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Version vom 20. Juni 2018, 13:49 Uhr
Zu den Werken des Camerarius
Der folgende vorläufige Text nach Joachim Hamm: Joachim Camerarius d.Ä. In: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520-1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon (VL 16). Hg. v. Wilhelm Kühlmann, Jan-Dirk Müller, Michael Schilling, Johann Anselm Steger, Friedrich Vollhardt. Bd. 1 (2011), Sp.425-438.
Ein systematisches Werkverzeichnis fehlt; unselbständige Werke sind bisher nicht separat erfaßt. Über die von BARON / SHAW 1978 verzeichneten 183 Erstdrucke reicht der VD 16 (und seine Internet-Version) hinaus. Neben vier ND.en und einigen Teilveröffentlichungen (vgl. MUNDT 2004, S. XIV-XVI) liegen moderne Editionen nur zu den drei Biographien sowie zu den Eklogen vor. Zahlreiche Werke des C. sind als elektronische Faksimilia in den digitalen Bibl.en u.a. der BSB München und der ULB Halle abrufbar.
Im Mittelpunkt seines umfänglichen Oeuvres (BARON / SHAW 1978 verzeichnen 183 Erstdrucke zw. 1524 und 1605) stehen die philolog. Werke. Obwohl C. als der „nach dem Tode des Erasmus [...] hervorragendste dt. Philologe des 16. Jh.s“ (STÄHLIN 1936, S. 104) gilt, fehlt eine eingehende Darstellung seiner umfangreichen Tätigkeit als Herausgeber, Kommentator und Übersetzer. Zu seinen bedeutenden gräzistischen Editionen zählen zunächst die Slg. der Astrologica (Nbg. 1532), die gemeinsam mit Hieronymus Gemusaeus und Leonhart Fuchs besorgte Galen-Ausg. (Basel 1538), die (textkritisch noch heute bedeutende) Erstausg. von Ptolemaios’ astrologischem Standardwerk, der Tetrabiblos (Nbg. 1535; mit einer lat. [Teil-]Übers. von C.), sowie der von Simon Grynaeus herausgegebenen Almagest des Ptolemaios (Basel 1538), zu dem C. u.a. den Komm. Theons von Alexandria beisteuerte. Von den antiken Klassikern publizierte C. – nach den frühen Ausg.n des Theokrit (Hagenau 1530) und des komm. Sophokles (Hagenau 1534) – gegen Ende seiner Tübinger Zeit u.a. den Homer (Basel 1541; gemeinsam mit Jacob Micyllus) sowie die ersten außerhalb Italiens erschienenen Ausg.n des Thukydides und Herodot (Basel 1540, 1541). Daneben gab C. zahlreiche für die Schule bestimmte Schriften heraus: Der erbauliche Libellus scolasticus (Basel 1551) und das lat. annotierte Griechisch-Lehrbuch der Sententiae Iesu Siracidae (Basel 1551) kamen, wie der Drucker Oporin in einem Brief vom 20. 6. 1551 bestätigt, in Leipziger und Wittenberger Schulen zum Einsatz. Übungsbücher wie die Progymnasmata des Theon (Basel 1541) oder des Aphthonius (Lpz. 1567) entsprachen in ihrer Kombination von theoretischer Anleitung (ars) und Musterbeispielen (imitatio) dem Pädagogikkonzept des C. Für den Sprachunterricht gedacht waren auch diverse Hilfsmittel, etwa grammatikalisch-syntaktische Lehrbücher (wie das des Johannes Varennius, Basel 1536), ein rhetorisches Übungsbuch aus der Tübinger Praxis (Elementa rhetoricae, Basel 1541) oder auch griech.-lat. Lexika (wie die medizinisch-anatomischen Commentarii utriusque Linguae, Basel 1551). Der Philologe und der Pädagoge arbeiteten Hand in Hand.
Dies gilt auch für seine latinistischen Editionen. Neben den Ausg.n des Terenz, Quintilian und Macrobius und den Komm.en zu Werken Ciceros sind insb. die Teileditionen und die Gesamtausg. des Plautus (Basel 1552) zu erwähnen, die C. auf Grundlage des Codex Vetus (aus dem Besitz seines einstigen Lehrers Veit Werler) erstellte und die erstmals eine gesicherte Textbasis bot (vgl. RITSCHL 1877, STÄRK 2003, SCHÄFER 2004). Daneben publizierte C. mehrere lat. Übers.en, die griech. Texte einem größeren Leserkreis erschließen konnten. Hierzu zählen die Übertragung der Kirchengeschichte des Theodoret (Basel 1536), die komm. Hex.-Übers. der ersten beiden Bücher der Ilias (Straßburg 1538, 1540), die (gemeinsam mit Georg Joachim Rheticus veranstaltete) zweisprachige Ausg. der Elemente Euklids (Lpz. 1549), mehrere Übertragungen aus Xenophon (u.a. Tüb. 1539), die Musterübers.en von Aias und Elektra (beigegeben dem Sophokleskomm. von 1556) sowie die Translationen der Nikomachischen Ethik und der Ökonomik (Ffm. 1564) des Aristoteles. Besonders breite Wirkung zeitigte der lat. Aesop (Tüb. 1538; hierzu jetzt KIPF 2010, S. 476-485), der eine Vita Aesops, die unter seinen Namen überlieferten Fabeln sowie 16 äsopische Erzählungen verschiedener Autoren umfaßt und bis 1600 mindestens 36 Ausg.n erfuhr.
Wie diese philolog. Arbeiten einerseits durch das humanistische Umfeld des C. angeregt wurden und auf dieses rückwirkten, zeigt das Beispiel der Bukolik. Eobanus, der 1509 sein Bucolicon publiziert und am Nürnberger Gymnasium Vergils Bucolica und Georgica erklärt hatte, wurde von C. zum Studium der griech. Bukoliker im Urtext geführt. Als er sich 1527 zu einer lat. Versübers. des Theokrit entschloß (gedr. Basel 1531), nahm er die Unterstützung des Gräzisten C., der zeitgleich an seiner Theokrit-Ausg. arbeitete, dankbar in Anspruch. Nach Eobans Tod wurde dessen Übers.en gemeinsam mit dem griech. Text des C. nachgedruckt (Ffm. 1545), als das „Dokument einer idealen Zusammenarbeit von Gelehrtem und Dichter“ (SCHÄFER 1978, S. 124). Kurz darauf wurde der Gelehrte selbst zum Dichter: In Eschenau verfaßte C. im Jahr 1533/1534 die Mehrzahl seiner griech.-lat. Eklogen, die 1568 im Druck erschienen und heute (neben vier elegischen Reisebeschreibungen) als sein bedeutendstes poetisches Werk gelten (PIALEK 1970, MUNDT 2004).
Andererseits zielten zahlreiche seiner philolog. Arbeiten auf den Schul- und insb. auf den Sprachunterricht ab. Das zugrunde liegende pädagogische Konzept skizziert C. in praefationes und Widmungsbriefen, in denen er sich programmatisch über den Bildungsnotstand seiner Zeit, über die Bedeutung der antiken Sprachen und über den Stellenwert des altsprachlichen Unterrichts in der schulischen und universitären Ausbildung äußerte. Diese wiederholten paratextuellen Einlassungen fügen sich in ihrer Gesamtheit zu einem pädagogisch-philos. Programm, das für die optimae artes und insb. für das Griechisch wirbt. Entfaltet und ausgeweitet wird dieses Programm in pädagogischen Schriften wie etwa den Praecepta vitae puerilis (Basel 1536) oder den Praecepta morum ac vitae (Lpz. 1545), in denen C. Ratschläge für den Unterricht mit Ermahnungen zur Lebensführung der Schüler verbindet (SECKT 1888, KUNKLER 2000).
Die grundlegende Bedeutung altsprachlicher Bildung prägt auch die theol. Werke, die insb. der Katechese zuzurechnen sind. Daß erst das Verständnis der griech. Sprache das wahre Verständnis des Evangeliums ermögliche, ist ein katechetischer Grundgedanke des C., der u.a. seiner Kat»chsij toà Cristianismoà (Lpz. 1552) zugrunde liegt, die ausschließlich in griech. Sprache verfaßt ist. Die Capita pietatis et religionis christianae (Lpz. 1545), eine Darlegung der christlichen Lehre für die unteren Gymnasialstufen, sind gar in griech. Hex. gedichtet. Nach Aufl.n und Verbreitung der Druckausg.n zu urteilen, war C.´ ambitioniertes Anliegen, philolog. und theol. Lernziele zu verbinden, durchaus erfolgreich (wohl nicht zuletzt, da beiden Katechesen in nachfolgenden Aufl.n eine lat. Übers. beigegeben war).
Weit über den philolog.-pädagogischen Diskurs hinaus reicht die Bedeutung von C.’ kunsttheoretischen Übers.en. Wenige Tage vor seinem Tod am 6. 4. 1528 hatte Dürer ihm das Versprechen abgenommen, seine Proportionenlehre ins Lat. zu übertragen. C. publizierte seine Übers. in zwei Tl.en (Nbg. 1532, 1534; Paratexte bei RUPPRICH 1956, Bd. 1, S. 307-315; Auszüge des 2. Tl.s in Bd. 3, S. 300-306). Dem ersten Tl. ist eine Skizze zu Dürers Leben beigegeben, die als erste Künstlerbiographie nördlich der Alpen gilt (PARSHALL 1978, S. 12). Ebenfalls 1532 veröffentlichte C. seine Übertragung der Underweysung der messung, und 1535 erschien in Paris seine lat. Version von Dürers Befestigungslehre. Es waren diese Übers.en, die die europaweite Rezeption von Dürers kunsttheoretischen Schriften erst ermöglichten und darüber hinaus eine dem Kunstverständnis der Zeit angemessene lat. Fachterminologie einführten (PARSHALL 1978, HECKSCHER 1978, HUBER-REBENICH 2006).
Unter den historischen Schriften des C. sind – neben einer postum edierten griech. Geschichte des Schmalkaldischen Krieges (1611) – vor allem Beiträge zur Kirchengeschichte hervorzuheben: eine Geschichte des Konzils von Nicäa (1552), die Historia über das Leben Jesu und der Apostel (Lpz. 1566) sowie die Geschichte des Böhmischen Brüder (1605). Eine besondere Stellung kommt den biographischen Schriften zu. Neben kleineren, als Paratexte publizierten Viten (zu Xenophon, Aesop, Dürer, Stibar und Baumgartner) und einigen Gedenkreden (auf Kf. Moritz von Sachsen und Hz. Eberhard im Bart) verfaßte C. drei umfängliche Biographien (STÄHLIN 1936, WENGERT 1995): Die Narrationes über Eobanus (Nbg. 1553), Georg von Anhalt (Lpz. 1555) und Melanchthon (Lpz. 1566) sind von Exkursen aufgelockerte, punktuell geschönte biographische Erzählungen, in denen C. die Viten seiner Freunde (und zugleich sein eigenes, mit ihnen verbrachtes Leben!) vor Augen stellt.
Zu diesen (Ego-)Dokumenten des dt. Humanismus, die bis in die Neuzeit hinein neu aufgelegt wurden, tritt der außerordentlich umfangreiche Briefwechsel des C. (vgl. jetzt STASWICK 1998, WOITKOWITZ 2003, S. 27-32). C. gab fünf Slg.en mit Briefen von sich und seinen Freunden heraus, in deren Mittelpunkt die Korrespondenzen von Eobanus (in vier Bde.n: 1553, 1557, 1561 und 1568; vgl. HUBER-REBENICH 2006) und Melanchthon (1569) stehen. Die eigenen Epistolae familiares (an 90 Adressaten) wurden von seinen Söhnen Joachim II. und Philipp postum in zwei Bde.n publiziert (Ffm. 1583, 1595). Die hsl. Briefe des C. gingen zu großen Teilen in die (von seinem Enkel Ludwig angelegte und um Korrespondenzen des 16. und 17. Jh.s erweiterte) Collectio Camerariana ein. Insgesamt sind einige tausend Briefe von und an C. aus einem Briefwechsel mit etwa 450 Personen erhalten.