Camerarius an das Tübinger Kollegium, 11.06.1540: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Joachim Camerarius (1500-1574)
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Camerarius beschreibt das Werk, das er nach Überwindung vieler Hindernisse zu einem Abschluss habe bringen können, als "Kommentare zu den Stilübungen für Jungen" (''commentarii exercitiorum stili puerilis'', A2r). Camerarius halte es für angebracht, dieses Werk "Rhetorik" (''Rhetorica'') zu nennen und seinen Kollegen nun zu melden, dass es gedruckt sei. Der Beruf des Gelehrten in den Künsten sei doch die schönste Beschäftigung, die es gebe (A2r/v). Hierüber und über die hohe Würde der Studien habe er neulich vor einer Zusammenkunft von Schülern (''in coetu dicipulorum'') ausführlich referiert. Camerarius verteidigt die Bedeutung der ''studia humanitatis'' (A3v) gegenüber ihrer Geringschätzung durch diejenigen, die Reichtum und Macht für bedeutsamer hielten. Ein aktives Eintreten für die Bildung gegen die Ignoranz hält Camerarius für nötig (A2v-A3v). Hierbei ruft er zum Zusammenhalt unter den Gelehrten auf.<br>
Camerarius beschreibt das Werk, das er nach Überwindung vieler Hindernisse zu einem Abschluss habe bringen können, als "Kommentare zu den Stilübungen für Jungen" (''commentarii exercitiorum stili puerilis'', A2r). Camerarius halte es für angebracht, dieses Werk "Rhetorik" (''Rhetorica'') zu nennen und seinen Kollegen nun zu melden, dass es gedruckt sei. Der Beruf des Gelehrten in den Künsten sei doch die schönste Beschäftigung, die es gebe (A2r/v). Hierüber und über die hohe Würde der Studien habe er neulich vor einer Zusammenkunft von Schülern (''in coetu dicipulorum'') ausführlich referiert. Camerarius verteidigt die Bedeutung der ''studia humanitatis'' (A3v) gegenüber ihrer Geringschätzung durch diejenigen, die Reichtum und Macht für bedeutsamer hielten. Ein aktives Eintreten für die Bildung gegen die Ignoranz hält Camerarius für nötig (A2v-A3v). Hierbei ruft er zum Zusammenhalt unter den Gelehrten auf.<br>
Camerarius wendet sich in diesem Zusammenhang auch polemisch gegen bestimmte ''docti'', die den ''studia humanitatis'' gegenüber missgünstig eingestellt seien. Sie verschmähten die Studien, die sich auf die antiken Autoren berufen, und trennten diese von der Philosophie ab. Camerarius wehrt sich jedoch gegen einen solchen Ausschluss (A3r-A4v, Anm. 2). Camerairus verteidigt hierbei die Rhetorik: Weiheit umfasse nicht nur das geistige Erfassen, sondern auch die sprachliche Vermittlung. Nichts könne mit Verstand erfasst werden, was nicht auch durch Sprache an andere weitergegeben werden könne. Entlegene Gedanken, die in wenig ansprechender Sprache formuliert sind, verdienen es nicht in höherem Maße, Philosophie genannt zu werden, als eine bedeutungsvolle Sentenz, die angemessener Sprache formuliert ist. So könnten sich auch in dichterischen Texten philosophische Gedanken formuliert finden, wozu Camerarius Beispiele zitiert speziell auf [[Erwähnte Person::Homer]] verweist (A4r/v). Was die Gegner jedoch bewunderten, könne weder verstanden noch erklärt werden und habe weder für das private noch für das öffentliche Leben irgendeinen Nutzen (A4v).<br>
Camerarius wendet sich in diesem Zusammenhang auch polemisch gegen bestimmte ''docti'', die den ''studia humanitatis'' gegenüber missgünstig eingestellt seien. Sie verschmähten die Studien, die sich auf die antiken Autoren berufen, und trennten diese von der Philosophie ab. Camerarius wehrt sich jedoch gegen einen solchen Ausschluss (A3r-A4v, Anm. 2). Camerairus verteidigt hierbei die Rhetorik: Weiheit umfasse nicht nur das geistige Erfassen, sondern auch die sprachliche Vermittlung. Nichts könne mit Verstand erfasst werden, was nicht auch durch Sprache an andere weitergegeben werden könne. Entlegene Gedanken, die in wenig ansprechender Sprache formuliert sind, verdienen es nicht in höherem Maße, Philosophie genannt zu werden, als eine bedeutungsvolle Sentenz, die angemessener Sprache formuliert ist. So könnten sich auch in dichterischen Texten philosophische Gedanken formuliert finden, wozu Camerarius Beispiele zitiert speziell auf [[Erwähnte Person::Homer]] verweist (A4r/v). Was die Gegner jedoch bewunderten, könne weder verstanden noch erklärt werden und habe weder für das private noch für das öffentliche Leben irgendeinen Nutzen (A4v).<br>
Den Sprachstil seiner Gegner weist Camerarius unter Rückgriff auf zahlreiche Vergleiche ab (A4v-A5r) und stellt das eigene Bildungskonzept entgegen (A5r/v). Er wolle die Begabungen der Kinder nicht auf Unnützes lenken. Stattdessen solle ihr Blick auf die "wahre Weisheit und Tugend" (''vera sapientia & virtus'') und die "Erkenntnis" (''intelligentia'') ausgerichtet werden. Die Schüler sollen auf eine "ehrenhafte Lebensweise" (''vitae honestas atque decus''), "lobenswertes Handeln" (''actiones laudis'') und "richtige Entscheidungsfindungen" (''recta consilia'') vorbereitet werden (A5v). Hieraus sollen auch solche hervorgehen, die entweder selbst herrschen oder den Herrschenden zu Seite stehen können. Selbst wenn der Erfolg der Erziehung nicht den Bemühungen entspreche, sei schon der Versuch höchst ehrenwert gewesen.
Den Sprachstil seiner Gegner weist Camerarius unter Rückgriff auf zahlreiche Vergleiche ab (A4v-A5r) und stellt das eigene Bildungskonzept entgegen (A5r/v). Er wolle die Begabungen der Kinder nicht auf Unnützes lenken. Stattdessen solle ihr Blick auf die "wahre Weisheit und Tugend" (''vera sapientia & virtus'') und die "Erkenntnis" (''intelligentia'') ausgerichtet werden. Die Schüler sollen auf eine "ehrenhafte Lebensweise" (''vitae honestas atque decus''), "lobenswertes Handeln" (''actiones laudis'') und "richtige Entscheidungsfindungen" (''recta consilia'') vorbereitet werden (A5v). Hieraus sollen auch solche hervorgehen, die entweder selbst herrschen oder den Herrschenden zu Seite stehen können. Selbst wenn der Erfolg der Erziehung nicht den Bemühungen entspreche, sei schon der Versuch höchst ehrenwert gewesen.<br>
Camerarius fordert seine Adressaten zur gemeinschaftlichen Bemühung um die Schulbildung auf, damit die Schulen erfolgreich geführt würden und sie Zöglinge hervorbrächten, die leitende Funktionen im Staatswesen einnehmen könnten (''alumni ad rempublicam gerendam idonei'') (A5v-A6r). Dieses Vorhaben können ihnen niemand mit Berechtigung zum Vorwurf machen.




 
Die moralische Qualität wird sich aber dann auch in gutem Handeln zeigen.<br />
Ziel der Bildung sei nicht an erster Stelle die Ausbildung von Funktionseliten (''alumni ad rempublicam gerendam idonei''). Die moralische Qualität wird sich aber dann auch in gutem Handeln zeigen.<br />
Seine Argumentation unterfüttert Camerarius mit Zitaten aus Plautus und Terenz.<br />
Seine Argumentation unterfüttert Camerarius mit Zitaten aus Plautus und Terenz.<br />



Version vom 27. Mai 2019, 12:04 Uhr



Chronologisch vorhergehende Briefe
Briefe mit demselben Datum
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 Briefdatum
Camerarius an das Tübinger Kollegium, 11.06.154011 Juni 1540 JL

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Werksigle OCEp
Zitation Camerarius an das Tübinger Kollegium, 11.06.1540, bearbeitet von Jochen Schultheiß (27.05.2019), in: Opera Camerarii Online, http://wiki.camerarius.de/OCEp
Besitzende Institution
Signatur, Blatt/Seite
Ausreifungsgrad Druck
Erstdruck in Camerarius, Elementa rhetoricae, 1541
Blatt/Seitenzahl im Erstdruck Bl. A2r-A6v
Zweitdruck in Camerarius, Elementa rhetoricae, 1545
Blatt/Seitenzahl im Zweitdruck Bl. a2r-a6v
Sonstige Editionen Camerarius, Elementa rhetoricae, 1551, Bl. a2r-a7r; Camerarius, Elementa rhetoricae, 1562, Bl. A1r-A4r; Camerarius, Elementa rhetoricae, 1564, Bl. A1r-A4r;
Wird erwähnt in
Fremdbrief? nein
Absender Joachim Camerarius I.
Empfänger Artistenfakultät (Tübingen)
Datum 1540/06/11
Datum gesichert? ja
Bemerkungen zum Datum Datierung des Briefes: III. Id. Iunii MDXL
Unscharfes Datum Beginn
Unscharfes Datum Ende
Sprache Latein
Entstehungsort Tübingen
Zielort Tübingen
Gedicht? nein
Incipit Cum tandem absolvissem
Link zur Handschrift
Regest vorhanden? ja
Paratext ? ja
Paratext zu Camerarius, Orationis Latinae exercitium rhetoricum, 1541
Kurzbeschreibung Camerarius beschreibt seine Rhetorica als "Kommentare zu den Stilübungen für Jungen" (commentarii exercitiorum stili puerilis). Camerarius verteidigt die Bedeutung der Studien gegenüber ihrer Geringschätzung. Das aktive Eintreten für sie hält er für nötig. Camerarius polemisiert gegen scholastische Kollegen und verteidigt den Nutzen der Rhetorik. Den Wert der Bildung macht er in der moralischen Erziehung aus. In der Rhetorik sieht Camerarius ein System, das eine geordnete intellektuelle Erschließung und Darstellung in der Rede erlaubt. Ziel der Bildung sei kein kleinteiliges Faktenwissen, sondern "wahre Weisheit und Tugend" (vera sapientia & virtus) und "Erkenntnis" (intelligentia), "ehrenhafte Lebensweise" (vitae honestas atque decus), "lobenswertes Handeln" (actiones laudis) und "richtige Entscheidungen" (recta consilia). Ziel der Bildung sei nicht an erster Stelle die Ausbildung von Funktionseliten (alumni ad rempublicam gerendam idonei). Die moralische Qualität wird sich aber dann ebenso in gutem Handeln zeigen.
Anlass
Register Widmungsbrief; Rhetorik; Bildungsdiskurs; Elementarunterricht; Philosophie; Sprache; Sprachphilosophie
Handschrift unbekannt
Bearbeitungsstand korrigiert
Notizen
Wiedervorlage ja
Bearbeiter Benutzer:JS
Gegengelesen von
Datumsstempel 27.05.2019
Werksigle OCEp
Zitation Camerarius an das Tübinger Kollegium, 11.06.1540, bearbeitet von Jochen Schultheiß (27.05.2019), in: Opera Camerarii Online, http://wiki.camerarius.de/OCEp
Ausreifungsgrad Druck
Erstdruck in Camerarius, Elementa rhetoricae, 1541
Blatt/Seitenzahl im Erstdruck Bl. A2r-A6v
Zweitdruck in Camerarius, Elementa rhetoricae, 1545
Blatt/Seitenzahl im Zweitdruck Bl. a2r-a6v
Sonstige Editionen Camerarius, Elementa rhetoricae, 1551, Bl. a2r-a7r; Camerarius, Elementa rhetoricae, 1562, Bl. A1r-A4r; Camerarius, Elementa rhetoricae, 1564, Bl. A1r-A4r;
Fremdbrief? nein
Absender Joachim Camerarius I.
Empfänger Artistenfakultät (Tübingen)
Datum 1540/06/11
Datum gesichert? ja
Bemerkungen zum Datum Datierung des Briefes: III. Id. Iunii MDXL
Sprache Latein
Entstehungsort Tübingen
Zielort Tübingen
Gedicht? nein
Incipit Cum tandem absolvissem
Regest vorhanden? ja
Paratext ? ja
Paratext zu Camerarius, Orationis Latinae exercitium rhetoricum, 1541
Kurzbeschreibung Camerarius beschreibt seine Rhetorica als "Kommentare zu den Stilübungen für Jungen" (commentarii exercitiorum stili puerilis). Camerarius verteidigt die Bedeutung der Studien gegenüber ihrer Geringschätzung. Das aktive Eintreten für sie hält er für nötig. Camerarius polemisiert gegen scholastische Kollegen und verteidigt den Nutzen der Rhetorik. Den Wert der Bildung macht er in der moralischen Erziehung aus. In der Rhetorik sieht Camerarius ein System, das eine geordnete intellektuelle Erschließung und Darstellung in der Rede erlaubt. Ziel der Bildung sei kein kleinteiliges Faktenwissen, sondern "wahre Weisheit und Tugend" (vera sapientia & virtus) und "Erkenntnis" (intelligentia), "ehrenhafte Lebensweise" (vitae honestas atque decus), "lobenswertes Handeln" (actiones laudis) und "richtige Entscheidungen" (recta consilia). Ziel der Bildung sei nicht an erster Stelle die Ausbildung von Funktionseliten (alumni ad rempublicam gerendam idonei). Die moralische Qualität wird sich aber dann ebenso in gutem Handeln zeigen.
Register Widmungsbrief; Rhetorik; Bildungsdiskurs; Elementarunterricht; Philosophie; Sprache; Sprachphilosophie
Datumsstempel 27.05.2019


Regest

Camerarius beschreibt das Werk, das er nach Überwindung vieler Hindernisse zu einem Abschluss habe bringen können, als "Kommentare zu den Stilübungen für Jungen" (commentarii exercitiorum stili puerilis, A2r). Camerarius halte es für angebracht, dieses Werk "Rhetorik" (Rhetorica) zu nennen und seinen Kollegen nun zu melden, dass es gedruckt sei. Der Beruf des Gelehrten in den Künsten sei doch die schönste Beschäftigung, die es gebe (A2r/v). Hierüber und über die hohe Würde der Studien habe er neulich vor einer Zusammenkunft von Schülern (in coetu dicipulorum) ausführlich referiert. Camerarius verteidigt die Bedeutung der studia humanitatis (A3v) gegenüber ihrer Geringschätzung durch diejenigen, die Reichtum und Macht für bedeutsamer hielten. Ein aktives Eintreten für die Bildung gegen die Ignoranz hält Camerarius für nötig (A2v-A3v). Hierbei ruft er zum Zusammenhalt unter den Gelehrten auf.
Camerarius wendet sich in diesem Zusammenhang auch polemisch gegen bestimmte docti, die den studia humanitatis gegenüber missgünstig eingestellt seien. Sie verschmähten die Studien, die sich auf die antiken Autoren berufen, und trennten diese von der Philosophie ab. Camerarius wehrt sich jedoch gegen einen solchen Ausschluss (A3r-A4v, Anm. 2). Camerairus verteidigt hierbei die Rhetorik: Weiheit umfasse nicht nur das geistige Erfassen, sondern auch die sprachliche Vermittlung. Nichts könne mit Verstand erfasst werden, was nicht auch durch Sprache an andere weitergegeben werden könne. Entlegene Gedanken, die in wenig ansprechender Sprache formuliert sind, verdienen es nicht in höherem Maße, Philosophie genannt zu werden, als eine bedeutungsvolle Sentenz, die angemessener Sprache formuliert ist. So könnten sich auch in dichterischen Texten philosophische Gedanken formuliert finden, wozu Camerarius Beispiele zitiert speziell auf Homer verweist (A4r/v). Was die Gegner jedoch bewunderten, könne weder verstanden noch erklärt werden und habe weder für das private noch für das öffentliche Leben irgendeinen Nutzen (A4v).
Den Sprachstil seiner Gegner weist Camerarius unter Rückgriff auf zahlreiche Vergleiche ab (A4v-A5r) und stellt das eigene Bildungskonzept entgegen (A5r/v). Er wolle die Begabungen der Kinder nicht auf Unnützes lenken. Stattdessen solle ihr Blick auf die "wahre Weisheit und Tugend" (vera sapientia & virtus) und die "Erkenntnis" (intelligentia) ausgerichtet werden. Die Schüler sollen auf eine "ehrenhafte Lebensweise" (vitae honestas atque decus), "lobenswertes Handeln" (actiones laudis) und "richtige Entscheidungsfindungen" (recta consilia) vorbereitet werden (A5v). Hieraus sollen auch solche hervorgehen, die entweder selbst herrschen oder den Herrschenden zu Seite stehen können. Selbst wenn der Erfolg der Erziehung nicht den Bemühungen entspreche, sei schon der Versuch höchst ehrenwert gewesen.
Camerarius fordert seine Adressaten zur gemeinschaftlichen Bemühung um die Schulbildung auf, damit die Schulen erfolgreich geführt würden und sie Zöglinge hervorbrächten, die leitende Funktionen im Staatswesen einnehmen könnten (alumni ad rempublicam gerendam idonei) (A5v-A6r). Dieses Vorhaben können ihnen niemand mit Berechtigung zum Vorwurf machen.


Die moralische Qualität wird sich aber dann auch in gutem Handeln zeigen.
Seine Argumentation unterfüttert Camerarius mit Zitaten aus Plautus und Terenz.

(Jochen Schultheiß)

Anmerkungen

  • Anm. 1: Entstehungs- und Zielort sind aus dem Kontext und Adressatenschaft erschlossen.
  • Anm. 2: Hiermit spielt Camerarius wohl auf den Konflikt zwischen Humanisten und Scholastikern an.