Camerarius an Unbekannt, 15XX d: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Joachim Camerarius (1500-1574)
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=== Regest ===
=== Regest/Übersetzung ===
Über ''sigilla'' denke C., dass er sie zu den Epoden (Beschwörungen) zähle, und zu den Wurzeln der Flüche, zu Pflanzenstämmen, Kleidungsstücken, Lasttieren, beseelten Wesen und anderer magischer Dinge, die sich auf menschliche Körper bezögen, durch Worte oder Taten. Aber es sei schwierig, über solches zu schreiben, weil es so von Aberglaube umhüllt und entstellt sei, dass man leicht Abzulehnendes und schwer Billigenswertes finde. Es seien mehr als 2000 Jahre vergangen, seit Epoden benutzt worden seien, wie man bei [[Homer]] lesen könne, bei dem die Verwandten des Odysseus dessen Wunde, die ein Eber verursacht hatte, den Blutfluss stoppten (Hom Od. 19, 457f.). Wenn in Worten allein eine solche Naturkraft stecke, wie in Pflanzen und Tieren, dann scheine es jemand anderem nicht absurd, dass sie durch Anwendung nicht nur nicht verschwinde, sondern sogar noch größer werde. Einst seien Ringe in Griechenland öffentlich verkauft worden, deren Trägern Schutz vor verschiedenen Übeln versprochen wurde, die φυσικοί (s. Anm.) genannt wurden. Darüber spotte [[Aristophanes]], indem er leugne, dass sie die Bisse von Speichelleckern abwehren könnten. C. freilich meine, dass die Effekte der Natur in allen, auch den kleinsten, Dingen sehr groß seien, und dass gelehrte Männer diese Kräfte sammelten, und an bestimmte Ereignisse anpassen könnten, wie man über Tritemius hören könne, der im Winter Samen von Gemüse und Kräutern in der Erde vergraben habe, so dass innerhalb kurzer Zeit Gemüse oder Kräuter gewachsen seien. Derselbe sei einmal davor gewarnt worden, zu nahe an ein wildgewordenes Pferd heranzutreten. Er sei trotzdem herangetreten und habe es mit der Hand gestreichelt: Es sei nicht nur zahmer als jedes Schaf gewesen, sondern hätte auch zitternd dagestanden. C. sei freilich nicht leicht zu überzeugen, dass die Natur in einigen Menschen eine verborgene Kraft wunderbarer Effekte verborgen habe, so dass sie allein durch Anblicken, Berührung oder ihren Atem nützen oder schaden könnten. Er wisse nicht, über wen sie in der Nachbarschaft erzählten, dass er jemanden durch Flüstern gezwungen habe, etwas in Menschenaugen Schändliches zuzugeben. Was sei mit jenen unglücklichen Frauen, die angeblich Unwetter beschwören und, laut Vergil, den Mond vom Himmel entfernen könnten? Aber solches gleite leicht in Aberglauben ab. Das sei ungeschlacht und rau wie bei Alpträumen, die manche Leute hätten. Solche Anblicke von Schatten als Enthüller der Wahrheit nenne Homer ἀμενηνά und vergleiche sie mit Rauch, [[Vergil]] aber (vergleiche sie) mit Schlaf.
Die ''sigilla'' (magische Symbole bzw. damit versehene Amulette) nehme C. generell mit auf in die Gruppe der Zaubersprüche (ἐπῳδαί), der Besprechungen von Wurzeln, Heilkräutern, Kleidungsstücken, Lasttieren, beseelten Wesen sowie anderer magischer Dinge, die auf menschliche Körper oder Sachen angewendet werden, entweder in Form von Worten oder Handlungen. Aber es sei schwierig, über diesen ganzen Bereich (scil. der Magie) zu schreiben, weil er so von Aberglaube überfrachtet und entstellt sei, dass man leicht finden könne, was abzulehnen, aber nicht, was zu billigen sei.<br>


C. deute das, in aller Kürze, folgendermaßen: Seiner Meinung nach hätte die Natur unglaubliche und unbegrenzte Kräfte, die rein und unverfälscht weder unfromm noch verbrecherisch seien. Viele aber interpretierten Fehler in sie hinein, so dass diese Dinge für einen gelehrten Menschen suspekt, für einen Christen aber verachtenswert erschienen. Denn was solle einer in Pflanzen die Wahrheit suchen, dessen Heil bei Gott liege, dem Schöpfer des Himmels und der Erde? So würden also die Anhänger entsprechender Praktiken als abtrünnig von wahrer Frömmigkeit betrachtet. Aber jeder könne ja genau sehen, dass nicht durch ein hingeworfenes Bild oder solche Künste etwas hingeworfen werde, wie Plinius es nenne, oder durch gewisse ungewöhnliche Beobachtungen oder dass hingeworfenen Wortschwällen mehr Aufmerksamkeit zukomme, als christlicher Glaube und die Wahrheit der Religion es zuließen, aber Vernunft und Intelligenz könne das leicht billigen und verteidigen. Es sei aber offensichtlich, dass in diesem Bereich nicht nur einfache Menschen leicht und gerne strauchelten. C. hätte das ausführlicher dargelegt, wenn seine anderen Verpflichtungen es erlaubt hätten. Was N. pro instituto geschrieben hätte, habe C. sehr gefallen. C.‘ Schrift (dieser Brief?) sei aber noch nicht sehr ausgefeilt. Daher bitte C. um Rücksendung.
Seit mehr als 2000 Jahren seien ἐπῳδαί in Gebrauch, wie man aus [[Erwähnte Person::Homer]] erfahren könne, bei dem die Verwandten des Odysseus (i.e. die Söhne des Autolykos) den Blutfluss seiner tiefen Wunde, die ein Eber verursacht hatte, mit einem Verband und einem Zauberspruch stoppten (Hom. Od. 19, 457f.). Wenn in Worten allein eine solche natürliche Kraft (''naturae vis'') stecke, scheine es doch nicht abwegig, dass sie, wenn sie mit einer anderen (scil. Kraft) – etwa der in Pflanzen und Tieren – kombiniert werde, nicht nur nicht verschwinde, sondern sogar noch größer werde. Einst seien Ringe in Griechenland öffentlich verkauft worden, deren Trägern von verschiedenen (Verkäufern) Schutz vor verschiedenen Übeln versprochen wurde, die φυσικοί (scil. δακτύλιοι) (s. Anm.) genannt wurden. Darüber spotte [[Erwähnte Person::Aristophanes]], indem er ihre Wirksamkeit gegen verleumderische Angriffe leugnete. C. freilich meine, dass die Wirkursachen der Natur in allen, auch den kleinsten, Dingen sehr groß seien, und dass gelehrte Männer diese Kräfte bündeln, und bei bestimmten Gelegenheiten anwenden könnten, wie man es von [[Erwähnte Person::Johannes Trithemius]] vernommen habe, der im kalten Winter Samen von Gemüse oder Kräutern in der Erde vergraben habe, so dass innerhalb kurzer Zeit Gemüse oder Kräuter gewachsen seien. Derselbe sei einmal davor gewarnt worden, zu nahe an ein wildgewordenes Pferd heranzutreten. Er sei trotzdem herangetreten und habe es mit der Hand gestreichelt: Dieses sei daraufhin nicht nur zahmer als ein Schaf gewesen, sondern sei sogar zitternd zum Stehen gekommen. C. sei freilich nicht ohne Grund davon überzeugt, dass die Natur einigen Menschen eine verborgene Kraft mit erstaunlichen Wirkungen habe angedeihen lassen, so dass sie allein durch Anblicken, Berührung, ihren Willen oder ihren Atem nützen oder schaden könnten. In der Nachbarschaft erzählen sie von jemandem, der eine andere Person durch magisches Flüstern (''susurratio'') zwingen könne, etwas Anstößiges vor aller Augen zu tun. Was sei mit jenen unglückseligen Frauen, die angeblich Unwetter enstehen lassen und, laut [[Erwähnte Person::Vergil]], den Mond vom Himmel ziehen könnten?<br>


(Vinzenz Gottlieb)
Aber solcherlei Dinge glitten leicht in Aberglauben ab und seien auch mit verschiedenen Täuschungen (''praestigiae'') verwoben, so dass sie von erschreckten und unerfahrenen Menschen für tatsächliche Geschehnisse gehalten werden (obwohl sie gar nicht geschehen oder auf eine andere Weise); etwa, wenn man schlaftrunken aufgrund eines Traumgesichts vermeine, auch mit offenen Augen eine Erscheinung zu sehen, oder wenn Frauen beschwören, dass ihnen manchmal ein struppiges Wesen (ein so genannter Alp) beiwohne (''incubitare'', vgl. auch das Konzept des Incubus). Von derartigen Erscheinungen der Schatten spreche Homer (volkstümlich aber treffend) als ἀμενηνά ("flüchtig") und vergleiche sie mit Rauch, Vergil aber mit einer leeren Einbildung.<br>
 
Um die Ansicht über diese Dinge kurz zusammenzufassen: C.' Meinung nach hätte die Natur unglaubliche und unbegrenzte Wirkkräfte, die vom Großteil der Gesellschaft nicht erfasst werden könnten; und da diese Kräfte natürlich und rein seien, gäbe es keine unfromme oder verbrecherische Handhabe. Aber es seien so viele Irrtümer und vor allem Aberglaube eingedrungen, dass das Meiste einem gelehrten Menschen verdächtig, einem Christen (der mit Christus dem Befreier Herr über alles ist) aber verachtenswert sein müsse. Denn welche Hilfe suche jener in einem Kräutlein von außerordentlicher Beschaffenheit und verborgener Kraft, wo diese für ihn doch bei Gott liege, dem Schöpfer des Himmels und der Erde? Und wozu solle jener auf spezielle Worte der Menschen achten, da er doch vom Wort Gottes gestützt, geschützt und geleitet werde? Deswegen seien also die Anhänger entsprechender Praktiken oft allzu weit entfernt von wahrer Frömmigkeit und äußerst leichtfertig in Charakter und Gesinnung. Aber man müsse es unbedingt vermeiden, dass man ausgehend von einer nichtigen Erscheinung solchen "Künsten", wie [[Erwähnte Person::Plinius maior|Plinius]] sie ohne zu zögern tituliert, oder gewissen vorwitzigen Beobachtungen oder sogar offenkundigen Täuschungen mehr Bedeutung beimesse, als es der christliche, wahre Glaube erlaube, ja Vernunft und Einsicht billigen und verteidigen könnten. Es sei offensichtlich, dass in diesem Bereich nicht nur einfache Menschen leicht und häufig strauchelten.<br>
 
C. hätte das ausführlicher dargelegt, wenn seine anderen Verpflichtungen es erlaubt hätten, diesen Dingen mehr Zeit und Überlegungen zukommen zu lassen. Was N. jedoch seinem Vorhaben entsprechend (''pro instituto'') geschrieben habe, gefalle C. sehr. C.' Text aber, der noch nicht so ausgefeilt sei, wie er es sich wünschte, solle N. bei und für sich behalten (''tecum habeas'') und ihn nach der Lektüre zurücksenden.
<br>
 
(Marion Gindhart)


=== Anmerkungen ===
=== Anmerkungen ===
* Bei dem Brief befindet sich eine umfangreiche Anmerkung. Sie ist ist unterschrieben mit ''C. Rittersh. adscript.''. Es könnte sich hier um Konrad Rittershausen ([https://www.aerztebriefe.de/pe/00005366]) handeln, der seit 1591 an der Hochschule in [[Altdorf]] Rechtsprofessor war. Als solcher stand er mit [[Joachim Camerarius II.]] in Kontakt, wie der umfangreiche Briefwechsel auf [https://www.aerztebriefe.de aerztebriefe.de] belegt.  
Vor dem Wort φυσικοί befindet sich ein Verweis (*) auf eine umfangreiche, den Haupttext rahmende Anmerkung, die sich inhaltlich jedoch auf die eine Seite zuvor genannte Stelle aus der "Odyssee" bezieht. Die Erläuterung endet mit dem Hinweis ''C. Rittersh. adscrips.'' Bei dem genannten Annotator könnte es sich um [https://www.aerztebriefe.de/pe/00005366 Konrad Rittershausen] handeln, der seit 1591 als Rechtsgelehrter an der [[Universität (Altdorf)|Hohen Schule in Altdorf]] tätig war. Er stand mit [[Joachim Camerarius II.]] in Kontakt, wie der umfangreiche Briefwechsel auf [https://www.aerztebriefe.de aerztebriefe.de] belegt, und war Lehrer von [[Ludwig Camerarius II.]] (vgl. [[Languet, Epistolae ad Camerarium, 1646]], Bl. ***3v).
** Inhalt: Die Stelle beziehe sich auf Odyssee Buch 19. Auch Apuleius lobe diese Stelle (Apologie 1). Er nennt weitere Belegstellen für Beschwörungen: Varro (Buch „Cato vel de liberis educandis“), Cato ("De re rustica", vorletztes Kapitel), Plinius Buch 28,2; Ulpian l. 1ff., [[Johannes Chrysostomos]] Homil. 8 (Kolosser-Brief), [[Gregor von Nazianz]] (Migne, Patrologia Graeca 36, col. 381, Z. 6-7), [[Basilius der Große]] (zum Psalm 45), [[Platon]] (Charmides, Stephanus-S. 157a, Z. 3-4).
In der Anmerkung wird zunächst auf eine Rezeption der Homerstelle in der "Apologie" des [[Erwähnte Person::Apuleius]] (40) verwiesen, der daraus folgert: ''Nihil enim quod salutis ferendae gratia fit, criminosum est''. Es folgen weitere Belege für die Besprechung von Krankheiten aus der römischen Literatur (Cato, [[Erwähnte Person::Varro]] und Plinius d.Ä.). Gegen die Einschätzung des Apuleius werden kritische Stimmen aus der Antike angeführt, die Rittershausen befürwortet (Ulpian, [[Erwähnte Person::Johannes Chrysostomos]], [[Erwähnte Person::Gregor von Nazianz]] ([[Migne, PG]] 36, col. 381, Z. 6-7), [[Erwähnte Person::Basilius der Große]], [[Erwähnte Person::Platon]] (Charmides, Stephanus-S. 157a, Z. 3-4)).

Aktuelle Version vom 14. November 2024, 10:58 Uhr



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Werksigle OCEp 1270
Zitation Camerarius an Unbekannt, 15XX d, bearbeitet von Marion Gindhart, Manuel Huth und Vinzenz Gottlieb (14.11.2024), in: Opera Camerarii Online, http://wiki.camerarius.de/OCEp_1270
Besitzende Institution
Signatur, Blatt/Seite
Ausreifungsgrad Druck
Erstdruck in Camerarius, Epistolae familiares, 1595
Blatt/Seitenzahl im Erstdruck S. 510-513
Zweitdruck in
Blatt/Seitenzahl im Zweitdruck
Sonstige Editionen
Wird erwähnt in
Fremdbrief? nein
Absender Joachim Camerarius I.
Empfänger Unbekannt
Datum
Datum gesichert? nein
Bemerkungen zum Datum o.D.
Unscharfes Datum Beginn
Unscharfes Datum Ende 1574
Sprache Latein
Entstehungsort o.O.
Zielort o.O.
Gedicht? nein
Incipit De sigillis generatim sic sentio
Link zur Handschrift
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Kurzbeschreibung
Anlass
Register Magie; Briefe/Wissenschaftlicher Austausch
Handschrift unbekannt
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Wiedervorlage ja
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Datumsstempel 14.11.2024
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Ausreifungsgrad Druck
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Incipit De sigillis generatim sic sentio
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Register Magie; Briefe/Wissenschaftlicher Austausch
Datumsstempel 14.11.2024


Regest/Übersetzung

Die sigilla (magische Symbole bzw. damit versehene Amulette) nehme C. generell mit auf in die Gruppe der Zaubersprüche (ἐπῳδαί), der Besprechungen von Wurzeln, Heilkräutern, Kleidungsstücken, Lasttieren, beseelten Wesen sowie anderer magischer Dinge, die auf menschliche Körper oder Sachen angewendet werden, entweder in Form von Worten oder Handlungen. Aber es sei schwierig, über diesen ganzen Bereich (scil. der Magie) zu schreiben, weil er so von Aberglaube überfrachtet und entstellt sei, dass man leicht finden könne, was abzulehnen, aber nicht, was zu billigen sei.

Seit mehr als 2000 Jahren seien ἐπῳδαί in Gebrauch, wie man aus Homer erfahren könne, bei dem die Verwandten des Odysseus (i.e. die Söhne des Autolykos) den Blutfluss seiner tiefen Wunde, die ein Eber verursacht hatte, mit einem Verband und einem Zauberspruch stoppten (Hom. Od. 19, 457f.). Wenn in Worten allein eine solche natürliche Kraft (naturae vis) stecke, scheine es doch nicht abwegig, dass sie, wenn sie mit einer anderen (scil. Kraft) – etwa der in Pflanzen und Tieren – kombiniert werde, nicht nur nicht verschwinde, sondern sogar noch größer werde. Einst seien Ringe in Griechenland öffentlich verkauft worden, deren Trägern von verschiedenen (Verkäufern) Schutz vor verschiedenen Übeln versprochen wurde, die φυσικοί (scil. δακτύλιοι) (s. Anm.) genannt wurden. Darüber spotte Aristophanes, indem er ihre Wirksamkeit gegen verleumderische Angriffe leugnete. C. freilich meine, dass die Wirkursachen der Natur in allen, auch den kleinsten, Dingen sehr groß seien, und dass gelehrte Männer diese Kräfte bündeln, und bei bestimmten Gelegenheiten anwenden könnten, wie man es von Johannes Trithemius vernommen habe, der im kalten Winter Samen von Gemüse oder Kräutern in der Erde vergraben habe, so dass innerhalb kurzer Zeit Gemüse oder Kräuter gewachsen seien. Derselbe sei einmal davor gewarnt worden, zu nahe an ein wildgewordenes Pferd heranzutreten. Er sei trotzdem herangetreten und habe es mit der Hand gestreichelt: Dieses sei daraufhin nicht nur zahmer als ein Schaf gewesen, sondern sei sogar zitternd zum Stehen gekommen. C. sei freilich nicht ohne Grund davon überzeugt, dass die Natur einigen Menschen eine verborgene Kraft mit erstaunlichen Wirkungen habe angedeihen lassen, so dass sie allein durch Anblicken, Berührung, ihren Willen oder ihren Atem nützen oder schaden könnten. In der Nachbarschaft erzählen sie von jemandem, der eine andere Person durch magisches Flüstern (susurratio) zwingen könne, etwas Anstößiges vor aller Augen zu tun. Was sei mit jenen unglückseligen Frauen, die angeblich Unwetter enstehen lassen und, laut Vergil, den Mond vom Himmel ziehen könnten?

Aber solcherlei Dinge glitten leicht in Aberglauben ab und seien auch mit verschiedenen Täuschungen (praestigiae) verwoben, so dass sie von erschreckten und unerfahrenen Menschen für tatsächliche Geschehnisse gehalten werden (obwohl sie gar nicht geschehen oder auf eine andere Weise); etwa, wenn man schlaftrunken aufgrund eines Traumgesichts vermeine, auch mit offenen Augen eine Erscheinung zu sehen, oder wenn Frauen beschwören, dass ihnen manchmal ein struppiges Wesen (ein so genannter Alp) beiwohne (incubitare, vgl. auch das Konzept des Incubus). Von derartigen Erscheinungen der Schatten spreche Homer (volkstümlich aber treffend) als ἀμενηνά ("flüchtig") und vergleiche sie mit Rauch, Vergil aber mit einer leeren Einbildung.

Um die Ansicht über diese Dinge kurz zusammenzufassen: C.' Meinung nach hätte die Natur unglaubliche und unbegrenzte Wirkkräfte, die vom Großteil der Gesellschaft nicht erfasst werden könnten; und da diese Kräfte natürlich und rein seien, gäbe es keine unfromme oder verbrecherische Handhabe. Aber es seien so viele Irrtümer und vor allem Aberglaube eingedrungen, dass das Meiste einem gelehrten Menschen verdächtig, einem Christen (der mit Christus dem Befreier Herr über alles ist) aber verachtenswert sein müsse. Denn welche Hilfe suche jener in einem Kräutlein von außerordentlicher Beschaffenheit und verborgener Kraft, wo diese für ihn doch bei Gott liege, dem Schöpfer des Himmels und der Erde? Und wozu solle jener auf spezielle Worte der Menschen achten, da er doch vom Wort Gottes gestützt, geschützt und geleitet werde? Deswegen seien also die Anhänger entsprechender Praktiken oft allzu weit entfernt von wahrer Frömmigkeit und äußerst leichtfertig in Charakter und Gesinnung. Aber man müsse es unbedingt vermeiden, dass man ausgehend von einer nichtigen Erscheinung solchen "Künsten", wie Plinius sie ohne zu zögern tituliert, oder gewissen vorwitzigen Beobachtungen oder sogar offenkundigen Täuschungen mehr Bedeutung beimesse, als es der christliche, wahre Glaube erlaube, ja Vernunft und Einsicht billigen und verteidigen könnten. Es sei offensichtlich, dass in diesem Bereich nicht nur einfache Menschen leicht und häufig strauchelten.

C. hätte das ausführlicher dargelegt, wenn seine anderen Verpflichtungen es erlaubt hätten, diesen Dingen mehr Zeit und Überlegungen zukommen zu lassen. Was N. jedoch seinem Vorhaben entsprechend (pro instituto) geschrieben habe, gefalle C. sehr. C.' Text aber, der noch nicht so ausgefeilt sei, wie er es sich wünschte, solle N. bei und für sich behalten (tecum habeas) und ihn nach der Lektüre zurücksenden.

(Marion Gindhart)

Anmerkungen

Vor dem Wort φυσικοί befindet sich ein Verweis (*) auf eine umfangreiche, den Haupttext rahmende Anmerkung, die sich inhaltlich jedoch auf die eine Seite zuvor genannte Stelle aus der "Odyssee" bezieht. Die Erläuterung endet mit dem Hinweis C. Rittersh. adscrips. Bei dem genannten Annotator könnte es sich um Konrad Rittershausen handeln, der seit 1591 als Rechtsgelehrter an der Hohen Schule in Altdorf tätig war. Er stand mit Joachim Camerarius II. in Kontakt, wie der umfangreiche Briefwechsel auf aerztebriefe.de belegt, und war Lehrer von Ludwig Camerarius II. (vgl. Languet, Epistolae ad Camerarium, 1646, Bl. ***3v). In der Anmerkung wird zunächst auf eine Rezeption der Homerstelle in der "Apologie" des Apuleius (40) verwiesen, der daraus folgert: Nihil enim quod salutis ferendae gratia fit, criminosum est. Es folgen weitere Belege für die Besprechung von Krankheiten aus der römischen Literatur (Cato, Varro und Plinius d.Ä.). Gegen die Einschätzung des Apuleius werden kritische Stimmen aus der Antike angeführt, die Rittershausen befürwortet (Ulpian, Johannes Chrysostomos, Gregor von Nazianz (Migne, PG 36, col. 381, Z. 6-7), Basilius der Große, Platon (Charmides, Stephanus-S. 157a, Z. 3-4)).