Benutzer:HIWI/Notes

Aus Joachim Camerarius (1500-1574)
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Benutzer:HIWI/Drafts

Zur Medizin in der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts

-> Aufsatz Berrens 2023, Aufsatz Huth 2023

-> Katalog Salatowsky/Stolberg 2019 mit Aufsätzen Stolberg (58-67 + Kat.), S. Schlegelmilch (68-79 + Kat.), Herbst (80-93 + Kat.)

-> Stolberg 2022

-> Stolberg 2003

-> Nutton 2022

-> Jütte 2013 (Fa 267)

Theorie und Praxis

Die praktische Medizin der frühen Neuzeit zeichnete sich durch die Pluralität der Behandlungsmöglichkeiten aus. So konnten Kranke nicht nur zwischen verschiedenen studierten Ärzten auswählen, sondern auch Bader und Chirurgen sowie Laienheiler standen zur Verfügung. Zeigte eine Behandlungsmethode keinen Erfolg, konnte man also einfach eine der zahlreichen Alternativen ausprobieren.

Die akademische Medizin basierte in ihren Theorien und Behandlungsformen wie auch das gesamte Mittelalter über auf den Schriften von Galen und Hippokrates. Auch wenn im 16. Jahrhundert mit Paracelsus neue Ideen auftauchten, basierten die Medizin in ihrer Theorie weiterhin größtenteils auf der antiken Humoralpathologie (Säftelehre). Dieser zufolge bestimmen sich Charakter, Aussehen und Gesundheit eines Menschen nach der individuellen Mischung der vier "Säfte" bzw. Primärqualitäten Blut (warm und feucht), Schleim (kalt und feucht), Gelbe Galle (warm und trocken) sowie Schwarze Galle (kalt und trocken). Das individuelle Mischungsverhältnis der Flüssigkeiten bzw. Qualitäten bilden so das "Temperament" des Menschen. Andererseits sind es in der Theorie Abweichungen von diesem individuellen Mischungsverhältnis, die Krankheiten bewirken. Krankheit ist somit einerseits ein Teil des Menschen, da sie eine Form der Abweichung von einem Idealzustand bedeutet; andererseits ist Krankheit nach diesem Verständnis auch immer individuell, da der gesunde Zustand für jeden Menschen in einem anderen Mischungsverhältnis der Säfte liegt.

In der Praxis fand diese Theorie im 16. Jahrhundert jedoch kaum noch Anwendung, wie Michael Stolberg gezeigt hat. Stattdessen lässt sich in dieser Zeit beobachten, dass Krankheit zunehmend durch die Einwirkung fremder, verdorbener Stoffe erklärt wird: Diese Stoffe konnten von außen in den Körper gelangen, wie etwa die Miasmata (verdorbene Luft) oder Kontagien (krankhafte Stoffe in der Umwelt), die als Erklärung insbesondere für große Seuchen herangezogen wurden. Sie konnten aber auch im Körper entstehen, etwa durch "Verstopfungen": Waren Durchgangswege im Körperinneren oder auch Ausscheidungswege blockiert, verblieb alte, minderwertige Materie im Körper. Dies war deshalb gefährlich, weil sie dort beginnen konnte, zu faulen, wodurch erstens die Materie selbst krankhaft wurde und zweitens krankmachende Dämpfe entstanden. Dabei muss man sich vor Augen halten, dass der Körper laut frühneuzeitlicher Vorstellung "sehr viel durchlässiger" war als nach heutiger Vorstellung (Stolberg 2003) und aufgrund der großen Bedeutung der vier Säfte auch deren Ausscheidung für äußerst wichtig erachtet wurde. Zu den Ausscheidungsvorgängen zählten damit auch solche Vorgänge, die wir heute nicht mehr unbedingt darunter zählen wie Schweiß, Tränen und Haare, aber auch Menstrual- und Hämorrhoidalblutungen, bei denen, wie man glaubte, altes, verdorbenes oder überschüssiges Blut ausgeschieden wurde. War einer dieser Ausscheidungswege weniger aktiv als üblich, bot dies sofort Anlass zur Sorge, da die Befürchtung bestand, Materie könnte sich stauen und verderben.
Eine zweite häufige Ursache von im Körper entstandener verdorbener Materie war die mangelnde "Verkochung" der Nahrung: Nach frühneuzeitlichem Verständnis fanden im menschlichen Verdauungstrakt keine chemischen Reaktionen statt (von denen man noch keine Kenntnis hatte); vielmehr wurde die Nahrung im Körperinneren bei immenser Hitze gekocht. Dabei gelangte Nahrung zunächst in den Magen-Darm-Trakt, der sie in der ersten Verdauungsstufe (digestio prima) zum "Chylus" genannten Speisebrei verarbeitet. Dieser gelangt in die Leber, wo er in der zweiten Stufe (digestio secunda) in Blut umgewandelt wird, das vom Herzen über den Körper verteilt wird. In der dritten Verdauungsstufe (digestio tertia) wird das Blut an seinem Zielort im Gewebe oder den Organen in die jeweils benötigte Materie umgewandelt, an die Materie des Körpers "assimiliert".[1]
Kam es nun an einer Stelle zu Problemen, konnte dies sich auf den ganzen Körper auswirken. Typischerweise waren die Ursache der Probleme ein zu kalter Magen oder eine zu heiße Leber: War der Magen zu kalt, konnte nicht ausreichend verkochte Nahrung in den Körper gelangen, wo sie verfaulen oder wichtige Durchgangswege verstopfen konnte; letzteres fürhte wiederum zu Stauungen und Verfaulen von Materie.
War die Leber zu heiß, verbrannte der Speisebrei und es entstanden giftige Dämpfe und Schlacken im Körper, die ebenfalls für Verstopfungen mit schlimmen Folgen sorgen konnten. Dämpfe konnten außerdem in den Kopf aufsteigen und dort, da sie die Schädeldecke nicht durchqueren konnten, an dieser konsensieren; das Resultat der nun in den Körper zurückfließenden oder Tropfenden Materie waren sie sogenannten "Flüsse" (fluxus, catarrhus), die neben Verstopfungen und der Anwesenheit krankhafter oder verdorbener Materie eine der am häufigsten erkannten Krankheitsursachen darstellten.
Es lässt sich in der Frühen Neuzeit somit ein Bewusstseinswandel erkennen: Anstatt Krankheit körperintern als eine Abweichung von einem individuellen Idealzustand zu erklären, wurde sie externalisiert, wurde zu etwas Fremdem, das nicht zum Körper gehörte. Damit einher ging die zunehmende Abstrahierung der Krankheit als eine eigene Instanz, die unabhängig von dem Individuum existierte, das sie traf. Mehrere Menschen konnten nun also dieselbe Krankheit haben, mit denselben Ursachen und daher derselben Behandlung.

Aus der Vorstellung von der Krankheit als etwas Fremdem, das man aus dem Körper entfernen konnte, sowie der großen Bedeutung von Ausscheidungsvorgängen resultiert, dass die meisten Behandlungsmethoden purgierender Natur waren: Der Aderlass diente ebenso wie die regelmäßig verschriebenen Abführ- und Brechmittel sowie Einläufe in der Regel nicht dazu, das Säftegleichgewicht wiederherzustellen, wie gemeinhin geglaubt, sondern hatten vielmehr das Ziel, krankhafte Materie in Bewegung zu bringen und aus dem Körper auszuleiten, indem sie blockierte Wege freimachten oder Ersatz für solche schufen. Viele Erscheinungen, die heute als Krankheitssymptome gedeutet werden, verstand man damals als Methode des Körpers, sich von verdorbener Materie zu befreien; dementsprechend musste man sie nicht lindern, sondern unterstützen. Litt eine Frau an besonders heftigen Monatsblutungen, zeugte das etwa davon, dass sie besonders viel faules Blut angehäuft hatte, das der Körper auszuscheiden suchte; ein zusätzlicher Aderlass konnte hier den Körper unterstützen. Ebenso sollte man die Schließung eines offenen Geschwürs nicht zu sehr unterstützen: Das Geschwür stellte einen Ausgang für verdorbene Materie da und würde sich von selbst schließen, sobald diese vollständig ausgeleitet war. Eine überstürzte Heilung des Geschwürs konnte Krankheiten an anderer Stelle verursachen, da dabei krankhafte Materie im Körper zurückblieb. Unter Umständen konnte die Ausleitung solcher auch durch Kauterisation, also die Öffnung eines (zweiten) künstlichen Geschwüres (fontanella) unterstützt werden.
Nach heutigem Verständnis ist freilich der Nutzen vieler in der frühen Neuzeit üblichen Therapien fraglich; viele, wie der großzügige Aderlass bei ohnehin schon heftigen Blutungen oder die heftigen Abführmittel mit bis zu 50 Stuhlgängen in einer Nacht waren sicherlich eher schädlich.

  • simplicia vs. composita!


  • Studierte Ärzte vs. Handwerkschirurgen
  • Theorie basiert auf Galen und Hippokrates
  • Humoralpathologie
  • In der Praxis weniger Säftelehre relevant als (fremde) krankhafte oder verdorbene Materie, Flüsse und Dämpfe sowie Verstopfungen
    • kalter Magen
    • heiße Leber

Herausforderungen für die akademische und praktische Medizin

  • philologische Herausforderung:
    • griech. med. Texte: Edition und Übersetzung
    • Terminologie
    • Idealisierung des griech. Wissens – Relativierung durch anatomische Studien, etwa Vesalius und andere, die über Vesalius hinausgehen
      • Anatomie: macht Autopsie „zur zentralen Grundlag aller Erkenntnis“ (Stolberg 2019, 59)
  • JC: Kritik an erfolglosen Therapien zeitgenössischer Ärzte: Dreh- und Angelpunkt sei deren mangelnde Medikamenten-Expertise
    • -> Theriakschrift an Magenbuch
    • Analogia als Schlüsseltechnik bei der Herstellung von Kompositdrogen
    • Zusammenfassung antiken Wissens zu Theriak und Mithridateion)
    • -> Epigramme mit Ärztekritik in hell. Tradition


Die Medizin an der Universität Leipzig (und Wittenberg?)

Camerarius und die Medizin

  • Kontakte zu Medizinern: Umfangreiche Briefwechsel mit Crato und Fuchs; Meurer, Milich, Stojus
  • kurzer Überblick über das Folgende

Alle medizinischen Schlagwörter

Briefe:

 Registereinträge
Camerarius an Blarer, 15XXBiographisches (Krankheit)
Camerarius an Carinus, 15XXMedizin
Biographisches (Krankheit)
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Werke:

 Registereinträge
Camerarius, Ad lectorem. Cuncta licet veterum perlustres (Inc.), 1539Epigramm
Medizin
Widmungsgedicht
Camerarius, Antidotus Antiochi, 1533Theriak
Rezeptur
… weitere Ergebnisse

Drucke:

 Registereinträge
Camerarius, Commentarii utriusque linguae, 1551Fachschriftstellerei
Medizin
Lexikographie
Onomastikon
Terminologie
Glossar
Camerarius, De Theriacis, 1533Gedichtsammlung
Theriak
Rezepturensammlung
Pest (Nürnberg, 1533-1534)
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  1. Insbesondere gab es also keinen Blutkreislauf. Das Blut floss von der Leber über das Herz in den Körper, wo es vollständig verbraucht wurde.