arbeit an und die Druckerlaubnis für das Bekenntnis der Böhmischen Brüder sich auf die Verfolgungen auswirkten.
  429. Vgl. Ball 1898, S. 88-97, Fritsch 2022, 306 und Siegfried, Carl G.A.: "Rudinger, Esrom". In: Allgemeine Deutsche Biographie 29 (1889), S. 470 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd117598690.html#adbcontent. Zur Rückkehr vgl. auch http://www.aerztebriefe.de/id/00041022.
  430. Brief an Karl von Žerotín vom 01.02.1601 (ediert in Hrubý 1970, 116-118). Zur Druckgeschichte vgl. auch Ludwig Camerarius' Widmungsbrief (Camerarius, Historica narratio, 1605, Bl. **5r/v).
  431. Vgl. Camerarius, Historica narratio, 1605 und Goll 1878, 64.
  432. Vgl. Beyreuther et al. 1980, 52, Fritsch 2022, 309.
  433. Goll 1878, 64.
  434. Vgl. Beyreuther et al. 1980, 46.
  435. Vgl. Goll 1878, 64.
  436. Vgl. OC 0949, Camerarius, Historica narratio, 1605, 6f.
  437. Vgl. Beyreuther et al. 1980, 52f.
  438. Vgl. Goll 1878, 65.
  439. Vgl. Goll 1878, 53.
  440. Vgl. Goll 1878, 65ff.
  441. Vgl. Goll 1878, 75, Havelka 2022, 483.
  442. Vgl. Goll 1878, 74 und 78, dort auch Anm. 2.
  443. Havelka 2022, 483.
  444. Vgl. Goll 1878, 75f., Wotschke 1925, 95, Kurze 1975 53f., Havelka 2022, 483f.
  445. Havelka 2022, 487.
  446. Goll 1878, 78f.
  447. Vgl. Havelka 2022, 487ff.: Zumindest Johannes Laetus (Veselský) und Andrzej Węgierski hatten Zugriff auf das Werk und verwendeten es in ihren eigenen kirchenhistorischen Darstellungen. Über Węgierski kam vermutlich Laetus an Auszüge und das Manuskript schließlich in den Besitz von Comenius.
  448. Vgl. Goll 1878, 76 und VD17 12:116849B (= Lasicius 1649). Zu einer Edition von 1660 aus Amsterdam vgl. http://www.wbc.poznan.pl/dlibra/docmetadata?id=335034. Vgl. ausführlich Havelka 2022, 491.
  449. Vgl. Havelka 2022, 496.
  450. Vgl. Havelka 2022, 484.
  451. Erhalten sind die Bücher 1-4 und 6, wobei einige Paragraphen von Buch 4 als Buch 5 gezählt werden. Vgl. genauer Havelka 2022, 484f., dort auch mit Kapitelüberschriften und Inhaltsangaben. Zu Comenius' Exzerpten vgl. ebd., 491.
  452. Vgl. Goll 1878, 76f. und Wotschke 1925, 96.
  453. Brief-ID 20922, in: Theologenbriefwechsel im Südwesten des Reichs in der Frühen Neuzeit (1550-1620). Verfügbar unter: https://thbw.hadw-bw.de/brief/20922. Zugriff am 16.2.2024.
  454. So Schubert 2013, S. 49.
  455. Zur Problematik vgl. Koch 1986 und Ludwig 2009, S. 8-16.
  456. Camerarius bekennt sich in seinem Gutachten für Kurfürst August, Abschnitt 9, klar dazu, an den entsprechenden Verhandlungen beteiligt gewesen zu sein. Vgl. auch Engel 2014.
  457. Zur engen Freundschaft der beiden vgl. u.a. Rhein 2024.
  458. Camerarius, Disputatio de precibus (Druck), 1560, Bl. A7r/v.
  459. Übersetzt von Vinzenz Gottlieb: Zur Religion und auch zu den großen theologischen Zwistigkeiten äußerte er sich in der Weise, dass er gegen keine Gruppierung roh oder ungerecht agierte und dennoch schwerwiegende Missstände bemängelte: Er tadelte falsche Lehren streng und ging energisch gegen Aberglauben vor.
  460. Für quantitative Untersuchungen dieser Frage empfehlen wir die Nutzung der Volltextsuche.
  461. Z.B. im Geleitbrief zur Homiliensammlung, Camerarius, Ὁμιλίαι (Druck), 1573, S. 17: Es sei schwierig, den Schöpfer der Welt zu finden, und wenn es gelinge, dann darüber zu sprechen. So sage Platon in den Exzerpten des Hermes Trismegistos.
  462. So suggeriert es sein Schweigen in vielen Streitfragen. Man beachte die spärlichen Belege für Camerarius in der Datenbank "Controversia et Confessio".
  463. Eine klare Absage an die katholische Transsubstantiationslehre. Es ist noch zu untersuchen, wie sich das Abendmahlsverständnis im innerprotestantischen Konflikt verorten lässt. In anderen Schriften versucht Camerarius den Spagat zwischen lutherischer und reformierter Abendmahlslehre, so in der Katechesis, S. 383, wo er die wahrhaftige Gegenwart Christi und gleichzeitig den Symbolcharakter betont (Übersetzung: Seckt 1888, S. 20): "Wie der Gottessohn Mensch geworden, im Fleische gelitten, vom Tode erstanden, aufgefahren ist gen Himmel und zur Rechten sitzt des allmächtigen Vaters wahrhaft und wörtlich, ohne jede Allegorie und ohne Sinnbild (räumlich unbegrenzt und durch Menschengedanken nicht zu umfassen), aber so, daß es ein Geschöpf nicht zu verstehen, eines Menschen Wort nicht zu sagen, Menschenverstand nicht zu begreifen vermag, - so wird Leib und Blut Christi, nach der Einsetzung des Herrn, in der Gemeinde wahrhaft und wirklich ausgeteilt. Der gottselige Glaube allein versteht das Geschehende, das menschlichem Wissen verschlossen bleibt. - Das Abendmahl aber besiegelt die göttliche Liebe und Gnade. Wir feiern es zum Gedächtnis des Geheimnisses der Erlösung durch das Blut Christi, der Sündenvergebung und unserer dauernden Gemeinschaft mit Jesus Christus, unserm Herrn. Indem wir seinen Leib essen, werden wir mit Christo in einem Leibe vereinigt (...); wir werden im Glauben gestärkt, indem wir das Blut in seiner Gemeinde trinken. (...) Endlich ist das Herrenmahl auch ein σύμβολον καὶ σημεῑον φανερόν, ein Merkmal und Zeichen des übereinstimmenden Glaubens der Christen".
  464. Zur Rechtfertigungslehre bezieht C. gelegentlich (nicht immer absichtlich) Positionen, die lutherischem Denken fern stehen, ja an die Werkgerechtigkeit erinnern: Vgl. Stählin 1936, S. 59. Dies vor allem in der "Historia Jesu", S. 2, und in der "Querela Luteri", S. 32 (Nescio sane ... si in Ecclesia Christi necessitas bonorum operum praedicari non debeat.). Im Gutachten stellt er sich vor Georg Maiorund verteidigt ihn gegen den Vorwurf, er predige die Werkgerechtigkeit. Er weist aber auch darauf hin, dass gute Werke im Himmel und auf Erden ihre Belohnung erhalten.
  465. Das bezieht sich, wie der Hinweis auf 1545 zeigt, auf die Leipziger Bartholomäuskonferenz, an der Camerarius teilgenommen hatte: Vgl. Wartenberg 1988, S. 207-209.
  466. Hier ist die Position zur Willensfreiheit angesprochen. Bereits in den diesbezüglichen Streit zwischen Luther und Erasmus von Rotterdam hatte Camerarius 1524/25 vermittelnd einzugreifen versucht.
  467. Vgl. MBW Regesten, Nr. 7591.
  468. Diese ungewohnt heftige Positionierung gegen Flacianer findet man bereits in der "Querela Luteri" und im "Onar hypar".
  469. Zu Georgs stark katholisch geprägtem Kirchenverständnis vgl. Sander 2008 sowie Wartenberg 1988 passim.
  470. Dazu Stählin 1936, S. 54f.: Auch dort wird aber nur erwähnt, was Camerarius nicht wollte. So habe Camerarius den Zustand der alten (römischen) Kirche abgelehnt und Irrwege immer wieder benannt. Einen positiven Gegenentwurf des Camerarius sucht man vergebens.
  471. Es ist bemerkenswert, dass C. in der "Catechesis" aus dem Jahr 1552 einige reformierte (zur Abendmahlslehre) und katholische Positionen (Heiligenverehrung, Zölibat) ablehnt, sich jedoch für die Einheit der Kirche einsetzt. Dies passt zu seinen Einigungsbemühungen in der Interimsfrage und der "Confessio Saxonica". Siehe auch Schultheiß 2024, S. 198-200.
  472. Diese Rolle bleibt nach außen aber undurchsichtig. Zum Hintergrund: Wegen des Vorwurfs calvinischer Theologie hatte Superintendent Johann Pfeffinger ein Lehrverbot für Strigel durchsetzen lassen: Vgl. Brief-ID 19326, in: Theologenbriefwechsel im Südwesten des Reichs in der Frühen Neuzeit (1550-1620). Verfügbar unter: https://thbw.hadw-bw.de/brief/19326. Zugriff am 5.2.2025, Brief-ID 33488, in: Theologenbriefwechsel im Südwesten des Reichs in der Frühen Neuzeit (1550-1620). Verfügbar unter: https://thbw.hadw-bw.de/brief/33488. Zugriff am 5.2.2025. und Jacobi, Carl Ludwig: Neue Beyträge von Alten und Neuen Theologischen Sachen, Büchern, Urkunden, Controversien, Anmerkungen, Vorschlägen etc.: zum Wachsthum der Theologischen Gelehrsamkeit, wie auch der Alten und Neuen Kirchen- und Gelehrten-Geschichte etc. ... mitgetheilet: auf das Jahr 1753, S. 459-471.
  473. "De dissidio in religione" wurde von Théodore de Bèze herausgegeben ohne Nennung des Verfassers, als der Camerarius vermutet wird. Ein Beweis dieser These könnte viele seiner Positionen unterstreichen.
  474. Dabei sind in erster Linie Gutachten in Kooperation mit Melanchthon und anderen Wittenberger Theologen gemeint. Zu Wittenberger Gemeinschaftsgutachten vgl. Kohnle 2002. Dort wird allerdings die Rolle des Camerarius nur marginal behandelt. Zu beachten ist, dass Camerarius gerade mit der Leipziger Theologischen Fakultät viel kooperiert hat. Aber auch da agierte er eher im Hintergrund, so dass seine genaue Rolle kaum erforscht ist. In anderen Fällen wurde er qua Amt tätig: Im Sommersemester 1544 wurde er von der Regierung konsultiert, gemeinsam mit Leipziger Theologen, unter anderem für eine Stellungnahme zur kölnischen Ordination. Wahrscheinlich sind hiermit die Reformationsversuche des Erzbischofs Hermann von Wied gemeint: Vgl. Zarncke 1859, S. 218 und 240.
  475. Mit anderen Worten: Jesus Christus sei der Maßstab christlicher Lehre, und seinen in der Heiligen Schrift geoffenbarten Worten gebühre der Vorrang vor anderen Traditionen. Vgl. "Historia Iesu Christi", S. 87: Ecclesiasticam doctrinam atque disciplinam instaurari, et vitia corrigi, et emendari pravitatem, secundum a filio De Domino nostro Iesu Christi declarata prophetica, et praeconii Euangelici apostolica scripta. Siehe auch Gindhart/Hamm 2024, S. 42f.
  476. In "De Sancto Petro et Paulo Apostolis" und dem "Hymnus de Sancto Laurentio" sowie den Apostelviten. Vgl. OC 0459, Camerarius, De invocatione sanctorum (gr., Druck), 1545, Bl. Cr: ὁ δὲ πατὴρ καὶ ὑιὸς καὶ ἅγιον πνεῦμα προσκυνείσθω, τὴν μαρίαν μηδεὶς προσκυνείτω.
  477. Vgl. OC 0900, Camerarius, Ὁμιλίαι (Druck), 1573, S. 208-212.
  478. Vgl. OC 1036, Abschnitt 1. Ähnlich schreibt er auch in der "Katechesis": OC 0579, Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1552, S. 294.
  479. Vgl. MBW Nr. 6276.3.
  480. Seckt 1888, S. 17: Katechesis, S. 296f.: εἰ μὲν οὖν ἀθανάσιος ... συνέθηκέ τε καὶ ἐξέδωκε τὸ ἀμοιβαῖον σύμβολον, ὡς νῦν ᾄδεται, οὐκ ἔχω εἰπεῖν, ἀπὸ δὲ τεκμηρίων τινῶν ὑπονοήσειεν ἄντις νεώτερον εἶναι τοῦτο ἢ καθ'ἡλικίαν ἐκείνην, καἰ ἐκτεθῆναι παρὰ τοῖς δυτικοῖς μάλιστα. φανερὸν δὲ ἐξ ὧν ἐπέστειλε λιβερίῳ τω τῆς παλαιᾶς ῥώμης ἐπισκόπῳ ὁ ἀθανάσιος, καὶ ἐξ ἄλλων τινῶν ξυγγραμμάτων αὐτου, ὅτι ἐνίοτε ἀδιορίστως οὐσίας, καὶ οὐκ ἀγνοοῦμεν ὅτι ταῦτα τἀ ὀνόματα ὑπὸ γρηγορίου καὶ βασιλείου πρῶτον διεσαφηνίσθη ἐξερμηνευόμενα, διδασκόντων τὴν μὲν οὐσίαν τὸ κοινὸν τῆς θεότητος ἐμφαίνειν, τὴν δὲ ὑπόστασιν, ἤγουν πρόσωπον, ὡς ἐκάλεσαν οἱ δυτικοὶ, τὸ ἰδιάζον. Übersetzung: "Ob nun Athanasius ... das im Wechselgesang zu singende Glaubensbekenntnis zusammengestellt und verbreitet hat, kann ich nicht sagen; aufgrund verschiedener Merkmale kann man vermuten, dass es jünger ist als jene Zeit, und im Westen entstanden. Offensichtlich schickte Athanasius dem Liberius, dem Bischof des alten Roms, Auszüge daraus und aus einigen anderen seiner Schriften, weil die "Ousia" nicht bestimmt ist, und wir wissen sicher, dass diese Begriffe von Gregor und Basilius zuerst definiert wurden, die lehrten, dass die "Ousia" das Gemeinsame der Gottheit zeigt, die Hypostase dagegen, oder persona, wie die Westler sagen, das Eigentümliche ("idiazon")." Zur Verfasserfrage vgl. Drecoll 2007.
  481. Vgl. OC 0878, Camerarius, Notatio figurarum sermonis in libris quatuor evangeliorum (Druck), 1572, Bl. A7r/v.
  482. Dingel/Daugirdas 2013, S. 163, Anm. 126. Ansonsten stimmte Alesius oft mit Camerarius überein: Vgl. Alesius, Assertio doctrinae, 1564, Bl. C2v sowie Siegmund-Schultze 2005.
  483. Vgl. Dingel/Daugirdas 2013, S. 10-15.
  484. John Jewel, The Defense of the Apology of the Church of England The Parker Society...: Works of John Jewel, bp of Salisbury. (1848). Vereinigtes Königreich: Printed at the University Press., III,254: "the Creed called Quicunque vult, written, as some think, by Athanasius, as some others, by Eusebius Vercellensis".
  485. Vgl. Dissertationes tres De tribus Symbolis..., Amsterdam 1642, S. 55.
  486. Vgl. Génébrard, De Sancta Trinitate ..., Paris 1569, S. 179.
  487. Vgl. Benedictus Aretius, Valentini Gentilis iusto capitis supplicio Bernae affecti brevis historia ..., Genf 1567, S. 31; zu Gentile vgl. Trechsel 1844, S. 316-390 und 471-479.
  488. Vgl. OC 0726, S. 258 und Kelly 1964, S. 3.
  489. Vgl. Kelly 1964, S. 109-114.
  490. OC 0878, Camerarius, Notatio figurarum sermonis in libris quatuor evangeliorum (Druck), 1572, Bl. A7r. Übersetzung: Ich weiß, dass man keine sichere Hoffnung auf Rettung außerhalb der allumfassenden und rechtgläubigen Kirche Jesu Christi setzen kann. In ihr allein ist die wahre Anbetung des ewigen Gottes und die Erkenntnis der Wahrheit und sie hat die Zustimmung des Heiligen Geistes, der unser Lehrer ist und uns zur gesamten Wahrheit, zur größten und höchstens Wohltat und Gabe führt.
  491. Vgl. Kelly 1964, S. 19, Vers 23: Spiritus sanctus a Patre et Filio, non factus nec creatus nec genitus sed procedens.
  492. Camerarius, Disputatio de precibus (Druck), 1560, S. 187: Πάνσεπτος τριὰς ἣν καὶ προσκυνέουσιν ἅπαντα.
  493. Vgl. OC 0194, Theodoret, Res Ecclesiasticae, 1536, S. 171-173: Sunt autem Graecae ὀυσία et ὑπόστασις, quas convertimus Essentia ac substantia, neutra quidem admodum Latina, sed quibus tamen Graecae, ne ipsae quidem admodum hac quidem significatione probatae, reddi viderent. Außerdem unterscheidet er die Begriffe Substantia, Persona, Character, Individuum und Proprium. Die Gottheit sei eine natura oder essentia, enthalte aber die drei substantiae (Vater, Sohn und Heiliger Geist) und drei personae bzw. characteres.
  494. OC 0579, Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1552, S. 303 sowie OC 0726, Camerarius, Catechesis, 1563, S. 263f.
  495. OC 0726, Camerarius, Catechesis, 1563, S. 347f.: Unum quidem illum natura ac essentia omnino indivisum, sed quem contemplamur in trinitate hypostaseon seu personarum, secundum harum differentias. ... Essentiam quidem vocamus naturae communitatem, quodque est in hac uniforme et indiscretum, secundum quod unum, solum, aeternum, principio carentem Deum agnoscimus et adorantes colimus, secundum verbum ipsius. Sed hypostaseos nomen, vult secernere differentias quasdam earum, quae dicuntur personae, in quibus est illud unum, vel, Quae sunt una Deitas, per quas ineffabili modo et incompraehenso ostenditur numen divinum quale sit: Unum nimirum secundum essentiam, quod nos tamen contemplemur in tribus differentiis: non ficte neque imaginatione cogitandi, sed reipsa et vere subsistentes. Vgl. OC 0579, Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1552, S. 403.
  496. OC 0670, Camerarius, Disputatio de precibus (Druck), 1560, S. 257: Οὐσία, τὸ ὂν καθ' ἑαυτό, ἢ, τῶν ὄντων ἑκάστου ἑνοειδὴς κατάστασις. ἢ ὕπαρξις τοῦ ἁπλῶς καθ'ἑαυτὸ, καὶ μὴ ἐν ὑποκειμένῳ ἑτέρῳ ὄντος. ἢ πρᾶγμα αὐθύπαρκτον μηδενὸς ἑτέρου δεόμενον πρὸς σύστασιν. Φύσις, οὐσία κοινὴ ἰδιωματικῶν ὑποστάσεων ὧν αὐτὴ περιέχει. Υπόστασις, τὸ καθ'ἑαυτὸ ἰδιοσυστάτως ὑφιστάμενον, ἢ τὸ ἴδιον παρὰ τὸ κοινόν, ἢ ἰδιότης ὑπὸ τὴν φύσιν ὑφισταμένη.
  497. OC 0726, Camerarius, Catechesis, 1563, S. 349: Deum patrem primum principium esse universorum, ipsum principio carentem, ingenitum, factorem celi et terrae, et creatorem universorum, quaecunque sane creata sunt.
  498. Vgl. OC 0728, Camerarius, Votum seu Preces (Druck), 1563, Bl. A7r: Sancte potens, aeterne Deus, Deus optime et idem Maxime, iuste, sed et mitis, miserisque benigne, invicte, omnipotens.
  499. Häufig erscheint dieses Motiv in den Gedenkreden auf Kurfürst Moritz, z.B. Camerarius, Orationes funebres, 1569, S. 57 und 155.
  500. OC 0576, Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1552, S. 292f.: ἐκ τοῦ πατρὸς ἐκπορευόμενον, καὶ ἐκ τοῦ ὑιοῦ λαμβανόμενον. a.a. O., S. 404: τὸ δὲ ἅγιον πνεῦμα ἐκπορευόμενον ἐκ τοῦ πατρὸς. Zum "Filioque" vgl. Gemeinhardt, Peter: Die Filioque-Kontroverse zwischen Ost- und Westkirche im Frühmittelalter. Berlin u.a. 2002.
  501. OC 0726, Camerarius, Catechesis, 1563, S. 349: Spiritum autem sanctum egredi ex patre, secundum scripturas, cum nihilo secus etiam filii ille spiritus sit, ut confessionis veritas hoc constituat: Quod spiritus sanctus personam suam habeat ex patre et a filio. Non genitus neque factus aut creatus, sed egrediens ex Deo, unde omnis sanctificatio pervenit ad Ecclesiam Christi. Ebenso a.a.O. S. 255: ex patre egrediens, et qui accipitur ex filio.
  502. OC 0726, Camerarius, Catechesis, 1563, S. 271: Egredi autem ex patre secundum oracula divina, et consistere seu habere personam suam per filium sancti patres tradiderunt. Er bezieht sich dabei auf Basilius.
  503. "Explicatio in Symbolum apostolorum et Decalogum" 1646, S. 144f.
  504. Vgl. Erasmus-Gesamtausgabe Vol. V.I, S. 269-271 sowie Vol. VI.VIII, S. 162f.
  505. Vgl. OC 0879, Camerarius, Notatio figurarum sermonis in libris quatuor evangeliorum (Druck), 1572, S. 288.
  506. OC 0726, Camerarius, Catechesis, 1563, S. 267: Er sei vollständig Mensch geworden, mit Verstand, Seele und Leib, aber ohne Sünde.
  507. OC 0726, Camerarius, Catechesis, 1563, S. 549 (sic! eigentlich 349): Sed filium nulla temporis origine ex patre nasci, non creatum neque factum, verbum seu sermonem in una persona, per quem omnia facta sunt, quaecunque sunt facta. Qui se medium interponit semper inter Deum et homines, qui homo est factus, assumta carne sine peccato vere ex Deipara virgine Maria, Qui passus est, et pro nobis mortem pertulit, resurrexit, asumtus est in celum, et sedet e dextris Dei patris, venturus ad iudicium de vivis et mortuis, salvator et redemtor noster Dominus Iesus Christus.
  508. OC 1036 (Gutachten für Kurfürst August), Abschnitt 2: "Vnnd bekenne das allein Gottes sune, das Ewig personlich Wort, vnnd das die hailig schrifft sey das wort so Gott geredet, vnd gesprochen vnd also geoffenbart alles so von seinem Gottlichem wesen, vnd willen den menschen zuwissen von nöthen, Welche läre auch diße vnterscheid vermischet oder felschett, die halt ich fur vnrecht vnd verfurisch".
  509. Vgl. OC 0724, Camerarius, Catechesis, 1563, S. 48-52 zu filius und verbum.
  510. Siehe ↑ Theologie - Christologische Inhalte.
  511. Vgl. OC 0762, Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566, S. 4.
  512. Vgl. ebd. S. 6.
  513. So schreibt C. im Rahmen eines Glaubensbekenntnisses: OC 0726, Camerarius, Catechesis, 1563, S. 349: assumta carne sine peccato vero ex Deipara virgine Maria; OC 0579, Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1552, S. 404: ἐκ τοῦ θεοτόκου παρθένου μαρίας.
  514. Vgl. Walter 2017, S. 39f. und Seckt 1888, S. 18.
  515. Vgl. OC 0762, Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566, 82f.: Atque haud scio an de toto hoc genere praeclarissime ille autor haec scripserit, in disputatione contra eos, quos Antidicomatitas(!) appellat, quasi disceptatores de sanctitate virginis Mariae.
  516. OC 0726, Camerarius, Catechesis, 1563, S. 308: casta et pura permanens semper.
  517. OC 0573, Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552, S. 112-125.
  518. Vgl. OC 1036, Abschnitte 6 und 8.
  519. → Schlagwort Hymnus.
  520. OC 0574, Fabricius, De historia et meditatione mortis Christi, 1552, S. 67f.; OC 0310, Camerarius, Ἐπιγράμματα, 1538, S. 123f. sowie OC 0322, Camerarius, Ἐπιγράμματα, 1538, S. 124-127.
  521. OC 0762, Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566, S. 74. Offensichtlich vermengt Camerarius hier den Patriarchen Nikephoros und den Geschichtsschreiber Nikephoros Kallistu Xanthopulos, bei dem diese Beschreibung steht: Migne, PG, 145, col. 748f.
  522. OC 0455, Camerarius, Capita pietatis, 1545, V. 119f., vgl. Walter 2017, S. 40. Vgl. auch OC 0425, Camerarius, Synodica, 1543, Bl. D4r-v: Propter merita non propria sed aliena domini nostri Iesu Christi, iustificatis fide non operibus suis. promittitur enim diuinitus omnibus credentibus in Christum remissio peccatorum, salus & uita sempiterna, quae accipi aliter quam fide non possunt.
  523. OC 0726, Camerarius, Catechesis, 1563, S. 231. Vgl. auch OC 0906.
  524. OC 0726, Camerarius, Catechesis, 1563, S. 233.
  525. OC 0431, Camerarius, Synodica, 1543, Bl. B2r: De iustificatione seu de ea doctrina, quae dicit homines consequi remissionem peccatorum propter Christum fide, non propter dignitatem, item de bonis operibus Ratisbonae facta est conciliatio. Et non dubito prudentes omnes et timentes Deum, agnoscere eam sententiam quae in ecclesiis, quas Luteranas appellant, traditur, veram et utilem esse pietati.
  526. Gutachten, Abschnitt 8: "allein den verdienst Iesu Christi des einigen Suns Gottes, welcher vnser einiger mittler, erlöser vnd seligmacher ist, fur vnser sund gestorben, aufferstanden zw vnser gerechtigkeit, Vnnd sitzet zu der gerechten hand Gottes, verbietett, vertrietett, erlöset, bringt zwm ewigen heyle, immerdar vnd ohn vnterlaße, alle die ihenigen so an inen glauben, vnd sein wort annemen vnd halten nach Gottes bevelh".
  527. Gutachten, Abschnitt 6; so auch Catechesis, S. 47-54 und 54-69 zum Lohn für gute Werke und Strafe für böse. Vgl. Müller 2000, S. 207; ähnlich Melanchthon und Valentin Wagner; vgl. Seckt 1888, S. 17.
  528. OC 0596, Camerarius, Querela Martini Luteri (Druck), 1554, S. 32: Nescio sane ... si in Ecclesia Christi necessitas bonorum operum praedicari non debeat ... Ergo erunt aut bona, aut non bona: quorum utrum docendum sit, me autore obscurum non est.
  529. Vgl. OC 0596, Camerarius, Querela Martini Luteri (Druck), 1554, S. 29f.: Optavi ego aliquando omnia mea scripta intercidere, et unum modo libellum durare, quo cum Erasmo Roterodamo de arbitrio voluntatis humanae disputavi. In der Kontroverse zwischen Martin Luther und Erasmus von Rotterdam um den freien Willen hatte Camerarius wohl geglaubt, die beiden lägen nahe beieinander. So hatte er den Reformator motiviert, eine Erwiderung auf "De libero arbitrio" zu verfassen, was den Konflikt aber verschärfte und so zur gegenseitigen Entfremdung der beiden Konfliktparteien beitrug. Vgl. ↑ Die frühen Jahre bis 1526.
  530. Vgl. Camerarius et al., Querela Martini Luteri et al., 1555.
  531. "Historia Jesu", Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566, S. 2: hoc enim non modo utilitatem nobis sed plane salutem allaturum, aliis qui legissent gratum acceptumque futurum esse. Vgl. Stählin 1936, S. 59.
  532. OC 0726, Camerarius, Catechesis, 1563, S. 235: Unde iam accidit ut doctrinae huic maledicatur , quasi talis sit quae evertat et prohibeat utilitatem bonorum operum, et accommodetur populariter ad vulgus, quod omnes fere ad remissionem et desidiam declinent, et fugiant virtutum labores et exercitationes. Minime vero se res ad hunc modum habet.
  533. Vgl. Irene Dingel, Der Majoristische Streit in seinen historischen und theologischen Zusammenhängen. In: Politik und Bekenntnis. Die Reaktionen auf das Interim von 1548. Hg. v. Irene Dingel und Günther Wartenberg. Leipzig 2006, S. 231-247, hier S. 240.
  534. Volkmar 2008, S. 183.
  535. Vgl. OC 0726, Camerarius, Catechesis, 1563, S. 235-238. Zitierte Stellen sind u.a. Eph 2,10 und 4,17, Joh 15,1f. und 2 Petr 1,8-10 sowie Gregor von Nazianz (Migne, PG 35,427,39-428,2). Zum gottgefälligen Handeln vgl. auch Camerarius, Responsio, 1564.
  536. OC 0724, Camerarius, Catechesis, 1563, S. 54f.
  537. Ebd., S. 62.
  538. V. 94-98, OC 0455: σέ δ‘αὖ ὅδε πάντα διδάξει
    Ἄττα σὲ χρὴ πράττειν, βροτέων γὰρ κὔδανεν ἔργων,
    Οὐδείς πω κτίστη πάντων, ὃσα δῇτ‘ ἐγένοντο,
    ἁλλ‘ ὅδ‘ ἑοῖ πισύνους καὶ ἐφέλκει καὶ μεταπλάττει,
    Εἰς κραδίην, ὃν πνεῦμα βαλὼν, θεῖόνθ‘ ἅγιόντε. OC 0481: te vero ille omnia docebit
    Quaecunque te oportet facere, humanis enim placuit ab operibus
    Nemo umquam conditori omnium quaecumque facta sunt,
    Verum ipse sibi obsequentes et attrahit et refingit,
    In cor suum spiritum immittens divinumque sanctumque
    .
  539. A.a.O., 136f. Δύσσεται ἐκ νεκρῶν ζωὸς κακὸς ἠδὲ καὶ ἐσθλός.
    Ἐσθλ‘ ἱν‘ ἐγερθέντες βίον ἄφθορον αἰὲν ἔχωσι. Subiturus est de mortuis vivus tam malus quam bonus.
    Boni ut excitati vitam incorruptam semper habeant, 140 Τούσδε κακοὺς νὺξ κυκλώσει ἔρεβός τε σκότος τε. At malos nox circumdabit erebusque caligoque.
  540. OC 0579, Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1552, S. 253-269; OC 0726, Camerarius, Catechesis, 1563, S. 221-235.
  541. OC 0726, Camerarius, Catechesis, 1563, S. 223: Omnes peccaverunt et deficiuntur gloria Dei, iustificanturque gratis eiusdem gratia, per redemtionem quae fit in Christo Iesu. ... fide iustificari hominem sine operibus legis.
  542. Ebd.: Gratia estis salvati per fidem, idque non ex vobis, Dei donum est, non ex operibus. Die Abhängigkeit der Menschen von göttlicher Gnade verdeutlicht Camerarius auch in OC 0663.
  543. OC 0900, Camerarius, Ὁμιλίαι (Druck), 1573, S. 353f.: Nam, in convivium, inquit Theophylactus, ingressio sit absque discrimine: Sumus enim vocati sola gratia cuncti tam boni quam mali, sed ingressorum postea vita non caret inquisitione. Zu "sola fide" und "sola gratia" vgl. auch Gindhart/Hamm 2024, S. 36.
  544. OC 1036, Abschnitt 6.
  545. Seckt 1888, S. 14; OC 0579, Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1552, S. 274-285 und OC 0726, Camerarius, Catechesis, 1563, S. 238-248.
  546. Vgl. Kößling 2003a, S. 298f.
  547. OC 0579, S. 369-407; OC 0726, S. 317-353.
  548. OC 0579, S. 406: τὸ βάπτισμα καὶ δεῖπνον κυριακόν. προσθείη δ' ἂν τούτοις τὶς ... καὶ τὴν κλειδουχίαν, ὅσον τὲ πρὸς τὴν χειρεπιθεισίαν καὶ τὴν ἀπόλυσιν ἀνήκει τῶν μετανοούντων. OC 0726, S. 352f.Baptisma et Coena Dominica. Adiungere tamen his possit aliquis ... etiam clavium potestatem, quatenus illa quidem ad impositionem manuum et absolutionem pertinet paenitentem.
  549. Vgl. Kunkler 1998, S. 266f., Walter 2017, S. 40.
  550. OC 0455, V. 164-170, als δύναμις κλειδοῦχος bzw. OC 0481 als potestas clavigera.
  551. Vgl. OC 0943, Camerarius, De dissidio in religione, 1595, S. 16. Die Schrift wurde von Théodore de Bèze ohne Autorennennung publiziert.
  552. Im 13. Artikel: Vgl. Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Göttingen 1967, S. 292: Vere igitur sunt sacramenta baptismus, coena Domini, absolutio, quae est sacramentum poenitentiae.
  553. Vgl. Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Göttingen 1967, S. 453: absolutio et virtus clavium. Dass Camerarius sich hier stärker an der „Apologie“ orientiert, zu deren Entstehung er beigetragen hat (vgl. Peters 2014 und Peters 2014a, S. 226-228), kann nicht verwundern.
  554. Migne, PG 129, col. 468,25
  555. Eine Recherche im "Thesaurus Linguae Graecae" ergab ca. 40 Treffer.
  556. Vgl. OC 1036, Bl. 29r.
  557. OC 0726, Camerarius, Catechesis, 1563, S. 321-324.
  558. Ebd. S. 324.
  559. OC 0377. Vgl. Mundt 2004, S. 226f.
  560. OC 0431, Camerarius, Synodica, 1543, Bl. B8r: In ecclesia usum sacramentorum quam sinceriss. extare par est. In quo nihil aliud quam apertum et simplex verbum Dei sequendum. Ergo nec poculum domini prohibendum laicis, nec missae privatae tolerandae etiam hoc nomine sunt.
  561. Vgl. Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1552, S. 378 und Camerarius, Catechesis, 1563, S. 324f. Teilübersetzung: Seckt 1888, S. 20.
  562. Vgl. Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1552, S. 383.
  563. Vgl. hierzu die lat. "Catechesis": ista nota et hoc signum manifestum per confessionem in fide Christianorum. Auch betont er die communicatio beim Abendmahl: Nam poculum quod benedicimus ... nunquid communicatio sanguinis Christi est? Panem quem frangimus nunquid communicatio corporis Christi est? OC 0726, S. 328f.
  564. OC 0872, Camerarius, Notatio figurarum orationis in apostolicis scriptis (Druck), 1572, S. 220: καὶ τῇ κλάσει τοῦ ἄρτου. κοινωνία nihil aliud significat quam communicationem & societatem. In libris Latinis est: Et communicatione fractionis panis. Id esset: καὶ τῇ κοινωνίᾳ τῆς κλάσεως τοῦ ἄρτου. Acceperunt autem hoc aliqui de usurpatione instituti a Christo sacramenti corporis & sanguinis ipsius: Cum Hebraica phrasi frangi panem, significet distributionem & usum cibi. Auch in einer Schrift zum Konzil von Trient übersetzt Camerarius aus einer Schrift Melanchthons Aussagen des Evangeliums zum Abendmahl.
  565. OC 0431, Camerarius, Συνοδικά, 1543, Bl. C7v-8r: Non profecto illam nefariam super altari saltationem unius adolescentis impuri, deploraret, sed detestaretur cotidianam istam ingluuiem, heu mihi horresco referens, celestis panis. & execrandam impuritatem qua altaria sordescunt, & iam religione consecratam impietatem extremam, quae a multis milibus ad eam conductis uili pecuniola excercetur. Praedictum est fore ut porcis aliquando obijciatur panis mysticus. Si uere aliqua barbaries hoc fecerit, immane id quidem, sed quid in illo deterius quam hac cotidiana distractione, cum a toties milibus porcinis faucibus hominum immundicia fatentium & impietate gloriantium, corpus Christi corripitur. Das bezieht sich auf die Schrift gegen die Arianer, Migne, PG 36, col. 217.
  566. OC 0553, Camerarius, Commentarii utriusque linguae, 1551, Sp. 310.
  567. OC 0579, S. 384 (ὁ γὰρ ἐσθίων καὶ πίνων ἀναξίως, κρῖμα ἑαυτῷ ἐσθίει καὶ πίνει, μὴ διακρίνων τὸ σῶμα τοῦ κυρίου) und OC 0726, S. 329 (Nam comedens et bibens indigne, iudicium sibiipse comedit et bibit, non descernens corpus Domini). Dieser Gedanke findet sich sowohl in der Apologie zur Confessio Augustana 11,62 als auch in der Konkordienformel VII,7 sowie VII,16. Die Stellen berufen sich auf 1 Kor 11 u.ö.
  568. OC 0579, Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1552, S. 379f. OC 0726, Camerarius, Catechesis, 1563, S. 326.
  569. Vgl. Dingel 2008, S. 308f. und 316f.
  570. Vgl. Hund 2006, S. 249-251.
  571. Vgl. Hund 2006, S. 89f.
  572. Vgl. Hasse 2000, S. 96-98.
  573. (Kommentar zu Apg 3,21) OC 0872, Camerarius, Notatio figurarum orationis in apostolicis scriptis (Druck), 1572, S. 227f.: ἀναληφθεὶς γὰρ ὁ χριστὸς εἰς οὐρανοὺς, μένει ἐκεῖ ἕως τῆς τοῦ κόσμου συντελείας, ἐλευσόμενος τότε μετὰ δυνάμεως, ἀποκαταστάντων πάντων λοιπὸν, ὧν προεθέσπισαν οἱ προφῆται, ἤτοι ὅταν τὸ τέλος ἐνστῇ, καὶ παύσηται τὰ αἰθητὰ, τότε ὁ χριστὸς ἔσται τῶν οὐρανῶν ὑψηλότερος. Id est: Assumtus enim Christus in coelum, manet illic, ad consummationem usque mundi huius, aduenturus tunc cum potentia, restitutis de caetero omnibus, quae Prophetarum oraculis praedicta sunt. Sive, ubi finis iam aderit, et cessaverint sensibus exposita, tunc ipse Christus coelis erit sublimior. Haec leguntur in Theophylacteis. ... Sed quomodo dicit? Quem oportet coelum capere siue accipere, siue, ut Latinus vetus interpres, suscipere. An nondum illud acceperat? Immo admodum. Cur igitur non dixit: Quem coelum accepit? Quae autem ibi sequuntur in libris editis, ἀδιανόητα sunt, vel mendosa vel mutila, quemadmodum suspicor. Itaque indicata sententia secundum alibi in sacris litteris dicta, & hoc etiam loco satis euidens, teneatur: Oportuisse ita fieri, ut Christus reciperetur siue acciperetur siue assumeretur in coelum, ubi maneret tanquam in propria sede, usque ad finem huius Mundi, & rerum omnium instaurationem.
  574. OC 0726, Camerarius, Catechesis, 1563, S. 324: quod extra communionem nemo salvus fiat und OC 0878, Camerarius, Notatio figurarum sermonis in libris quatuor evangeliorum (Druck), 1572, Bl. a7r: Nullam scio ego spem salutis concipi firmam posse, extra Catholicam et Orthodoxam Christi Iesu Ecclesiam.
  575. OC 0579, Camerarius, Κατήχησις τοῦ Χριστιανισμοῦ (Druck), 1552, S. 405; Catechesis, Camerarius, Catechesis, 1563, S. 350f.: Quid appellatis Ecclesiam Christi? Coetum confidentium fidem in Christum. Qui evocati generali veritatis et Evangelii praeconio, cum remissione peccatorum et renovatione sanctificationeque spirituali congregantur in communione tam sanae doctrinae, quam status legitimi, et vitae pure degendae in hoc Mundo. ... Quia cum mansit Ecclesia Christi, quotquot vere sunt huius tanquam unius corporis membra, eos sanctos esse, et carentes culpa necesse est, in fide Iesu Christi, qui etiam caput est corporis illius.
  576. Vgl. OC 0431, Camerarius, Synodica, 1543, Bl. B7v-B8r: "Papam placet esse caput ecclesiae. Hoc falsum est, nam Paulus diserte dicit Christum esse caput ecclesiae. Sed esse quendam inspectorem et praesidem constitutum consensu episcoporum ferri fortasse non possit modo, sed utile etiam futurum sit.
  577. OC 0431, Camerarius, Synodica, 1543, C6r-v.
  578. Dat. 12.4.1548, in Mieg 1702, II, S. 48-60, hier S. 49.
  579. Siehe auch Kunkler 1998, S. 270.
  580. Das Wort "veritas" ist 14 mal im Brief an Amerbach enthalten. Vgl. auch den späten Kommentar OC 1038.
  581. Stählin 1936, S. 55, als Übersetzung von OC 0775, Camerarius, De Philippi Melanchthonis ortu, 1566, S. 221.
  582. Vgl. Camerarius, Historiae Iesu Christi expositio (Druck), 1566, S. 106: De instituto a Petro quadraginta dierum ieunio ... itemque collocata sede principatus in urbe Roma, a nobis neque decet neque omnino fortasse debet disputari.
  583. OC 1036, Bl. 35r.
  584. OC 0431, Camerarius, Synodica, 1543, Bl. B8r: "Coniugium neque sacerdotibus, neque ullis aliis prohiberi debet, sed qui non continent contrahant matrimonium in domino."
  585. Certe ut laudandum hac etiam in parte est studium Imperatoris Constantini, qui id quod et ante distraxisset rem Ecclesiasticam, et in posterum ansam separationis praebere posset, e medio tollendum esse statuerit: OC 0573, Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552, S. 129f.
  586. OC 0573, Camerarius, Historia synodi Nicenae (Druck), 1552, S. 128: Quod enim trecentis placuit Episcopis, nihil aliud est, quam Dei sententia, maxime cum Spiritus sanctus talium, et tantorum virorum animis incubans, lucem divinae voluntatis protulerit. Die griechische Vorlage, aus der Camerarius übersetzt, findet sich bei Socrates Scholasticus und Athanasius, "De decretis Nicaenae synodi".
  587. Eine Zusammenfassung von C.' Ekklesiologie in den biographischen Schriften bietet Stählin 1936, S. 54-57.Zur Ablehnung der kirchlichen Hierarchie vgl. OC 0943.
  588. Vgl. OC 0827, Camerarius, Orationes funebres, 1569, S. 103.
  589. OC 0900, Camerarius, Ὁμιλίαι (Druck), 1573, S. 60: φοβηθήτωσαν ... καὶ οἱ ἐν τῇ τοῦ χριστοῦ ἐκκλησίᾳ μεγαλαυχοῦντες ὡς υἱοὶ τῶν ἁγίων, ἐκλεκτόντε καὶ ἱερατικὸν γένος.
  590. Dazu Baier, Thomas, in: Helleno(ger)mania (in Vorbereitung), S. 17: "Sprache hat als Verständigungsmittel eine dienende Funktion, ist die ancilla des Inhalts. Erasmus und Camerarius haben jedoch auch ihre gestaltende Fertigkeit zur vollen Wirkung entfaltet, ihr mithin eine königliche Funktion zugewiesen im Sinne einer philologia regina." Vgl. auch Kunkler 2000, S. 203-206. Auch schreibt Camerarius im Widmungsbrief seiner Plautus-Edition: Manemus in sententia studia utriusque linguae excolenda esse, et esse hanc viam ad scientiam & veritatem, quibus & cultus Dei & hominum communitas continetur ac durat (A7v).
  591. So Kunkler 2003, S. 162.
  592. Vgl. Kunkler 2000, S. 143-146 und Kunkler 2003, S. 263-267.
  593. Kunkler 1998, S. 262f. Zu Kritik an Kunklers Arbeiten vgl. Mundt 2002.
  594. Einige dieser Aspekte behandelt Vinzenz Gottlieb in seiner entstehenden Dissertation zu den Leichen- und Gedenkreden auf Kurfürst Moritz (Sachsen).
  595. Zur Geschichte der Katechismen in Sachsen vgl. Reu 1911 I/2,1. Abdruck mitteldeutscher Katechismen in Reu 1911 I/2. Katechismen des Spätmittelalters hat Leppin 2023 untersucht.
  596. Vgl. Schultz 1890, S. 5, unter Berufung auf ein Visitationsprotokoll von 1528.
  597. In einem Exemplar der "Institutio puerilis" in der BSB sind auf dem Frontispiz alle Namen getilgt (Camerarius, Melanchthon, Nicolaus Gerbel und der Drucker Johannes Setzer). Gustav Kawerau (vgl. Schultz 1890, S. 7) zählt dieses Werk nicht zu den Katechismen, sondern zu den Schullesebüchern.
  598. So auch Kunkler 1998, S. 262; vgl. Th. Baier, Gräzist (noch nicht veröffentlicht).
  599. Die Bedeutung des Griechischen zeigt Cam. auch in seiner Einleitung zur "Katechesis" auf.
  600. So Walter 2017, S. 34-36.
  601. Neben Martin Luthers Kleinem und Großem Katechismus sei verwiesen auf die Sammlung in Ferdinand Cohrs (Hrsg.): Die evangelischen Katechismusversuche vor Luthers Enchiridion. 5 Bde., Berlin 1900-1907, Nachdruck Hildesheim/New York 1978 und Reu 1911.
  602. Die Magdeburger Stadtschule (seit 1524) ist die möglicherweise "erste protestantische Schulgründung"; die Eislebener, im Frühjahr 1525 begründet, hat "die älteste gedruckte Schulordnung des neuen Kirchenwesens" (Paulsen 1919, S. 276f.).
  603. Et universae scholae interpretabitur praeceptor aut unum ex Euangelistis aut aliquam Pauli epistolam aut Solomonis gnomas. Id fiet simplicissime, ne adsuefiant ad rixandum adulescentes, sed ut religionem quam purissimam addiscant et a simulatione pietatis possint discernere, ut ad timorem dei, ad fidem, postremo ad bonos mores inuitentur. Et ut acuatur cura discendorum sacrorum in pueris, non sufficiet his multa praelegisse. Sed cogentur ediscere orationem dominicam, Symbolum Apostolorum, Decalogum, lectissimos Psalmos et certos alios locos scripturae, que ne e memoria excidant, exiget tanquam pensum diei Dominici praeceptor, ut recenseantur ordine memoriter. Vgl. Hartfelder 1892, S. 3 und 5f.
  604. Unus dies singulis hebdomadis est in tractationem elementorum religionis collocandus, ubi praeceptor audiat ordine singulos discipulos recitantes Decalogum, orationem dominicam, symbolum Apostolorum, nam haec pueris effluunt ex animis, nisi saepe recitare cogas. Est et enarratio puerilis addenda, quam praeceptores saepe reposcant a pueris. Subinde etiam Psalmi planiores, et qui summam religionis continent, proponantur ediscendi, ut una cum literarum elementis doctrina Christiana teneris animis inseratur. Hartfelder 1892, S. 9f.; deutsche Übersetzung in Heerwagen 1860, S. 28f.
  605. Ähnlich wie die "Capita pietatis" von 1545: Vgl. Walter 2017, S. 40-42.
  606. Vgl. Saubert 1673, Bl. C4v-D1v und Saubert 1633, Bl. F3r-G1r: Hier wird auch Luthers Katechismus in deutscher und lateinischer Sprache erwähnt.
  607. Vgl. Bauch 1898, S. 72.
  608. Vgl. Krause 1879, Bd. II, S. 50f., neben Burkard 2003, S. 158, Anm. 88.
  609. Vgl. Grantley McDonald, Notes on the sources and reception of Senfl's Harmoniae, in: Stefan Gasch / Sonja Tröster (Hgg.), Senfl-Studien 2, Tutzing 2013, S. 623-633, hier S. 629, und Grantley McDonald, The Metrical Harmoniae of Wolfgang Gräfinger and Ludwig Senfl, in: Stefan Gasch / Birgit Lodes / Sonja Tröster (Hgg.), Senfl-Studien 1, Tutzing 2012, S. 69-148, hier S. 100, Anm. 82. In OCEp 1426 schreibt Camerarius, dass er selbst geistliche Gesänge gesungen habe.
  610. Vgl. Camerarius, Oratio funebris anniversariae memoriae causa de principe Mauricio (1560), 1569, S. 135.
  611. Kleiner Katechismus: für die gemeine Pfarrherrn und Prediger/pro parochis et concionatoribus; im Großen Katechismus werden gelegentlich Hausväter erwähnt.
  612. Dort S. 13f., 136f. 146, 160, 172,179, 198 und 203.
  613. Vgl. Walter 2017, S. 26ff. und 34ff.
  614. Vgl. Camerarius' Widmung der "Fabulae Aesopicae" an Johann Malleolus von 1544.
  615. Die Notwendigkeit der Neuauflage begründet Camerarius im Widmungsbrief an Georg III. von Anhalt.
  616. Walter 2017, S. 30.
  617. Vgl. Walter 2017, S. 41f.
  618. Vgl. Groß 1929, 2. Stück: Valentin Wagners Katechesis, S. 3-5.
  619. Schultheiß 2017, S. 205 sieht die Einbeziehung des Briefes, "der durchaus auf einem echten beruhen kann", "als Teil einer Publikationsstrategie", um "Camerarius durch die lobenden Äußerungen eines eigenen Studenten als Pädagogen zu profilieren": Der eigentliche Autor ist natürlich Camerarius selbst.
  620. Zum Anstieg der Zahl fränkischer Studenten in Tübingen siehe das Kapitel ↑ Tätigkeit in Tübingen (1535-1541).
  621. Vgl. Camerarius an Megel, 23.05.1544: Nam tanta dissolutio vitae ac morum nunc passim existit, ut saepe quid denique futurum sit, vehementer metuam.
  622. Vgl. Hubrath 2003.
  623. Vgl. OC 0712.
  624. Vgl. MBW Nr. 2018.3. Camerarius war in Tübingen auch für das Pädagogium zuständig (vgl. Schultheiß 2017, S. 205 und Hofmann 1982, S. 15).
  625. Vgl. www.aerztebriefe.de/id/00006831 und Brief Sieber an Meurer, 28.5.1541.
  626. Es ist immerhin möglich, dass stattdessen Melanchthon, Institutio puerilis literarum Graecarum, 1525 gemeint ist.
  627. Vgl. Peters 2014a, S. 230–236 und Gindhart/Hamm 2024, S. 20 m. Anm. 59.
  628. MBW - Regesten online, Nr. 4870.4.
  629. Vgl. Benz 1971, Wenz 2010, S. 199-219. Zu den griechischen Katechismen der Reformatoren vgl. Flogaus 2015.
  630. Vgl. Kretschmar, Georg: Die Confessio Augustana graeca. In: Kirche im Osten 20 (1977), S. 11-39, hier S. 16.
  631. Vgl. OC 0582.
  632. Vgl. Reu 1911, Bd. 2.1, S. 96; vgl. Baier, Helleno(ger)mania (in Vorbereitung), S. 5.
  633. Vgl. Camerarius, Catechesis, 1563, Bl. §8v. Allerdings unterlässt Camerarius in der lateinischen Ausgabe den Hinweis auf seinen Zweifel bezüglich Alter und Autorschaft des Athanasianischen Glaubensbekenntnisses, der ihm Kritik eingetragen hatte. In der 2. griechischen Auflage dagegen wird der Zweifel aufrechterhalten.
  634. Zum Inhalt vgl. Seckt 1888, S. 14-16.
  635. OC 0726, Camerarius, Catechesis, 1563, S. 251-258. Die Darstellung zitiert und erklärt die Inhalte, ausgehend von der historischen Entstehung. Dabei werden auch antike Häresien behandelt. Zum Inhalt des 2. Teils der "Katechesis" vgl. Seckt 1888, S. 16-21.
  636. Zum Inhalt vgl. Seckt 1888, S. 21. Vgl. Schultheiß 2024, S. 201-203.
  637. Vgl. Müller 2000, S. 36f. und 206 sowie Groß 1929, Teil II, S. 5.
  638. Vgl. OCEp 0898 und MBW Nr. 7084.
  639. Müller 2000, S. 204-210.
  640. Müller 2000, S. 204. Vgl. auch Müller, Andreas: Protestantische Drucke des 16. Jahrhunderts auf dem Berg Athos, in: Ostkirchliche Studien 47 (1998), S. 124-138. Druckexemplare gibt es u.a. im Katharinenkloster auf dem Sinai, in Vatopedi, 2. Stock der Bibliothek Nr. 2998 (unter falschem Namen und Titel); Iviron, Sig. A 276 (unvollständig und schlecht erhalten); Athen, Gennadius-Bibliothek. Alle Angaben (nicht überprüft) laut Müller 2000, S. 204.
  641. Vgl. MBW Nr. 6307.3.
  642. So schreibt Nikolaus Selnecker in seiner "Commonefactio" (1571): Nobis catechismi verba, quae in ecclesiis et scholis Misnicarum regionum et aliis multis in locis adhuc Dei beneficio sonant, loco confeßionis esse debent und zitiert anschließend aus der griechischen (S. 379f. und 384) sowie der lateinischen (S. 325f. und 327) "Katechesis": Vgl. Dingel 2008, S. 316. Dies geht einher mit Kritik an Camerarius: Dieser hatte eine Bibelstelle (Apostelgeschichte 3,21) passivisch übersetzt und somit zu Selneckers Missfallen Anklänge an Melanchthons späte Abendmahlslehre erkennbar werden lassen. Vgl. ↑ Systematische Theologie.
  643. Vgl. Hasse 2000, S. 87: Chyträus sei in den Punkten der "Communicatio idiomatum" und des freien Willens von Melanchthon abgewichen.
  644. Vgl. Dresden, HStA, 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 10312/01: Wittenberger Katechismus und andere Religionshändel; Innentitel: "Schriften über den von der Theologischen Fakultät zu Wittenberg begriffenen und im Druck gefertigten lateinischen und deutschen Katechismus, was durch denselben, wie auch andere Schriften, für Religionsstreit erregt", Bl. 19f.: Schreiben vom 27.8.1571; Calinich 1866, S. 71f.; Hasse 2000, S. 94 m. Anm. 112.
  645. OC 0202.
  646. OC 0587.
  647. Camerarius, Orationes funebres, 1569.
  648. Vgl. Vorwort des Ludwig Camerarius, Camerarius, Ὁμιλίαι (Druck), 1573, S. 2: quasi homiliae compositae fuere, simul ad linguae graecae, simul ad simplicis ac purae veritatis celestis cognitionem conciliandam fratribus meis natu maioribus.
  649. Fest steht, dass er zumindest den Söhnen eine gute Ausbildung angedeihen ließ: Alle fünf absolvierten erfolgreich ein Studium und hatten beruflichen Erfolg. Ihr Vater bezog sie in seine wissenschaftlichen Projekte mit ein und ermöglichte ihnen prominente Anstellungen, wobei vor allem Johannes Camerarius II. in fürstlichen Diensten und Joachim Camerarius II. als Nürnberger Stadtarzt davon profitiert haben. Drei der Töchter heirateten bedeutende Akademiker. Über die Führung einer eigenen privaten Burse wie im Hause Martins Luthers ist nichts bekannt, doch hat er zumindest den Sohn seines Freundes Baumgartner als Studenten in seinem Haus beherbergt (das lässt sich aus OCEp 0677 und OCEp 0679 schließen).
  650. Bereits im Alter von 20 Jahren verfasste Ludwig die pädagogische Schrift Camerarius, Dialogus de vita decente aetatem puerilem et al., 1563. Zu seinen weiteren Herausgeberschaften vgl. seine Personenseite.
  651. Vgl. Woitkowitz 2003, S. 34.
  652. Vgl. Woitkowitz 2003, S. 35.
  653. Vgl. Woitkowitz 2003, S. 36, und Kunkler 2000, S. 50-53.
  654. So spricht C. in einem Brief von 1544 von gemeinsamen Lehr-Lern-Erfahrungen. Dies spräche für Camerarius' Jahre in Wittenberg (1521-1524), jedoch widersprechen sich die Quellen zu Megels Studienverlauf: Laut der Matrikel wurde er dort erst im Mai 1532 immatrikuliert (vgl. Förstemann 1841, S. 143), aber eine Abschlussurkunde von August 1532 berichtet ein dreijähriges Studium (CR 2, Sp. 606f.). Es ist nicht auszuschließen, dass er außerhalb der Universität Unterricht bei Camerarius genossen hatte. Für Megel wird 1510 als Geburtsjahr angenommen: Damit käme Leipzig als Unterrichtsort nicht in Frage, denn Camerarius verließ die Stadt bereits 1518.
  655. Vgl. Meyer 1897.
  656. Vgl. Briefwechsel-Petrus Lotichius Secundus und Briefwechsel-Daniel Stiebar von Rabeneck.
  657. Münnich 2020, S. 867 und Acta Padua IV, 2, S. XXI, 47 (Nr. 87) sowie Biagio Brugio (Hg.), Atti della Nazione germanica dei legisti nello Studio di Padova I, S. 136-139.
  658. Vgl. Stählin 1936, S. 73f.
  659. Bei Hessus gilt die Einschränkung, dass der Lebenswandel nur bedingt als Vorbildcharakter besitzt.
  660. Von einer direkten Mitwirkung des Camerarius ist nichts bekannt. Die Handschrift "Libellus Precationum" (Mscr. Dresd. A 301) vom 12.8.1571 enthält auf Bl. 80v-102r unter dem Titel "Formulae precationum ex Catechesi D. Ioachimi Camerarii" Gebete des Camerarius aus der "Catechesis" und aus der "Disputatio de Precibus" in griechischer und lateinischer Synopse.
  661. Camerarius lobt gleichermaßen den gemeinsamen Lehrer als auch seinen condiscipulus: Vgl. OCEp 1419, Gregor von Nyssa, Λόγοι δύο (nativ.; Steph.), 1564, Bl. D7r. Zu Helt als Fürstenerzieher vgl. Deutschländer 2014, S. 206-209, sowie Georg III. (Anhalt-Plötzkau), Conciones synodicae, 1555, Bl. BBr und Camerarius, De Philippi Melanchthonis ortu, 1566, S. 216-218.
  662. Mährle 2000, S. 59-70 und Bezzel 1793. Anstöße zur Gründung gab Camerarius bereits 1565: Vgl. Brief an Baumgartner, 14.5.1565.