Camerarius, Disputatio de cultu vero Dei, 1544
Opus Camerarii | |
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Werksigle | OC 0444 |
Zitation | Disputatio de cultu vero Dei, et ritibus ceremoniarum ac disciplina et ieiunio, bearbeitet von Alexander Hubert (28.02.2024), in: Opera Camerarii Online, http://wiki.camerarius.de/OC_0444 |
Name | Joachim Camerarius I. |
Status | Verfasser |
Sprache | Latein |
Werktitel | Disputatio de cultu vero Dei, et ritibus ceremoniarum ac disciplina et ieiunio |
Kurzbeschreibung | Camerarius spricht gegen den Verfall von Glauben und Sitten; das Fasten greift er sich als konkretes Beispiel dafür heraus, dass in seiner Zeit der Schein von Frömmigkeit über echte Frömmigkeit gestellt wird. Er spricht sich dafür aus, sich auf die Grundkonzepte des christlichen Glaubens zu besinnen und der Kirche zu neuem Ansehen zu verhelfen. Außerdem sei angesichts der Türkengefahr der Glaube die wichtigste Waffe. |
Erstnachweis | 1544 |
Bemerkungen zum Erstnachweis | Das Druckjahr ist gesichert (TB). |
Datum unscharfer Erstnachweis (Beginn) | |
Datum unscharfer Erstnachweis (Ende) | |
Schlagworte / Register | Universitätsrede; Fasten; Türkenkriege/Türkengefahr; Seelenwanderung; Diätetik; Ethik; Philosophie |
Paratext zu | |
Paratext? | nein |
Paratext zu | |
Überliefert in | |
Druck | Musa/Camerarius, Orationes duae, 1544 |
Erstdruck in | Musa/Camerarius, Orationes duae, 1544 |
Blatt/Seitenzahl im Erstdruck | Bl. B6v-D6r |
Carmen | |
Gedicht? | nein |
Erwähnungen des Werkes und Einfluss von Fremdwerken | |
Wird erwähnt in | |
Folgende Handschriften und gedruckte Fremdwerke beeinflussten/bildeten die Grundlage für dieses Werk | |
Bearbeitungsstand | |
Überprüft | am Original überprüft |
Bearbeitungsstand | korrigiert |
Wiedervorlage | ja |
Bearbeiter | Benutzer:HIWI |
Gegengelesen von | Benutzer:JS |
Bearbeitungsdatum | 28.02.2024 |
Opus Camerarii | |
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Werksigle | OC 0444 |
Zitation | Disputatio de cultu vero Dei, et ritibus ceremoniarum ac disciplina et ieiunio, bearbeitet von Alexander Hubert (28.02.2024), in: Opera Camerarii Online, http://wiki.camerarius.de/OC_0444 |
Name | Joachim Camerarius I.
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Sprache | Latein |
Werktitel | Disputatio de cultu vero Dei, et ritibus ceremoniarum ac disciplina et ieiunio |
Kurzbeschreibung | Camerarius spricht gegen den Verfall von Glauben und Sitten; das Fasten greift er sich als konkretes Beispiel dafür heraus, dass in seiner Zeit der Schein von Frömmigkeit über echte Frömmigkeit gestellt wird. Er spricht sich dafür aus, sich auf die Grundkonzepte des christlichen Glaubens zu besinnen und der Kirche zu neuem Ansehen zu verhelfen. Außerdem sei angesichts der Türkengefahr der Glaube die wichtigste Waffe. |
Erstnachweis | 1544 |
Bemerkungen zum Erstnachweis | Das Druckjahr ist gesichert (TB).
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Schlagworte / Register | Universitätsrede; Fasten; Türkenkriege/Türkengefahr; Seelenwanderung; Diätetik; Ethik; Philosophie |
Paratext zu | |
Paratext? | nein |
Überliefert in | |
Druck | Musa/Camerarius, Orationes duae, 1544 |
Carmen | |
Gedicht? | nein |
Erwähnungen des Werkes und Einfluss von Fremdwerken | |
Wird erwähnt in | |
Bearbeitungsdatum | 28.02.2024 |
Inhaltsangabe
Nachdem er Gott gebeten hat, dass dieser ihn stets auf dem richtigen Weg führe, damit alle seine Handlungen der Glorifizierung Gottes dienlich seien, begründet Camerarius sein Hiersein (i.e. an der Universität Leipzig) damit, dass er darum ersucht wurde; er habe Für und Wider abgewogen und hoffe, dass andere zu dem gleichen Ergebnis kämen wie er selbst und ihn nicht dafür tadeln würden, dass er diese Rede halte. Dies rechtfertigt er damit, dass Universitätswesen und Kirchliches nicht zu trennen seien. Seine Profession sei die Beschäftigung mit den Alten Sprachen, deren Stimme man auch auf einer solchen Versammlung hören sollte. Schließlich verdiente sie nicht so viel Aufmerksamkeit, wenn nicht auch sie zur Verherrlichung Gottes beitrüge.
Camerarius hoffe, dass das Folgende der Kirche helfen werde, wieder an Ansehen zu gewinnen, da sich viele von ihr abgewandt hätten. Diese nämlich sähen, wenn sie die Lasterhaftigkeit der Kirche anprangerten, nicht die Ursachen, sondern die Symptome des Problems. Zum Vergleich zitiert er aus der Fabel vom Wolf und den Bauern, die er im selben Monat herausgegeben hat (vgl. Camerarius, Fabulae Aesopicae (Druck), 1544, S. 387). Lehre dieser Fabel ist, wie er dort schreibt, dass diejenigen, die anderen Unbill zufügen, diese danach noch verurteilen, weil sie es nicht stillschweigend in Kauf genommen haben.
Eben dies geschehe nun, indem Menschen, die vom wahren Glauben weit entfernt sind, klagen, dass Gebete, Feste und Fasten vernachlässigt würden, anstatt zu erkennen, dass ihr eigenes Leben voller Laster sei.
Er hingegen wolle nun über die Endlichkeit des Lebens hinaus, nämlich auf die Wahrheit schauen. Die Diskussion darüber sei nicht zu vergleichen mit denen der Philosophen, da Gott selbst als Richter fungiere. Jeder könne Philosoph sein; gottesfürchtig könnten jedoch nur Christen sein. Diese jedoch müssten dem Worte Jesu folgen. Damit aber sei es Gesetz Gottes, ihn, wie er es befiehlt, zu allen Zeiten und Orten zu ehren. Dies vereine die Menschen zur Kirche, in der es aber ein Verbrechen sei, irgendwen anderen anzuerkennen als Jesus Christus. Diesem müsse man sich mit ganzem Wesen verschreiben.
Kult und Verehrung (cultus) als Bestandteile jeder Religion müssten im Christentum unabänderlich auf Gott bezogen sein. Der zweite Teil einer Religion aber seien Riten und Zeremonien und die Ausübung nach außen hin (ceremonia und disciplina); wenn diese verweichlichten, müsse es unausweichlich so aussehen, als gelte dies für die gesamte Kirche, denn sie stellen den sichtbaren Teil des Glaubens dar. Jedoch seien erstere göttlich und unumstößlich, letztere aber menschlich und damit in Zeit und Ort variabel. Der Mensch aber müsse erstere allem anderen voranstellen.
Als Beispiel für einen Bestandteil der Riten nennt Camerarius das Fasten. Wer dessen Nutzen verteidigen wolle, müsse auf Hieronymus zurückgreifen, der erläutere, wie schädlich der Genuss von Fleisch und Wein für den Körper sei. Auch Plutarch habe Werke gegen den Genuss von Fleisch geschrieben.
Nun sei es aber nötig, "in utramque partem disserere": Denn wenn man das Fleisch von Vieh nicht essen dürfe, dann doch auch das von Fischen nicht. Wenn man aber nichts Lebendiges essen dürfe, dann doch auch keine Früchte und Pflanzen. Somit müsse man sich also von Brot und Wasser ernähren; hiervon aber sei bekannt, dass es im Übermaß genossen schädlich sei. Wäre also nicht in Wahrheit jemand, der sich dies auferlegt und sich damit selbst schadet, ungläubig und blasphemisch? Außerdem: Wenn jemand von Natur aus der Lust fröne, sei es dann nicht natürlich, dass er von den Genüssen reicher Speisen umso mehr gelockt werde? Somit sei also am Fasten doch nichts Lobenswertes. Schädlich hingegen sei es vielmehr, übermäßig viel zu essen und zu trinken.
Dann lässt er wieder Hieronymus zu Wort kommen: Der würde an dieser Stelle erwidern, dass Gott sich nicht am Leiden des Fastenden erfreue, aber Frömmigkeit nur durch Enthaltsamkeit gewährleistet werden könne. Dies sei aber nicht alles, er wolle jedoch nicht zu weit abschweifen, denn Mäßigung (σωφροσύνη) sei notwendig und ihre Gegenspieler brächten nur Übel. Wenn also nun libido das einzige Laster der Menschen sei, dann könne man den Zweck des Fastens verstehen. Jedoch gebe es noch andere, allseits bekannte, die im Zuge des Fastens und bei Nüchternen zu Tage träten: Neid, Hass, Mordpläne etc. So habe auch Caesar, als er vor den Ränken des Antonius gewarnt wurde, gesagt, er fürchte weniger diesen Betrunkenen, sondern eher die Nüchternheit von Cassius und Brutus. Auch Vergil nenne den Hunger ja einen schlechten Ratgeber. Bei den Dichtern seien Magerheit und Bleichheit das Gesicht des Neids. Das Trinken schaffe freilich manche Laster, beseitige jedoch andere. Dies hätten die Initiatoren des Fastens nicht bedacht.
Stattdessen hätten sie aus Angst, dass Gott durch ihr Tun verärgert würde, gleichsam als demonstrativen Ersatz für "echten Glauben" das Fasten eingeführt, im Widerspruch zu Gottes Wort, wonach ihm außer dem berechtigten Dank keine Geschenke zu machen seien. Dabei sei es aber nicht geblieben, ja vielmehr sei man so weit gegangen, für versäumtes Fasten Strafen einzuführen, sodass man als Kompensation für das versäumte eine gewisse Summe bezahlen könne.
Diesen Verfall der Tradition des Fastens habe man nicht länger mit ansehen können, ohne echt ungläubig zu erscheinen. Man habe jetzt handeln und Glauben und Bräuche wieder in Stand setzen und schützen müssen. Ein Beispiel für eine Zeit oder einen Menschenschlag zu bringen, sei nicht angebracht, suchte schließlich jeder Beispiele, um die Lasterhaftigkeit anderer anzuprangern. Und wer finde selbige denn nicht auch bei sich selbst?
Wenn jemand eine Krankheit habe, versucht er diese zu verstecken, weil jeder sofort darauf zeigen werde. Ebenso sei es mit den moralischen Fehlern, die man ebenso sichtbar zu machen suche. Es sei nicht nötig, den Luxus in den Speisesälen zu erwähnen, da dies ein offensichtliches Laster sei und er auch nicht die Autorität dazu habe, darauf hinzuweisen. Doch bald würden sich jene selbst anklagen, die diesem Leben frönen. Was könnten seine Mahnungen bewirken, wenn doch jedes Maß verloren sei? Man sei ja nicht bereit, auf Warnungen zu hören.
Was dies jedoch bewirke, sehe man an der Geschichte: Die veteres, die nicht auf derartige Warnungen hörten, sind untergegangen, und auch dem Staat der Gegenwart stünde der Untergang bevor, wenn aus Gleichem Gleiches folge. Es sei offensichtlich, dass sie alle unter den Fehlern litten, die sie so verurteilen, doch wer ändere deshalb etwas an sich selbst? Das sei das eigentliche Problem, das jedoch nur Außenstehende bemerkt hätten, woraufhin man sich, wie zum Trotz, noch mehr auf seine Fehler versteift habe. Darunter litte nun der gesamte Staat, ja sogar die Nachwelt.
Diese gotteslästerlichen Fehler seien es, die man eindämmen müsse. Dies könne jedoch nicht durch strenges Fasten oder andere vorgeschobene Riten geschehen, sondern allein durch die Rückkehr zum wahren und echten Glauben. Der Staat würde in seinem Streben nach absoluter Freiheit unbeherrscht. In Anbetracht der Freiheit sei niemand mehr bereit, auf Kritik und Mahnungen anderer zu hören. In der Vielfalt des Staates bestehe keine rechte Notwendigkeit, irgendetwas gut zu machen. Das Lebens sei ein Spaß geworden. Völlig ungeeigneten Leuten komme es plötzlich in den Sinn, Soldaten zu werden, während andere, die tatsächlich gute Soldaten abgäben, zu Hause blieben. Wenn etwas im Gesetz stehe, finde man sicher einen Grund, es doch anders zu machen. Es gebe keinerlei Autorität mehr. Man habe Freude am Nichtstun gefunden und alles diene der voluptas.
Camerarius erkennt an, dass er auch selbst davon betroffen sei, und er klage deshalb nicht andere an, sondern bedauere seinen Zustand und den der anderen. Er zieht einen Vergleich zur Fabel vom Jüngling und dem Pferd (s. Camerarius, Fabulae Aesopicae (Druck), 1544, S. 282f.). Wie dieser würde nun auch die Gesellschaft von den Gelüsten, auf die sie sich eingelassen habe, hinfortgetragen. All dies auszusprechen zwinge ihn vor allem die Notwendigkeit, in Gottes Angesicht die Wahrheit zu sagen. Es brauche keine Worte. Solch ein Leben wäre in der Antike nicht möglich gewesen. Platon selbst habe den Lebensstandard Siziliens verurteilt. Auch Paulus kritisiere einen ausschweifenden Lebensstil.
Wenn man also nun all das höre, warum ändere man nichts daran? Camerarius schlägt vor, wieder bei der Nüchternheit anzufangen, denn in der Nahrung seien einige Dinge, die nicht nur für das körperliche, sondern auch für das geistige Wohl wichtig seien. Man solle sich die Lenker des Staates als Lehrmeister nehmen, denn keine anderen erkenne die Menge an.
Gott wolle in dieser dunklen Zeit den Menschen aufs Neue die Wahrheit und Größe des Evangeliums zeigen, und es sei nötig, dass man sich als dieser Wohltat würdig zeige. Dafür solle man Gott danken, und nicht andere kritisieren, sondern zu allererst sich selbst im Spiegel anschauen und seine eigenen Fehler korrigieren, damit weder Fülle noch Mangel ihn vom Weg Jesu abbringe. Für diesen nun könne man fasten und feiern. Freilich könne man ihm mit den Lastern ebensowenig dienen wie mit Sünden. Doch vielleicht würde man dann beschließen, die Fastenzeit neu festzulegen, damit sie wieder eingehalten würde. Den von Christus Beseelten werde nichts aufhalten, bis die Riten wieder in Stand gesetzt wären und die Kirche wieder einen respektablen Eindruck erwecke. Er würde alles auf Namen und Ehre Gottes ausrichten und den Tag erwarten, an dem alle Fürsten der Welt sich vereinigten, um das Haus Gottes wieder aufzurichten. Dann würden sie sich den Riten zuwenden und diese in Stand setzen, dann würde auch das Fasten wieder zum heiligen Ritus, jedoch in einem Überfluss an Speisen.
Dann würden auch die Lehrer, die Vegetarismus lehrten, namentlich Empedokles, eingestehen, dass sie letztlich nicht Enthaltsamkeit vom Fleisch, sondern von schlechten Taten und Gedanken gelehrt hatten. Und dann müsste man sie wiederum warnen, sich nicht verführen zu lassen, wenn sie erst einmal von den Genüssen des Fleisches gekostet hätten. Der strenge Vegetarismus sei nur aus der Irrlehre von der Seelenwanderung gefolgt, aus der Angst, der Seele von Verwandten zu schaden.
(Camerarius lässt sich an dieser Stelle anschließend noch etwas über die Seelenwanderungslehre aus.)
Doch hätten die anders gehandelt, die nicht aus (falscher) Frömmigkeit handelten? Mit welcher Rechtfertigung wäre es ein schlimmeres Verbrechen, als Jähzorn oder Wollust, äße er heute Fleisch? Doch nicht, weil er die öffentliche Ordnung gestört oder das Maß überschritten habe, sondern weil er Gottes Wort und dem Gesetz der Kirche gegenüber ungehorsam sei. Diese müsse ihn dafür bestrafen, das sei doch der Kanon.
Diese Lehre sei jedoch ebenso falsch wie die der Seelenwanderung. Das Fasten sei eine alte Tradition, dennoch nur eine Tradition. Eingeführt worden sei sie durch Paulus und einen weiteren Autor, mit der Begründung, dass man dadurch begreife, wie viel einem an dem normalen Leben liege, und dass man mit dem dadurch gesparten Geld Arme unterstützen könne.
Doch es sei nun genug davon, es gebe genug andere Diskussionen zu diesem Thema. Es folgt eine halbe Seite Gotteslob und die Mahnung, seinem Willen zu folgen. Und wenn man es schon nicht für Gott tue, dann solle man doch bedenken, dass mit den Osmanen dem Reich eine ganz konkrete weltliche Gefahr drohe. Diese könne man gewiss nicht durch die Zurschaustellung von Reichtum in die Flucht schlagen. Stattdessen müsse man sich erstens auf den Glauben zurückbesinnen, zweitens auf die alten Tugenden, die auch den Feind so erfolgreich machen, namentlich die Nüchternheit. Bedauernswert sei, wer die Gefahr nicht erkenne oder sie ignoriere.
Camerarius beendet seine Rede mit der Aufforderung, ein jeder möge Gott um Unterstützung bitten, sowie mit dem üblichen Gotteslob.
Auffällig sind an der Rede vor allem die beiden Aesopzitate, derer sich bei Camerarius nur sehr wenige finden. Auch sonst rekurriert er auf antike Autoren wie Cicero, Platon, Vorsokratiker etc., doch Aesop sticht hier heraus.