Mantik und Magie (CamLex)

Aus Joachim Camerarius (1500-1574)
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CamLex
Zitation Marion Gindhart, Art. "Mantik und Magie (CamLex)", in: Opera Camerarii Online, http://wiki.camerarius.de/Mantik_und_Magie_(CamLex) (08.05.2024).
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Zitation Marion Gindhart, Art. "Mantik und Magie (CamLex)", in: Opera Camerarii Online, http://wiki.camerarius.de/Mantik_und_Magie_(CamLex) (08.05.2024).

Mantik

Unter den zeitgenössischen mantischen Verfahren nimmt die → Astrologie bei Camerarius einen besonderen Stellenwert ein. Er äußert sich nicht nur theoretisch über sie, sondern übt sie auch praktisch aus – sei es im Bereich der Horoskopie, der Jahresprognostiken oder der Deutung von Eklipsen und Kometen. Schon früh in der praktischen Astrologie ausgebildet durch seine Mutter, erhält er wiederholt Anfragen (aus dem Bekanntenkreis, aber auch für unbekannte Dritte), Horoskope zu stellen oder auszulegen.

Als ars, die auf einer methodisch fundierten Interpretation natürlicher Ursachen gründet, ist die Astrologie in Camerarius‘ Zusammenschau divinatorischer Praktiken, dem "Commentarius de generibus divinationum ac Graecis Latinisque eorum vocabulis", aufgenommen (2. Kategorie).[1] Das (nicht ganz vollendete) Werk wird erst postum (1576) durch Camerarius' Sohn Ludwig publiziert. Ludwig widmet es dem Statthalter des dänischen Königs in den Herzogtümern Schleswig und Holstein, Heinrich von Rantzau, der - durch sein Wittenberger Studium bei Philipp Melanchthon geprägt - eine umfassende humanistische Bildung besaß, mit seinem großen Vermögen die Künste und Wissenschaften förderte und sich insbesondere für Astrologie interessierte: So firmiert er als Autor diverser Astrologica, korrespondiert über astrologische Themen und verfügt über einen reichen Besitz astronomisch-astrologischer Literatur und Instrumente.[2] In der gedruckten Korrespondenz von Joachim Camerarius d.Ä. ist ein Brief an Rantzau erhalten (dat. 11.05.1572). Mit diesem antwortet Camerarius auf ein (als Kopie erhaltenes) Schreiben Rantzaus vom 11.04.1572, in dem dieser ihn um eine Begründung für die Lehre der anni climacterici bittet.[3] Dieses in der Antike entwickelte Konzept, das unter anderem Firmicus Maternus in der "Mathesis"[4] behandelt, wertet bestimmte Lebensjahre als "kritische Jahre" oder "Stufenjahre", die physische Veränderungen auslösen und damit eine Gefährdung von Gesundheit und Leben bedeuten, gegen die man sich wappnen müsse. Die Festlegung, welches Jahr ein "kritisches" ist, erfolgt auf Basis der Zahlen 7 und 9: Bei der sogenannten Siebenerreihe (anni hebdomadici) wir als erstes Stufenjahr das siebte angesetzt (7 x 1), gefolgt von den Jahren, die das Produkt der Folgezahlen mit 7 sind; als besonders gefährlich wird das 63. Jahr (7 x 9) angesehen sowie das 49. (7 x 7) und das 56. (7 x 8), bei dem System der Neunerreihe (anni enneatici/decretorii) auch das 81. (9 x 9).

Joachim Camerarius beantwortet in seinem Brief Rantzaus Anfrage bezüglich der anni climacterici nicht. Vielmehr schreibt er, dass ihm seine momentane physische und psychische Verfassung nicht erlaube, so ausführlich und genau zu antworten, wie es die Sache erfordere; dass er sich mit "jener Frage" aber bereits in einer seiner commentatiuncula beschäftigt habe, die aufgrund anderer drängender Angelegenheiten noch nicht vollendet sei, aber fertiggestellt werden solle.[5] Interessant ist, dass in dem handschriftlichen Originalbrief auf diese Stelle ein (in der gedruckten Version von 1586 getilgter) Passus folgt, in dem Camerarius vom Wesen astrologischer Vorhersagen handelt[6] und noch einmal auf die erhoffte "Ausarbeitung des Werkes" (elaboratio operis) verweist, so dass Rantzau dann "alles" in angemessener Ausführlichkeit erhalten werde.[7]

Auf die Anfrage Rantzaus an seinen Vater rekurriert Ludwig Camerarius in seiner Widmung des "Commentarius" an den Adligen[8] und vermerkt mit Hinweis darauf, dass der vorliegende "Commentarius" auf Anregung, ja sogar Drängen Rantzaus entstanden sei,[9] und dass sein Vater trotz widrigster Umstände (Krankheit, Tod seiner Frau) über die anni climacterici reflektiert und niedergeschrieben habe, was man jetzt im "Commentarius" vorfinde.[10] Die anderen Divinationsarten seien als auctarium beigegeben, um die Schrift zu erweitern und sich Rantzaus Interesse an der Sache gefällig zu zeigen: Ut autem plenius hoc scriptum fieret, & tuae cupiditati luculentius gratificaretur, atque inserviret, quasi auctarium hoc addidit, quod de ceteris divinationib(us) adiunctum vides, ne nudi ad te climacteres tui venirent.[11] Dennoch wären auch die anni climacterici allein ein legitimer Gegenstand gelehrten Interesses.[12] Diese Ausführungen Ludwigs erstaunen, da der Passus zu den anni climacterici im "Commentarius" gerade einmal vier Seiten (von insgesamt 154) einnimmt. Er scheint die Widmung mit der Anknüpfung an den lange zurückliegenden Brief zum einen für eine Kontaktaufnahme mit Rantzau nutzen[13] und zum anderen die Behandlung des nicht 'ungefährlichen' Divinationsthemas[14] dem bekundeten Interesse und der Inititative des Statthalters überantworten zu wollen.

Tatsächlich erscheint im selben Jahr wie der "Commentarius" der von Detlev Sylvius herausgegebene "De conservanda valetudine liber" Rantzaus, in dem dieser auch den anni climacterici ein Kapitel widmet.[15] Darin betont Rantzau, dass die Beachtung der kritischen Jahre nichts mit Aberglauben zu tun habe, sondern auf usus & experientia fuße.[16] Er beginnt mit dem 7er-Schema und dem Hinweis auf die Regentschaft Saturns, nennt aber auch das 4er- und 9er-Schema sowie einige astrologische Details und empfiehlt bei dem Zusammentreffen eines kritischen Jahres mit Krankheitsvorzeichen das Gebet zu Gott, die Konsultation eines guten Astrologen und Arztes, Besonnenheit bei allen Taten sowie Maßhalten in der Ernährung.[17]

Es ist gut vorstellbar, dass Rantzau für dieses Konvolut 1572 die Anfrage an Camerarius gerichtet hat. Da Sylvius den handschriftlichen Text spätestens 1573 gesehen haben muss (aus diesem Jahr datiert die Widmung an die Rantzau-Söhne), war Ludwig Camerarius mit der Herausgabe des "Commentarius", den ihm die drei Nachlassverwalter zugestanden hatten,[18] und der darin enthaltenen Information zu den anni climacterici dann allerdings etwas zu spät. Ebenfalls 1576 veröffentlicht Rantzau erstmals seinen mehrfach nachgedruckten "Catalogus imperatorum", in dem die Diskussion der anni climacterici (mit einer Sammlung zur Bedeutung der Zahl 7, einem Katalog prominenter Todesfälle in den kritischen Jahren und anderen Zusammenstellungen) breiten Raum einnimmt.[19]

Magie



  1. Zum "Commentarius" vgl. Huth 2017.
  2. Dazu grundlegend Oestmann 2004.
  3. OCEp 3253. Schleswig, LASH, Abt. 127.21, Ms. 293 (sog. 'Breitenburger Briefhandschrift'), 35-41, ediert und übersetzt in Oestmann 2004, 164-169. Rantzau hatte sich im Vorfeld bereits mit anderen Gelehrten darüber ausgetauscht (und kennt auch die einschlägigen Stellen aus der antiken Literatur), war aber mit den Erklärungen nicht zufrieden; er befürwortet mit Marsilio Ficino als Kausalursache den Einfluss Saturns auf die Körpersäfte in jedem siebten Jahr, sieht aber Probleme für Jahre, in denen Saturn "manchmal im Laufe der Zeit in einen freundlichen oder gar keinen Aspekt hineinkommt. Und das kann in der Tat keine Gefahren oder Widrigkeiten verursachen" (... tamen processu temporis nonnumquam in amicum vel etiam nullum spectum incidere: quod sane pericula vel adversitates adferre non potest, ebd., 37; Oestmann 2004, 166f.). Rantzau hatte nun Erasmus Kirstein aufgefordert, von Camerarius als "gelehrtestem unter den zeitgenössischen Gelehrten" (qui inter saeculi nostri literatos facile es doctissimus, ebd., 38) eine Erklärung einzuholen. Da Camerarius' Sohn Ludwig damals jedoch auf die schlechte Gesundheit seines Vaters verwiesen habe, frage er nun selbst an, da es – wie er gehört habe - Camerarius wieder besser gehe und dieser auch seinen Unterricht wieder aufgenommen habe (ebd.).
  4. Firm. math. 4, 20.
  5. Et inter alias commentatiunculas nostras, aliquando hanc quoque suscepi in manus perscribendam, sed reliqui, interpellantib(us) occupationib(us) aliis, quemadmodum alia multa, inchoatam, quam cogitabam perficere, si ... tantum ocii concederetur (OCEp 0551).
  6. Camerarius spricht darin u.a. von astrologisch gegründeten Vorhersagen als στοχαστικά, die auf Vermutungen basieren (εἰκαστικὴ θεωρία nach Ptol. Tetr. 1,2,15), vgl. Schleswig, LASH, 127.21, Ms. 293, 45-47, hier: 45f. Der Brief ist ediert in Huth 2017, 256f.
  7. Schleswig, LASH, 127.21, Ms. 293, 46 (... copiose enarrata omnia ad tuam praestantem virtutem ut perferantur sedulo opera a me dabitur).
  8. Camerarius, De generibus divinationum, 1576, A2r-B4r; zur Widmung vgl. Huth 2017, 234-238. Die Ärztebriefdatenbank verzeichnet keine weitere Korrespondenz zwischen Ludwig Camerarius und Rantzau.
  9. Ebd., A7v-A8r (z.B.: ... ii tuae nobilitati gratias debeant, quod te ipsum excitante, atque adeo nomini tui, & autoritatis respectu impellente, haec sint eis ab autore procurata omnia).
  10. Ebd., A8r/v. Der "Commentarius" behandelt die anni climacterici vorgezogen und in recht grundständiger Form auf den Seiten 11-14. Ludwig selbst schreibt dazu ebd., A8v-B1v (mit Rekurs auf das Neunerschema bei Platon).
  11. Ebd., A8v.
  12. Ebd.; Camerarius ordnet sie im "Commentarius" freilich den 'abergläubischen' Praktiken zu. Zur von Ludwig referierten Kritik an der Lehre vgl. ebd., B1r/v.
  13. Ludwig nennt (B3r) die benevolentia Rantzaus gegenüber seinem verstorbenen Vater und gibt seiner Hoffnung Ausdruck, dass er und seine Brüder diesen darin beerben können.
  14. Vgl. ebd., A4r-A5r, insbesondere sei es schwierig zu bestimmen, ob die spiritus und ihre Wirkungen göttlich oder teuflisch sind. Auch hätten einige durch ihre Ausführungen die curiositas der Leser für Dinge geweckt, die diese nicht wissen sollten (A6r), oder, indem sie die divinatorischen Methoden (vordergründig) ablehnten, diese erst vermittelt, insbesondere die Magie (A6r/v).
  15. In der Widmung (dat. 1573) an die beiden ältesten Rantzau-Söhne Frantz und Breide berichtet Sylvius, er habe das von Rantzau ex variis medicorum libris (A2r) für seine Kinder kompilierte Manuskript in dessen Bibliothek auf Schloss Breitenburg entdeckt und beschlossen, es zum allgemeinen Nutzen in den Druck zu geben. Zum Aufbau und den verhandelten Themen vgl. das Inhaltsverzeichnis auf B6r/v; zu den anni climacterici 114-118 (Kapitel 35).
  16. Ebd., 114.
  17. Ebd., 114-118.
  18. Vgl. Camerarius, De generibus divinationum, 1576, B1v; als Verwalter seines literarischen Nachlasses bestimmte Camerarius testamentarisch seine Söhne Joachim Camerarius II./Joachim und Philipp sowie seinen Schwiegersohn Esrom Rüdinger.
  19. In der eingesehenen Ausgabe Leipzig 1584 insb. 225-371 und 408-450; vgl. zu dem Konvolut Oestmann 2004, 44f.