Medizin (CamLex): Unterschied zwischen den Versionen

Aus Joachim Camerarius (1500-1574)
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== Camerarius und die praktische Medizin ==
== Camerarius und die praktische Medizin ==


===Medizinkenntnisse und medizinische Ratschläge===
===Medizinkenntnisse und medizinische Ratschläge an Dritte===


===Camerarius als Patient===
===Camerarius als Patient===

Version vom 4. Mai 2023, 23:25 Uhr


CamLex
Zitation Marion Gindhart und Alexander Hubert, Art. "Medizin (CamLex)", in: Opera Camerarii Online, http://wiki.camerarius.de/Medizin_(CamLex) (04.05.2023).
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CamLex
Zitation Marion Gindhart und Alexander Hubert, Art. "Medizin (CamLex)", in: Opera Camerarii Online, http://wiki.camerarius.de/Medizin_(CamLex) (04.05.2023).

Allgemeines: Medizin in der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts

Medizinisches in Werken und Briefen des Camerarius

Lob der Gesundheit

Diätetik

Iatromathematik

Badewesen

Badbesuche

Theriak

Beteiligung an der Galen-Edition

Terminologie

Epigramme für medizinische Abhandlungen und Disputationen Dritter

Medizinisches in den "Decuriae" und der "Appendix problematum"

Camerarius und die praktische Medizin

Medizinkenntnisse und medizinische Ratschläge an Dritte

Camerarius als Patient

Badbesuche

In Camerarius' Korrespondenz haben die Themen „Badbesuche“ und „Thermen“ in der Tübinger Zeit (1535-1541) verstärkt Konjunktur. Camerarius setzt die warmen Bäder in erster Linie zur Linderung seines chronischen Beinleidens ein, das ihn seit 1528 beeinträchtigt (↑ Camerarius als Patient) und sich in den 1530er Jahren zusehends verschlimmert. Camerarius wurde mit zum Teil äußerst schmerzhaften Episoden konfrontiert und war dadurch auch in seiner Mobilität eingeschränkt.[1] Tübingen und der Schwarzwald boten eine Reihe von Kurbädern, die Camerarius besucht (Bläsibad, Bad Wildbad, Bad Antogast), auch nutzt er privat Wannenbäder mit erwärmtem Thermalwasser. Große Hoffnungen setzt er auf einen Kuraufenthalt in dem berühmten Thermalbad von Plombières in den Vogesen, zu dem er im Mai 1540 reist, das er jedoch aufgrund eines Seuchengeschehens nach drei Wochen bereits verlassen muss[2] (geplant war ein - üblicher - Aufenthalt von einem Monat). Auch dieser Aufenthalt brachte keine Heilung für das Bein; Abhilfe schaffen konnte erst eine Guajak-Kur, für die sich Camerarius nach einigem Zögern - auch aufgrund der Warnungen von Helius Eobanus Hessus und Georg Sturtz - entschieden hatte.

Anscheinend hatte Camerarius sich bereits in Nürnberg mit dem Gedanken getragen, gegen die Geschwulst am Bein nicht nur warme Bäder (thermae) aufzusuchen,[3] sondern, nachdem sich das Geschwür bis zum Fuß ausgebreitet hatte, auch Guajak anzuwenden, wie er Sturtz schreibt.[4] Hessus versucht (zunächst erfolgreich), ihn mit der nachdrücklichen Empfehlung konkreter Heilbäder davon abzubringen.[5] Doch scheint Camerarius erst mit seinem Umzug nach Tübingen Thermenbesuche forciert zu haben, über deren potentiell heilsame Wirkung auf sein Bein er des öfteren auch mit dem befreundete Arzt Johannes Meckbach diskutiert hat, wie er in einem Brief an Antonius Niger berichet.[6] Niger schreibt zurück,[7] er hoffe auf Besserung, wenn Camerarius auf den Rat von Meckbach und anderen Ärzten höre; er solle aber im Bad seinen geistigen Aktivitäten auch körperliche vor Frühstück und Abendessen hinzufügen: Diese seien unabdingbar für eine beständige Gesundheit, während dauernde Studien diese unmerklich schwächten; er solle also seinen Geist freistellen und Mühe auf den Körper verwenden.

Ob Camerarius die 'Bewegungsangebote' in den Thermen nutzte, wissen wir nicht; wohl aber, dass er die Thermen auch als Orte der Zerstreuung sah und mit verschiedenen Begleitern dorthin reist (mit Caspar Volland etwa zu heißen Quellen und einer Schlucht im Schwarzwald, ggf. Bad Liebenzell mit seiner berühmten Monbachschlucht oder Bad Wildbad im Enztal;[8] mit einem gewissen "Lydius", den Camerarius wegen des Todes Claude de Férays tröstet, nach Bad Wildbad[9]) oder reisen wollte: So animiert er etwa nach erneuten heftigen Schmerzen im Bein Daniel Stiebar und Moritz von Hutten, über eine gemeinsame Reise nach Plombières nachzudenken, wobei er den Brief angeblich direkt aus einem warmen Wannenbad (so dürfte hier in aquis calidis zu verstehen sein) schreibt.[10] Diese illustre, transkonfessionelle 'Badegesellschaft' kam nicht zustande, doch sendet Camerarius später, nach seiner Ankunft in Plombières Anfang Mai 1540 eine Abbildung des Bades (wohl einen Einblattdruck) mitsamt eigenem Text an Stiebar und bittet auch um Weiterleitung an Hutten.[11]

Mit Dichtungen wendet er sich aus diversen Bädern an Freunde, so etwa mit einem Briefgedicht aus dem Tübinger Bläsibad im Juni 1536 an Bartholomäus Amantius (OCEp 0147), den er auffordert, die von ihm versprochenen Verse zu schicken bzw. gleich damit ins Bad zu kommen. Ebenfalls mit einem Briefgedicht von einer warmen Quelle im "Germanenwald"[12] beehrt er Ende April 1537 Jakob Micyllus (OCEp 0150): Es gefalle ihm, so Camerarius, dort durchaus, doch langweile er sich während der langen Bäder und des langen Aufenthaltes (hoffe aber freilich auf Heilung durch Gottes Gnade). Angesichts der schönen Topographie denke er über Natur und Geologie des Ortes und der warmen Quellen nach und schon sei die Zeit kürzer. Aus einer (wohl nur mäßig erfolgreichen) weiteren Badekur im Schwarzwald (Nos hic Herciniae laticosa valle sedemus / Et morbi in tepidis medicamina quaerimus undis. / Scire cupis quid opis sit adhuc mihi forte repertum? / Re modicum sed me spes consolatur, & audet / Tristibus eventum multis promittere laetum, vv. 5-9) schickt er 1539 ein Briefgedicht an Caspar Volland und entschuldigt sich für die Qualität der im Bad verfassten Verse (erklärt aber, dass er nicht vor dem zuvor festgelegten Termin abreisen werde).

Camerarius' Reise nach Plombières und der dortige Badebetrieb sind Gegenstand mehrerer Gedichte. So verfasst er (1) ein Hodoeporicon an die Straßburger Freunde (OCEp 1531, "Οδοιπορική Plumbaria ad amicos Argentinenses"), die er auf der Reise zum Bad besucht hatte. Dieses beschreibt die Etappen der Anreise und die Ankunft und thematisiert die Hoffnung auf Heilung, der mit Gebeten Nachdruck verliehen wird.[13] (2) Ein launiges, leicht anzügliches Gedicht über den Badebetrieb in Plombières (OC 0590, "De thermis Plumbariis") im Umfang von 145 Hendekasyllaben, das sicherlich auch von dem berühmten Brief Poggios an Niccolò Niccoli (dat. 19.05.1416) über das lockere Treiben in Baden bei Basel beeinflusst ist.[14] Bei den "Thermae", für deren Zusendung sich Meckbach am 30.04.1542 bei Camerarius bedankt,[15] dürfte es sich um dieses Gedicht handeln; im Druck erscheint es erst 1553. (3) Ein (undatiertes) Briefgedicht an Johannes Hospinianus (OCEp 0159), das motivisch den beiden Dichtungen nahesteht,[16] aufgrund der Beschreibung des 'international' besuchten Badehotspots sicherlich auf Plombières zielt und vor Ort im Mai 1540 entstanden sein dürfte. An Hospinianus schreibt er wohl 1540 (im Druck: 1560) ein weiteres Briefgedicht (OCEp 0189), angeblich aus einem heißen Wannenbad, das er mit einer Fuhre Wasser aus Bläsibad zubereiten ließ.[17]

Auf Plombières, dessen Heilwasser insbesondere gegen Geschwüre helfen sollte,[18] hatte Camerarius große Hoffnungen gesetzt (so ist auch die Göttin Spes Leitfigur seines Hodoeporicon), nachdem die Aufenthalte in den lokalen Thermen bzw. Bädern nicht den gewünschten Erfolg zur Linderung seines Beinleidens zeitigten,[19] bzw. es ihm danach sogar schlechter ging[20]. Im Frühjahr 1540 ringt er sich zur Konsultation eines Chirurgen in Bad Königshofen durch, der schon den pfälzischen Kurfürsten von einem chronischen Beinleiden kuriert hatte, Camerarius aber nicht kurzfristig behandeln kann. Den Sturz vom Pferd auf dem Rückweg bei Pforzheim wertet er als schlechtes omen und beschließt, den Thermen doch noch einmal den Vorzug vor einer chirurgischen und einer medikamentösen Behandlung zu geben und einen späteren Termin bei dem genannten Chirurgen nicht wahrzunehmen.[21]

Anfang Mai befindet sich Camerarius dann nach einer mehrtägigen Reise mit Zwischenhalt in Straßburg in Plombières.[22] Dort angekommen, wendet er sich sogleich brieflich an Daniel Stiebar und spricht eine Empfehlung des Bades für einen nicht genannten Freund desselben aus, da es dort sehr erfahrene Ärzte gebe (Camerarius wurde sicherlich vor Ort zunächst untersucht und erhielt dann einen individuellen Kurplan).[23] Da er wegen eines Seuchengeschehens Plombières bereits nach 21 Tagen verlassen muss, besucht er auf seiner Rückreise noch das zwischen Straßburg und Tübingen gelegene Bad Antogast. Aus Tübingen berichtet er Stiebar im August, dass er die Thermen (in Plombières) nicht so nutzen konnte, wie geplant, dass aber seine Erwartungen erfüllt worden seien.[24] Dies muss er allerdings in einem Brief an Hieronymus Baumgartner vom Mai 1541 revidieren:[25] Er sei von einem zurückliegenden Badaufenthalt geschwächt, spüre kaum Besserung, hoffe aber noch darauf. Doch habe ihn die Hoffnung nach seinem Aufenthalt in Plombières ein Jahr zuvor auch hingehalten. Im April und Mai 1542 unterzieht sich Camerarius dann der Guajak-Kur und erteilt der Bad-Empfehlung Hieronymus Baumgartners eine Absage, da diese Therapie ihm bisher nur Beschwerden bereitet habe.[26]

Von eigenen Thermenbesuchen in der Leipziger Zeit (1541-1574) berichtet Camerarius (zumindest in den gedruckten Briefen) nicht mehr.[27] Dies mag einerseits an der Guajak-Kur liegen, die anders als die Badtherapien erfolgreich verlief, zum anderen an der mangelnden Nähe von Thermalbädern. So schreibt Camerarius in den letzten Lebensjahren, die von einem schmerzhaften Nierenleiden geprägt waren, an Hieronymus Wolf, dass er auch die Thermen aufsuchen würde (und dies nicht umsonst), wenn sie so nahe wären wie einst in Tübingen.[28]

(Marion Gindhart)

"Pest" und Epidemiegeschehen

Anmerkungen

  1. Vgl. etwa OCEp 1010 (an Daniel Stiebar, dat. 29.04.1537): Trotz Aufenthaltes in den Thermen habe sich keine Besserung eingestellt, längere Reisen zu Fuß und zu Pferd seien unmöglich, Kutschfahrten lästig und teuer.
  2. OCEp 1019 (an Daniel Stiebar, dat. 10.06.1540).
  3. OCEp 0985 (an Daniel Stiebar, dat. 18.03.1530): Dies wolle er tun, sobald die Luft etwas milder sei.
  4. Erwähnung des Briefes in OCEp 0115 (von Helius Eobanus Hessus, dat. 13.01.-10.02.1535).
  5. Ebd.: Empfehlung der thermae ferinae, ggf. Wildbad bei Nürnberg, wo das stark eisenhaltige Wasser für Wannenbäder beheizt wurde, oder bereits Bad Wildbad im Schwarzwald, das Camerarius in seiner Tübinger Zeit öfter aufsuchen wird; OCEp 0114 (Brief von Helius Eobanus Hessus, dat. 15.06.1535): Karlsbad; falls sich Camerarius für letzteres Bad entscheide, werde Sturtz zu ihm kommen und ggf. auch Hessus; vgl. auch OCEp 0113 (von Helius Eobanus Hessus, dat. 10.02.1535).
  6. OCEp 0452 (dat. 01.06.1536).
  7. OCEp 0272 (dat. 03.08.1536).
  8. Vgl. OCEp 0192 (an Caspar Volland, dat. 1536-1541).
  9. Vgl. OCEp 1258 (an Johannes Sturm, dat. 21.03.1541).
  10. OCEp 1004 (an Daniel Stiebar, dat. 17.01.1538); Hutten wünscht er sich bereits in einem früheren Brief als Reisebegleitung: OCEp 0462 (an Daniel Stiebar, dat. 13.08.1536).
  11. OCEp 1018 (an Daniel Stiebar, dat. 04.05.1540).
  12. Bacenis; in der Briefedition findet sich als Ortsangabe in thermis Herciniis.
  13. Das Gedicht ist im Druck allerdings erst auf den 23.07.1540 datiert, als Camerarius schon wieder - erneut über Straßburg und mit einem Aufenthalt in Bad Antogast nach Tübingen zurückgekehrt war (vgl. OCEp 0267 von Jakob Bedrott, dat. 06.07.1540). Entweder ist das Datum also falsch oder es weist auf eine Überarbeitung des Textes in Tübingen.
  14. Der Brief ist ediert in: Poggio Bracciolini, Lettere. 1: Lettere a Niccolò Niccoli, a cura die Helene Harth, Firenze 1984, 128-135. Eine deutsche Übersetzung geben Münzel/Schweizer 1980; Zu Camerarius' Gedicht vgl. Döpp 2017 (mit Edition, Übersetzung und Analyse).
  15. OCEp 0334.
  16. Dies wären einerseits etwa Reflexionen über das Leitmotiv der Hoffnung (die letztendlich in der Fürsorge und Gnade Gottes gründet), andererseits die Charakterisierung des Bades als 'Sammelbecken' von Menschen aus aller Welt, jeden Standes, Alters und Geschlechts, die dort gemeinsam kuren.
  17. Dieses Wasser transportierte laut Gedicht sein Blauschimmel auf einem Wagen zu ihm. Zuvor war er selbst in Bad Wildbad gewesen. Der Brief wird im Druck mit Zahlendreher auf M.D.LX datiert. Camerarius spricht hier erneut von einer lang fälligen Briefschuld. Eine Briefschuld gegenüber Hospinianus hatte er jedoch mit seinem Gedicht aus Plombières im Mai 1540 eingelöst. Der Besuch von Bad Wildbad und das Wannenbad dürften also in etwas weiterer zeitlicher Distanz erfolgt sein, ggf. vor der Reise in die Vogesen? Camerarius spricht jedenfalls von seinem schmerzhaften alten Leiden, dem er mit Thermalwasser beizukommen versuche.
  18. Schlegelmilch 2019, hier 76f.
  19. Vgl. etwa OCEp 0180 (an Helius Eobanus Hessus, dat. 14.03.1537). In dem Brief berichtet er auch, dass ihm einige Personen rieten, weiter entfernte Thermen aufzusuchen, aber damit eile es ihm nicht; OCEp 1010 (an Daniel Stiebar, dat. 29.04.1537).
  20. Vgl. etwa OCEp 1273 (an Georg Helt, dat. 07.03.1536); OCEp 0462 (an Daniel Stiebar, dat. 13.08.1536) über ein ungenanntes Bad, in dem das Wasser erhitzt werden müsse und das somit die Bezeichnung thermae gar nicht verdiene. Dieses Bad ist wohl identisch mit den thermae vicinae, über deren erfolglosen Besuch er schon zuvor an Vincentius Opsopoeus geschrieben hatte (OCEp 0447, dat. wohl Ende 1535); jedenfalls suche er jetzt nach natürlichen Thermen.
  21. OCEp 1017 (an Daniel Stiebar, dat. 07.03.1540); dazu und zur zeitgenössischen (wund-)ärztlichen Praxis Schlegelmilch 2019.
  22. Wahrscheinlich ist ein Brief an Stiebar über die bevorstehende Abreise nach Plombières (OCEp 1011, im Druck dat. 30.04.1537) auf Ende April 1540 zu datieren, es sei denn, Camerarius hat von den Reiseplänen Abstand genommen, da seine Frau Anna - wie er im Brief erwähnt - in (immer noch) schlechter Verfassung von einer Kur aus Bad Liebenzell zurückgekehrt war. Da Camerarius im Sommersemester 1538 Rektor in Tübingen war, könnte er die Reise ggf. für 1539 geplant haben, 1537 dürfte aufgrund einer historischen Anspielung auszuschließen sein.
  23. Vgl. OCEp 1018 (an Daniel Stiebar, dat. 04.05.1540).
  24. OCEp 1021, dat. 17.08.1540.
  25. OCEp 0606, dat. 01.05.1541.
  26. OCEp 0615, dat. 10.05.1542.
  27. In einigen Briefen werden jedoch Thermenbesuche Daniel Stiebars erwähnt, die diesem (nach einem Schlaganfall im Frühjahr 1553) empfohlen wurden und die dieser auch vornahm (etwa in Baden-Baden), vgl. z.B. OCEp 0584 (an Bartholomäus Amantius, dat. 11.10.1553); OCEp 1086 (an Daniel Stiebar, dat. 22.03.1554); OCEp 0394 (von Petrus Lotichius Secundus, dat. 27.05.1554); OCEp 1078 (an Daniel Stiebar, dat. 15.02.1554 oder 1555).
  28. OCEp 0845, dat. 12.06.1572.