Camerarius an Berlepsch, 28.01.1563: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Joachim Camerarius (1500-1574)
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|Kurzbeschreibung=Camerarius beginnt mit grundsätzlichen Gedanken zur Gattung des Epithalamiums. Diese gehen über in Reflexionen über den Sinn einer Beschäftigung mit der mit der Dichtung. Camerarius stellt grundlegende Gedanken über das Verhältnis von Begabung und erlernter Technik in der Poesie an. Hierbei geht er auch auf die große Bedeutung ein, die die Imitation antiker Vorbilder für ihn spielt. Die Entlehnung von Fremdem rechtfertigt Camerarius als eine Inbesitznahme (''usucapio''), bei der letztlich das Eigene und das Entliehene nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind.
|Kurzbeschreibung=Camerarius beginnt mit grundsätzlichen Gedanken zur Gattung des Epithalamiums. Diese gehen über in Reflexionen über den Sinn einer Beschäftigung mit der mit der Dichtung. Camerarius stellt grundlegende Gedanken über das Verhältnis von Begabung und erlernter Technik in der Poesie an. Hierbei geht er auch auf die große Bedeutung ein, die die Imitation antiker Vorbilder für ihn spielt. Camerarius orientiere sich an der antiken Literatur und entlehne aus ihr (''transtuli''), wenn er dort Gelungenes finde (''pulcra et elegantia et apta''). Diese Technik beschreibt er als ein "Zusammenweben" (''contexui''). Die Entlehnung von Fremdem rechtfertigt Camerarius als eine Inbesitznahme (''usucapio''), bei der letztlich das Eigene und das Entliehene nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind.
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Daraufhin rechtfertigt Camerarius, dass durchaus auch ein Greis sich dem Thema widmen könne. Ungebührliches (''indecora atque deformia'') wolle er jedoch auslassen. Hochzeitsfreuden missfielen auch Gott nicht, würden auch von den Gesetzen gutgeheißen und entsprächen auch den Gewohnheiten aller Völker und einem natürlichen Drang. Zudem bestehe ein rednerisches Ideal darin, Scherzhaftes und Heiteres bedeutungsvoll und elegant ausdrücken (''iocosa atque laeta graviter et eleganter explicare''), wie auch Ernstes und Traurige durch Ausgewogenheit abmildern zu können. <br />
Daraufhin rechtfertigt Camerarius, dass durchaus auch ein Greis sich dem Thema widmen könne. Ungebührliches (''indecora atque deformia'') wolle er jedoch auslassen. Hochzeitsfreuden missfielen auch Gott nicht, würden auch von den Gesetzen gutgeheißen und entsprächen auch den Gewohnheiten aller Völker und einem natürlichen Drang. Zudem bestehe ein rednerisches Ideal darin, Scherzhaftes und Heiteres bedeutungsvoll und elegant ausdrücken (''iocosa atque laeta graviter et eleganter explicare''), wie auch Ernstes und Traurige durch Ausgewogenheit abmildern zu können. <br />
Camerarius habe jedoch nicht nur erreichen wollen, dass das Werk frei von Leichtsinn (''levitas'') sei, sondern auch einen Nutzen bringe. Dieser bestehe weniger im Werk selbst als in seiner Beispielhaftigkeit (''utilitatem afferret, magis quidem exemplo quam opere ipso'').<br>
Camerarius habe jedoch nicht nur erreichen wollen, dass das Werk frei von Leichtsinn (''levitas'') sei, sondern auch einen Nutzen bringe. Dieser bestehe weniger im Werk selbst als in seiner Beispielhaftigkeit (''utilitatem afferret, magis quidem exemplo quam opere ipso'').<br>
Camerarius meint, über keine Fähigkeit zur Dichtung (''facultas poetices'') zu verfügen. Er habe auch nie gedacht, dass er in dieses Studiengebiet zu viel Mühe stecken sollte. Dennoch weist Camerarius der Beschäftigung mit der Dichtung eine bedeutsame Stellung zu. Nachdem er sich selbst etwas darin geübt habe, habe er selbst erfahren, dass ohne eine Beschäftigung mit der Dichtung die menschliche Begabung (''ingenium'') nicht durch moralische Bildung (''humanitas'') und durch Gelehrsamkeit (''doctrina'') verfeinert (''perpoliri'') werden könne (Anm. 2). Camerarius wolle nun aber so handeln wie arme Menschen, die sich Kleidung leihen, wenn sie sie nicht selbst besitzen.
Camerarius meint, über keine Fähigkeit zur Dichtung (''facultas poetices'') zu verfügen. Er habe auch nie gedacht, dass er in dieses Studiengebiet zu viel Mühe stecken sollte. Dennoch weist Camerarius der Beschäftigung mit der Dichtung eine bedeutsame Stellung zu. Nachdem er sich selbst etwas darin geübt habe, habe er selbst erfahren, dass ohne eine Beschäftigung mit der Dichtung die menschliche Begabung (''ingenium'') nicht durch moralische Bildung (''humanitas'') und durch Gelehrsamkeit (''doctrina'') verfeinert (''perpoliri'') werden könne (Anm. 2). Camerarius wolle nun aber so handeln wie Leute von geringerem Stand, die sich Kleidung von anderer Stelle holen, wenn sie sie nicht selbst besitzen.
In Camerarius' poetischer Praxis schlage sich dies in seinem Umgang mit antiken Vorbildern nieder. Camerarius orientiere sich an der antiken Literatur und entlehne aus ihr (''transtuli''), wenn er dort Gelungenes finde (''pulcra et elegantia et apta''). Diese Technik beschreibt er als ein "Zusammenweben" (''contexui''). Das Ergebnis dieser Technik ist "eine Art Hochzeitsekloge" (''eclogam quandam nuptialem''). Gerade die Gattung der Bukolik biete vorzügliche antike Vorbilder, die man zunächst gründlich studieren müsse, um sie dann auch selbst kreativ verwenden zu können (''usurpari''). Die Entlehnung (''accepta conquisitaque''), "kenntnisreiche Behandlung" (''tractaverit scite'') und "kluge und elegante Zusammenstellung (''prudenter et eleganter concinnaverit'') von Entlehntem legitimiert er als eine Form der Ersitzung (''usucapio''), wobei das Fremde zum eigenen Besitz (''possessio'') werde. Das Geschaffene erscheine (''videantur'') nun als eigene Kreation (''expressa et efficta de altero''), nicht mehr als Entlehnung (''decerpta aut mutuo sumpta''). <br />
 
 
 
Das Ergebnis dieser Technik ist "eine Art Hochzeitsekloge" (''eclogam quandam nuptialem''). Gerade die Gattung der Bukolik biete vorzügliche antike Vorbilder, die man zunächst gründlich studieren müsse, um sie dann auch selbst kreativ verwenden zu können (''usurpari''). Die Entlehnung (''accepta conquisitaque''), "kenntnisreiche Behandlung" (''tractaverit scite'') und "kluge und elegante Zusammenstellung (''prudenter et eleganter concinnaverit'') von Entlehntem legitimiert er als eine Form der Ersitzung (''usucapio''), wobei das Fremde zum eigenen Besitz (''possessio'') werde. Das Geschaffene erscheine (''videantur'') nun als eigene Kreation (''expressa et efficta de altero''), nicht mehr als Entlehnung (''decerpta aut mutuo sumpta''). <br />


(Jochen Schultheiß)
(Jochen Schultheiß)

Version vom 13. Mai 2019, 07:34 Uhr



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 Briefdatum
Camerarius an Berlepsch, 28.01.156328 Januar 1563 JL

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Werksigle OCEp 0941
Zitation Camerarius an Berlepsch, 28.01.1563, bearbeitet von Jochen Schultheiß (13.05.2019), in: Opera Camerarii Online, http://wiki.camerarius.de/OCEp_0941
Besitzende Institution
Signatur, Blatt/Seite
Ausreifungsgrad Druck
Erstdruck in Camerarius, Epithalamii versus, 1563
Blatt/Seitenzahl im Erstdruck Bl. A2r-A3v
Zweitdruck in Camerarius, Epistolae familiares, 1595
Blatt/Seitenzahl im Zweitdruck S. 062-066
Sonstige Editionen
Wird erwähnt in
Fremdbrief? nein
Absender Joachim Camerarius I.
Empfänger Erich Volkmar von Berlepsch
Datum 1563/01/28
Datum gesichert? ja
Bemerkungen zum Datum 5. Cal. Februar. Anno Christi Iesu 1563
Unscharfes Datum Beginn
Unscharfes Datum Ende
Sprache Latein
Entstehungsort Leipzig
Zielort o.O.
Gedicht? nein
Incipit Cum tibi, Eriche Volcmare,
Link zur Handschrift
Regest vorhanden? ja
Paratext ? ja
Paratext zu Camerarius, Epithalamii versus, 1563
Kurzbeschreibung Camerarius beginnt mit grundsätzlichen Gedanken zur Gattung des Epithalamiums. Diese gehen über in Reflexionen über den Sinn einer Beschäftigung mit der mit der Dichtung. Camerarius stellt grundlegende Gedanken über das Verhältnis von Begabung und erlernter Technik in der Poesie an. Hierbei geht er auch auf die große Bedeutung ein, die die Imitation antiker Vorbilder für ihn spielt. Camerarius orientiere sich an der antiken Literatur und entlehne aus ihr (transtuli), wenn er dort Gelungenes finde (pulcra et elegantia et apta). Diese Technik beschreibt er als ein "Zusammenweben" (contexui). Die Entlehnung von Fremdem rechtfertigt Camerarius als eine Inbesitznahme (usucapio), bei der letztlich das Eigene und das Entliehene nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind.
Anlass
Register Poetik; Imitatio; Bukolik; Parallelüberlieferung (Briefe); Widmungsbrief; Epithalamium
Handschrift unbekannt
Bearbeitungsstand korrigiert
Notizen
Wiedervorlage ja
Bearbeiter Benutzer:JS
Gegengelesen von
Datumsstempel 13.05.2019
Werksigle OCEp 0941
Zitation Camerarius an Berlepsch, 28.01.1563, bearbeitet von Jochen Schultheiß (13.05.2019), in: Opera Camerarii Online, http://wiki.camerarius.de/OCEp_0941
Ausreifungsgrad Druck
Erstdruck in Camerarius, Epithalamii versus, 1563
Blatt/Seitenzahl im Erstdruck Bl. A2r-A3v
Zweitdruck in Camerarius, Epistolae familiares, 1595
Blatt/Seitenzahl im Zweitdruck S. 062-066
Fremdbrief? nein
Absender Joachim Camerarius I.
Empfänger Erich Volkmar von Berlepsch
Datum 1563/01/28
Datum gesichert? ja
Bemerkungen zum Datum 5. Cal. Februar. Anno Christi Iesu 1563
Sprache Latein
Entstehungsort Leipzig
Zielort o.O.
Gedicht? nein
Incipit Cum tibi, Eriche Volcmare,
Regest vorhanden? ja
Paratext ? ja
Paratext zu Camerarius, Epithalamii versus, 1563
Kurzbeschreibung Camerarius beginnt mit grundsätzlichen Gedanken zur Gattung des Epithalamiums. Diese gehen über in Reflexionen über den Sinn einer Beschäftigung mit der mit der Dichtung. Camerarius stellt grundlegende Gedanken über das Verhältnis von Begabung und erlernter Technik in der Poesie an. Hierbei geht er auch auf die große Bedeutung ein, die die Imitation antiker Vorbilder für ihn spielt. Camerarius orientiere sich an der antiken Literatur und entlehne aus ihr (transtuli), wenn er dort Gelungenes finde (pulcra et elegantia et apta). Diese Technik beschreibt er als ein "Zusammenweben" (contexui). Die Entlehnung von Fremdem rechtfertigt Camerarius als eine Inbesitznahme (usucapio), bei der letztlich das Eigene und das Entliehene nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind.
Register Poetik; Imitatio; Bukolik; Parallelüberlieferung (Briefe); Widmungsbrief; Epithalamium
Datumsstempel 13.05.2019


Regest

Als neulich verkündigt worden sei, Berlepsch habe die Tochter des Johannes (von) Schleinitz bei Seerhausen geheiratet, habe ihm Camerarius seinen Glückwunsch überbringen lassen. Da sei berichtet worden, Berlepsch habe Andeutungen gemacht, dass er sehr gerne ein Hochzeitslied von Camerarius erhalten würde. Camerarius halte sich aufgrund seines Alters und seines Standes (conditio; Anm.1) zwar nicht für geeignet für die Gattung des Epithalamiums, dennoch wolle er der Bitte nachkommen, da Berlepsch stets Wohlwollen und Hochachtung für seine Gelehrsamkeit gezeigt habe.
Daraufhin rechtfertigt Camerarius, dass durchaus auch ein Greis sich dem Thema widmen könne. Ungebührliches (indecora atque deformia) wolle er jedoch auslassen. Hochzeitsfreuden missfielen auch Gott nicht, würden auch von den Gesetzen gutgeheißen und entsprächen auch den Gewohnheiten aller Völker und einem natürlichen Drang. Zudem bestehe ein rednerisches Ideal darin, Scherzhaftes und Heiteres bedeutungsvoll und elegant ausdrücken (iocosa atque laeta graviter et eleganter explicare), wie auch Ernstes und Traurige durch Ausgewogenheit abmildern zu können.
Camerarius habe jedoch nicht nur erreichen wollen, dass das Werk frei von Leichtsinn (levitas) sei, sondern auch einen Nutzen bringe. Dieser bestehe weniger im Werk selbst als in seiner Beispielhaftigkeit (utilitatem afferret, magis quidem exemplo quam opere ipso).
Camerarius meint, über keine Fähigkeit zur Dichtung (facultas poetices) zu verfügen. Er habe auch nie gedacht, dass er in dieses Studiengebiet zu viel Mühe stecken sollte. Dennoch weist Camerarius der Beschäftigung mit der Dichtung eine bedeutsame Stellung zu. Nachdem er sich selbst etwas darin geübt habe, habe er selbst erfahren, dass ohne eine Beschäftigung mit der Dichtung die menschliche Begabung (ingenium) nicht durch moralische Bildung (humanitas) und durch Gelehrsamkeit (doctrina) verfeinert (perpoliri) werden könne (Anm. 2). Camerarius wolle nun aber so handeln wie Leute von geringerem Stand, die sich Kleidung von anderer Stelle holen, wenn sie sie nicht selbst besitzen.


Das Ergebnis dieser Technik ist "eine Art Hochzeitsekloge" (eclogam quandam nuptialem). Gerade die Gattung der Bukolik biete vorzügliche antike Vorbilder, die man zunächst gründlich studieren müsse, um sie dann auch selbst kreativ verwenden zu können (usurpari). Die Entlehnung (accepta conquisitaque), "kenntnisreiche Behandlung" (tractaverit scite) und "kluge und elegante Zusammenstellung (prudenter et eleganter concinnaverit) von Entlehntem legitimiert er als eine Form der Ersitzung (usucapio), wobei das Fremde zum eigenen Besitz (possessio) werde. Das Geschaffene erscheine (videantur) nun als eigene Kreation (expressa et efficta de altero), nicht mehr als Entlehnung (decerpta aut mutuo sumpta).

(Jochen Schultheiß)

Anmerkungen

  • Anm. 1: Mit conditio könnte Camerarius seinen Stand als Bürgerlicher, seinen Familienstand als Verheirateter oder seinen Berufsstand meinen.
  • Anm. 2: Hier ist zunächst unklar, ob es Camerarius darum geht, den allgemeinen Bildungswert einer Beschäftigung mit der Dichtung zu betonen (vgl. die Übersetzung bei Mundt 2004, 191), oder ob er die Bedeutung einer theoretischen Beschäftigung mit der Dichtkunst als Voraussetzung für eine Entwicklung der Begabung herausstreichen möchte. Eine Betrachtung des gesamten Gedankengangs spricht für die zweite Interpretation.

Forschungsliteratur

  • Edition und Übersetzung: Mundt 2004, XXVI-XXVII, 188-195.